Perspektive

Eine Million Tote durch Suizide und Drogenüberdosen seit 2007

Opfer der sozialen Konterrevolution in Amerika

Der diesjährige Bericht über die Sterblichkeitsraten, den die amerikanischen Centers for Disease Control (CDC) Ende November veröffentlicht haben, weist auf die beispiellose soziale, wirtschaftliche, gesundheitliche und psychologische Krise hin, mit der die amerikanische Arbeiterklasse konfrontiert ist.

Die Ergebnisse in diesem Bericht zeigen ein erstaunliches Anwachsen der Indizes für soziales Elend in nur einem Jahr, von 2016 bis 2017.

  • Die Lebenserwartung sank von 78,7 auf 78,6 Jahre. Das ist der dritte jährliche Rückgang in Folge.
  • Die altersbereinigte Sterbeziffer stieg um 0,4 Prozent, von 728,8 Todesfällen pro 100.000 Einwohner auf 731,9 pro 100.000. Bei den 25- bis 34-Jährigen stieg die Ziffer um 2,9 Prozent.
  • Die Todesfälle durch Medikamenten-Überdosis stiegen um fast zehn Prozent (einschließlich einer 45-prozentigen Zunahme der Todesfälle durch Fentanyl). Die Überdosierung von Medikamenten ist die häufigste Todesursache für Menschen unter 55 Jahren.
  • Die Suizidrate stieg 2017 um 3,7 Prozent von 13,5 pro 100.000 auf 14,0 pro 100.000.

Dieser bemerkenswerte Bericht macht deutlich, welche verheerenden Auswirkungen der Finanzcrash von 2007–2008 für die Arbeiterklasse hatte.

  • Von 2007 bis 2017 stiegen die Suizidfälle von 34.598 auf 47.173 – eine Zunahme um 36,3 Prozent.
  • Die Zahl der Todesfälle durch Überdosierung von Medikamenten hat sich nahezu verdoppelt und stieg um 95,0 Prozent von 36.010 im Jahr 2007 auf 70.237 im Jahr 2017.
  • Die Gesamtzahl der Toten durch Selbstmord und Drogenüberdosis seit 2007 allein beträgt 954.365 Menschen – das entspricht der Bevölkerung der zehntgrößten Stadt Amerikas. Das ist mehr als die Gesamtzahl der US-Soldaten, die in allen amerikanischen Kriegen (außer dem Bürgerkrieg) getötet wurden. Mit dem Jahr 2018, das fast abgeschlossen ist, haben diese Todesfälle insgesamt wahrscheinlich schon eine Million erreicht.

Das Establishment reagiert in völlig vorhersehbarer Weise auf diesen Bericht. Es gibt ein oder zwei Artikel in den großen Zeitungen, eine kurze Meldung in den Abendnachrichten und vielleicht noch eine Handvoll Tweets einiger Politiker.

Aber jeder weiß, dass sich nichts ändern wird. Die Aktienkurse der Pharmaunternehmen, welche behinderte Veteranen und verletzte Arbeiter mit Pillen versorgen, werden weiter steigen. Schon morgen werden die CDC-Berichte vergessen sein. Die Anti-Russland- und Anti-China-Hetze, die #MeToo-Hysterie und der Schrei nach Internet-Zensur der Herrschenden wird sie bei weitem übertönen.

Das soziale Elend, das den Tod von 100.000 Menschen pro Jahr verursacht, ist kaum ein Geheimnis. Es ist das Ergebnis des kapitalistischen Systems und einer bewussten Politik der Deindustrialisierung und der sozialen Konterrevolution seit über vierzig Jahren. Sowohl die Demokraten als auch die Republikaner sind dafür verantwortlich, und die Gewerkschaften tragen das Ihre dazu bei.

Dies ist eine allgemein anerkannte Tatsache unter den medizinischen Fachkräften. Eine vom American Journal of Public Health veröffentlichte Studie aus dem Jahr 2018 mit dem Titel „Opioid Crisis: No Easy Fix to its Social and Economic Determinants“ [Opioid-Krise: Keine einfache Lösung für die sozialen und wirtschaftlichen Determinanten] weist nach, dass „ein jahrzehntelanger Anstieg der Einkommensungleichheit und der wirtschaftlichen Schocks aufgrund von Deindustrialisierung und der Zerstörung der sozialen Sicherheitsnetze“ für die wachsenden Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Reich und Arm verantwortlich ist.

Insbesondere stellt die Studie die verheerenden Auswirkungen des massiven Vermögenstransfers fest, den die Obama-Regierung nach dem Finanzcrash 2008 durchgeführt hat. „Die Finanzkrise 2008, wie auch Sparmaßnahmen und andere neoliberale Maßnahmen, haben das körperliche und geistige Wohlbefinden weiter geschwächt“, heißt es im Bericht.

Während die Bailouts nach der Finanzkrise Billionen Dollars in die Kassen der Banken und Unternehmen spülten, verloren Millionen von Arbeitern ihr Zuhause und ihren Arbeitsplatz, und damit auch ihre Würde und ihren Lebensinhalt.

Als General Motors vor einer Woche bekanntgab, dass es fünf Automobilwerke schließen und 15.000 Arbeiter in den USA und Kanada entlassen werde, da schoss die GM-Aktie um fast 7 Prozent in die Höhe. Für die wohlhabenden Aktionäre des Unternehmens – einschließlich der Gewerkschaftsbürokraten der United Auto Workers Union (UAW) – bedeutet diese Nachricht längere und exklusivere Ferienreisen, neue und teurere Autos und Wohnungen sowie Schmuck und Champagner für die Feiertage.

