Perspektive

Zum Rücktritt des Generals James Mattis

Die Krise der Klassenherrschaft in den Vereinigten Staaten

Der Rücktritt des US-Verteidigungsministers James Mattis hat in der Führung der beiden großen Parteien Panik ausgelöst. Auch in den Medien und unter früheren Spitzenvertretern von Militär und Geheimdienst kam es zu beinahe hysterischen Reaktionen.

Mattis, ein ehemaliger Vier-Sterne-General des Marine Corps, kündigte seinen Rücktritt in einem Schreiben an, worin er die Politik von Präsident Donald Trump offen kritisierte. Im Wesentlichen beschuldigte er Trump, er stehe nicht mehr zu den Verbündeten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und gefährde eine entschlossene Haltung gegen „bösartige Akteure und strategische Konkurrenten“ – d.h. gegen China und Russland.

Bevor er den Brief veröffentlichte, soll Mattis 50 Exemplare gedruckt und an hohe Offizielle im Pentagon verteilt haben.

Der unmittelbare Auslöser für den Rücktritt war Trumps Befehl vom 19. Dezember, alle 2000 amerikanischen Soldaten aus Syrien abzuziehen. Seither hat Trump Pläne bekanntgegeben, nach 17 Jahren Krieg in Afghanistan auch von dort mindestens 7000 Soldaten der US-Streitkräfte abzuziehen.

Schon 2016 hatte Trump im Präsidentschaftswahlkampf unter dem Motto „America First“ ein Ende der US-Kriege im Nahen Osten und in Zentralasien gefordert. Dies hatte wesentlich dazu beigetragen, dem milliardenschweren Immobilienspekulanten den Sieg über seine Rivalin Hillary Clinton zu sichern. Die Kandidatin der Demokraten war auch die bevorzugte Kandidatin der Wall Street und der CIA, denn ihre Karriere war mit mehreren US-Kriegen verbunden. Clinton trat auch dafür ein, die syrische Intervention zu eskalieren und eine direkte Konfrontation mit Russland vorzubereiten.

Dass sich Trump dieser Wahlversprechen heute erinnert, hängt mit der Krise seiner Präsidentschaft zusammen. Diese wird von zahlreichen Skandalen und Untersuchungen heimgesucht, die wiederum durch die bitteren Konflikte innerhalb der amerikanischen herrschenden Klasse, insbesondere in der Außenpolitik, angetrieben werden.

Trump spielt diese Karte jetzt aus, weil er weiß, dass die Rückführung von Truppen aus dem Nahen Osten und Zentralasien eine breite Unterstützung finden wird, weit über die rechtsextreme Basis hinaus, die auf seinen Chauvinismus gegen Immigranten und seine ständigen Forderungen nach einer US-mexikanischen Grenzmauer reagiert.

Die gesamte arbeitende Bevölkerung der USA lehnt die endlosen Kriege ab, die der US-Imperialismus schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert führt. Diese Kriege, die im Namen des „globalen Kriegs gegen Terror“ und der „Menschenrechte“ geführt werden, haben bisher weit über eine Million Menschen getötet, ganze Gesellschaften zerstört und Billionen von Dollar gekostet.

Was kann die US-Regierung dafür vorweisen? Nach 17 Jahren Kampf in Afghanistan kontrollieren die Taliban ein größeres Territorium als 2001. Auch sind die USA mittlerweile gezwungen, in den Vereinigten Arabischen Emiraten Gespräche mit Taliban-Vertretern zu führen, bei denen es auch um den Rückzug von US-amerikanischen und anderen Truppen aus Afghanistan geht.

Als Folge des Kriegs, den die USA 2003 entfesselten, um Saddam Hussein zu stürzen, ist der Irak heute völlig destabilisiert und nach religiösen Gruppen tief gespalten. In Libyen endete der amerikanisch geführte Nato-Krieg um einen Regimewechsel mit Muammar Gaddafis Ermordung. Heute ist Libyen ein zerstörtes Land, seine Städte liegen in Trümmern, und immer wieder flammen die Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen auf. Und in Syrien hat der gescheiterte Versuch der USA und ihrer Verbündeten, Bashar al-Assad durch die Unterstützung von al-Qaida-nahen Milizen zu stürzen, Hunderttausende das Leben gekostet und Millionen Menschen zu Flüchtlingen gemacht.

General Mattis trägt den Spitznamen „Mad Dog“, seitdem er 2004 die blutige US-Kampagne zur Wiedereroberung der irakischen Stadt Falludscha geleitet hatte. Während seiner Zeit als Befehlshaber der US-Streitkräfte in Afghanistan erklärte er einmal: „Es macht eine ganze Menge Spaß, Leute zu erschießen.“ Heute wird er als amerikanischer Held gefeiert, ein Fels der Stabilität und Vernunft, nach dessen Rückzug das Staatsschiff führungslos auf den Abgrund zutreibe.

