Perspektive

Briefbomben-Wirrwarr zeigt Zustand der US-Politik

Auch zwei Tage nach der Entdeckung der Briefbomben, die an den ehemaligen Präsidenten Barack Obama, die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und andere führende Demokraten und Kritiker von Präsident Trump adressiert waren, sind kaum neue Informationen an die Öffentlichkeit gelangt.

Polizei und FBI bestätigten am Donnerstag, was in den Medien weithin gemeldet worden war: Insgesamt zehn Pakete mit Briefbomben waren an acht Personen verschickt worden, darunter je zwei an den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden und die Kongressabgeordnete Maxine Waters sowie je eines an Barack Obama, Hillary Clinton, den ehemaligen CIA-Direktor John Brennan, den ehemaligen Generalstaatsanwalt Eric Holder, den Milliardär George Soros und den Schauspieler Robert De Niro.

Die zehn Pakete waren fast identisch, und als Absender war auf allen die Kongressabgeordnete Debbie Wasserman Schultz aus Florida angegeben, die ehemalige Vorsitzende des Nationalkomitees der Demokraten. Nicht bestätigten Medienberichten vom Donnerstag zufolge könnten die Pakete von Südflorida aus verschickt worden sein, wo Schultz die bekannteste politische Figur der Demokraten ist.

Jedes Paket enthielt eine Rohrbombe der gleichen plumpen Bauart, zum Teil nebst einer Hülle aus weißem Pulver, das offenbar harmlos war. Das FBI hat keine Details über den Auslösemechanismus veröffentlicht. Es bestätigte lediglich, dass kein Draht vorhanden war, um die Bombe zu zünden – was ohnehin offensichtlich war, da mehrere Pakete geöffnet worden waren, ohne dass es eine Explosion gegeben hätte.

FBI-Beamte erklärten, man müsse von „mutmaßlichen Sprengkörpern“ sprechen, äußerten sich aber nicht zu der Frage, ob es sich tatsächlich um explosionsfähige Bomben und somit um eine echte Gefahr für die Öffentlichkeit handelte.

Dieser Mangel an Informationen hindert die Demokratische Partei und ihre Unterstützer bei den Medien nicht daran, von „versuchtem Massenmord“ u.a. an „zwei ehemaligen Präsidenten“ zu sprechen, obwohl die an Obama und Clinton adressierten Pakete von Geheimdienstlern leicht entdeckt wurden und nie auch nur in die Nähe ihrer Ziele kamen.

Der seltsame und undurchsichtige Vorfall bietet natürlich Anlass für viele Verdächtigungen, die derzeit alle nicht nachweisbar sind. Wurden die Pakete von einem Trump-Anhänger geschickt, der auf die bösartige Rhetorik des Präsidenten und seine Aufstachelung zur Gewalt reagierte? Alle potenziellen Opfer waren zuvor Zielscheiben von Trumps Tweets und Hetztiraden bei Wahlkampfkundgebungen gewesen. Wiederholt hatte er ihnen mit Strafverfolgung, Inhaftierung oder Selbstjustiz gedroht.

Oder waren die Briefbombenanschläge eine Inszenierung im Interesse der Demokraten? Immerhin geriet keiner von ihnen in ernste Gefahr, und die Demokratische Partei nutzt die jetzige Situation aus, um Trump zu beschimpfen und knapp zwei Wochen vor der Zwischenwahl ihre Aussichten zu verbessern. Entsprechende Gerüchte wurden von Trumps Anhängern sogleich in den Medien verbreitet, und zweifellos ist dem Militär- und Geheimdienstapparat, der die Anti-Russland-Kampagne der Demokraten gegen Trump unterstützt, eine solche Provokation durchaus zuzutrauen.

Auffallend ist, dass Chuck Todd, der politische Direktor von NBC News, die völlig unbegründete „Angst“ äußerte, dass „auch dies eine russische Operation sein könnte, die genau das erreichen soll, was jetzt eintritt... uns zu spalten“.

Die World Socialist Web Site verfügt nicht über unabhängige Beweise, und man muss allen Behauptungen skeptisch begegnen. Nichts kann man einfach glauben, weil CNN, das FBI oder die New Yorker Polizei es behaupten. Auch die Verlautbarungen, die vom Weißen Haus oder Trumps Twitter-Konto verbreitet werden, kann man natürlich nicht für bare Münze nehmen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Mainstream-Medien versuchen, die öffentliche Meinung mit einer Schreckensaktion über Briefbombenattentate zu beeinflussen. Das gab es schon früher, zuletzt bei den Milzbrand-Anschlägen im Herbst 2001, als ein halbes Dutzend Menschen getötet wurde. Damals schoben die Bush-Regierung und ein Großteil der Medien die Schuld auf den Irak. Auf diese Weise sollte die öffentliche Meinung auf die lange geplante US-Invasion und -Besetzung dieses Landes eingestimmt werden. Das Anthrax, das damals hauptsächlich an führende Demokraten geschickt wurde, entstammte einem Kampfstofflabor der US-Armee. Wie es dort herausgeschmuggelt wurde, ist bis heute nicht geklärt.

