Französische Soldaten ermächtigt, auf „Gelbwesten“ zu schießen

Die französischen „Gelbwesten“ setzten am Samstag ihre Proteste fort, obwohl Präsident Emmanuel Macron den Einsatz der Armee im Innern angeordnet hatte. Der Pariser Militärgouverneur hatte auf France Info angekündigt, die Soldaten einer Eliteeinheit seien bereit, notfalls mit scharfer Munition vorzugehen.

Es war das erste Mal, dass die Regierung gegen die protestierenden „Gelbwesten“ Soldaten einsetzte. Dennoch marschierten am Samstag wieder Tausende friedlich durch Paris. Später kam es zu Konflikten, bei denen die Polizei erneut mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschoßen gegen die Menge vorging. Erneut wurden Menschen verletzt oder verhaftet. Offene Auseinandersetzungen gab es auch in Lille, Toulouse, Montpellier und Nizza.

„Unsere Befehle sind hinreichend klar“, hatte General Bruno Leray, Militärgouverneur von Paris und Kommandant der Eliteeinheit „Opération Sentinelle“ (Schildwache), zuvor auf France Info erklärt. „Die Einsatzregeln der Soldaten werden sehr genau festgelegt. Sie haben unterschiedliche Möglichkeiten, mit der Bedrohungslage umzugehen. Das kann so weit gehen, dass sie das Feuer eröffnen.“

Leray fügte hinzu, dass diese Soldaten den gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen für den Schusswaffengebrauch wie beim Einsatz gegen Terrorverdächtige unterliegen. „Sie werden Warnschüsse abgeben“, sagte er. „Das ist in der Vergangenheit schon vorgekommen, zum Beispiel bei Angriffen auf den Louvre oder in Orly. Sie sind durchaus in der Lage, die Bedrohung einzuschätzen und entsprechend zu reagieren.“

Arbeiter und Jugendliche müssen diese Drohungen gegen eine weitgehend friedliche Bewegung, die gegen soziale Ungleichheit protestiert, sehr ernst nehmen. Sie müssen sie nicht nur in Frankreich, sondern weltweit als Warnung verstehen. Auf der ganzen Welt brechen Massenproteste und Streiks außerhalb der Kontrolle der Gewerkschaften aus, und die Finanzaristokratie ist bereit, sie rücksichtslos mit Polizei und Militär niederzuschlagen. Selbst Länder wie Frankreich, die auf eine lange bürgerlich-demokratische Tradition zurückblicken, treiben schnell auf eine Diktatur zu.

Soldaten der Opération Sentinelle auf Patrouille in Straßburg, 2015

In Frankreich sind die Soldaten der Opération Sentinelle schon seit Langem auf der Straße. Seit der Verhängung des Ausnahmezustands nach den Terrorangriffen von 2015 patrouillieren sie in Viererreihen mit schusssicherer Weste, das Sturmgewehr im Anschlag, durch die Stadt. Die aktuelle Krise bestätigt die Warnungen, die die WSWS seit Jahren erhebt. Die herrschende Klasse hat ihren „Krieg gegen den Terror“ als Vorwand benutzt, um die staatliche Repression zu stärken, die sich letztlich gegen die Arbeiterklasse richtet.

Auf dem EU-Gipfel in Brüssel versuchte der französische Präsident Emmanuel Macron die Bedeutung der Mobilisierung der Armee gegen die „Gelbwesten“ herunterzuspielen. Er behauptete, die Armee werde „in keiner Weise für die Erhaltung der öffentlichen Ordnung“ verantwortlich sein. Er versuchte, die Kritik am Einsatz der Armee ins Lächerliche zu ziehen. Das sei eine „falsche Debatte“, die angeheizt werde, „um andere und sich selbst in Angst und Schrecken zu versetzen“.

Verteidigungsministerin Florence Parly sprach kurz nach Leray auf France Info und versuchte ebenfalls, den Truppeneinsatz herunterzuspielen. Ohne ausdrücklich Lerays Bemerkungen über die Einsatzregeln für die Soldaten zu widersprechen, sagte sie: „Die Soldaten der französischen Armee werden niemals auf Demonstranten schießen … Wer solche Phantastereien über den Schusswaffengebrauch verbreitet, will nur Verwirrung stiften.“

Am Samstag hat dieser Einsatz, was man bisher hört, offenbar keine Menschenleben gefordert. Doch schon jetzt gibt es Soldaten, die den einlullenden und historisch falschen Beteuerungen Macrons und Parlys widersprechen. Sie brechen offen die militärische Disziplin, um den Medien ihren Zorn und ihre Sorge über diese Befehle mitzuteilen.

