Frankfurter Societätsdruckerei: Betriebsrat stimmt 70 Entlassungen zu

Am Samstagmorgen hat der Betriebsrat der Frankfurter Societätsdruckerei einem Sozialplan zugestimmt, der die Entlassung von 70 Kollegen (von noch insgesamt 270 Beschäftigten) absegnet. Er beendet damit den Streik, den die Belegschaft seit drei Wochen für die Arbeitsplätze und für ihre Tarifrechte geführt hat.

Streikposten vor der Frankfurter Societätsdruckerei

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi spricht in ihrer Mitteilung vom Samstag von „dramatischen Verhandlungen“, von der „Beilegung des Konflikts“ und von der „Abwendung von Entlassungen“. Doch sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um einen Ausverkauf handelt. Sie trägt dafür die volle Verantwortung. Der Betriebsrat unterzeichnete den Plan unmittelbar nachdem Verdi sich ausdrücklich geweigert hatte, den Kampf auszuweiten.

Wenige Stunden vor dem Abschluss hatte Andreas Fröhlich, Mitglied des Verdi-Bundesvorstands, den streikenden Arbeitern persönlich erklärt, Verdi seien die Hände gebunden. Die Gewerkschaft habe keine Möglichkeit, die Arbeiter der Frankfurter Societätsdruckerei (FSD) durch die Ausweitung des Streiks effektiv zu unterstützen. Weil die neuen Druckereibesitzer „Gewerkschaftshasser“ seien, könne sich Verdi nicht „in den Konflikt einschalten“.

Das ist eine offene Bankrotterklärung von Verdi. Sie fällt ihren eigenen Mitglieder in den Rücken, die seit Jahrzehnten jeden Arbeitskampf solidarisch mitgetragen haben. Seit dem legendären Arbeitskampf von 1984 um die 35-Stundenwoche galten die Drucker der FSD als besonders gut organisierte und gewerkschaftstreue Belegschaft. Viele Betroffene sind seit dreißig Jahren bei FSD beschäftigt, und sie werden nach ihrer Entlassung in ihrem Leben keine vergleichbare Arbeit mehr finden.

Darüber hinaus erleichtert die Vereinbarung die Voraussetzungen dafür, dass vernünftig bezahlte, abgesicherte Arbeitsplätze systematisch durch schlechter bezahlte und unsichere Jobs ersetzt werden. Die neuen Besitzer können sich in ihren Angriffen auf die Rechte der Arbeiter ermutigt fühlen.

Im Frühjahr hatte die FAZ-Holding den Betrieb an die Zeitungsholding Hessen (ZHH) verkauft, die den Medienkonzernen Ippen und Rempel gehört. In der Druckerei werden große Blätter wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), das Handelsblatt, die Frankfurter Rundschau (FR), die Frankfurter Neue Presse (FNP) und Teile der Süddeutschen Zeitung gedruckt.

In den letzten drei Wochen organisierte die neue Geschäftsführung den Zeitungsdruck nur noch mithilfe von Zeitarbeitern, die sich als Streikbrecher anheuern ließen. Zweifellos gehören die Zeitarbeiter und Beschäftigten von Fremdfirmen selbst zu den besonders ausgebeuteten Schichten der Arbeiterklasse, von denen sich die DGB-Gewerkschaften längst verabschiedet haben.

Der Abschluss liegt genau auf der Linie der Unternehmer, organisiert im Bundesverband Druck und Medien (bvdm), mit dem Verdi angeblich im Konflikt steht. Der bvdm hat am 30. September den bisher gültigen Manteltarifvertrag für über 134.000 Beschäftigte aufgekündigt. Seither lassen die Unternehmer keinen Zweifel daran, dass sie sämtliche Errungenschaften, darunter die 35-Stundenwoche, als „überflüssig“ und „nicht mehr zeitgemäß“ betrachten und abschaffen wollen.

Nach Salamitaktik räumen sie den älteren Kollegen gewisse Rechte noch eine Zeitlang ein, wollen aber neue Mitarbeiter nur zu schlechteren Konditionen einstellen. So schaffen die Unternehmer mit dem neuen Tarifvertrag eine Zwei-Klassen-Belegschaft.

Dabei können sie auf die Kooperation der Gewerkschaft zählen. Diese hatte in der Vergangenheit sogar eigene Tarifverträge für Leiharbeiter mit verfasst und damals als Erfolg hingestellt. Im Ergebnis ist das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ abgeschafft worden. Schon heute arbeiten in den Druckereien viele Zeitarbeiter zu schlechteren Bedingungen.

Die Entlassungen bei der Societätsdruckerei sind bei weitem kein Einzelfall. Nur wenige Kilometer weiter südlich hat in Darmstadt die APM Druckerei im August 2018 Insolvenz angemeldet. Es handelt sich um die frühere gewerkschaftseigene Union-Druckerei, die heute noch vor allem Verdi, IG Metall und IG Bau beliefert. Die Insolvenz bedroht die ganze APM-Belegschaft, die noch aus knapp 150 Mitarbeitern besteht. Sehr viele Beschäftigte der Druck- und Medien-Betriebe haben schon ähnliche Erfahrungen gemacht.

