Audi-Ungarn: Gewerkschaft beendet Streik, um weiteren Produktionsstopp in anderen Werken zu verhindern

Der einwöchige Streik der 12.000 Beschäftigten im ungarischen Audi-Werk in Györ hat die Autoindustrie erschüttert. Er hatte massive Auswirkungen auf die Produktion in mehreren Werken Europas.

Im Audi-Stammwerk in Ingolstadt stand bereits seit Montag die Produktion still. Auch VW- und Porsche-Werke waren betroffen. Laut einem Unternehmenssprecher konnten deutlich mehr als 10.000 Autos der Baureihen A3, A4, A5 und Q2 nicht gebaut werden. In den Audi-Werken in Neckarsulm und in der belgischen Hauptstadt Brüssel wäre die Produktion an diesem Wochenende zum Erliegen gekommen. Wie FAZ.net berichtete, sind im VW-Werk im slowakischen Bratislava Schichten in der Fertigung gestrichen worden. Dasselbe gilt für das Porsche-Werk in Leipzig.

„Hält der Streik noch länger an, könnte die Produktion einiger Automarken im Volkswagen-Werk in Bratislava komplett eingestellt werden“, erklärte dazu der Analyst Boris Tomčiak gegenüber der slowakischen Tageszeitung Sme. Wie in fast allen Werken gibt es, um die Kosten gering zu halten, kaum Lagerhaltung.

Doch genau in dem Moment, in dem der Streik seine größte Kraft entfaltete und Millionen Autoarbeiter in Europa inspirierte, brach ihn die Gewerkschaft ab und setzte die Wiederaufnahme der Arbeit durch. Seit Donnerstag laufen im Audi-Werk in Györ die Bänder wieder.

Die Audi-interne Gewerkschaft AHFSZ arbeitet eng mit der IG Metall zusammen und wollte unter allen Umständen vermeiden, dass der Tarifkampf im Osten mit dem Widerstand gegen den geplanten Arbeitsplatzabbau zusammenkommt. Bei allen Autobauern steht in den kommenden ein bis zwei Jahren ein massiver Arbeitsplatzabbau an, auch bei Audi. Die Ingolstädter Premiummarke des VW-Konzerns bereitet gegenwärtig ein massives Sparprogramm vor, um die Gewinne auf Kosten der Belegschaft zu maximieren.

Um das Streikende zu rechtfertigen, erklärt die Gewerkschaft die ursprüngliche Forderung nach 18 Prozent Lohnerhöhung sei erreicht worden. Auf ihrer Website listet sie darüber hinaus die Zusatzzahlungen und Prämien, die es zwar in der Vergangenheit bereits gab, die aber neu verhandelt wurden. Bei genauer Betrachtung zeigt sich das bekannte Zahlenspiel, das die Gewerkschaften immer machen, um das Ergebnis schönzureden. Die Verlängerung der Laufzeit des Tarifvertrags von 12 auf 15 Monate muss mit berechnet werden, und auch die Sonderzahlungen sind in der Summe für die Mehrheit der Beschäftigten niedriger als früher, so dass die Lohnerhöhung nicht 18 sonder eher 13 Prozent beträgt.

Die erkämpfte Lohnerhöhung ist wichtig, aber sie ändert nicht die Tatsache, dass die rund 12.000 Beschäftigten in Györ nach wie vor zu den Geringverdienern im VW-Weltkonzern gehören. Sie erhielten bisher durchschnittlich 1000 Euro im Monat und sind mit Lebenshaltungskosten konfrontiert, die ähnlich hoch wie im Westen Europas sind. Selbst im Vergleich zu den Beschäftigten von VW und Audi in Polen und Tschechien sind die Löhne deutlich geringer. Gegenüber einem belgischen oder deutschen Kollegen beträgt der ungarische Lohn nur rund ein Drittel. Auch mit der jetzt erkämpften Lohnerhöhung produzieren die Beschäftigten in Ungarn weiterhin zu Billiglöhnen. Die durchschnittlichen Bruttoverdienste im Fahrzeugbau liegen bei umgerechnet 1200 Euro. Nun erreichen die Audi-Arbeiter einen Verdienst, der nur knapp darüber liegt.

