Frankreichs herrschende Elite attackiert „Gelbwesten“ mit Antisemitismusvorwürfen

Nachdem es letzten Samstag zu einer Auseinandersetzung zwischen dem rechten Ex-Maoisten Alain Finkielkraut und einem Demonstranten kam, der eine gelbe Weste trug, organisierte die prokapitalistische Parti Socialiste (PS) in mehreren Städten Proteste. Der Demonstrant, der dem französischen Geheimdienst wegen Beziehungen zu Islamisten bekannt sei, nannte Finkielkraut einen „dreckigen Zionisten“. Seither betreiben die Medien eine wütende Kampagne gegen die „antisemitische Linke“ und fordern die Gelbwesten auf, die Demonstration der PS zu unterstützen.

Antisemitismus ist eine reaktionäre und abstoßende Ideologie, die untrennbar mit dem Faschismus und dem schlimmsten Völkermord der Geschichte verbunden ist: der Massenmord an sechs Millionen Juden im faschistischen Europa. Zu den Opfern zählen auch beinahe sämtliche der 76.000 französischen Juden, die mit aktiver Unterstützung des Vichy-Regimes, das mit den Nazis kollaborierte, in die Vernichtungslager deportiert wurden. Ihre Ermordung ist ein schreckliches Verbrechen, das nie in Vergessenheit geraten darf, und der Kampf gegen jede Spur von antisemitischen Einflüssen ist Teil der grundlegenden Arbeit jeder sozialistischen Organisation der Arbeiterklasse.

Die PS ist jedoch nicht in der Position, irgendjemanden über Antisemitismus zu belehren. Eine Betrachtung der reaktionären Bilanz der PS und von Präsident Emmanuel Macrons Partei La Republique en Marche (LRM) entlarven ihre Pose als Gegner des Antisemitismus als politischen Betrug. Während sie versuchen, die Bewegung der Gelbwesten gegen soziale Ungleichheit kollektiv als völkermörderisch und rassistisch zu brandmarken und den wachsenden Widerstand in der europäischen Arbeiterklasse zu diskreditieren, schüren sie selbst Rassismus und stärken neofaschistische Tendenzen.

Die PS hat fast das gesamte politische Establishment Frankreichs zu ihren Protestveranstaltungen eingeladen. Zu den Teilnehmern gehörten Premierminister Edouard Philippe, 23 weitere LRM-Minister sowie die ehemaligen Präsidenten François Hollande und Nicolas Sarkozy. Darüber hinaus nahmen auch die stalinistische Kommunistische Partei Frankreichs (KPF), die Grünen, François Bayrous Mouvement démocrate, der Chef der rechten Partei Les Républicains (LR), Laurent Wauquiez, und Nicolas Dupont-Aignan von Debout La France (DLF) teil, ein Verbündeter der Neofaschistin Marine Le Pen.

Der Vorsitzende der PS, Olivier Faure, lud auch Marine Le Pen ein. Sie solle „willkommen“ sein. Er weigerte sich jedoch, ihre Partei Rassemblement national (RN) einzuladen, weil deren „gesamte Geschichte genau mit der Frage des Antisemitismus und Rassismus verbunden ist“. Le Pens Vater Jean-Marie wurde wegen antisemitischer Äußerungen verurteilt. Faure bewarb sich also bei den politischen Erben des Vichy-Regimes um Unterstützung gegen die Gelbwesten, ohne dieses betrügerische Manöver jedoch dadurch zu entlarven, dass er Figuren wie Marines Vater Jean-Marie Le Pen, der wegen antisemitischer Aussagen verurteilt wurde, zu einer Veranstaltung einlädt, die sich vorgeblich gegen Antisemitismus richtet.

