Netanjahu fordert Finanzierungsstopp für Jüdisches Museum

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der deutsch-israelischen Regierungskonsultation Anfang Oktober ein Papier überreicht, das die Einstellung der finanziellen Förderung des Jüdischen Museums in Berlin verlangt. Ausgerechnet dem Jüdischen Museum werden „Anti-Israel-Aktivitäten“ nachgesagt, weil es sich auch um den Dialog mit Muslimen und anderen Religionsgemeinschaften bemüht.

Das Jüdische Museum in seinem spektakulären Bau von Daniel Libeskind dokumentiert die jahrhundertelange jüdische Kultur in Deutschland, die die Nazis auszurotten versuchten. Es veranstaltet außerdem Zeitzeugengespräche mit Holocaustüberlebenden, vergibt Preise für Toleranz und Zivilcourage und versucht, seine vielen Hundertausend Besucher und unzählige Schulklassen für Fragen des Antisemitismus und der Verbrechen des Naziregimes zu sensibilisieren. Es gehört zu den meistbesuchten Museen der deutschen Hauptstadt und ganz Deutschlands. Von seiner Eröffnung 2001 bis Ende 2016 hatte das Museum mehr als 10,8 Millionen Besucher.

In dem Schreiben Netanjahus wird behauptet: „Das Jüdische Museum in Berlin, das nicht mit der jüdischen Gemeinde verbunden ist, führt häufig Veranstaltungen und Diskussionen mit prominenten BDS-Vertretern durch.“ Außerdem zeige das Museum seit einem Jahr eine Ausstellung mit dem Titel „Welcome to Jerusalem“, in der es vor allem um „das palästinensische Narrativ“ gehe.

Neben dem Jüdischen Museum greift das Schreiben rund ein Dutzend weitere Organisationen und Einrichtungen an, die die Politik der Regierung Netanjahu kritisieren, die israelische Besatzung des Westjordanlands und des Gazastreifen ablehnen, den Dialog zwischen Juden und Palästinensern fördern oder auch nur humanitäre Hilfe für Palästinenser leisten. Es fordert die Bundesregierung auf, die finanzielle Unterstützung dieser „antiisraelischen Organisationen“ einzustellen.

Darunter befinden sich deutsche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Initiativen wie „Brot für die Welt“ von der evangelischen und „Misereor“ von der katholischen Kirche. „Brot für die Welt“ wird vorgeworfen, es fördere Initiativen wie die „Coalition of Women for Peace“, die auch Boykottmaßnahmen gegen Israel unterstützten, sowie „Bet’Selem“, eine israelische Menschrechtsorganisation, die danach strebe, „die israelische Besatzung zu beenden“; „Misereor“, es unterstütze „Breaking the Silence“, einen Zusammenschluss ehemaliger Soldaten, die die Verletzung von Menschenrechten in den palästinensischen Gebieten kritisieren.

Auch dem Filmfestival Berlinale und der Rosa-Luxemburg-Stiftung der Linkspartei werden „antijüdische Aktivitäten“ vorgeworfen. Die Förderung des Magazins +972 durch die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen widerspreche angeblich israelischen Interessen, da dort schreibende Autoren Israel „regelmäßig“ der Apartheid beschuldigten. Aufgelistet sind in dem Schreiben auch Förderprogramme des Auswärtigen Amts und des Entwicklungsministeriums.

Das Schreiben fordert, die Bundesregierung müsse „eine Überprüfung ihrer Finanzierungsrichtlinien“ vornehmen. Die „deutsche Förderung von NGO´s, die in die inneren Angelegenheiten Israels eingreifen oder Anti-Israel-Aktivitäten fördern“, sei einzigartig. „Wir hätten gern, dass die Bundesregierung ihre weitere finanzielle Unterstützung an den vollständigen Stopp solcher Aktivitäten knüpft.“

Das siebenseitige Schreiben an das Kanzleramt und an das Entwicklungshilfeministerium war bereits Anfang des Monats bekannt geworden, und verschiedene Medien hatten darüber berichtet. Woher das Schreiben genau kam, war aber zunächst nicht geklärt, denn es enthielt weder einen Absender noch eine Unterschrift. Erst jetzt ist bekannt geworden, dass es von Netanjahu persönlich überreicht wurde.

Wie frühere Kampagnen gegen Gegner der israelischen Besatzungspolitik versucht auch diese, die angegriffenen Organisationen mit der BDS-Bewegung in Verbindung zu bringen und als „Antisemiten“ zu denunzieren. So wird der Berlinale vorgeworfen, das Festival empfange „regelmäßig BDS-Aktivisten als Gast“.

Die Kampagne BDS (Boycott, Divestment, Sanctions), die von zahlreichen Künstlern und Kulturschaffenden unterstützt wird, setzt sich gegen die israelische Besetzung des Westjordanlands und des Gazastreifens und für die Rechte der Palästinenser ein. Sie ruft – nach dem historischen Vorbild der Aktionen gegen das südafrikanische Apartheitsregime – zum Boykott wirtschaftlicher, kultureller und akademischer Aktivitäten Israels und israelischer Bürger auf.