Aber für die Autoarbeiter, ihre Familien und Millionen von Einwohnern der betroffenen Gebiete bedeutet sie Verzweiflung, Drogenabhängigkeit und Tod.

Die Städte, die von der Schließung der GM-Werke betroffen sind (darunter Detroit und dessen Vorort Warren in Michigan, White Marsh in Maryland und Lordstown in Ohio) gehören bereits zu den am stärksten von der Opioidkrise betroffenen Städten. Seit Jahrzehnten werden dort Arbeitsplätze, Löhne und Sozialdienste gekürzt. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen den reichsten und den ärmsten 25 Prozent beträgt in Youngstown, Ohio (nahe Lordstown) heute schon 6,7 Jahre. In der Großstadt Detroit beträgt dieser Unterschied 8,2 Jahre.

Die bürgerliche Presse hat den Schritt von GM begrüßt. Das Wall Street Journal und die Washington Post (im Besitz der Multimilliardäre Rupert Murdoch und Amazon CEO Jeff Bezos) lobten die Entscheidung als einen Geniestreich. Automotive News kürte die GM-Vorstandsvorsitzende Mary Barra zur „führenden Industriellen des Jahres“.

Die scheinheilige Wut einer Handvoll von Demokraten, Republikanern und UAW-Bürokraten über die GM-Entscheidung ist völlig betrügerisch. All jene Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre, die mit einer Faust auf das Rednerpult schlagen, halten gerne die andere Hand auf, um Schmiergelder des Konzerns entgegenzunehmen.

GM hat in diesem Jahr zum Wahlkampf vieler Abgeordneter große Spenden beigetragen; davon hat die Mehrheit der ins Abgeordnetenhaus und in den Senat gewählten Personen, demokratisch wie republikanisch, profitiert.

Was die UAW betrifft, so ist es eine Organisation von Schmiergeldempfängern und Firmenlakaien. Die UAW ist seit Jahrzehnten für Zugeständnisse der Arbeiter verantwortlich, die Autostädte wie Dayton, Toledo und Kokomo von relativ gut ausgestatteten Gemeinden in Epizentren der Opioidkrise verwandelt haben. Im Gegenzug wurden die Gewerkschaftsführer gut entlohnt. Die Liste der aktuellen und ehemaligen UAW-Beamten, gegen die wegen der Annahme von Bestechungsgeldern ermittelt wird, wird immer länger. Sie haben Gelder von GM, Fiat-Chrysler und Ford angenommen und im Gegenzug dazu beigetragen, die Arbeitskosten zu senken und die Ausbeutung der Arbeiter zu steigern.

Die Arbeiterklasse ist im Kapitalismus völlig vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen. Die Politik stellt nichts zur Verfügung, um den Opfern von Fabrikschließungen und Deindustrialisierung zu helfen, und lässt sie gnadenlos verkommen.

Anstatt die Bedürfnisse der Arbeiterklasse zu befriedigen, heimst die herrschende Klasse den Reichtum ein, den die Arbeiter geschaffenen haben, und überweist Billionen von Dollar an das Militär und die Geheimdienste, damit sie die Forderungen der Banken und Unternehmen gewaltsam umsetzen.

Die Trump-Regierung hat Gesundheitsprogramme in Höhe von über 200 Millionen Dollar gestrichen. Mit dem eingesparten Geld finanziert sie die Inhaftierung von 14.000 Kindern aus Mittelamerika, deren einziges „Verbrechen“ darin bestand, dass sie ihre heruntergekommenen Heimatländer auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen haben.

Um Internierungslager für Einwandererkinder einzurichten, hat das Gesundheitsministerium 16,7 Millionen Dollar an den CDC-Behörden eingespart und 9,8 Millionen Dollar an den Krankenversicherungen Medicare und Medicaid, 87,3 Millionen Dollar am Nationalen Gesundheitsinstitut und 80 Millionen Dollar an der Flüchtlingsbetreuung gekürzt. Und Trump versucht die Arbeiter glauben zu machen, dass die Einwanderer – und nicht etwa die Regierung und die Unternehmen – an den Werksschließungen und Kürzungen bei Löhnen und Sozialprogrammen schuld seien!

Der CDC-Bericht weist in Zahlen darauf hin, dass sich in der Arbeiterklasse eine gewaltige soziale Wut und Verzweiflung aufgestaut hat. In diesem System gibt es dafür keine progressive Lösung, und die Gewerkschaften unterdrücken den Klassenkampf seit Jahrzehnten. Deshalb richten die Arbeiter ihre Wut nach innen, und viele isolierte Menschen greifen zu selbstzerstörerischen Maßnahmen.

Aber diese lange Zeit des einseitigen Klassenkampfs neigt sich dem Ende zu. Schon in diesem Jahr haben die Streiks stetig zugenommen, und das ist erst der Beginn einer neuen Periode, in der es zu immer mächtigeren Streiks und Protesten in den USA und weltweit kommen wird.

Arbeiter müssen durch unabhängige Aktionskomitees ihre eigenen Organisationen aufbauen, um ihre Kämpfe zu koordinieren und sie über Branchen- und Ländergrenzen hinweg zusammenzuschließen. Auf diese Weise können sie ihre kollektive soziale Unzufriedenheit im Kampf gegen den Kapitalismus und für eine sozialistische Lösung progressiv nutzen. So werden sie eine immense soziale Macht entfesseln. Die Arbeiter werden die Kommandohöhen des kapitalistischen Systems erobern und Billionen Dollar freisetzen, um die dringenden Bedürfnisse der Menschheit zu befriedigen.

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