Finanzminister Olaf Scholz: „Die fetten Jahre sind vorbei“

„Die fetten Jahre sind vorbei“, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SDP) vor drei Tagen der Bild am Sonntag. Die Regierung müsse sich darauf einstellen, dass es mit den „sprudelnden Steuereinnahmen“ erst einmal vorbei sei, so Scholz, der auch Vizekanzler ist. Sein Ausspruch kommt einer Drohung gleich: Auf die Wirtschaftskrise wird die Regierung mit weiteren, massiven sozialen Angriffen und einem noch härteren Sparkurs reagieren.

Das Scholz-Interview steht in einer Linie mit Warnungen bürgerlicher Wirtschaftsexperten. Die Neue Zürcher Zeitung hat sie beispielhaft auf den Punkt gebracht. „Besser wird es wohl erst, wenn es schlechter geht“, schrieb das Sprachrohr der Schweizer Hochfinanz zum Jahresende: „Europa hat die Hochkonjunktur zu wenig genutzt, um sich fit zu trimmen … Offensichtlich muss der Leidensdruck erst größer werden, damit wichtige Reformen endlich gelingen.“

Die NZZ wurde noch deutlicher: Zum „Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit“ seien „konsequentere Reformen und eine liberale Marktintegration“ unverzichtbar, doch diese Erkenntnis werde sich „nicht ohne Verwerfungen und Schmerzen durchsetzen“. Notwendig sei ein „unternehmens- und investitionsfreundlicheres Klima“, und man müsse dem „überregulierten Arbeitsmarkt“ und den „dogmatischen Gewerkschaften“ endlich den Kampf erklären (wobei die NZZ mit den „dogmatischen Gewerkschaften“ nicht die korrupte Gewerkschaftsbürokratie, sondern die Arbeiterklasse meint).

Solche Botschaften und Aussagen machen klar, dass die Herrschenden der arbeitenden Bevölkerung in den kommenden Monaten die Daumenschrauben weiter anziehen wollen. Dabei hat die soziale Polarisierung bereits ein erschreckendes Ausmaß erreicht, und die Kluft zwischen Reich und Arm vertieft sich immer mehr.

Das zeigt erneut der Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes für das Jahr 2018. Dieser Bericht mit dem Titel „Wer die Armen sind“ wurde bereits Mitte Dezember angekündigt und ist vergangene Woche in schriftlicher Form veröffentlicht worden. Im unablässigen Anstieg der Armut registriert der Verband einen „politischen Skandal“. Am Beispiel Wohnen und an der Arbeitsmarktpolitik zeige sich deutlich, dass die „Armutsprobleme in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ seien.

Offiziell gelten all diejenigen als arm, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens einer Gesellschaft verfügen. Demnach gehören in Deutschland heute 13,7 Millionen Menschen oder 16,8 Prozent der Bevölkerung zu den Armen. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung vor dreißig Jahren. Nicht weniger als ein Drittel der erwachsenen Armen (33,2%) ist erwerbstätig, geht also einer regelmäßigen Arbeit nach. Ein weiteres Viertel (24,8%) besteht aus Rentnerinnen und Rentnern, bzw. Pensionsbeziehern.

Von Armut betroffen sind nach wie vor besonders die Arbeitslosen, Alleinerziehenden und Menschen mit geringen Qualifikationen oder mit Migrationshintergrund. Der Armutsbericht kommt aber zum Schluss, dass immer mehr Menschen in Deutschland arm sind, obwohl sie nicht nur Arbeit, sondern auch eine gute Ausbildung haben: „Die ganz überwiegende Mehrheit der erwachsenen Armen ist berufstätig oder in Rente. Die allermeisten Armen verfügen über ein mindestens mittleres, viele auch über ein höheres Bildungs- bzw. Qualifikationsniveau.“

Über die erwerbstätigen Armen heißt es, dass Armut trotz Arbeit entgegen einer weit verbreiteten Annahme nicht hauptsächlich ein Problem von Minijobs sei. „Minijobber machen nur etwas mehr als ein Viertel der erwerbstätigen Armen aus. Die ganz überwiegende Mehrheit ist mehr als nur geringfügig tätig, und 41 Prozent sind sogar voll erwerbstätig.“

Ein weiterer Skandal bestehe darin, dass die Kinderarmut anhaltend und alarmierend hoch sei: „Nicht nur jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut, sondern auch jeder fünfte arme Mensch in diesem Land ist ein Kind“, heißt es im Bericht. Und auch das Alter sei immer stärker betroffen: „Das Risiko, dass auch die Rente im Alter vorne und hinten nicht reichen wird, sorgt immer mehr Menschen – und das zu Recht. Immer mehr Menschen geraten in existenzielle Not, sind im Alltag ausgegrenzt und abgehängt.“

So also sehen die bisherigen „fetten Jahre“ für die Arbeiterklasse aus: Ein wachsender Teil versinkt in Armut und kann seine Familie auch durch Schuften und fleißige Arbeit nicht durchbringen und der Altersarmut am Lebensende nicht entgehen.