Die Washington Post veröffentlichte am Freitag einen Leitartikel mit dem Titel „Wenn Mattis geht, dann seht euch vor!“ Darin heißt es, Ursache für den Rücktritt des Verteidigungsministers seien „einige voreilige und leichtsinnige Entscheidungen von Präsident Trump: der Abzug aller US-Streitkräfte aus Syrien, und eine 50-prozentige Truppenreduzierung in Afghanistan“. Weiter heißt es: „Herr Trump kümmert sich offenbar wenig um den Schaden, den er an lebenswichtigen Interessen anrichten könnte.“

Der Leitartikel der New York Times hatte die Schlagzeile: „Jim Mattis hatte Recht: Wer wird Amerika jetzt schützen?“ Darin wird Trump dafür verurteilt, dass er Mattis und andere nationale Sicherheitsberater „übergangen“ habe, als er „den schnellen Abzug aller 2000 amerikanischen Bodentruppen aus Syrien anordnete“.

Führende Politiker der Demokratischen Partei vergossen Tränen über Mattis' Rücktritt und erklärten, sie seien vollkommen gegen die Beendigung der US-Kriege im Nahen Osten und in Zentralasien.

Mehrere Mitglieder früherer Demokratischer Regierungen machten klar, dass sie Mattis unterstützten und Trumps Truppenabzug ablehnten. Der ehemalige CIA-Direktor, Verteidigungsminister und Stabschef des Weißen Hauses, Leon Panetta, wurde in der Washington Post mit den Worten zitiert: „Wir befinden uns in einem ständigen Zustand des Chaos in diesem Land. Es mag Trumps Bedürfnis nach Aufmerksamkeit befriedigen, aber es bringt das Land in Schwierigkeiten.“

Victoria Nuland, stellvertretende Außenministerin während der Obama-Regierung, berüchtigt für ihre Intervention in der Ukraine zur Förderung eines faschistisch geführten, antirussischen Staatsstreichs, erklärte: „Mit seiner Entscheidung, alle US-Streitkräfte aus Syrien abzuziehen, hat Präsident Donald Trump Präsident Bashar al-Assad, dem Islamischen Staat, dem Kreml und Teheran ein großes Neujahrsgeschenk überreicht.“

Für wen sprechen diese Demokraten und Staatsbeamten a.D.? Sicherlich nicht für die amerikanische Bevölkerung. Diese lehnt die anhaltenden US-Kriege in seiner überwältigenden Mehrheit ab.

Keiner dieser Politiker erwähnt auch nur den kriminellen Charakter der militärischen Interventionen. In Syrien, wo sie die US-Truppen als „stabilisierende Kraft“ bezeichnen, hat die illegale Intervention ganze Städte zerstört und die religiösen Spannungen verschärft. Die Intervention wurde ohne Zustimmung des Kongresses und ohne Sanktion der Vereinten Nationen, und natürlich noch viel weniger mit Zustimmung der syrischen Regierung durchgeführt.

Sie hatte gar nicht zum Ziel, den IS zu besiegen, sondern sollte ein US-Protektorat schaffen, das aus einem Drittel des syrischen Territoriums und vor allem den Öl- und Erdgasfeldern des Landes besteht. Da die USA nicht in der Lage waren, die Assad-Regierung zu stürzen, haben sie Syrien weiß bluten lassen. Gleichzeitig standen sie dort den russischen und iranischen Streitkräften gegenüber, die die Regierung in Damaskus unterstützten.

Die Demokraten und die Medien appellieren offen an das Militär und die Geheimdienste, gegen Trump vorzugehen. Auf NBC News hieß es am Freitag, US-Militärkommandanten seien über Trumps Entscheidungen „empört“ gewesen, während die Washington Post einen ungenannten „ehemaligen leitenden Regierungsbeamten“ zitierte, der sagte: „Es wird eine Intervention geben. Jim Mattis hat gerade einen Schuss vor den Bug abgefeuert.“ Das ist die Sprache eines Militärputsches.

Wer glaubt, Trumps Entscheidungen über Syrien und Afghanistan werde eine neue Ära des Friedens im Nahen Osten einläuten, wird schnell eines Besseren belehrt werden.

Erstens ist das Engagement des US-Imperialismus im Nahen Osten und Eurasien bereits viel zu weit fortgeschritten, als dass ein Präsidentenbeschluss es beenden könnte.

