Fürth: Polizei trainiert Angriff auf Arbeiterklasse

Vom 21. bis 24. Januar fand im mittelfränkischen Fürth ein besonderes Einsatztraining der bayerischen Polizei statt. Offensichtlich ging es darum, die Polizeikräfte auf kommende soziale Auseinandersetzungen vorzubereiten.

Das perfide Übungsszenario: Ein Mann schießt im Gebäude einer Arbeitsagentur um sich. Polizisten nähern sich dem umgebauten Bürogebäude und tragen schwere Schutzausrüstung, die gespielten Mitarbeiter der Arbeitsagentur sind verletzt und schreien um Hilfe – es soll unter möglichst realistischen Bedingungen geübt werden, so der Leiter der Fürther Polizeiinspektion Michael Dibowski.

Auffallend ist neben der viertägigen Dauer des Trainings auch dessen Ausmaß: Laut Medienberichten waren rund 120 Polizisten vor Ort, nicht nur aus Fürth, sondern auch aus umliegenden Inspektionen und von der Verkehrspolizei. Es handelt sich dabei um jene Dienststellen, deren Einsatzkräfte bei einer Gefahrenlage innerhalb von 15 Minuten vor Ort sein können. Zweimal am Tag wurden die ersten 30 Minuten eines derartigen Amoklaufs trainiert, sprich jene Phase, in der die Streifenpolizisten vor Ort noch auf sich allein gestellt sind, bis die Spezialeinheiten anrücken.

Polizeichef Dibowski rühmte sich gegenüber nordbayern.de mit der erfolgreichen Durchführung des Trainings: „Das wirkt alles echt, da vergisst man schnell, dass es nur eine Übung ist.“ Die insgesamt acht Einsätze innerhalb von vier Tagen seien alle unterschiedlich abgelaufen, ergänzte er, allerdings hätten sie eine Gemeinsamkeit: Kein einziges Mal seien die Täter entkommen. Übertroffen werden die reißerischen Kommentare Dibowskis nur durch seine geheuchelte Aussage, dass es für die Übung keinen konkreten Anlass gäbe, man wolle lediglich für den Fall der Fälle vorbereitet sein.

Der Trainingseinsatz der Polizei in Fürth ist jedoch nichts anderes als eine Vorbereitung der herrschenden Klasse auf die unweigerlich bevorstehenden sozialen Auseinandersetzungen. Ein Blick auf die wachsende soziale Ungleichheit in Bayern genügt, um zu verstehen, was der „Fall der Fälle“ sein wird, und wieso ein Arbeitsamt als Szenario gewählt wurde.

Im „Vierten Bericht der Bayerischen Staatsregierung zur sozialen Lage in Bayern“ vom Mai 2017, kurz Sozialbericht, heißt es im Vorwort: „Wir haben in Bayern ein Niveau an Wohlstand, Beschäftigung, Wirtschaftskraft und sozialer Sicherheit erreicht, das es in Bayern noch nie zuvor gegeben hat. Die soziale Lage in Bayern ist so gut wie nie zuvor.“

Diese Einschätzung der damaligen Landesregierung ist bewusst beschönigend und falsch. Auch in Bayern klafft die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander, und die Zahl der Menschen, die in atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten oder unter Altersarmut und Arbeitslosigkeit leiden, nimmt stetig zu. Um die wirkliche Situation zu vertuschen und von der angespannten sozialen Lage abzulenken, manipuliert die Regierung in ihrem Sozialbericht ungeniert die Darstellung der erhobenen statistischen Daten.

Das bestätigte auch eine detaillierte Prüfung des Berichts durch den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und die Arbeiterwohlfahrt (AWO). Darin wird zunächst darauf hingewiesen, dass in der Gliederung des Berichts – im Gegensatz zu den drei vorangegangenen Berichten– beim Thema „Vermögen und Einkommen“ nicht einmal mehr das Wort „Armut“ vorkommt. Stattdessen spricht man von „Niedrigen Einkommen“.

Im Fortlauf des Kapitels offenbart sich dann das eigentliche Ausmaß der Manipulation: Die Armutsgefährdung in Bayern wird, entgegen früherer Sozialberichte und wissenschaftlicher Standards, nicht in Bezug auf das mittlere Nettoeinkommen in Bayern (den sogenannten Landesmedian) berechnet, sondern anhand des Bundesmedian. Da die Einkommen in Bayern statistisch jedoch höher liegen als im Rest der Republik, muss als Grundlage für einen Vergleich das bayerische Durchschnittseinkommen herangezogen werden. Ansonsten kommt es zu einer Verzerrung der Ergebnisse.

„[I]n Bayern [ist] demnach mehr als jede und jeder Siebte von Armut bedroht und nicht 'bloß' jeder Neunte", erläuterte der bayerische Landesvorsitzende der AWO Thomas Beyer das Ergebnis des dreisten Kunstgriffs. Der ohnehin knappe Wohnraum sei somit für viele bereits jetzt nicht mehr bezahlbar.

