Massenentlassungen und Werkschließungen bei General Motors:

Arbeiterversammlung in Detroit beschließt, den Kampf aufzunehmen

Am Sonntagnachmittag organisierte der Autoworker Newsletter der World Socialist Web Site eine öffentliche Veranstaltung in Detroit (Michigan, USA). Die Teilnehmer beschlossen, gegen die geplante Schließung von fünf General Motors-Werken und gegen 15.000 Entlassungen in den USA und Kanada den Kampf aufzunehmen.

Es war bisher die einzige solche Veranstaltung, auf der tatsächlich der Widerstand gegen die Werksschließungen von GM ernsthaft diskutiert und beschlossen wurde. Die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) und ihr kanadisches Pendant, Unifor, lassen keinen Zweifel daran, dass sie nicht im Sinn haben, gegen diese Schließungen auch nur einen Finger zu rühren. Die Versammlung fand zehn Jahre nach dem Finanzkrach von 2008 und der Zwangsinsolvenz von GM und Chrysler unter der Obama-Regierung statt, und sie brachte die wachsende Kampfbereitschaft der Arbeiter, sowohl in den USA als auch international, zum Ausdruck.

Anwesende Autoarbeiter kamen aus dem GM-Werk Detroit Hamtramck, dem die Schließung droht, sowie aus weiteren Werken von Ford, Fiat Chrysler und GM in ganz Michigan. Aus Indiana war eine Fahrgemeinschaft von Autoarbeitern angereist. Daneben waren auch Arbeiter aus anderen Branchen und Studenten da. Die Amazon-Arbeiterin Shannon Allen aus Haslet (Texas) sprach vom Podium aus zur Versammlung.

Zum Schluss der Veranstaltung verbschiedeten die Teilnehmer einstimmig eine Resolution, die zur Bildung von „Basiskomitees in allen betroffenen Betrieben und Wohnsiedlungen“ aufruft, welche „unabhängig von der UAW, Unifor und anderen Gewerkschaften den Widerstand gegen die Werksschließungen organisieren“.

Jerry White stellt der Versammlung die Resolution vor

Den Vorsitz führte der stellvertretende nationale Sekretär der Socialist Equality Party (USA), Lawrence Porter. Die Eröffnungsrede, mit der die Resolution eingebracht wurde, hielt der für den Bereich Arbeitskämpfe zuständige WSWS-Redakteur Jerry White. Er erklärte: „Wir werden heute darüber diskutieren, wie es weiter geht. Wie bringen wir das unabhängige Handeln der Arbeiter voran? Die Gewerkschaften werden nicht kämpfen, deshalb müssen die Arbeiter neue Formen des Kampfs organisieren, unabhängige Komitees [...] um alle Arbeiter zu mobilisieren und das Recht auf einen Arbeitsplatz, Gesundheitsversorgung, ein öffentliches Bildungswesen und Rente zu verteidigen.“

Er erklärte weiter: „Gerade werden die Frontlinien in diesem Kampf gezogen. Das ganze politische Establishment stellt sich gegen die Autoarbeiter [...] Wir dürfen keiner von beiden kapitalistischen Parteien unser Vertrauen schenken. Sie alle geben den Mexikanern, den Chinesen, den Migranten die Schuld.“ Das Publikum applaudierte, als White weiter erklärte: „Nein! Schuld ist der Kapitalismus. Das ist ein System, das die Rechte und Bedürfnisse aller arbeitenden Menschen dem Profit der Reichen unterordnet.“

Auf die Rede folgte eine lebhafte Diskussion mit starken Beiträgen von Autoarbeitern. Sie drückten ihre Kampfbereitschaft aus und ließen erkennen, dass immer mehr Arbeiter die korporatistische UAW ablehnen.