Das bestätigt auch eine aktuelle Pressemitteilung des DGB der Region Niederrhein zum Stand der regionalen Arbeitslosigkeit. Diese hat zwar abgenommen, was die Gewerkschaft als „positive konjunkturelle Entwicklung“ bejubelt, liegt aber immer noch bei 10,6%, dem höchsten Stand in NRW. Bezeichnenderweise heißt es in dem Bericht: „Der Zuwachs der Beschäftigung ist bei uns überdurchschnittlich hoch in der Leiharbeit. Vollzeitbeschäftigung ist weniger angestiegen, Teilzeitbeschäftigung dafür umso mehr.“

Der höchste Anstieg der Beschäftigung, heißt es im Bericht weiter, „ist in der Altersgruppe der 65-Jährigen und Älteren zu verzeichnen, hier stieg die Beschäftigung um 12,2%. Bei der Altersgruppe der 25–55-Jährigen gab er nur einen Anstieg um 1,2%.“

Auch gelten diesem Bericht zufolge in der Stadt Duisburg heute über 50.000 Menschen als „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“: „Sie sind auf Leistungen angewiesen, gelten aber nicht als arbeitslos. Viele gehen arbeiten, ihr Einkommen genügt jedoch nicht, um sich oder gar ihre Familie davon zu versorgen.“

Arm trotz Arbeit – das ist das Ergebnis des jahrzehntelangen Angriffs auf Rechte und Errungenschaften der Arbeiterklasse. Auch der Armutsbericht des Paritätischen Verbands lässt keinen Zweifel daran, dass die wachsende Armut das Resultat bewusster politischer Entscheidungen ist. „Der Anstieg der Armut erfolgt trotz abnehmender Arbeitslosenquote und trotz zunehmender Erwerbstätigenzahlen“, heißt es im Bericht. „Mit andern Worten: Die Armut ist hausgemacht. Wohlstand und Reichtum wachsen, doch wächst ebenso die Ungleichheit in diesem Lande.“

Die grassierende Armut ist das Resultat der Politik der letzten dreißig Jahre. Verantwortlich dafür sind alle Parteien, von der CDU/CSU und FDP über SPD und Grüne bis hin zur Linken. Das begann mit der kapitalistischen Restauration der Wendezeit, als die Treuhand über 8000 Betriebe privatisierte, und ging dann mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen der rot-grünen Schröder-Fischer-Regierung weiter. Nach dem Börsencrash von 2008 rettete die Merkel-Regierung die Banken mit Milliarden an öffentlichen Geldern, die letztlich von der arbeitenden Bevölkerung bezahlt werden.

Nun will die Große Koalition in Berlin den Verteidigungshaushalt, d.h. die Ausgaben für Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, massiv auf über 70 Milliarden Euro im Jahr erhöhen. Auch diese Rechnung soll die Arbeiterklasse bezahlen.

In dem Zusammenhang ist das Interview der Bild am Sonntag mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz noch in anderer Hinsicht bemerkenswert: Er erklärte darin offen seine Bereitschaft, nach Abschluss der Ära Merkel das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen. Schon als Bürgermeister von Hamburg war Scholz für seine Law-and-Order-Politik bekannt. Im Juli 2017 machte er sich mit dem massiven Polizeieinsatz während des G20-Gipfels einen Namen, dessen nachfolgende Strafprozesse bis heute dazu dienen, elementare demokratische Grundrechte wie die Demonstrations- und Meinungsfreiheit abzuschaffen.

Als er sein Amt als Bundesfinanzminister antrat, entschied sich Scholz als erstes, einen Spitzenmanager der US-Großbank Goldman Sachs zum Staatssekretär zu ernennen. Mit seiner jüngsten provokanten Äußerung, die fetten Jahre seien vorbei, bekräftigt der SPD-Finanzminister seine Entschlossenheit, die Arbeiterklasse rücksichtslos den Interessen der Wirtschaft, der Banken und des Großkapitals unterzuordnen.

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