Macrons „große nationale Debatte“: Eine Falle für die Gelbwesten in Frankreich

Letzte Woche, kurz bevor die Gelbwesten den zehnten Samstag in Folge demonstrierten, initiierte der französische Präsident Emmanuel Macron seine „große nationale Debatte“ mit der Gelbwesten-Bewegung. Diese so genannte Debatte begann mit einem beleidigenden Brief an die französische Bevölkerung, in dem er betonte, er werde seine Politik nicht ändern. Anschließend nahm er an einer Diskussion mit 600 Bürgermeistern in der Stadt Bourgtheroulde teil, die zu diesem Zweck von den Sicherheitsdiensten in eine Festung verwandelt wurde. Diese Veranstaltung bestätigt, dass die breite Masse der Gelbwesten und Dutzende Millionen Arbeiter Recht haben, wenn sie Macrons „Debatte“ als politischen Betrug abtun.

Wie die World Socialist Web Site und die Parti de l’égalité socialiste bereits vor Beginn der Gelbwesten-Bewegung betont haben, gibt es mit Macron nichts zu verhandeln. Die entscheidende Aufgabe der Bewegung und allgemein des Klassenkampfs in ganz Europa ist der Übergang der Macht auf die Arbeiterklasse. Dies erfordert die Bildung von Kampforganisationen, die unabhängig von den Gewerkschaften agieren, und die Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse für die Enteignung der Finanzaristokratie.

Als Macron seine „große Debatte“ in Bourgtheroulde begann, verwandelte er die 3.700-Seelen-Gmeinde in der Normandie in eine Festung, um sich vor der französischen Bevölkerung zu schützen, mit der er angeblich debattiert. Zu diesem Zweck wurden zehn Staffeln mobile Gendarmerie, sieben Kompanien der Bereitschaftspolizei CRS und 300 Mitglieder der Territorialarmee mobilisiert. Er hielt eine siebenstündige Rede vor einem handverlesenen Publikum aus Bürgermeistern, die ihm lautstark applaudierten, traf sich aber weder mit den Gelbwesten, noch mit den Bewohnern der Stadt.

Macrons Auftritt in Bourgtheroulde hat nur bestätigt, dass die Politik von Austerität und Militarismus, die er in seinem Brief an die französische Bevölkerung skizziert hat, in der „großen Debatte“ als unverrückbare Tatsachen feststehen. Er wird den Demonstranten nichts geben und versuchen, jeglichen Widerstand mit Polizeigewalt zu unterdrücken.

In seinem Brief schloss Macron jede Änderung an seiner Steuersenkung für Reiche aus. Seine angebliche Debatte über Haushaltspolitik und die Effektivität der öffentlichen Dienstleistungen ist eine Initiative, mit der die Reichtümer der Finanzaristokratie geschützt werden sollen, indem der arbeiterfeindliche Austeritätskurs verschärft wird. Er schrieb: „Wir werden keine der Maßnahmen zurücknehmen, die wir eingeführt haben, um Investitionen zu fördern und Arbeit rentabler zu machen. Über sie wurde gerade erst abgestimmt, und sie beginnen gerade erst Wirkung zu zeigen. Wir können keinesfalls weitere Steuersenkungen einführen, ohne die Gesamtmenge der öffentlichen Ausgaben zu senken.“

Dann ließ Macron der Bevölkerung die Wahl, welche wichtigen Sozialleistungen drastisch gekürzt werden sollen: „Öffentliche Dienstleistungen kosten Geld, aber sie sind wichtig: Schulen, Polizei, das Militär, Krankenhäuser, Gerichte sind unverzichtbar für den sozialen Zusammenhalt. Gibt es zu viele administrative Ebenen oder Stufen auf der lokalen Regierungsebene? Sollten wir die Dezentralisierung wieder verstärken und denjenigen, die näher bei den Bürgern sind, mehr Entscheidungsspielraum geben? Auf welcher Ebene und für welche Dienstleistungen?“

Dieser parasitäre Ex-Banker kann seine Verachtung für die Arbeiter, die er als faul abtut, nicht verbergen. Kurz vor den neunten Samstagsdemonstrationen nahm er den Empfang von Bäckerlehrlingen in Elysée-Palast zum Anlass, um der Bevölkerung fehlendes „Leistungsdenken“ vorzuhalten. Weiter erklärte er: „Die Unruhen in unserer Gesellschaft gehen teilweise auf die Tatsache zurück oder haben etwas damit zu tun, dass viel zu viele unserer Mitbürger glauben, man könnte etwas bekommen, ohne sich dafür anzustrengen.“

Gelbwesten, die nur mit großer Mühe bis zum Ende des Monats mit ihrem Geld auskommen – egal, ob sie Kleinunternehmer, Bauern oder Arbeiter sind – strengen sich in Wirklichkeit enorm an, während sie von der Finanzaristokratie, die Macron repräsentiert, ausgebeutet werden.