Eine Ford-Arbeiterin aus Dearborn schilderte ihre Erfahrung mit dem Tarifvertrag von 2015. Die UAW hatte darin weitgehende Zugeständnisse gemacht und den Vertrag mit Hilfe von Lügen, Einschüchterung und Wahlbetrug durchgesetzt. „Es ging um die Arbeitsplätze, die Leute waren in Tränen. Alle Gewerkschaftsvertreter sagten zuerst, der Tarifvertrag sei schlecht. Dann tauchte Jimmy Settles auf, [der Vizepräsident von UAW bei Ford], und auf einmal wurde dieser ‚schlechteste‘ Tarifvertrag angeblich zur besten Sache der Welt. Das hat uns allen gezeigt, dass unsere Gewerkschaft nicht auf unsrer Seite steht. Sie handeln nicht in unserm Interesse.“

Sie fuhr fort: „Von da an trafen wir uns außerhalb der Gewerkschaftsveranstaltungen und außerhalb der Arbeit, um eine Lösung zu finden. Wir gingen davon aus, wenn ich im Vertrag was nicht verstehe, dann versteht es vielleicht jemand anderes. So versuchten wir uns zu organisieren und den Vertrag selbständig zu analysieren, um uns schlau zu machen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Die Gewerkschaft ist bankrott. Sie ist nicht mehr mit der Gewerkschaft vergleichbar, von der mein Großvater sprach.“

Ein Chrysler-Arbeiter bezeichnete die UAW als „kontrollierte Opposition“ gegen die Arbeiter. „Jedes Zugeständnis ist nur ein Aspekt ihres Zermürbungskriegs. Wenn sich die Arbeiter nicht weltweit vereinigen, dann werden wir diesen Kampf verlieren, auch wenn wir die Mehrheit haben.“

Der Arbeiter fragte: „Dürfen Arbeiter, die diese Basiskomitees bilden, die WSWS als Kommunikationsmittel, als Stimme und besonderes Bildungsinstrument nutzen? Und wird die Socialist Equality Party die Führung stellen, damit wir auch strategisch handeln können? Auf operativer Ebene können wir es nämlich bereits.“

Ein Chrysler-Arbeiter aus Flint, der zuvor bei General Motors gearbeitet hatte, erklärte: „GM hat nicht erst jetzt damit angefangen. Die machen das schon seit Jahren. Ich habe GM im Blut. In Flint gab es nur GM. Dann haben sie diese Stadt ihres Pulsschlags beraubt. Wenn ich heute durch die Stadt gehe, greift es mir ans Herz. Ich könnte dort nicht mehr zu Hause sein, könnte keine Kinder dort großziehen. Gegen diese Großkonzerne, die den Gemeinden die Seele rauben, muss etwas getan werden.“

Eine andere Fiat Chrysler-Arbeiterin erzählte: „Vor einiger Zeit hat die UAW angefangen, uns Streikgelder vom Lohn abzuziehen. Das fanden wir alle seltsam.“ Sie fragte, ob es „irgendetwas [gibt], was wir tun können, um unser Geld zurückzubekommen.“ Weiter erklärte sie: „Ich unterstütze diese Resolution uneingeschränkt. In unserem Werk haben wir Hunderte von Arbeitern, die nur den Lohn zweiter Klasse erhalten. [Die UAW] hat uns gespalten, sodass wir keinen Schritt vorwärts machen können.“ Sie rief zu einem vereinten Kampf der Arbeiter aller Lohnstufen auf.

Die Amazon-Arbeiterin Shannon Allen spricht auf der Veranstaltung

Während der Diskussion wurde die Amazon-Arbeiterin Shannon Allen mit einem Video vorgestellt, in dem sie sich gegen die Versuche des Demokraten Bernie Sanders wehrte, mit ihren selbst gedrehten Clips für seinen Wahlkampf zu werben. Sie rief darin zum gemeinsamen Kampf der Amazon-Arbeiter mit anderen Arbeitern auf der ganzen Welt auf.