Senator Mark Warner, der ranghöchste Demokrat im Senatsausschuss für Nachrichtendienste, schrieb auf Twitter: „Wie das planlose Vorgehen des Präsidenten in Syrien zeigt, ist unsere nationale Verteidigung viel zu wichtig, als dass man sie den unberechenbaren Launen des Präsidenten aussetzen könnte.“

Auch ist Trump in der Lage, seine Entscheidungen von Tag zu Tag zu ändern. Er kann an einem Tag das eine erklären und am nächsten Tag schon das Gegenteil. Er reagiert damit auf den vielfältigen Druck, der auf ihn ausgeübt wird.

Allerdings gibt es ein erkennbares und anhaltendes Muster in Trumps Außenpolitik. Das ist die Bekräftigung der alten „America First“-Orientierung eines Teils der amerikanischen herrschenden Klasse. Diese Kräfte sehen die wichtigste Aufgabe der US-Außenpolitik in der Vorherrschaft über den asiatisch-pazifischen Raum, um die Hegemonie der Vereinigten Staaten zu sichern. Auch erblicken sie in den alten Allianzen, speziell in der Verbindung zu Europa, eine inakzeptable Einschränkung amerikanischer Politik und nicht zuletzt ihrer finanziellen und kommerziellen Interessen.

Trump betrachtet die US-Außenpolitik rein vom geschäftlichen Standpunkt. Er sieht die militärischen Interventionen in Syrien und Afghanistan aus Kosten-Nutzen-Sicht als ineffektiv an. Aber er ist durchaus bereit, die US-Kriegsmaschine einzusetzen, um seinem Handelskrieg gegen China Nachdruck zu verleihen. So ist es eher wahrscheinlich, dass ein neuer großer Krieg im Südchinesischen Meer und in der Taiwanstraße ausbrechen wird.

Trump und sein faschistischer und ausländerfeindlicher Berater Stephen Miller werfen sich jetzt in die Pose von Antikriegspolitikern. Auf CNN hat Miller über die US-Kriege zynisch erklärt, sie „haben das Blut mehrerer amerikanischer Generation vergossen“. Trump und Miller können ihre reaktionäre, arbeiterfeindliche Politik nur deshalb verschleiern, weil es noch keine Massenbewegung gegen den Krieg gibt.

Das Fehlen einer solchen Bewegung ist nicht zuletzt auf die Rolle der verschiedenen pseudolinken Organisationen zurückzuführen, von den Demokratischen Sozialisten Amerikas (DSA) bis hin zur International Socialist Organization (OSI), der Socialist Alternative (SA) und all den anderen Gruppen, die speziell in Syrien den US-Militarismus unterstützt haben. Diese Gruppen haben islamistische Milizen, die von der CIA bezahlt wurden, als Speerspitzen einer „demokratischen Revolution“ dargestellt und unterstützt. Noch heute wenden sie sich gegen den „russischen Imperialismus“ und rechtfertigen den Militäreinsatz für „Menschenrechte“.

Mattis‘ Rücktritt lässt diese Kreise regelrecht im Stich. Sie vertreten die sozialen Interessen einer privilegierten Schicht der oberen Mittelschicht. Ihr wachsendes Einkommen ist an die Börse und das Schicksal des US-Imperialismus geknüpft. Zweifellos werden sie künftig die US-Kriege noch entschiedener verteidigen. Sie werden sich auf das Schicksal der Kurden berufen und andere Vorwände finden.

Mia Farrow, eine Wortführerin der rechten #MeToo-Bewegung, ließ dies auf Twitter klar erkennen: „Wenn Trump Truppen aus Syrien abzieht, müssen wir dem Ungeheuerlichen ins Auge sehen: Die Welt hat es versäumt, eine humanitäre Katastrophe zu stoppen. US-Ausstieg begünstigt Russland, ISIS – immer noch aktiv – Iran & Assad.“ Sie setzte hinzu: „General Mattis, unser letzter Trost und einzige Person von Ethos in der Trump-Regierung.“

Die Pseudolinken sind politisch in keiner Weise von der herrschenden Klasse unabhängig. Indem sie versuchen, die Demokratische Partei zu beeinflussen, unterstützen sie zwangsläufig die imperialistische Kriegstreiberei.

In diesem Fraktionskampf um Außen- und Innenpolitik lehnt die Socialist Equality Party, die Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei, alle Fraktionen der amerikanischen herrschenden Klasse gleichermaßen ab. Die demokratischen und republikanischen Parteien streiten sich darum, welchen Kurs sie einschlagen sollen, aber sie verfolgen das gleiche Ziel: Diktatur und Krieg. Angesichts der Spaltung und Krise der herrschenden Kapitalistenklasse muss die Arbeiterklasse ihren eigenen Weg einschlagen.

Wie die Socialist Equality Party wiederholt betont hat, muss die Antwort auf die Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse die Entwicklung und Ausweitung des Klassenkampfs sein. Die Arbeiterklasse kann Krieg und Kapitalismus nur überwinden, wenn sie sich kompromisslos auf eine internationale sozialistische Perspektive stützt.

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