Umso entlarvender ist die Politik von Verdi. Sie organisiert im Tarifkampf mit dem bvdm höchstens hier und da mal einen Warnstreik, trennt jedoch jeden akuten Arbeitskampf sorgfältig von allen andern und vermeidet vor allem die gemeinsame Mobilisierung aller Mitglieder und Arbeitnehmer.

Der Ausverkauf bei der FSD kommt nicht überraschend. Seit Jahren vereinbart Verdi immer wieder „Kompromisse“, die Arbeitsbedingungen drastisch verschlechtern und die Arbeiterklasse spalten.

Dieselbe Politik verfolgt Verdi auch bei den Flughafen-Bodenarbeitern, den Bus- und Straßenbahnfahrern, den Kita-Beschäftigten, den Krankenschwestern, den Pflegern und Altenbetreuern, sowie auch bei Amazon, Ryanair und in den Kaufhäusern.

Genauso trennt sie deren Kämpfe bewusst von den Kämpfen der Arbeiter in anderen europäischen Ländern. Wenn in Frankreich, Belgien, Italien, Spanien und Griechenland Arbeiter streiken, verhindert Verdi jede effektive Solidaritätsaktion der Kollegen in Deutschland.

Wie die andern DGB-Gewerkschaften verfolgt Verdi eine national basierte und kapitalistische Politik, und das Ergebnis entspricht immer den Interessen der Unternehmer und der Regierung.

Mehr noch: Über ihr politisches Bündnis mit der SPD sind die Gewerkschaften eng mit der Großen Koalition in Berlin verknüpft, die gerade dabei ist, die Bundeswehr mit Milliardenbeträgen auf Krieg vorzubereiten. Weil die arbeitende Bevölkerung die Kosten dafür tragen soll, wird auch im Innern der Polizeistaat aufgerüstet, und werden Flüchtlinge und Migranten angegriffen, um die Arbeiterklasse zu spalten.

Das Beispiel FSD zeigt jedoch auch, dass immer mehr Arbeiter den Betrug der Gewerkschaften zu durchschauen beginnen. Sie sind nicht mehr bereit, sich durch Verdi ausverkaufen zu lassen.

Die Auseinandersetzung am Freitagabend vor den Toren der FSD in Mörfelden-Walldorf war dafür ein wichtiges Anzeichen. Die Arbeiter ließen sich nicht mit Phrasen abspeisen und prangerten die SPD-Politik der letzten Jahre, Hartz IV, Agenda 2010 und die Schaffung eines Niedriglohnsektors mit Hilfe der Gewerkschaft an. Sie stellten das Verdi-Bundesvorstandsmitglied Andreas Fröhlich zur Rede: „Was habt ihr als Gewerkschaft dagegen unternommen?“ und: „Warum verschweigt ihr unsern Arbeitskampf?“

Als die Diskussion sich den „Gelbwesten“ in Frankreich und der „Unteilbar“-Demonstration einer Viertelmillion Menschen in Berlin zuwandte, rief ein Arbeiter: „Wir sind hier sofort bereit, nach Berlin zu marschieren!“, und alle applaudierten. Bezeichnend waren auch Kleinigkeiten. Als das Mikro, das Fröhlich benutzte, aussetzte, hörte man einen Kommentar: „Verdi geht der Saft aus“, und viele lachten.

Es reicht aber nicht, Wut über den Ausverkauf zu äußern und aus Verdi auszutreten. Notwendig ist jetzt eine Alternative, die den Kampf um Arbeitsplätze, Löhne und Errungenschaften zum Erfolg führt. Diese erfordert eine internationale sozialistische Strategie, die darauf abzielt, die Banken und Großkonzerne zu enteignen und die Gesellschaft so umzugestalten, dass sie den Bedürfnissen der Bevölkerung und nicht dem privaten Profit entspricht.

Der nächste Schritt muss darin bestehen, dass sich Arbeiter unabhängig von Verdi organisieren. Die Sozialistische Gleichheitspartei schlägt vor, in allen Betrieben Aktions- und Basiskomitees zu gründen. Arbeiter müssen die Entscheidungen über ihre Kämpfe in die eigene Hand nehmen und Kontakt zu Kollegen und Beschäftigten anderer Betriebe, Branchen und Länder aufnehmen.

Solche Komitees sind bereits in andern Ländern entstanden. Die World Socialist Web Site berichtete in den letzten Tagen über die Erfahrung von Autoarbeitern von General Motors in Detroit (USA) und von Teeplantagenarbeitern in Sri Lanka. Die Sozialistische Gleichheitspartei lädt alle Arbeiter ein, Kontakt mit ihr aufzunehmen.

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