Linkspartei denunziert Gelbwesten

Die „Gelben Westen“, die in Frankreich seit drei Wochen gegen den „Präsidenten der Reichen“ Emmanuel Macron rebellieren, haben nicht nur in der Pariser Regierung Panik ausgelöst, sondern auch in der Berliner Zentrale der Linkspartei.

Die Linke, die aus der stalinistischen Staatspartei der DDR und abgehalfterten SPD- und Gewerkschaftsbürokraten hervorgegangen ist, trägt die Abscheu vor einer Erhebung von unten gewissermaßen in ihrer DNA. Sie hat – um Friedrich Engels zu paraphrasieren – „mehr Angst vor der geringsten Volksbewegung als vor sämtlichen reaktionären Komplotten sämtlicher Regierungen zusammengenommen“. Sie kann in einer sozialen Bewegung, die nicht von den Gewerkschaften kontrolliert und in Schach gehalten wird, nur eine rechte Verschwörung sehen.

Die WSWS hat bereits vor einer Woche darauf hingewiesen, dass das Hausorgan der Linkspartei, Neues Deutschland, mit offener Feindschaft auf die Proteste in Frankreich reagiert. Nun hat sich der Co-Vorsitzende der Partei, Bernd Riexinger, persönlich zu Wort gemeldet, um die Gelben Westen zu denunzieren. „Das Potenzial Ultrarechter in den Reihen der Bewegung ist besorgniserregend“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). In Deutschland wäre „eine solche Verbrüderung linker und rechter Gesinnung nicht denkbar“.

Das ND hat Riexingers abschätzigen Bemerkungen in seiner Online-Ausgabe einen prominenten Platz eingeräumt und sie durch ein Interview mit einem französischen Gewerkschafter ergänzt, der die Straßenproteste eine „gefährliche Entwicklung“ nennt.

„Ich lehne eine Beteiligung ab, weil die Gelben Westen stark von rechts getragen werden“, zitiert das ND Michel Poittevin, einen Funktionär der Gewerkschaft Solidaires-SUD. Poittevin ist vor allem darüber empört, dass die Gewerkschaften, die seit langem jede soziale Bewegung isoliert, gebremst und ausverkauft haben, keinen Einfluss auf die Gelben Westen haben. Es sei „eine Bewegung entstanden, die wir als linke Gewerkschafter*innen nicht einschätzen können. Es haben sich Menschen organisiert, die nicht oder kaum gewerkschaftlich organisiert sind und das auch nicht wollen“, beschwert er sich.

Poittevin vergleicht die Proteste gegen Macron mit der italienischen Fünf-Sterne-Bewegung und den französischen Poujadisten, einer rechtsextremen Partei, die in den 1950er Jahren vorübergehend Wahlerfolge erzielt hatte und in der der spätere Gründer des Front National, Jean-Marie Le Pen, aktiv war.

Das ist eine üble Verleumdung. Die Bewegung der Gelbwesten richtet sich gegen die jahrzehntelange Umverteilung der Einkommen und Vermögen von unten nach oben, die es vielen Arbeiterfamilien unmöglich macht, über die Runden zu kommen. Sie ist Teil einer internationalen Offensive der Arbeiterklasse, die sich in einer wachsenden Zahl von Streiks und Protesten äußert. Die Erhöhung der Benzinsteuer durch den früheren Investmentbanker Macron, der zuvor Steuern für die Reichen gesenkt hatte, war lediglich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Selbst viele bürgerliche Medien, die der Bewegung ablehnend gegenüberstehen, müssen das zugeben. So heißt es im Editorial der Tageszeitung Le monde vom 4. Dezember, die Unfähigkeit aufeinanderfolgender Regierungen, eine Antwort auf die globale Finanzkrise von 2008 zu geben, habe „die Wut auf dem mächtigsten Nährboden anwachsen lassen, dem Gefühl der Ungleichheit“.