Shannon berichtete: „Bei Amazon sind Arbeiter gestorben, und niemand hat das mitbekommen, weil man uns trennt. Wir arbeiten so weit voneinander entfernt, weil sie nicht wollen, dass wir miteinander reden. Sie wollen nicht, dass wir uns austauschen und unsere Situation vergleichen.“

Zu den objektiven Bedingungen, die Amazon- und Autoarbeiter verbinden, erklärte Shannon: „Wir verschicken bei Amazon eine Menge Autoteile. Ich kann euch nicht sagen, wie viele Bremsen und Trommeln ich schon in meine Kisten verpackt habe. Wir müssen die ganze Arbeiterklasse zusammenschließen.“ Die Autoarbeiter applaudierten, als sie erklärte: „Ohne euch gäbe es uns nicht, und ohne uns gäbe es euch nicht.“

Shannon fügte hinzu: „Es sollte eine Website für die ganze Arbeiterklasse geben, nicht nur für mich, nicht nur für GM-, Ford- oder Chrysler-Arbeiter, sondern auch für Lehrer, für Beschäftigte von Walmart, McDonald's oder von Dollar General.“

Zum Schluss erklärte sie: „Wir sind es, die die Welt am Laufen halten. Es sind nicht die Jeff Bezos dieser Welt, sondern wir! Unser Rücken muss dafür herhalten. Unsere Beine, unsere Füße, unser Handgelenk und unsere geistige Gesundheit. Wir müssen uns erheben. Ihr müsst mit euren Kollegen reden und den Mund aufmachen, denn nur so wird jemals irgendwas passieren. Deshalb habe ich vor langer Zeit beschlossen, den Mund aufzumachen.“ Dafür erhielt sie erneut Applaus.

Während der Veranstaltung wurden Grußworte des Vorsitzenden der internationalen WSWS-Redaktion, David North, online übertragen. Dieser befindet sich momentan in Neuseeland auf einer Vortragstour zum 80. Jahrestag der Gründung der Vierten Internationale. Auch Joseph Kishore, der nationale Sekretär der Socialist Equality Party, richtete ein Grußwort an die Versammlung. Alex Lantier, der nationale Sekretär der Parti de l’égalité socialiste (Sozialistische Gleichheitspartei) in Frankreich, sprach online über die „Gelbwesten“-Proteste, die Frankreich seit Wochen erschüttern.

Kishore erklärte: „Die Arbeiterklasse ist die stärkste soziale Kraft auf diesem Planeten, aber sie braucht Organisation und eine politische Perspektive.“ Er erklärte, welche Rolle die Parteien der herrschenden Klasse spielen, und wie sie die Arbeiter spalten. Die Demokraten treten für die Identitätspolitik ein und betonen die Unterschiede von Hautfarbe und Geschlecht. Was die Trump-Regierung angeht, so schiebt sie die Schuld für sämtliche gesellschaftlichen Probleme den Immigranten und Flüchtlingen zu.

Die Teilnehmer nehmen die Resolution einstimmig an

North erklärte: „Hinter diesem Treffen steht in Wirklichkeit der weltweite Zusammenbruch des kapitalistischen Systems.“ Er wies auf die Bedeutung des 80. Jahrestags der Gründung der Vierten Internationale hin, und auf die Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen Zeit für die Arbeiterklasse: „In der damaligen Periode war die Arbeiterklasse bereit, gegen das System zu kämpfen. Aber das große Problem, vor dem Arbeiter in den 1930ern standen, war die revolutionäre Führung […]. Der Verrat der alten Organisationen machte es möglich, dass der Faschismus sich durchsetzen konnte, und führte schließlich zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, was katastrophale Folgen hatte!“

North erklärte weiter: „Heute haben wir die Aufgabe, eine neue Führung aufzubauen. Heute Nachmittag wurde mehrfach über die Verrätereien der UAW und der Gewerkschaften gesprochen. Wir alle wissen, dass das stimmt. Aber es reicht nicht, auf den Verrat anderer Organisationen hinzuweisen. Wir müssen uns klarmachen, was es bedeutet, eine neue Führung aufzubauen. Das ist unsere Verantwortung. Wenn wir verstehen, dass die alten Organisationen nicht für die Arbeiterklasse sprechen, tragen wir eine umso größere Verantwortung dafür, den Platz jener Organisationen einzunehmen, die versagt haben, und der Arbeiterklasse einen neuen Weg vorwärts zu weisen.“ Er rief die anwesenden Arbeiter dazu auf, die notwendigen Schlüsse aus der Diskussion zu ziehen und der Socialist Equality Party beizutreten.

Viele Arbeiter blieben auch nach der Veranstaltung noch da, um weiter zu diskutieren und sich mit Literatur vom Büchertisch des Mehring-Verlags einzudecken.

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