Mit Blick auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Bayern widerlegte der DGB-Landesvorsitzende Matthias Jena (SPD) die Aussage der Regierung, dass dieser in hervorragender Verfassung sei. Die Anzahl der Menschen, die in atypischen Beschäftigungsverhältnissen arbeiteten – d.h. Leiharbeit, geringfügiger Beschäftigung, Teilzeit oder mit Befristung –, steige stattdessen stetig an. Auch die vermeintlich geringe Arbeitslosenquote sei bei genauerer Betrachtung trügerisch: So erreiche sie beispielsweise bei jungen Menschen bis 34 Jahre, bei Älteren ab 55 sowie in einigen städtischen Regionen das Doppelte des Landesdurchschnitts. Menschen mit Migrationshintergrund seien zudem doppelt so oft von Arbeitslosigkeit betroffen wie Menschen ohne Migrationshintergrund.

Jena schloss die Aufarbeitung des Sozialberichts mit folgenden Fazit: „Was die Bayerische Staatsregierung da vorgelegt hat, ist kein umfassender Blick auf die Wirklichkeit. Vielmehr wurden die Zahlen nach dem Prinzip 'Was nicht passt, wird passend gemacht' zusammengestellt – oder wo das nicht funktioniert hat, wurden die Zahlen eben weggelassen.“

Was die AWO und den DGB betrifft, so muss allerdings hinzugefügt werden, dass ihre Kritik an der Statistik der CSU-Landesregierung durchaus wahltaktisch und parteipolitisch motiviert ist. Matthias Jena ist als DGB-Funktionär seit seinem 18. Lebensjahr SPD-Mitglied. Wären die SPD und die Grünen an der Regierung, würden sie die Weichen auch nicht grundsätzlich anders stellen. Das ist schon daran zu sehen, dass SPD und Grüne, als sie unter Schröder und Fischer von 1999–2005 die Bundesregierung stellten, mit Unterstützung des DGB die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze einführten. Sie sind für die heutige soziale Misere genauso verantwortlich wie die CSU-Landesregierung.

Die tatsächlichen Zahlen des Sozialberichts für das Jahr 2018 werden sich von jenen im Jahr 2017 nur insofern unterscheiden, als dass die sozialen Spannungen in Bayern rasant zunehmen. Das gilt nicht nur für den Freistaat, sondern auch für Deutschland und die gesamte Welt. Erst kürzlich berichtete die britische Hilfsorganisation Oxfam International über die enorme Ballung von Reichtum an der Spitze der Gesellschaft und das beschleunigte Wachstum der sozialen Ungleichheit.

Durch das Einsatztraining der Fürther Polizei und das gewählte Szenario eines Amoklaufs in einem Arbeitsamt wird deutlich, dass sich die herrschende Klasse nun noch akribischer auf die unweigerlich bevorstehenden Klassenkämpfe vorbereitet. Besonders, da sich die Übung in Fürth markant von im letzten Jahr in Bayern gewählten Szenarien unterscheidet.

Grundsätzlich muss ein Polizist viermal im Jahr derartige Trainings absolvieren. Die Szenarien reichen von Messerattacken über häusliche Gewalt bis hin zu großangelegten Anti-Terror-Übungen.

Die Münchner Polizei führte beispielsweise im April 2018 gemeinsam mit der der Bundespolizei, der Feuerwehr München und den Münchner Rettungsdiensten die Großübung „LELEX“ (kurz für „Lebensbedrohliche Einsatzlage Exercise“) am Hauptbahnhof durch. Der Übungslauf, an dem 1.500 Polizeibeamte teilnahmen, „berücksichtigte (…) zahlreiche Erkenntnisse der letzten Jahre aus dem Bereich Terror und Amok“, wie es in der Pressemeldung des Polizeipräsidiums München hieß.

Nur einen Monat später kam es unter Anwesenheit verschiedener Dienststellen des Polizeipräsidiums Mittelfranken erstmals zu einer umfassenden Übung am Nürnberger Albrecht-Dürer-Flughafen. Vor Ort waren außerdem die Einsatzzentrale, Einsatzzüge der Bereitschaftspolizei, das Spezialeinsatzkommando Nordbayern (SEK) und die Hundestaffel. Gespielte Terroristen schossen um sich, Filmblut floss, immer mehr Einsatzkräfte rückten an und versuchten, die Situation unter Kontrolle zu bringen, berichtete nordbayern.de.

Den beiden Übungen ist somit gemein, dass sie Terror und Amok als vorgeschobene Gefahrenlage nutzten, während das Trainingsszenario in Fürth nun unverhohlen Bezug auf die Arbeiterklasse nimmt.

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