„Wir haben mit diesen Gelbwesten eigentlich nichts zu tun“, sagte ein Soldat anonym auf France Info. „Wir haben nicht mal die notwendige Ausrüstung. Wir haben nur Schlagstöcke und kleine Dosen Pfefferspray. Das nächste sind dann schon unsere Sturmgewehre … Wenn es zu einer Konfrontation mit zu vielen Demonstranten kommt, dann wird es wahrscheinlich leider Opfer geben.“

Ein anderer Soldat äußerte sich empört über Macrons Befehl, Franzosen aufs Korn zu nehmen. „Das ist absurd und willkürlich. Wir sind darauf nicht eingerichtet. Technisch gesehen, kämpfen wir gegen militärische Feinde. Und der Feind kann nicht die ganze Bevölkerung sein, das ist nicht möglich. Das ist aber die Situation, in die sie die Soldaten heute bringen.“

Er sagte: „Bis jetzt haben die Sicherheitskräfte noch nicht nachweisen können, dass sie in der Lage sind, große Menschenmassen zu kontrollieren. Wenn gewaltbereite Demonstranten in Kontakt mit Soldaten kommen, gibt es eine ernste Gefahr, dass Blut fließen wird … Das letzte Mal, dass Soldaten als Ordnungskräfte eingesetzt wurden, war vor über 50 Jahren in Algerien. Wie Sie wissen, wurde damals sehr viel Blut vergossen.“

Das letzte Mal, dass die Armee auf französischem Boden gegen Arbeiter vorging, war ihr Einsatz während der vorrevolutionären Streiks von 1947–1948, der in einem Massaker endete. Als 350.000 Bergarbeiter damals in den Streik traten, besetzte die Armee die Bergwerke und erhielt die Erlaubnis, auf die Streikenden zu schießen. Das Ergebnis waren sechs Tote und tausende Verwundete und die Entlassung von 3.000 Bergarbeitern. Diese Entscheidung wurde 2011 juristisch als diskriminierend eingeschätzt.

In Algerien hatte die Armee tausende Menschen, die sich gegen den französischen Kolonialismus erhoben, gefoltert und getötet. Das war nur zehn Jahre, nachdem die Nazis und das Kollaborationsregime von Vichy die gleichen Methoden in Frankreich angewandt hatten. Dem Algerienkrieg fielen von 1954 bis 1962 mehr als 300.000 Menschen zum Opfer.

Diese historischen Ereignisse sind eine Warnung, welche Folgen ein Armeeeinsatz gegen die Arbeiterklasse hat. Sie bestätigen die Strategie, die der Parti de l’égalité socialiste (PES) in Bezug auf die Bewegung der „Gelbwesten“ vorschlägt. Der PES fordert alle Arbeiter, die sich weltweit mehr und mehr von den Gewerkschaften und bürgerlichen Parteien distanzieren, dazu auf, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen. Er betont die Notwendigkeit, dass solche Aktionskomitees der Arbeiterklasse in Frankreich, Europa und weltweit die Staatsmacht übernehmen.

Außerdem muss der PES als Partei, als Alternative zu den kleinbürgerlichen Parteien, aufgebaut werden. Die meisten „Gelbwesten“ lehnen diese pseudolinken Parteien ohnehin ab, weil sie versuchen, die Arbeiter an Macron zu fesseln, und den Arbeitern vorschlagen, mit ihm und den Gewerkschaften zusammen eine Demokratisierung der Gesellschaft auszuhandeln.

Am Freitag schlossen sich mehrere dieser Parteien hinter einem gemeinsamen Appell an Macron zusammen. Darunter befanden sich die französische Kommunistische Partei, die Neue Antikapitalistische Partei, Die Grünen, Jean-Luc Mélenchons Bewegung La France Insoumise und die Unabhängige Demokratische Arbeiterpartei.

Sie kritisierten „die autoritären Exzesse der Regierung“ und bettelten Macron an, sie nicht länger zu ignorieren und mit ihnen zu verhandeln, um die Lage zu beruhigen. „Die Missachtung der sozialen, ökologischen und gewerkschaftlichen Bewegungen, die Verachtung für diejenigen, die die Wahrheit sagen, verhindert jeden Dialog und jedes positive Ergebnis für die Krise unserer Zeit … Die Beruhigung der Spannungen, die wir wünschen, erfordert, dass die Staatsmacht konkret auf die Wünsche nach sozialer Gerechtigkeit eingeht, die in unserem Land so hoch im Kurs steht.“

Aber mit Macron gibt es nichts zu verhandeln. Indem er die Armee gegen die „Gelbwesten“ schickt, demonstriert er unmissverständlich, dass die Finanzaristokratie und die Staatsorgane nicht die Absicht haben, den Bestrebungen der Arbeiterklasse Gehör zu schenken. Vielmehr sind sie entschlossen, diese Bestrebungen zu zerstören und wenn nötig im Blut zu ertränken.

Die aktuelle Krise entlarvt den völligen Bankrott jeder Strategie, die Arbeiter an kapitalistische Politiker und den kapitalistischen Staat zu fesseln. Bei der Wahl von 2017 passten sich diese Parteien alle an die offizielle Propaganda an, Macron sei das kleinere Übel gegenüber der neo-faschistischen Kandidatin Marine Le Pen. Mittlerweile hat sich Macron als Bewunderer des faschistischen Diktators Philipp Pétain zu erkennen gegeben, und jetzt schickt er die Armee gegen die „Gelbwesten“. Diese Propaganda entlarvt sich als blanker Betrug.

Angesichts von Macrons Drohung gegen die Arbeiter geht es jetzt darum, unabhängige Organisationen der Arbeiterklasse und Parteien des Internationalen Komitees der Vierten Internationale als revolutionäre Avantgarde aufzubauen.

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