Le Pen erschien letztlich jedoch nicht auf der Kundgebung. Die RN erklärte später in einem Statement, sie weigere sich „gemeinsam mit Organisationen [zu marschieren], die entweder nichts gegen die Ausbreitung islamistischer Netzwerke in bekannten Wohnvierteln getan, sie gefördert oder dieses Thema mit krimineller und verantwortungsloser Doppelzüngigkeit diskutiert haben.“

Während die Gelbwesten mit Unterstützung des Großteils der französischen Bevölkerung gegen Macron mobilisiert haben, mobilisiert die PS mit Unterstützung des politischen Establishments die Regierung gegen die Gelbwesten, während sie gleichzeitig Bündnisse mit antisemitischen Kräften schließt. In offiziellen Kreisen erhielt die PS dafür breite Unterstützung. Neben den Freimaurern schickten auch die Gewerkschaften hohe Vertreter zu der Kundgebung der PS. Zuvor hatten sie Streiks abgesagt, um die Proteste der Gelbwesten zu isolieren.

Der Vorsitzende der Confédération générale du travail (CGT), Philippe Martinez, hetzte bei der Kundgebung erneut gegen die Gelbwesten. Er hatte sie bereits vor ihren ersten Protestveranstaltungen am 17. November als Neofaschisten gebrandmarkt, um die Entscheidung der Gewerkschaften zu rechtfertigen, Solidaritätsstreiks für die Gelbwesten zu sabotieren. Er forderte die CGT-Mitglieder jedoch auf, sich an der Kundgebung der PS zu beteiligen. Dort erklärte er, der Rassismus der Gelbwesten habe ihn „schon seit Beginn der Proteste erschüttert, und ein kleiner Teil der Bewegung vergiftet den ganzen Rest.“

Die einzigen Teile des politischen Establishments, die nicht willkommen waren, waren diejenigen, die sich der Hetzkampagne der Medien gegen die Gelbwesten nicht anschlossen. Jean-Luc Mélenchon von La France Insoumise (LFI) beklagte sich, dass er nicht eingeladen wurde. Zuvor war er zum Ziel einer Medienkampagne geworden, weil er der PS vorgeworfen hatte, sie würde „den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus politisch ausnutzen.“ Doch letzten Endes entschied sich der ehemalige PS-Minister Mélenchon dazu, sich an diesem Akt der politischen Ausnutzung zu beteiligen und an der Veranstaltung der PS in Marseille teilzunehmen.

Die Propaganda der PS und LRM gegen Antisemitismus ist heuchlerisch und bis ins Mark korrupt. Das aktuelle Anwachsen antisemitischer Verbrechen in ganz Europa ist ein äußerst ernstes Phänomen. In Deutschland ist die Zahl antisemitischer Straftaten im letzten Jahr um 60 Prozent gestiegen, in Frankreich um 69 Prozent. Doch es ist unmöglich, gegen das Anwachsen des Antisemitismus vorzugehen, ohne gegen die gesamte herrschende Klasse und das kapitalistische System zu kämpfen.

In Deutschland zeigen offizielle Statistiken die Rolle der Rechtsextremen, die für die überwältigende Mehrheit solcher Verbrechen verantwortlich ist. Doch die extreme Rechte selbst profitiert von der stillschweigenden Unterstützung der Großen Koalition, deren Innenminister Horst Seehofer die Neonazi-Ausschreitungen in Chemnitz begrüßte, bei denen ein jüdisches Restaurant angegriffen wurde.

In Frankreich haben die PS und Macrons LRM-Regierung nach der Wahl 2017 die Hauptrolle dabei gespielt, das Erbe des politischen Antisemitismus in Frankreich zu legitimieren.

Hollande hat Marine Le Pen zweimal in den Elysée-Palast eingeladen. Damit wurde zum ersten Mal eine neofaschistische Politikerin in den Präsidentenpalast eingeladen. Gleichzeitig versuchte er, den Entzug der Staatsbürgerschaft in der Verfassung zu verankern. Dieses juristische Werkzeug hatte das Vichy-Regime angewandt, um die Deportation der Juden in die Vernichtungslager zu ermöglichen und die Unterdrückung der Résistance zu rechtfertigen. Im letzten November huldigte Macron außerdem Philippe Pétain, dessen Regime diese Deportationen genehmigt hatte.

