Perspektive

Wie weiter im Kampf der „Gelbwesten“?

Mit dem vierten Samstag der Proteste der „Gelbwesten“ in Folge ist aus dem Kampf gegen Präsident Emmanuel Macron eine Arbeitermassenbewegung gegen das kapitalistische System geworden.

Macrons Verzicht auf die regressive Benzinsteuererhöhung, an der sich die Proteste anfangs entzündeten, hat keine Lösung gebracht. Die „Gilets jaunes“ (Gelbwesten) erheben nun Forderungen wie die nach sozialer Gleichheit, hohen Lohnerhöhungen, Macrons Rücktritt, einem Ende der Privilegien der Superreichen und dem Ende des Militarismus. Auch Forderungen nach einem Generalstreik und nach Revolution werden laut.

Die Behauptung, die Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie 1991 habe das Ende des Klassenkampfs, den endgültigen Triumph der kapitalistischen Demokratie oder das Ende der Geschichte bedeutet, liegt in Scherben. Die Proteste der „Gilets jaunes“ haben sich von Frankreich auf Belgien und die Niederlande, Bulgarien und bis in den Irak ausgedehnt, wo Arbeiter, die in Basra gegen den Neokolonialismus der Nato protestierten, gelbe Westen trugen. Die internationale Arbeiterklasse lebt wieder auf und nimmt den Kampf gegen das Diktat der Banken auf.

Das massive Durchgreifen am Samstag war eine bittere Lektion über das wirkliche Wesen der bürgerlichen Demokratie: Sobald die Bevölkerung Anzeichen einer echten Opposition erkennen lässt, werden die Gewehre herausgeholt. Schon frühmorgens ging Bereitschaftspolizei mit Panzerwagen und Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten vor und kesselte sie ein. Im Lauf des Tages kam es in allen französischen Großstädten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Eine Rekordzahl von 1.385 Personen wurde verhaftet.

Die Proteste der „Gilets jaunes“ sind in eine kritische Phase eingetreten. Die Bewegung hat zu einer Konfrontation nicht nur mit dem Präsidenten der Reichen, sondern mit der gesamten Herrschaft der Reichen geführt. Nach wie vor lehnen die meisten Wortführer der „Gelbwesten“ es ab, mit Vertretern des Establishments zu sprechen, sei es Macron mit seinem symbolischen Zugeständnis, seien es die Gewerkschaften, die eine Schlichtung durchsetzen möchten, oder die Partei La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon, die ein Bündnis vorgeschlagen hat. In ganz Frankreich sind die Demonstranten nach wie vor sehr populär.

Die Gefahr besteht jedoch darin, dass die Bewegung keine klare politische Perspektive und Orientierung hat. Damit könnte eine breitere Mobilisierung gegen Macron in nutzlose Protestaktionen münden und zerrieben werden, oder sie könnte an den Manövern der herrschenden Elite scheitern.

Im Mittelpunkt steht die Frage der politischen Führung. Es ist bezeichnend, dass einige „Gelbwesten“, wie zum Beispiel die Gruppe in Commercy, ausdrücklich den Aufbau von „Volksversammlungen“ (assemblées populaires) fordern, die über die Aktivitäten der Bewegung entscheiden und diese koordinieren sollen. Hier entwickelt sich in embryonaler Form die Struktur einer Doppelherrschaft. Gegen die Regierung der Banker, die sich hinter einer Polizeiphalanx verschanzt, erhebt sich das Gespenst unabhängiger Gremien des Widerstands, die die Arbeiter vertreten und deren Kampf organisieren.

Diese Entwicklung unterstreicht die aktuelle Bedeutung von Leo Trotzkis Aufruf zur Bildung von Aktionskomitees. Er hatte kurz vor dem französischen Generalstreik 1936 zu solchen Komitees aufgerufen. Das sind Gremien, welche die Streikkämpfe und Proteste verschiedener Gruppen von Arbeitern und Jugendlichen verbinden und sicherstellen, dass sie nicht durch die Gewerkschaftsbürokratie isoliert und ausverkauft werden. Sie werden einen Sammelpunkt für den mächtigen Widerstand bilden, der unter den breiten Arbeitermassen heranwächst. Auf dieser Grundlage wird die Arbeiterklasse in ihrer Opposition gegen Macron und gegen den Sparkurs der gesamten Europäische Union mobilisiert werden.

Wie Trotzki 1935 betonte, müssen Arbeiter solche Aktionskomitees „als das einzige Mittel begreifen, den antirevolutionären Widerstand der Partei- und Gewerkschaftsapparate zu brechen“. Dies ist heute von entscheidender Bedeutung, da die Arbeiter unmittelbar mit der Feindschaft der Gewerkschaften und Parteien konfrontiert sind, die nur die Interessen der wohlhabenden Mittelschicht vertreten. Diese Kräfte sehen in einem unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse gegen Macron und seine Regierung der Reichen eine Bedrohung für ihre eigenen Privilegien.

