Im Vorfeld der „Gelbwesten“-Proteste: Drei Tote und zwölf Verletzte bei Anschlag in Straßburg

Am Dienstagabend wurden bei einem schrecklichen und blutigen Anschlag in Straßburg zwei Menschen erschossen, bei einem dritten Opfer wurde der Hirntod festgestellt. Weitere zwölf Menschen wurden verletzt, sechs davon lebensgefährlich. Die Reaktion auf diesen Vorfall verdeutlicht einmal mehr den völlig reaktionären Charakter der oft mit islamistischem Terrorismus verbundenen Anschläge, die oft mit islamistischem Terrorismus in Verbindung stehen und seit 2015 Frankreich und andere europäische Länder erschüttern.

Die herrschende Elite Frankreichs benutzt den Anschlag schon jetzt, um sich mit Forderungen an die „Gelbwesten“, sie sollen ihren Protest gegen Macron aufgeben, über demokratische Rechte hinwegzusetzen.

Es ist noch zu früh, um eindeutig feststellen zu können, was am Dienstagabend in Straßburg passiert ist. Als Tatverdächtigen benannte die Polizei den 29-jährigen Chérif Chekatt aus Straßburg, der mehrfach wegen Gewaltverbrechen verurteilt wurde. Berichten zufolge wurde der 29-Jährige bei einem Einsatz am Donnerstagabend von Polizisten erschossen. Dennoch betreiben das politische Establishment und die Medien eine aggressive Kampagne. Sie erheben die Forderung, dass die „Gelbwesten“ ihre Proteste aufgeben, und denunzieren jeden, der die Frage nach einer möglichen Verstrickung des Staatsapparats in dem Anschlag stellt, als Verschwörungstheoretiker.

Dieser Versuch, ein blutiges Massaker und die Trauer der Opfer auszunutzen, um die Proteste gegen Macrons zutiefst unpopuläre Politik zu beenden, ist undemokratisch und illegitim. Falls sich herausstellt, dass Chekatt den Anschlag als Sympathisant eines Terrornetzwerks verübt hat, beispielsweise des Islamischen Staates (IS), so wäre dies auch eine Folge der Beziehungen, die der französische Staat im Kontext des „Kriegs gegen den Terror“ zum IS aufgebaut hat.

Offenbar gab es nur einen Täter. Am Dienstagend, kurz vor 8 Uhr, eröffnete er in der Nähe eines Weihnachtsmarktes in der Straßburger Innenstadt das Feuer auf Passanten. Obwohl einige von ihnen versuchten, den Täter zu überwältigen, nahm er einen Taxifahrer als Geisel und zwang diesen, in den Stadtteil Neudorf zu fahren. Dort wurde er in einem Gebäude von einem großen Polizeiaufgebot umstellt. Dennoch gelang ihm bemerkenswerterweise die Flucht.

Am Mittwochmorgen bestätigte die Presse die Identität des Mannes, der am Dienstagabend als Verdächtiger identifiziert wurde. Laut Pariser Staatsanwaltschaft wurde der 29-jährige Chekatt in Frankreich, Deutschland und der Schweiz in 27 Fällen von Kleinkriminalität verurteilt. Während einer Haftstrafe von 2013 bis 2015 identifizierte ihn der französische Geheimdienst wegen seiner Gewaltbereitschaft und religiösen Radikalisierung als Verdächtigen und legte eine „Akte S“ (für Gefährder der staatlichen Sicherheit) über ihn an. Von 2015 bis 2017 saß er in Deutschland im Gefängnis und wurde seither laut Laurent Nuñez, einem Staatssekretär des französischen Innenministers Christophe Castaner, „ziemlich streng“ überwacht.

Dennoch erklärte Nuñez am Mittwochmorgen gegenüber France Inter, man müsse „sehr vorsichtig sein. Es ist noch nicht bewiesen, dass er aus terroristischen Motiven gehandelt hat.“

Am Dienstagmorgen, nur wenige Stunden vor dem Anschlag, durchsuchte die Polizei Chekatts Wohnung, allerdings im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen bewaffnetem Raubüberfall und versuchtem Mord im August. Berichten zufolge fanden sie eine Blendgranate, ein Gewehr für Kaliber .22-Patronen und Messer. Weil in Chekatts Wohnung die Granate entdeckt wurde und wegen der Aussage des Täters gegenüber dem Taxifahrer, er habe eine Granate zu Hause, machte die Polizei Chekatt für den Anschlag verantwortlich.

Der ehemalige Antiterror-Richter Marc Trévidic erklärte im Interview mit Europe1, Chérif habe seinen Anschlag aus Verzweiflung verübt, weil die Polizei seine Aktivitäten kontrolliert habe: „Es war kein organisierter Anschlag von Männern, die etwas auf einem Weihnachtsmarkt tun wollten. Andernfalls hätten sie es getan, als der Markt geöffnet war“, erklärte Trévidic. „Das war jemand, der in der Falle saß und angesichts der Ereignisse am Morgen verzweifelt war. Er wusste, dass man hinter ihm her war. Er ist auch nicht auf dem Platz geblieben, um dort zu sterben. Wir haben es hier also nicht mit einem üblichen Terrorverdächtigen zu tun.“

Bis zum jetzigen Zeitpunkt hat sich noch keine Terrororganisation zum Anschlag bekannt.