Fest steht nur, dass die Briefbomben vor dem Hintergrund eines heftigen politischen Konflikts innerhalb der herrschenden US-Elite auftauchen.

Bemerkenswert ist das Timing des mutmaßlichen Angriffs und des daraus resultierenden Medienrummels. Weniger als zwei Wochen vor der Wahl sind alle anderen Themen praktisch aus der Öffentlichkeit verschwunden: Trumps Hexenjagd auf Immigranten, die Komplizenschaft der USA bei der grausamen Ermordung eines saudischen Dissidenten durch die mittelalterliche Monarchie dieses Landes, die Krise des US-amerikanischen und internationalen Finanzsystems sowie die ständige Verschärfung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit.

Die Sperrung der Innenstadt von Manhattan, nachdem am Mittwoch die Briefbombe bei CNN entdeckt worden war, ging mit einem aufschlussreichen Detail einher: Erstmals übernahm die Polizei die Kontrolle über das Mobilfunksystem. Sie versandte eine Textwarnung an alle Personen, die sich (basierend auf dem Handy-GPS) in einem bestimmten Umkreis um das Time-Warner-Hauptgebäude aufhielten. Das zu diesem Zweck verwendete „National Wireless Emergency Alert System“ war genau drei Wochen zuvor, am 3. Oktober, zum ersten Mal getestet worden.

Die massive Mobilisierung der städtischen, staatlichen und Bundes-Polizei und der Geheimdienste mitsamt der Hysterie in den Medien wirft folgende Frage auf: Wenn sich ein solcher Vorfall am Vorabend der Wahl oder am Wahltag selbst ereignen würde, würde sich die Trump-Administration dann auf ihre Notfallbefugnisse berufen, um die Abstimmung in bestimmten Gebieten oder ganzen Staaten zu verschieben oder sogar die Wahl ganz abzusagen? Und würden die Demokratische Partei und die Mainstream-Medien ein solches Vorgehen des Weißen Hauses unterstützen?

Anfang dieses Jahres drängte Trump auf die Zustimmung des Kongresses zu einer groß angelegten Militärparade in Washington DC, bei der nur wenige Tage nach der Wahl Panzer durch die Straßen der US-Hauptstadt gerollt wären. Da sogar Abgeordnete der Republikaner und führende Militärs befürchteten, dass ein solcher Aufmarsch den Widerstand der Bevölkerung wecken würde, wurde die Aktion abgeblasen.

Die Logik dieser Ereignisse verheißt nichts Gutes. Die Bedingungen, unter denen die US-Wahl stattfindet, könnte man als „Lateinamerikanisierung“ der amerikanischen Politik bezeichnen. Sie sind gekennzeichnet durch den fortschreitenden Zerfall demokratischer Formen in Kombination mit Palastintrigen und Verschwörungen. Trump hat die Zwischenwahlen zu einem Referendum über seine Person gemacht, indem er sich als unanfechtbarer Führer und politisch-militärischer Kraftprotz präsentiert, seine Anhänger mit faschistischen Tiraden beglückt und seinen Feinden die Vernichtung androht.

Seine nominalen Gegner in der Demokratischen Partei leiten jegliche Opposition auf die Mühlen einflussreicher Fraktionen des Militärs und der Geheimdienste, in deren Reihen sich Gestalten wie Brennan tummeln. Sie nutzen die Anti-Russland-Kampagne, um auf eine aggressivere Außenpolitik im Nahen Osten und gegen Russland zu drängen. Zugleich fordern sie immer offener Maßnahmen zur Zensur des Internets und zur Blockade aller Ansichten, die „Zwietracht säen“.

Beide Fraktionen der herrschenden Klasse stützen sich auf extrem schmale Gesellschaftsschichten. Während sie einen internen Fraktionskrieg führen, fürchten sie in erster Linie die Auswirkungen der Krise des US- und Weltkapitalismus und der zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichheit. Diese hat ein Ausmaß erreicht, das in der modernen Geschichte ohne Beispiel ist, und ruft in der Arbeiterklasse unverkennbar Wut und Kampfbereitschaft hervor. Ein paar tausend Milliardäre und Multimillionäre kontrollieren effektiv das gesamte politische Leben des Landes, einschließlich der beiden offiziellen Parteien und der Medien.

All dies verleiht dem politischen System eine extreme Instabilität.

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