Das Handelsblatt schrieb am Donnerstag: „Ungarische Audi-Mitarbeiter bekommen 18 Prozent mehr Lohn – und sind dennoch unterbezahlt.“ Das Finanzblatt erläutert, dass die Lohnerhöhung von der Konzernleitung akzeptiert wurde, weil es für das Gesamtunternehmen wichtig sei, den Produktionsstandort in Ungarn zu erhalten.

Ungarn ist durch die Billiglöhne ein zentraler Standort der deutschen Automobilindustrie geworden. Die Autoindustrie in Ungarn macht fast 30 Prozent der Produktion des verarbeitenden Gewerbes aus. Neben Audi, Daimler und demnächst auch BMW produziert Suzuki in Estzergom etwa 176.000 Autos pro Jahr, während Opel in Szentgotthárd knapp 500.000 Motoren jährlich herstellt.

Vor allem deutsche Unternehmen nutzen die Niedriglöhne und die extreme Ausbeutung in Osteuropa seit dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime vor 30 Jahren, um hohe Profite zu erzielen. Doch seit einiger Zeit entwickelt sich in vielen Betrieben heftiger Widerstand.

Der Streik der ungarischen Arbeiter war Teil einer wachsenden Streikbewegung. In den letzten Jahren streikten Autoarbeiter in Rumänien, Serbien und der Slowakei. Während des Streiks in Györ erklärten Arbeiter der VW-Tochter Skoda in Tschechien, sollte das Unternehmen bei den für Ende Monat geplanten Tarifverhandlungen nicht auf ihre Forderungen eingehen, werde man ebenfalls in Streik treten. Erst letzten Monat erkämpften die Arbeiter im Daimler-Werk in Kecskemét eine Erhöhung ihrer Löhne um 22 Prozent in diesem und um weitere 13 Prozent im kommenden Jahr.

Im mexikanischen Grenzgebiet zu den USA, das als Niedriglohnzulieferer für die US- Autoindustrie eine ähnliche Rolle spielt wie Osteuropa für die deutsche, streiken seit Wochen zehntausende Arbeiter in Matamoros für bessere Löhne – und zwar gegen den Willen der Gewerkschaften.

Die Gewerkschaft AHFSZ steht unter massivem Druck der Arbeiter, sonst hätte sie den Streik gar nicht organisiert. Sie entstand 1996 in Konkurrenz zur Metallgewerkschaft VASAS bei Audi und ist eine von zahlreichen ungarischen Betriebsgewerkschaften. Sie arbeitet eng mit der IG Metall in Deutschland zusammen und ist Teil der Arbeitsgruppe InterSoli in Wolfsburg, einer Interessenvertretung bei VW.

Die AHFSZ-Funktionäre machten klar, dass sie von Anfang an eine schnelle Übereinkunft mit Audi suchten. Gewerkschaftsführer Sándor Németh hatte bekräftigt, dass während des Streiks weiter Gespräche geführt werden und der Streik sofort abgebrochen wird, sollte man ein „akzeptables Angebot“ erhalten. Schon während des ersten Streiktages liefen im Hintergrund Verhandlungen mit dem Management.

Die IG Metall war in der Vergangenheit maßgeblich an der Organisation der Billigarbeit in den osteuropäischen Ländern beteiligt. Angesichts des wachsenden Widerstands in vielen Betrieben versucht sie nun zu lavieren und sprach während der Streiktage häufig über Solidarität. Sie war in ständigem Kontakt mit der AHFSZ-Führung, um den Streik schnellstmöglich zu beenden.