Der Ökonom Thomas Piketty hat errechnet, dass die französischen Arbeiter heute dreimal so viel Reichtum schaffen wie im Jahr 1970, obwohl die offizielle Arbeitswoche verkürzt wurde. Damit haben sie den Produktivitätsvorteil der USA überholt, den diese aufgrund der großen Investitionen nach dem Zweiten Weltkrieg zu dieser Zeit hatten. In den ersten neun Monaten des Jahres 2018 haben Arbeiter in Unternehmen mit mehr als 15 Beschäftigten im Durchschnitt 31,5 Überstunden geleistet. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit gehört mit 39,1 Stunden für Vollzeitbeschäftigte und 23,7 Stunden für Teilzeitkräfte zu den höchsten in ganz Europa.

Während Macron die Bevölkerung belehrt, werden die Arbeiter von der Last ihrer Arbeit zermürbt. Laut Statistiken der Sozialversicherung gehen 16 Prozent der Arbeitsausfälle auf Muskel- und Skeletterkrankungen zurück, zehn Prozent auf extreme Überarbeitung oder psychologischen Stress. Am stärksten betroffen sind die Bau-, die Fertigungs- und die Gesundheitsbranche.

Die nationale Statistikbehörde hat erst vor Kurzem einen Bericht über Unfälle am Arbeitsplatz veröffentlicht. Laut diesem gaben im Jahr 2013 26 Prozent der Befragten an, sie hätten schon einmal einen Unfall am Arbeitsplatz gehabt. Bei Arbeitern liegt die Zahl der Betroffenen bei 40 Prozent und bei Bauern 32 Prozent, unabhängig vom Alter.

Die Finanzaristokraten, die Macron repräsentiert, sind diejenigen, die kein „Leistungsdenken“ besitzen. Die Studie Challenges wirft etwas Licht auf das „französische Sozialmodell“, das zu Unrecht als egalitär dargestellt wird. Laut der Studie haben sich die 500 größten Vermögen des Landes seit 1996 um das Siebenfache erhöht und die zehn größten Vermögen um das Zwölffache. Doch im gleichen Zeitraum hat sich das französische Bruttoinlandsprodukt nur knapp verdoppelt, und das reale Durchschnittseinkommen ist seit 20 Jahren nicht gestiegen.

Seit dem Crash von 2008 haben die 500 reichsten Franzosen den von ihnen persönlich kontrollierten Anteil an der Wirtschaft verdreifacht. Von 2009 bis 2018 ist ihr gemeinsames Vermögen von 10 auf 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und damit auf beispiellose 650 Milliarden Euro angewachsen. Die Ausplünderung der Arbeiterklasse durch die Finanzaristokratie hat sich unter den letzten beiden Präsidenten, unter Macron und seinem Vorgänger François Hollande von der Parti Socialiste, nur noch beschleunigt.

Die Wut der Arbeiterklasse über die soziale Ungleichheit ist völlig berechtigt. Die Arbeiter sind nicht dafür zuständig, die Steuersenkungen für die Superreichen zu finanzieren, die in Frankreich wie auch im Rest der Welt enteignet gehören.

In seinem Brief versucht Macron, die soziale Wut in die widerwärtige Richtung von Ausländerfeindlichkeit zu lenken und ihr eine neofaschistischere Stoßrichtung zu geben. Er schreibt, in Frankreich werde „die Tradition heute von Spannungen und Zweifeln im Zusammenhang mit der Immigration und dem Versagen unseres Integrationssystems durcheinandergebracht“. Unter dem Deckmantel des „Säkularismus“, den er als „Thema wichtiger Debatten“ bezeichnet – darunter das reaktionäre Verbot von bestimmten Kleidungsstücken, die muslimische Frauen zum Teil tragen – fordert er „von allen Respekt vor dem gegenseitigen Verständnis und den unantastbaren Werten der Republik“.

Eine entscheidende Voraussetzung für die Mobilisierung und Vereinigung der Arbeiter im Kampf ist die Zurückweisung der fremdenfeindlichen Hetze dieses Vertreters der Banken.

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