Das Streben nach sozialer Gleichheit hat revolutionäre Implikationen. Es lässt sich nur durch den Sturz des Kapitalismus verwirklichen und erfordert eine internationale, sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse. Es steht in diametralem Gegensatz zu den Zielen der extremen Rechten, die Nationalismus schürt, die Arbeiterklasse spaltet und sich darauf vorbereitet, den Kapitalismus mit brutaler Gewalt zu verteidigen.

Wenn sich extreme Rechte trotzdem um Einfluss in der Bewegung bemühen und dabei zum Teil Erfolg haben, dann nur, weil sie die Wut und Frustration über die Rolle angeblicher „Linker“ ausschlachten können, die bei den Angriffen auf die Arbeiterklasse die Vorreiterrolle gespielt haben und weiterhin spielen. Das gilt nicht nur für die französischen Sozialisten und die deutsche SPD, sondern auch für Die Linke, die in Berlin und anderen Bundesländern als Regierungspartei den sozialen Kahlschlag vorantreibt.

Mit seiner Denunziation der Gelben Westen erleichtert Riexinger das Geschäft der extremen Rechten – und das ist kein Missverständnis, sondern so gewollt. Was ihm Sorge bereitet, ist nicht „das Potenzial Ultrarechter in den Reihen der Bewegung“, sondern deren revolutionäres Potenzial und der Umstand, dass sie sich außerhalb der Zwangsjacke der Gewerkschaften und der etablierten Parteien entwickelt. Riexinger, der vor seinem Wechsel an die Spitze der Linkspartei vollamtlicher Verdi-Sekretär in Stuttgart war, kennt sich in diesen Fragen aus.

Mit den Rechten kann sich die Linkspartei arrangieren und sogar verbünden – wie das Beispiel ihres Idols Alexis Tsipras in Griechenland zeigt, der in einer Koalition mit den rechtsextremen Unabhängigen Griechen ein rücksichtsloses Sparprogramm durchsetzt. Mit einer Bewegung, die die kapitalistische Ordnung bedroht, kann sie es nicht.

Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht, hat sich im Gegensatz zu Riexinger positiv über die Gelben Westen geäußert. „Ich finde es richtig, wenn Menschen sich wehren und protestieren, wenn die Politik ihr Leben verschlechtert“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie wünsche sich, „dass wir auch in Deutschland stärkere Proteste hätten gegen eine Regierung, der die Interessen der Wirtschaftslobbyisten wichtiger sind als die Interessen normaler Leute“.

Die Unterschiede zwischen Riexinger und Wagenknecht sind rein taktischer Natur. Während Riexinger die gelben Westen denunziert, ist Wagenknecht der Auffassung, dass man sie beeinflussen muss, um zu verhindern, dass sich in eine sozialistische Richtung entwickeln.

Jean-Luc Mélenchon, mit dem Wagenknecht und ihr Mann Oskar Lafontaine eng zusammenarbeiten, ist in dieser Hinsicht sehr explizit. Er „juble“ über die laufenden Ereignisse, schreibt der Führer von La France insoumise in seinem jüngsten Blog. Es handle sich um eine „Volksrevolution“ (révolution citoyenne), die beweise, dass das Konzept des Proletariats und der sozialistischen Revolution in der historischen Dynamik keine zentrale Rolle mehr spielten.

Um zu verhindern, dass die Bewegung einen ausgeprägteren proletarischen Charakter annimmt und sich in Richtung sozialistische Revolution entwickelt, beharrt Mélenchon darauf, dass sie „friedlich und demokratisch“ bleiben und eine „Lösung im Rahmen der Institutionen“ finden müsse. Mit anderen Worten, er will eine „Volksrevolution“, die das kapitalistische Eigentum und die Institutionen des Staats nicht antastet.

Der Parti de l’égalité socialiste (PES), die französische Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, kämpft als einzige politische Tendenz dafür, den Kampf gegen Macron auszudehnen, Unterstützung in der französischen und internationalen Arbeiterklasse zu mobilisieren und von den Gewerkschaften unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die den Kampf gegen Macron leiten und organisieren.

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