Opposition gegen die israelische Besatzung der Palästinensergebiete ist kein Antisemitismus. Es ist vielmehr die Regierung Netanjahu selbst, die sich im Kampf gegen die Palästinenser und gegen die israelische Arbeiterklasse auf rechtsextreme Kräfte stützt, die in der Tradition des Antisemitismus stehen.

Vor einer Woche veröffentlichte die WSWS einen Kommentar darüber, dass Israel zu einer Pilgerstätte für rechtsextreme Politiker aus der ganzen Welt geworden ist. Das ist so augenfällig, dass die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in einigen israelischen Medien als „Waschmaschine“ bezeichnet wird, in der sich rechtsextreme Persönlichkeiten vom Vorwurf des Antisemitismus reinwaschen können. Zu den ultrarechten Politikern, denen dort in jüngster Zeit der rote Teppoch ausgerollt wurde, zählen der italienische Innenminister Matteo Salvini, der philippinische Präsident Rodrigo Duterte, der ungarische Regierungschef Viktor Orbán und sein österreichischer Kollege Sebastian Kurz.

Wir schrieben, das Bündnis zwischen dem israelischen Staat und der extremen Rechten sei nicht nur außenpolitisch motiviert: „Es gibt eine natürliche ideologische und politische Affinität, die sowohl aus der gegenwärtigen Politik Israels als auch aus den historischen Wurzeln des Zionismus resultiert.“ Die extreme Rechte bewundere „den zionistischen Staat für seine rassistische Politik und seine Entschlossenheit, eine ethnozentristische Gesellschaft durch Unterdrückung des palästinensischen Volkes im Apartheid-Stil aufzubauen“. Ihnen gefalle „die Passage des so genannten ‚Nationalstaatsgesetzes‘ vom vergangenen Juli, das die jüdische Vorherrschaft als Rechtsgrundlage des Staates verankert, und sie möchten diese Passage in ihren eigenen fremdenfeindlichen und rassistischen Gesetzen nachahmen.“

Diese Affinität zwischen der extremen Rechten und der Politik der Regierung Netanjahu hat sich nach Bekanntwerden des jüngsten israelischen Schreibens erneut bestätigt. Es wurde in Deutschland begeistert von der AfD aufgegriffen.

In einem Gastkommentar für das nationalkonservative israelische Nachrichtenportal Arutz Sheva warnte der Obmann der AfD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, Petr Bystron, vor antiisraelischen Lobbygruppen, die angeblich höchste deutsche Regierungskreise infiltriert hätten. Sie würden einseitige Berichte über Menschenrechtsverletzungen verbreiten, um das Land als „rassistisch“ und als „Apartheid-Staat“ zu verleumden. Die AfD sei die einzige Partei in Deutschland, die sich gegen den Import von Antisemitismus und islamistischem Terror durch unkontrollierte Masseneinwanderung aus dem Nahen Osten stelle. Nun wolle sie einen Themenschwerpunkt setzen, der sich der Aufdeckung von Zahlungsströmen aus Berlin und Brüssel an die international gut vernetzte Anti-Israel-Lobby widme.

Derselbe Bystron hat vor kurzem im Rahmen einer offiziellen Parlamentsreise nach Südafrika an Schießübungen der „Suidlanders“ teilgenommen, die sich auf einen „Rassenkrieg“ gegen die mehrheitlich schwarze Bevölkerung des Landes vorbereiten. Vielleicht werden auch Bystron und sein Parteichef Alexander Gauland bald nach Yad Vashem eingeladen.

Das Netanjahu jetzt dem Jüdischen Museum die Mittel entziehen will, passt in dieses Bild. Gedenkstätten und Museen, die an den Holocaust und an die Verbrechen der Nazis erinnern, sind den Rechtsextremen seit jeher ein Dorn im Auge. Nun greift auch die israelische Regierung eine Institution an, die dazu beiträgt, Millionen die Augen über diese Verbrechen zu öffnen.

Die Große Koalition erweist sich auch in dieser Frage als Unterstützerin und Förderin der äußersten Rechten. Sie hat die Unterstützung des zionistischen Staates selbst angesichts schärfster Menschenrechtsverletzungen zur deutschen Staatsräson erklärt. Sie hat sich einer Definition des Antisemitismus angeschlossen, die Kritik am Staat Israel und seiner Regierungspolitik pauschal als Antisemitismus verteufelt. Selbst das rassistische Nationalstaatsgesetz, das die jüdische Hegemonie als Rechtsgrundlage des Staates Israel festschreibt und Palästinenser zu Staatsbürgern zweiter Klasse macht, hat sie nicht kritisiert. Das hat die israelische Regierung offenbar zu ihrem unverschämten Brief ermutigt.

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