Macron plant Militäreinsatz gegen Gelbwesten-Proteste

Der französische Regierungssprecher Benjamin Griveaux kündigte nach einem Treffen des Ministerrats am Mittwoch an, Präsident Emmanuel Macron werde am nächsten Wochenende Einheiten des Militärs gegen die geplanten Gelbwesten-Proteste einsetzen. Damit wird erstmals seit dem Algerienkrieg von 1954-1962 das Militär für Polizeiaufgaben auf französischem Staatsgebiet gegen die Bevölkerung eingesetzt.

Griveaux erklärte, das Ziel der Operation sei die „Sicherung fester und statischer Punkte in Einklang mit ihrem Auftrag, also hauptsächlich der Schutz von Regierungsgebäuden.“ Als Rechtfertigung für den Einsatz der Streitkräfte erklärte er, dies sei notwendig, damit sich die Polizei „auf Protestbewegungen und die Wahrung und Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung konzentrieren kann.“

Gestern nachmittag traf sich Verteidigungsministerin Florence Parly mit Vertretern der Polizei, um über Details der Operationen am Samstag zu diskutieren.

Die Mobilisierung von Militäreinheiten ist die jüngste in einer Reihe von repressiven Maßnahmen, die die Regierung am Dienstag ankündigte. Ferner ist ein staatliches Verbot von Protestaktionen geplant, wenn „Radikale“ daran teilnehmen; Geldstrafen von 38 bis 135 Euro für die Teilnahme an verbotenen Protesten; die Errichtung von „Anti-Hooligan-Brigaden“ bei der Polizei; der Einsatz von Drohnen und chemischen Kampfstoffen gegen Demonstranten sowie die Errichtung von Polizeikontrollpunkten, an denen Demonstranten angehalten und identifiziert werden sollen.

Dass Protesten gegen soziale Ungleichheit mit dem Einsatz des französischen Militärs gedroht wird, ist ein historischer Wendepunkt von internationaler Bedeutung. Weltweit entwickelt sich aufgrund der wachsenden Wut über die Kürzungspolitik und den Militarismus der letzten Jahrzehnte eine Welle von Streiks und Protesten. Sie reicht von den Demonstrationen der Gelbwesten über Streiks gegen die jahrzehntelangen Nullrunden bei den Löhnen in ganz Europa, über Massenproteste gegen die algerische Militärdiktatur und Streiks der amerikanischen Lehrer sowie der mexikanischen Montagearbeiter bis zu den Massenstreiks in Sri Lanka und Indien.

Macrons Entscheidung, das Militär gegen die Gelbwesten einzusetzen, ist einer der zunehmend verzweifelten Versuche der internationalen herrschenden Klasse, den wachsenden politischen Widerstand der Arbeiter einzuschüchtern. Falls dies nicht gelingt, wollen sie die Bedingungen dafür schaffen, sie mit Waffengewalt zu unterdrücken.

Die Regierung plant den Einsatz des Militärs vor dem Hintergrund der Medienhysterie nach den Plünderungen auf den Champs-Elysées in Paris während der Gelbwesten-Proteste am letzten Samstag. Allerdings gibt es kaum Beweise dafür, dass die Gelbwesten für diese Plünderungen verantwortlich sind. Hohe Staatsvertreter wie die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo erklärten, diese Aktionen seien von rechtsextremen Gruppen durchgeführt worden, die einen Zusammenbruch in der Befehlskette der Polizei ausgenutzt hatten. Einige Polizisten wurden dabei gefilmt, wie sie Läden auf den Champs-Elysées plünderten.

Obwohl die Ereignisse vom Samstag noch ungeklärt sind, reagiert die Regierung darauf mit einer rapiden Verschärfung ihrer Drohungen gegen die Demonstranten. Innenminister Christophe Castaner erklärte dreist, die Polizei sei am Samstag mit „10.000 Hooligans“ konfrontiert gewesen, d.h. die große Mehrheit der friedlichen Gelbwesten-Demonstranten seien gewaltbereite Verbrecher, die von der Polizei auch so behandelt werden müssten. Macron erklärte zu der Gewalt am Samstag provokant, die Unterstützer der Gelbwesten-Bewegung hätten sich „mitschuldig“ gemacht.

Die Plünderungen am Samstag liefern lediglich den Vorwand, um lange vorbereitete Pläne umzusetzen. Ein möglicher Einsatz des Militärs im Inland wird seit mehreren Jahren öffentlich diskutiert. Bereits der ehemalige Präsident François Hollande von der Parti Socialiste (PS) hatte den Einsatz des Militärs in Arbeitervierteln von Marseille und anderen Städten gefordert.

Der geplante Einsatz von Soldaten gegen politischen Widerstand im Inland verdeutlicht, dass die WSWS zurecht seit langer Zeit die betrügerischen Behauptungen zurückweist, der „Krieg gegen den Terror“, den Washington und seine europäischen Verbündeten begonnen haben, diene dem Schutz der Bevölkerung. Die PS begann die Operation Sentinel während des Ausnahmezustands, den sie nach den Terroranschlägen am 13. November 2015 verhängt hatte. Die Täter dieser Anschläge waren islamistische Netzwerke, die die Nato-Mächte im Syrienkrieg eingesetzt hatten. Jetzt benutzt Macron, der unter der PS-Regierung bereits Minister war, diese angeblichen „Anti-Terror“-Truppen, um die mobilen Polizeieinheiten zu verstärken, die er den Gelbwesten entgegenwirft.