Die IG Metall sitzt in allen Aufsichtsräten der Auto- und Zulieferbetriebe und berät die Konzerne, wie der geplante Arbeitsplatzabbau, der in der gesamten Autoindustrie geplant ist, am besten durchgesetzt wird. Ihr Hauptziel ist es, einen gemeinsamen Kampf aller Autoarbeiter zu verhindern.

Das Manager Magazin bezeichnete Audi jüngst als „Sanierungsfall“. Schon im Dezember hatte Audi-Chef Bram Schot gegenüber der Süddeutschen Zeitung indirekt Stellenkürzungen nicht ausgeschlossen. Wenn er sehe, dass das jetzige Produktionsvolumen mit rund 90.000 Mitarbeitern erstellt werde, würde er sagen, es gebe zu viele Arbeitnehmer bei Audi, bemerkte Schot. Das Manager Magazin spricht nun von mindestens 14.000 Stellen, die wegfallen könnten.

Im VW-Konzern spielt die IG Metall, wie in kaum einem anderen Konzern eine führende Rolle bei der Entwicklung und Umsetzung der Unternehmensstrategie. Sie will vor allem vermeiden, dass sich der Tarifkampf in Ungarn zu einem Flächenbrand ausweitet. Denn in den vergangenen Wochen protestierten Tausende in ganz Ungarn gegen eine im Dezember von der rechten Regierung von Viktor Orban verabschiedeten Reform des Arbeitsgesetzes. Sie erlaubt die Anhebung der Überstunden von 250 auf 400 im Jahr sowie die Erweiterung des Zahlungsrahmens auf bis zu drei Jahren. Dieses Gesetz bedient vor allem die Interessen deutscher Konzerne. Daher bezeichnet es die Öffentlichkeit in Ungarn nicht nur als „Sklavengesetz“, sondern auch wahlweise als „Lex Audi“, „Lex Mercedes“ oder „Lex BMW“.

Das „Sklavengesetz“ ist nur die Spitze von Orbans arbeiterfeindlicher Politik und verdeutlicht darüber hinaus, warum die Regierungen in der EU – abgesehen von einigen heuchlerischen Protestnoten – hinter der rechten Regierung in Budapest stehen. Orban hat im Jahr 2017 die Sozialabgaben der Unternehmen von 27,5 auf 19,5 Prozent gesenkt und den Körperschaftssteuersatz auf neun Prozent reduziert. Gleichzeitig beschneidet die Regierung das soziale Netz und unterdrückt demokratische Rechte und die Freiheit der Presse.

Der Streik bei Audi in Györ beinhaltet zwei wichtige Lehren für alle Arbeiter:

Erstens hat er einmal mehr deutlich gemacht, dass Arbeiter aufgrund ihrer Stellung in der Produktion über eine gewaltige Macht verfügen. Vor allem ist klar geworden, dass der Streik sofort internationale Auswirkungen hatte. Diese internationale Zusammenarbeit zu entwickeln, ist jetzt die wichtigste Aufgabe. Im Kampf gegen multinationale Konzerne, die Arbeiter weltweit gegeneinander ausspielen, brauchen Arbeiter ihre eigne internationale Strategie.

Zweitens hat sich erneut gezeigt, dass eine solche internationale Zusammenarbeit einen Bruch mit den Gewerkschaften erfordert. Die Gewerkschaften wollen die Entwicklung des Klassenkampfs unterdrücken, zurückhalten und auf die unmittelbare betriebliche Entwicklung beschränken.

Umso wichtiger ist es, dass sich die Autoarbeiter der verschiedenen Standorte und Länder unabhängig von den Gewerkschaften organisieren, Aktionskomitees aufbauen und miteinander Kontakt aufnehmen. Gegen Arbeitsplatzabbau in den westeuropäischen Werken und Billiglöhne in den osteuropäischen können die Belegschaften nur kämpfen, wenn sie sich nicht spalten lassen und für eine internationale, sozialistische Perspektive eintreten.

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