„Gelbwesten“ trotzen Polizeiangriffen und Massenverhaftungen

Am vierten Samstag in Folge demonstrierten vorgestern in ganz Frankreich „Gelbwesten“ („Gilet Jaunes“) gegen die rechte Regierung von Emmanuel Macron. Androhungen staatlicher Gewalt und eine massive Mobilisierung der Sicherheitskräfte konnten sie nicht einschüchtern.

Ein Video der Gelbwesten-Proteste vom Samstag

Die Versuche des französischen Präsidenten, die Proteste zu beenden, indem er ihren Auslöser – eine Erhöhung der Kraftstoffsteuer – erst verschob und dann rückgängig machte, sind gescheitert. Die Forderungen, die jetzt erhoben werden – nach sozialer Gleichheit und gegen Militarismus und Diktatur – zeigen, dass es sich um eine Bewegung zur Verteidigung der Arbeiterinteressen handelt, und das nicht nur in Frankreich, sondern weltweit.

Die Proteste vom Samstag legten Frankreich und weite Teile Belgiens lahm. Das Innenministerium sprach von einer Beteiligung von 120.000 Gelbwesten. In den Großstädten, in denen Demonstrationen stattfanden, blieben die meisten Geschäfte geschlossen. Am Samstagabend berichtete der Autobahnbetreiber Vinci über „erhebliche Störungen“ und Staus auf über 20 Autobahnen, viele von ihnen infolge von Protesten und Barrikaden der Gelbwesten.

In Paris, Lyon, Bordeaux, Toulouse, St. Etienne, Perpignan, Marseille, Avignon, Nantes, Brest, Quimper, Lille, Rennes und vielen anderen Städten gab es Demonstrationen.

In Brüssel wurden bei einer Kundgebung mit 1.000 Teilnehmern etwa 400 Personen verhaftet. Es war bereits die zweite Gelbwesten-Demonstration in der belgischen Hauptstadt, die sich gegen höhere Kraftstoffpreise und gestiegene Lebenshaltungskosten richtet. Die Demonstranten forderten den Rücktritt von Premierminister Charles Michel.

Die Unruhen haben sich auch auf die belgischen Provinzen ausgeweitet. „Wir müssen den Reichen nehmen, um den Armen zu geben“, erklärte eine Krankenschwester der Presse.

Die französische Regierung erhob hysterische Anschuldigungen gegen die Demonstranten, die nach Paris kamen: Sie hätten vor, die „Ordnungskräfte“ zu „massakrieren“. Die Polizei griff die Demonstrationen in mehreren Großstädten brutal an und nahm fast drei Mal so viele Menschen fest, wie am 1. Dezember.

Im ganzen Land gab es 1.723 Festnahmen, eine Zahl, die der französische Innenminister Christophe Castaner als „außergewöhnlich“ bezeichnete. Von den Festgenommenen wurden 1.220 inhaftiert. Das Pariser Polizeipräsidium teilte mit, dass mehr als 1.082 Personen festgenommen wurden, von denen nun mindestens 625 in Haft gehalten werden.

In den großen französischen Städten, darunter Paris, Bordeaux, Lyon und Toulouse, kam es zu Auseinandersetzungen und Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Polizei feuerte Tränengas und Leuchtgranaten ab. Es gab über 100 Verletzte. In Paris und im Alten Hafen von Marseille griffen die Sicherheitskräfte Demonstranten mit gepanzerten Fahrzeugen und Wasserwerfern an.

In Paris legte die Polizei eine außergewöhnliche Aggressivität an den Tag. Die Polizei ging bereits am frühen Vormittag auf friedliche Demonstranten los, um zu verhindern, dass sie sich zu einer größeren Menge zusammenschließen konnten. Sie griff die Menschen auf den Champs-Elysées und an weiteren Orten an, kesselte friedliche Demonstranten ein oder trieb sie mit gepanzerten Fahrzeugen, mobilen Einsatzkräften oder berittener Polizei auseinander.

Reporter der WSWS sprachen mit Teilnehmern der Proteste in Paris. Sylvie aus dem nordfranzösischen Département Oise sagte: „Wenn die Leute wütend sind, dann deshalb, weil sie nicht mehr über die Runden kommen. Da gibt es keine Rechten oder Linken. Auch die Gewerkschaften haben uns betrogen. Wir vertreten die Bevölkerung. Wir haben das Recht, anständig zu leben, wir haben das Recht, von denen respektiert zu werden, die uns angeblich vertreten.“

Sie fügte hinzu: „Wir sind auch gegen die 1 Prozent, die die 99 Prozent ausnutzen; wir wollen, dass das aufhört. Diejenigen, die uns besteuern, sind selbst reich. Es ist moderne Sklaverei.“