Die Finanzaristokratie plant einen rücksichtslosen Klassenkrieg, weil sie erkennt, dass sie zutiefst isoliert ist und von den Arbeitern weltweit verachtet wird. Zudem fürchtet sie die zunehmenden Proteste in Frankreich und Algerien. Le Monde diplomatique veröffentlichte im Februar einen Artikel mit dem Titel „Klassenkämpfe in Frankreich“. Darin ging sie auf die Panik ein, die in breiten Teilen der herrschenden Klasse angesichts des wachsenden politischen Widerstandes herrscht. Dieser Widerstand ist zwar bisher weitgehend friedlich, aber fest in der französischen und internationalen Arbeiterklasse verankert.

Das Magazin schrieb von der „Angst, nicht vor einer Wahlniederlage, oder dem Scheitern einer Reform, oder vor Verlusten am Aktienmarkt, sondern vor Aufstand, Revolte und Elend. Die Eliten Frankreichs haben sich seit einem halben Jahrhundert nicht mehr so gefühlt. ... Der Direktor eines Umfrageinstituts erklärte, ,die wichtigen Vorstandschefs‘ seien ,tatsächlich sehr besorgt‘ gewesen, es herrsche eine Atmosphäre, ,wie ich es über die Jahre 1936 oder 1968 gelesen habe‘ (die Jahre der beiden Generalstreiks). Es gibt einen Punkt, an dem sie sich sagen: Wir müssen in der Lage sein, schnell viel Geld auszugeben, damit wir das Wichtige nicht verlieren.“

So pumpt die Finanzaristokratie also Mittel in den Unterdrückungsapparat und bricht die lange bestehenden Garantien, dass das Militär nicht gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden wird. Nachdem die ehemalige Präsidentschaftskandidatin der PS Ségoléne Royal im Jahr 2013 den Einsatz des Militärs in Marseille forderte, schilderte der Geschichtsprofessor Jean-Marc Berliére in einem Interview mit Le Monde die Geschichte der Einsätze des Militärs für Polizeiaufgaben.

Er erklärte, im neunzehnten Jahrhundert habe das Militär während Streiks und Maiveranstaltungen wiederholt Arbeiter, Frauen und Kinder ermordet und damit enorme Klassenwut provoziert: „Massaker, wie sie immer wieder stattfanden, u.a. in Fourmies oder Narbonne, haben seinem Image schweren Schaden zugefügt. Dieses war ohnehin schon durch die Verdächtigungen der sozialen und politischen Zusammenarbeit mit den Unternehmern bei Streiks schwer beschädigt.“

Nachdem es in Folge der Oktoberrevolution in Russland 1917 in der französischen Armee zu Massenmeutereien gegen den Ersten Weltkrieg kam, beschloss die Regierung, dass man der Armee Polizeiaufgaben im Inland nicht mehr zutrauen könne. Berliére erklärte: „Nach dem Sieg und den Opfern des Krieges von 1914-1918 war es nicht mehr möglich, die siegreiche Armee für Einsätze im Inland zu benutzen.“ Auf die Frage, ob das französische Militär im Ersten Weltkrieg an Polizeioperationen im Inland des heutigen Frankreich beteiligt war, fügte er hinzu: „Im Grunde nicht. Das politische Risiko war zu hoch: wie würde die Stimmung der Wehrpflichtigen sein?“

Nachdem das Militär von 1954-1962 erfolglos versucht hatte, die französische Kontrolle über Algerien durch Folter und Morde in massivem Ausmaß aufrechtzuerhalten, wendet sich Macron erneut ans Militär. Dass er letztes Jahr dem Nazi-Kollaborateur und Diktator Philippe Pétain sowie Georges Clemenceau gehuldigt hatte (letzterer war als Innenminister vor dem Ersten Weltkrieg für Militäreinsätze verantwortlich, bei denen 18 Arbeiter ermordet wurden) ist ein Ausdruck andauernder Versuche der Regierung, Unterdrückung zu legitimieren.

Dies verdeutlicht den reaktionären Charakter der ständigen Erklärungen, die aus dem politischen Establishment selbst stammen, dass linke, sozialistische und an der Arbeiterklasse orientierte Politik irrelevant und tot sei. So werden Bedingungen geschaffen, unter denen ein Einsatz des Militärs gegen Arbeiter, für den es keinerlei Legitimität gibt, ohne nennenswerten Widerstand in Kreisen der offiziellen Politik in die Tat umgesetzt werden kann. Die wichtigste Aufgabe, bei der die Proteste der Gelbwesten einen ersten Schritt markieren, besteht in der unabhängigen Mobilisierung des wachsenden politischen Widerstands der Arbeiterklasse gegen die Errichtung einer Militär- und Polizeidiktatur.

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