Französisch-italienischer Stellvertreterkrieg in Libyen

Hinter den scharfen Spannungen zwischen Frankreich und Italien, die Anfang Februar zum Rückruf des französischen Botschafters aus Rom führten, stecken handfeste materielle Interessen. In Libyen, wo seit dem Nato-Krieg von 2011 Dutzende rivalisierende Milizen um die Vorherrschaft kämpfen, führen die beiden EU-Mitglieder einen Stellvertreterkrieg um die Kontrolle über die größten Öl- und Gasressourcen Afrikas.

Während Italien hinter der Nationalen Einheitsregierung (GNA) von Fajis al-Sarradsch in Tripolis steht, die auch von Deutschland und den UN unterstützt wird, hat sich Frankreich auf die Seite der Nationalarmee Libyens (LNA) von General Chalida Haftar geschlagen, der dem Gegenparlament in Tobruk vorsteht. Auch Ägypten und Russland setzen auf Haftar.

Dass es bei diesem Krieg um Ölinteressen und strategischen Einfluss in Afrika geht, ist ein offenes Geheimnis.

Die „Einheitsregierung“ von Fajis al-Sarradsch, die außerhalb der Hauptstadt kaum Einfluss hat, kontrolliert die Nationale Ölgesellschaft Libyens (NOC), an der der italienische Energiekonzern ENI seit einem halben Jahrhundert beteiligt ist. Italien hat seine Botschaft in Tripolis wieder eröffnet und finanziert gemeinsam mit der EU die libysche Küstenwache der GNA als Türsteher Europas, damit sie die Migranten von Europa fernhält.

Haftars LNA hat bereits im vergangenen Sommer den sogenannten Öl-Halbmond um Bengasi im Osten des Landes unter seine Kontrolle gebracht. Anfang Februar hat sie nun auch die Ölfelder im Südwesten des Landes eingenommen, darunter das Al-Sharara-Ölfeld, das als größtes des Landes gilt.

Das Al-Sharara-Feld war Ende letzten Jahres von Sicherheitspersonal und der lokalen Bevölkerung besetzt worden, die gegen die Einheitsregierung in Tripoli protestierten und höhere Löhne sowie eine angemessene regionale Beteiligung an den Erdöleinnahmen forderten. Es wird seit 1994 von einem Joint Venture mehrerer internationaler Ölkonzerne betrieben, an dem neben der österreichischen OMV auch die französische Total beteiligt ist.

Haftar wird von Frankreich militärisch unterstützt. In einem Papier der regierungsnahen deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt es, Frankreich habe „Haftars Operationen im Süden politische – und sehr wahrscheinlich auch andere – Unterstützung gegeben und verhindert, dass seine westlichen Partner in dieser Frage eine gemeinsame Haltung einnehmen“.

Offiziell begründet Paris seine Unterstützung für Haftar mit dem Kampf gegen islamistische Milizen in der Sahel-Zone. Im Rahmen der Opération Barkhane engagiert sich die ehemalige Kolonialmacht Frankreich seit mehreren Jahren mit mittlerweile über 4000 Soldaten in den fünf Sahel-Ländern Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad. Die Operation wird auch von Großbritannien und Estland unterstützt und arbeitet in Mali mit der deutschen Bundeswehr zusammen.

Ein französischer Regierungsberater hatte sich bereits früher über die hohen Kosten der Operation beklagt und erklärt, die einzige Möglichkeit, sie zu Ende zu bringen, bestehe in der Stabilisierung Libyens. Aus diesem Grund habe sich die französische Regierung für Haftar entschieden.

Auch ein Armeesprecher von General Haftar erklärte laut der Schweizer Tageszeitung Tribune de Genève, es gebe „ein gemeinsames Interesse, das darin besteht, den Terrorismus zu bekämpfen. Frankreich wollte terroristische Gruppen in unseren Nachbarländern im Süden verfolgen, beispielsweise im Tschad, in Mali und in Niger, wo diese Gruppen stark verbreitet sind.“

Viele Beobachter sind allerdings überzeugt, dass es Frankreich vor allem um Ölinteressen geht, und dass die Konkurrenz Italiens und Frankreich in dieser Frage der Hauptgrund für den anhaltenden Bürgerkrieg in Libyen ist.

So erklärt Mohammed Dayri, der von 2014 bis 2018 Außenminister des Tobruker Parlaments war, in einem Interview mit der Tribune de Genève, informierte Kreise in Libyen führten die kriegerischen Auseinandersetzungen auf „die Rivalitäten zwischen der italienischen Gruppe ENI und Total“ zurück. Im Allgemeinen sei „die Frage der Ölressourcen sehr heikel“. Abdul Hafiz Ghoga, ein früherer Angehöriger des Übergangsrates von 2011, sagte der Zeitung: „Frieden und Stabilität wird es in Libyen solange nicht geben, solange die internationale Gemeinschaft keinen Konsens erzielt.“

Bereits beim Nato-Bombenkrieg von 2011, der vor allem auf die Initiative Frankreichs zurückging, ging es nicht um Menschenrechte, sondern um Öl und Gas, um den Zugang zu Afrika und die Kontrolle über den Maghreb. Den blutigen Preis dafür zahlt bis heute die Bevölkerung Libyens, die acht Jahre später immer noch unter dem Bürgerkrieg rivalisierender krimineller Milizen leidet, die von imperialistischen Hintermännern ausgerüstet und finanziert werden.

So haben allein im letzten blutigen Konflikt um Tripolis Ende August 2018 offiziell 115 Menschen ihr Leben verloren, und 25.000 Menschen wurden durch die Zerstörung ganzer Stadtviertel obdachlos.

Frankreich und Italien sind nicht die einzigen neokolonialen Akteure in der Region. Auch Deutschland, die USA und Großbritannien versuchen, ihre jeweiligen Interessen zu wahren und ihre Machtpositionen auszubauen.

Die USA hat wiederholt versucht, ihr bisher in Stuttgart stationiertes Zentrum AFRICOM nach Libyen zu verlagern. Ihre Interessen richten sich vor allem darauf, das wirtschaftliche Vordringen Chinas in Afrika zu stoppen. Auch wollen die Vereinigten Staaten ihre Allianz mit befreundeten arabischen Staaten festigen, um den wachsenden Einfluss des Irans einzudämmen. Immer wieder führen US-Streitkräfte von Sizilien aus Bombenschläge gegen libysche Städte durch, angeblich um Stellungen der IS oder Al-Qaidas zu treffen.

Die deutsche Regierung ist entschlossen, den „Fehler“ ihrer Außenpolitik von 2011 wettzumachen, als sie sich nicht am Libyen-Krieg beteiligte, und selbst Einfluss auf Afrika zu nehmen. Die Bundeswehr ist rings um Libyen bereits in Mali, Marokko, Tunesien, dem Sudan, dem Süd-Sudan und im Mittelmeer im Einsatz.

Die bereits zitierte Studie der Stiftung Politik und Wissenschaft (SWP) empfiehlt der Bundesregierung in der verlogenen Sprache der Diplomatie, sich vorsichtig von al-Sarradsch zu distanzieren, da Haftar zunehmend Einfluss gewinne. „Die Westmächte müssten auch ihre Unterstützung für die GNA überdenken, falls diese sich in einen eskalierenden Kampf mit Haftar verstrickt.“

Eine zentrale Herausforderung beim Aushandeln einer solchen Kehrtwende sei die Uneinigkeit der westlichen Regierungen in Libyen, „die diplomatischen Streitereien zwischen Italien und Frankeich über Libyen und die einseitige französische Unterstützung für Haftar“.

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