Das Ziel dieser Politik, die den Antisemitismus stärkt, ist der wachsende Widerstand innerhalb Arbeiterklasse. Neben den Protesten der Gelbwesten in Frankreich entwickeln sich auch Streiks in Portugal, Belgien und Deutschland. Die herrschende Klasse ist darüber entsetzt und versucht, mit allen notwendigen Mitteln die politischen Bedingungen für umfassendere Unterdrückungsmaßnahmen zu schaffen.

So nahm der ehemalige PS-Premierminister Manuel Valls in Madrid an einer Kundgebung von rechten spanischen Parteien teil, bei der auch die neue faschistische Partei Vox vertreten war. Diese Demonstration zielte darauf ab, eine rechte Koalition an die Macht zu bringen, an der auch die Vox beteiligt wäre. Die Partei verteidigt das Vorgehen der Armee des faschistischen Diktators Francisco Franco während des Bürgerkriegs, d.h. Massenmorde an linken Arbeitern.

Die Bewegung der Gelbwesten ist ein Ausdruck der Ablehnung von Arbeitern und bedeutenden Teilen der Mittelschicht gegenüber einer Politik, die in Europa seit Jahrzehnten durchgesetzt wurde. Es ist jetzt von entscheidender Bedeutung, politische Lehren zu ziehen. Nach drei Jahrzehnten immer neuer imperialistischer Kriege seit der Auflösung der UdSSR durch die stalinistische Bürokratie im Jahr 1991 und einem Jahrzehnt unnachgiebiger Sparpolitik seit dem Crash von 2008 befindet sich der Kapitalismus in einer tödlichen Krise. Das Anwachsen des Antisemitismus ist auch diesmal untrennbar mit dieser Krise des Kapitalismus' verbunden.

Der Kampf gegen den Kapitalismus erfordert einen bewussten Bruch mit allen politischen Tendenzen, die Antisemitismus legitimieren und gleichzeitig vorgeben, gegen ihn zu kämpfen. Gleichzeitig ist der Aufbau einer trotzkistischen Avantgarde in der Arbeiterklasse eine notwendige Voraussetzung. Faure hat versucht, die PS als historischen Gegner des Antisemitismus darzustellen. Zu diesem Zweck erwähnte er, dass Parteigründer François Mitterand im Jahr 1990 an einer Protestveranstaltung gegen die Schändung eines Friedhofs in Carpentras teilgenommen hat. Tatsächlich widerlegt dieses Beispiel seine Argumente.

Dass der ehemalige Vichy-Funktionär Mitterand teilnahm, ergab sich aus zynischem Kalkül, als sich ein Skandal um seine anhaltenden Beziehungen zu René Bousquet entfaltete. Dieser hatte 1942 als Polizeichef des Vichy-Regimes die Massenverhaftung von Juden in Vél d'Hiv organisiert, um sie anschließend zu deportieren. Dieser Skandal zeigte, dass das Bündnis zwischen der KPF, kleinbürgerlichen pablistischen Kräften, wie sie heute die Neue Antikapitalistische Partei repräsentiert, und der PS nach dem Generalstreik von 1968 eine reaktionäre Falle für die Arbeiterbewegung war. Die Arbeiterklasse wurde gefesselt der bürgerlichen PS ausgeliefert, die eine Politik der Kürzungen und des Militarismus verfolgte.

30 Jahre später fördern die Nachkommen dieser Parteien stillschweigend den Antisemitismus, um die politische Atmosphäre zu vergiften, während sie gleichzeitig zynisch vorgeben, ihn zu bekämpfen.

Die Parti de l’égalité socialiste (PES) stützt ihre Politik auf das zunehmende internationale Aufleben des Klassenkampfes, der sich in Frankreich u.a. in der Bewegung der Gelbwesten äußert. Sie bekämpft den Antisemitismus, indem sie die Arbeiterklasse mit einem marxistischen und internationalistischen, d.h. trotzkistischen Programm bewaffnet, um den Kampf um die politische Macht zu führen. Die PES steht den stalinistischen und pablistischen Tendenzen, die vor dem Kapitalismus kapituliert haben, unversöhnlich gegenüber.

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