Keine einzige etablierte Partei oder politische Tendenz in Frankreich hat in einer fortschrittlichen Art und Weise auf die „Gelbwesten“ reagiert, die objektiv das kapitalistische System herausfordern. Daniel Cohn-Bendit, der bürgerliche Studentenführer von Mai-Juni 1968, hat sie schamlos als faschistisch verleumdet und in der taz behauptet: „Der überwiegende Teil der Gelbwesten-Bewegung stammt aus dem Front National, aus dem Reservoir der ganz Rechten“.

Der Generalsekretär der stalinistischen CGT, Philippe Martinez, unterstellte dasselbe und deutete dunkel an, die „Gilets jaunes“ seien „Menschen, mit denen wir uns nicht sehen lassen dürfen“. Nachdem die CGT einen Streik der LKW-Fahrer wieder abgeblasen hat, ruft sie jetzt für den 14. Dezember zu einem symbolischen, eintägigen Bahnstreik auf.

Die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) versucht ebenfalls, die „Gelbwesten“ mit diesem zynischen Manöver unter die Kontrolle der Gewerkschaften zu bringen. Die NPA forderte die „Gilets jaunes“ auf, Martinez darum zu bitten, an einem Generalstreik unter Kontrolle der CGT teilnehmen zu dürfen: „Kämpferische Gewerkschaften und gelbe Westen sollten der nationalen Gewerkschaftsführung diese Perspektive nahelegen oder sie dazu zwingen. Den Anfang muss der Aufruf zu einem echten Generalstreik am 14. Dezember machen, an dem sich die Gilets jaunes beteiligen.“

Durch solche Manöver hofft die herrschende Klasse, die Demonstranten den Gewerkschaften und damit dem Staatsapparat unterzuordnen. Wenn „das gesamte politische System verzweifelt“, heißt es im Journal du dimanche, habe die Polizeirepression vom Samstag „der Regierung eine gewisse Atempause, einen Hauch frischer Luft, verschafft“. Der Autor begrüßte es, dass Premierminister Edouard Philippe seine kurze Rede am Samstagabend mit den Worten beendete: „Und jetzt zum Dialog!“

Die „Gelbwesten“ haben tausendmal Recht, all jenen mit Misstrauen zu begegnen, die sie in nutzlose Verhandlungen mit Macron verwickeln wollen. Mit Macron, dem gewissenlosen Vertreter der Banken, gibt es nichts zu verhandeln. Auch wird es nichts bringen, die kapitalistischen Abgeordneten der Nationalversammlung darum zu bitten, dass sie dem Volk dienen. Auch das kann nur in die Sackgasse führen.

Die entscheidende Aufgabe ist ein politischer Kampf gegen die Macron-Regierung und die Macht der Banken. In dieser Ära des globalisierten Kapitalismus und der weltweiten Finanz-, Handels- und Produktionsketten muss ein internationaler Kampf auf der Grundlage eines echten sozialistischen Programms geführt werden. Es geht darum, das obszöne Vermögen der Finanzaristokratie zu enteignen und die Ressourcen der Weltwirtschaft unter die demokratische Kontrolle der arbeitenden Menschen zu stellen.

Dieses Programm geht objektiv aus dem Aufschwung des Klassenkampfs hervor. In ganz Europa brodelt es, und die wachsende Wut und die Streiks in jedem Land bereiten den Ausbruch eines Generalstreiks vor.

Die Aufgabe, einen Generalstreik gegen die EU, gegen Macron und gegen ähnliche Regierungen in ganz Europa zu organisieren, darf nicht den Gewerkschaften überlassen werden. Diese sind der Bewegung feindlich gesinnt und werden sie nicht anführen. Der nächste Schritt muss darin bestehen, Aktionskomitees aufzubauen, die einen echten Generalstreik in Frankreich und ganz Europa vorbereiten. Er wird gegen die Manöver der Gewerkschaften und der pseudolinken Parteien geführt werden.

Der Parti de l'égalité socialiste (PES) und die anderen europäischen Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) gehen von der Notwendigkeit aus, dass die von Arbeitern geschaffenen, unabhängigen Organisationen die Macht übernehmen müssen. Die PES und das IKVI ermutigen alle Leser und Sympathisanten, sich an einer möglichst breiten Diskussion über diese Perspektive zu beteiligen und sie in die Fabriken, an die Arbeitsplätze, in die Universitäten und Schulen ganz Frankreichs und Europas zu tragen.

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