Die ursprüngliche Schilderung des Anschlags wirft äußerst ernste Fragen darüber auf, inwiefern der französische Staatsapparats in die Ereignisse involviert war. Genau wie bei allen Anschläge in Europa seit dem Anschlag der Kouachi-Brüder auf das Magazin Charlie Hebdo im Januar 2015 war der mutmaßliche Täter auch diesmal jemand, der vom Staat offenbar streng überwacht wurde. Es ist daher unbegreiflich, dass sich eine solche Person ein großes Arsenal von Schusswaffen und Kampfmessern beschaffen, ein derartiges Massaker organisieren, es ausführen und danach den Sicherheitskräften entkommen kann.

Sollte Chekatt diesen Anschlag tatsächlich wegen seiner Sympathien für den IS oder andere islamistische Kräfte oder Netzwerke durchgeführt haben, würde das auch Vertreter des französischen Staates auf höchster Ebene belasten. Wie die Ermittlungen gegen den Baukonzern Lafarge enthüllt haben, hat Frankreich im Rahmen seiner Operationen für einen Regimewechsel in Syrien im Vorfeld des Anschlags auf Charlie Hebdo Millionen Euro über Lafarge-Niederlassungen in Syrien an den IS geschleust.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist indessen bereits geklärt, dass das politische Establishment in Frankreich den Anschlag ausnutzt, um die „Gelbwesten“ zur Beendigung ihrer Proteste aufzufordern. Damien Abad von der rechten Partei Les Republicains (LR) erklärte gegenüber dem Radiosender Sud: „Wir brauchen jetzt einen Aufruf zur Ruhe. Es muss eine Waffenruhe durchgesetzt werden, weil wir auch unsere Polizei schützen und die Sicherheit gewährleisten müssen... Die Bevölkerung Frankreichs würden es nicht verstehen, wenn unsere Polizeikräfte nicht vollständig im Kampf gegen den Terrorismus mobilisiert würden.“

Ein Sprecher der Neofaschisten, Sébastien Chenu, warnte, es würde „schwierig“ werden, wenn „Franzosen auf den Straßen und Plätzen herumlaufen… Wenn wir in eine sehr angespannte Notlage geraten, nach einem Terroristen fahnden, halte ich es nicht für gut, Dinge zu vermischen… jetzt wo die terroristische Bedrohung so extrem offen und gefährlich zu Tage tritt.“

Schon seit Beginn der „Gelbwesten“-Proteste gegen Macron wurden Forderungen nach einer Rückkehr zum Ausnahmezustand laut. Castaner hat angedeutet, dass die Regierung, wenn nötig, dazu bereit sei, wieder wie zwischen 2015 und 2017 den Notstand auszurufen. Damit könnte die Regierung demokratische Grundrechte erneut auf unbestimmte Zeit außer Kraft setzen. Sie hätte umfangreiche Vollmachten, soziale Proteste zu unterdrücken und zu verbieten.

Gleichzeitig hat das politische Establishment in Frankreich die „Gelbwesten“ mit Vorwürfen überhäuft, sie würden „Verschwörungstheorien“ über den Anschlag verbreiten. Das Ziel solcher Anschuldigungen ist nicht schwer zu erkennen. Es handelt sich dabei um einen Versuch, die überwältigende Unterstützung für die Proteste in der Bevölkerung zu untergraben und einer noch brutaleren Unterdrückung der Demonstrationen gegen Macron den Weg zu bereiten.

Laut Onlineumfragen glauben 55 Prozent der „Gelbwesten“ in einigen Facebook-Gruppen, der Anschlag in Straßburg sei bewusst vom Staat gegen sie organisiert worden. Ein Mitglied schrieb: „Glaubt ihr nicht, dass der Anschlag in Straßburg gestern eine Provokation war? Zumindest hat Macron jetzt einen guten Vorwand, um uns das Demonstrieren zu verbieten. Ich verstehe es nicht, der Typ ist auf einen Weihnachtsmarkt gegangen und hat so viele Leute getötet, aber keinen einzigen Polizisten? Das ist ein Staatsstreich.“ In den Medien werden solche Äußerungen zu Zielen grenzenloser Verunglimpfung.

Es bleibt weiter unklar, was genau sich in Straßburg zugetragen hat. Doch die politische Verantwortung für den Terroranschlag und die politische Funktion des Ausnahmezustandes ist eindeutig. Der imperialistische Krieg in Syrien hat Terrornetzwerke hervorgebracht und genährt, die als Vorwand für weitreichende Angriffe auf demokratische Rechte dienten. Das Hauptziel dieser Angriffe ist der soziale und politische Widerstand der Arbeiterklasse im Inland.

Loading