Stéphane meinte: „Macron zeigte sehr deutlich, auf welchem Kurs er ist, als er Steuern für Reiche abschaffte und zugleich mein Wohngeld um 5 Euro senkte. Ist das Demokratie? Nein, wir leben inzwischen in einer Finanzdiktatur. Und ich hoffe, dass es keine Militärdiktatur wird.“

Die Frau eines Eisenbahnarbeiters, die gerade eine Salve Tränengas abbekommen hatte, erklärte der WSWS: „Macron behandelt uns mit Verachtung. Sie umzingeln uns, schicken uns nach rechts, dann nach links, und beschießen anschließend uns mit Tränengas.“ Sie legte Wert auf die Feststellung, dass Macron keine politische Legitimität mehr hat. „Wir können nicht einmal mehr friedlich demonstrieren; die Polizei greift uns grundlos an. Ich hoffe, die Menschen werden aufstehen. Geht man etwa so mit Menschen um, dass man sie mit Tränengas beschießt?“

Die Regierung hat erneut klar gemacht, dass sie die Forderungen der Gelbwesten mit Füßen treten und die von der überwiegenden Mehrheit der französischen Bevölkerung abgelehnte Sparpolitik fortsetzen will.

Während einer sehr kurzen Pressekonferenz am Samstagabend betonte Premierminister Edouard Philippe, dass die Regierung ihre Politik nicht ändern werde: „Wachsamkeit und Mobilisierung bleiben bestehen, weil in Paris und in einigen Provinzstädten immer noch Gewalttäter am Werk sind […]. Um diesem Tag zu begegnen, mussten wir zu einem außergewöhnlichen Plan greifen, die Kräfte des Gesetzes umfassend mobilisieren und ihre ständige Einsatzbereitschaft gewährleisten.“

„Es ist notwendig, unsere nationale Einheit wiederherzustellen, durch Dialog, durch Arbeit, durch Umgruppierung. Der Präsident der Republik [Macron] wird sich äußern und [...] Maßnahmen vorschlagen, die es der französischen Nation ermöglichen, zu sich selbst zu finden“, so Philippe weiter.

Die wachsende Wut der Arbeiter und Jugendlichen über die Unnachgiebigkeit der Herrschenden entwickelt sich in Richtung einer offenen Konfrontation zwischen Arbeiterklasse und Regierung und eines Generalstreiks. Der Hauptvorteil, den die Regierung derzeit hat, besteht darin, dass die große Masse der Arbeiter in dieser explosiven Situation keine klare revolutionäre Perspektive vor Augen hat. In ihrem Versuch, gegen die Regierung zu kämpfen, sind sie damit konfrontiert, dass Macron von den kleinbürgerlichen Parteien unterstützt wird, die sich seit Jahrzehnten als „Linke“ ausgeben.

Jean-Luc Mélenchon von „La France insoumise“ („Unbeugsames Frankreich“) fordert Respekt vor der Polizei. „Man soll sich nicht darüber täuschen, wer der Gegner ist. Der Einsatz der Polizei ist nicht Sache der Polizei. Es ist die Aufgabe der Politiker, die die Befehle geben. Die Aufgabe der Polizei ist es, zu dienen und zu gehorchen. Und die Befehle sind politisch“, tweetete Mélenchon. Diese Verteidigung der Sicherheitskräfte und des französischen Staats führt bei den Gelbwesten zu immer mehr Misstrauen und Feindseligkeit gegenüber La France insoumise (LFI).

Am Samstag erklärten Gelbwesten in der Gemeinde Flixecourt im Nordosten, dass sie sich im Namen der „politischen Unabhängigkeit“ von dem LFI-Abgeordneten Francois Ruffin distanzieren, der erklärt hatte, er stehe auf ihrer Seite. Ruffin hatte sich anerboten, als „Brücke“ zwischen der Bewegung und der Regierung zu dienen. Dieser Vorschlag fand wenig Anklang bei den Gelbwesten, die dem Gewerkschaftsapparat und seinen politischen Verbündeten wie der LFI misstrauen.

François Ruffin „hat uns ehrlich unterstützt, aber wir wollen nicht von den Medien oder Politikern vereinnahmt werden. Wir kämpfen für die volle politische Unabhängigkeit, auch wenn wir natürlich alle eine politische Meinung haben“, sagte Christophe Ledoux, einer der Führer der Bewegung in Flixecourt.

Diese Entwicklung unterstreicht die Notwendigkeit, Aktionskomitees zu bilden, die unabhängig von den Gewerkschaftsapparaten sind und das Vorgehen der Kämpfenden koordinieren, und eine marxistische Avantgarde aufzubauen, die Arbeiter in die Lage versetzt, Versuche der Herrschenden, ihre Kämpfe abzuwürgen, zu erkennen und zu vereiteln.

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