Goodyear-Dunlop in Hanau: Arbeiterstimmen zum drohenden Stellenabbau

Der Reifenhersteller Goodyear-Dunlop setzt seinen Stellenabbau fort und hat angekündigt, in den Werken in Fulda und Hanau 1100 Arbeitsplätze zu streichen. Betriebsrat und SPD-Politiker loben die gleichzeitig versprochenen Investitionen und versuchen, die Auswirkungen für die Arbeiter herunterzuspielen. Doch unter den Arbeitern haben die Ankündigungen große Unruhe hervorgerufen.

Schichtwechsel bei Goodyear-Dunlop in Hanau

Das stellte ein Team der World Socialist Web Site (WSWS) in Gesprächen mit Hanauer Arbeitern fest. Während des Schichtwechsels am Donnerstag drückten viele Kollegen ihre Sorge darüber aus, dass in der Produktion jede dritte Stelle abgebaut werden soll. Im Hanauer Werk, das vor wenigen Monaten sein 125-jähriges Bestehen gefeiert hatte, sollen über 600 von noch 1400 Arbeitesplätzen abgebaut werden.

Die WSWS hatte über den geplanten Stellenabbau berichtet und auf den Zusammenhang mit der europaweiten und globalen Krise in der Autoindustrie hingewiesen. Sie rief Arbeiter dazu auf, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen.

„Die Angriffe auf eure Arbeitsplätze sind Teil eines regelrechten Jobmassakers, das zurzeit hunderttausende Arbeiter betrifft“, sagte Marianne Arens, Europa-Kandidatin der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), am Donnerstag in Hanau. „Zuvor hat Goodyear-Dunlop schon die Werke in Amiens und Philippsburg geschlossen. Es wird Zeit, dass sich Arbeiter unabhängig von der Gewerkschaft weltweit zusammenschließen und für eine sozialistische Lösung kämpfen!“

Praktisch alle Arbeiter nahmen den Flyer interessiert mit, viele blieben auf ein kurzes Gespräch stehen, und einige sagten, sie seien selbst auch für Sozialismus. Mehrere erklärten, sie erhofften sich auch in Deutschland bald eine Bewegung wie die „Gelbwesten“ in Frankreich.

Dogan im Gespräch mit Marianne Arens (SGP)

Dogan, ein langjähriger Goodyear-Dunlop-Arbeiter, sagte zum Stellenabbau: „Es liegt am Kapitalismus, das ist einfach so. Wenn sie die Leute nicht mehr brauchen, dann schmeißen sie sie raus. Das ist das System, in dem wir leben – nicht nur hier, sondern weltweit.“

Viele Arbeiter würden gerne etwas dagegen tun, fuhr Dogan fort. „Wie du siehst, habe ich selbst schon eine gelbe Weste an!“ Das Problem bestehe aber darin, „dass die Leute, die uns als Arbeiter angeblich vertreten – die Gewerkschaftsführer oder die SPD-Politiker – selber auf der Seite der Kapitalisten stehen.“

Zwei Kollegen, die von der Frühschicht kamen, fragten halb im Ernst: „Wo geht’s denn hier zur Demo?“ Einer sagte mit Blick auf den Wahlaufruf der SGP („Gegen Nationalismus und Krieg!“): „Dagegen bin ich auch, hundertprozentig! Eigentlich bin ich auch Sozialist.“

Ein Arbeiter nimmt den Flyer „im Flug“

Wie sich zeigte, haben die meisten Arbeiter kaum Illusionen in den Betriebsrat und die Gewerkschaftsführer der IG BCE. Einer sagte: „Die heben nur die Hand, wenn es darum geht, Leute zu entlassen.“ Die Betriebsräte seien dafür da, die Listen derjenigen aufzustellen, die gehen müssten.

Die Gewerkschaft IG BCE hat zum Stellenabbau schriftlich die Forderung aufgestellt, „dass sich das Unternehmen neben den Verhandlungen zu einem Sozialplan klar zu den beiden Standorten [Hanau und Fulda] bekennt“ – mit andern Worten, die Gewerkschaft akzeptiert offiziell die Propaganda, dass es für die Sicherung des Standorts notwendig sei, Arbeitsplätze zu vernichten. Genau diese Lüge dient dazu, die Arbeiter zu spalten und ein Werk nach dem andern dicht zu machen.

Ein Arbeiter bezeichnete das als „Lobbywesen“, an dem sich der Betriebsrat beteilige. „Damit leben sie ja gut“, setzte er hinzu. Ein anderer erzählte, der Betriebsrat habe ihnen gegenüber behauptet, von dem anstehenden Arbeitsplatzabbau nichts gewusst zu haben. „Da musste ich schon lachen.“

Mehrere erklärten, dass sie als Leiharbeiter im Betrieb schuften müssten und jetzt fürchteten, als erste entlassen zu werden. Zurzeit sind im Hanauer Betrieb noch etwa 120 bis 150 Leiharbeiter beschäftigt. Der Betrieb hatte etwa 280 Leiharbeiter, davon sind aber schon die Hälfte entlassen worden.

Arbeiter berichteten von harten Bedingungen, und dass im Hanauer Reifenwerk viele bis heute im Akkord arbeiteten. Ein türkischer Kollege, der schon fast dreißig Jahre im Werk ist, berichtete, es herrsche eine strenge Kontrolle: „Wenn du eine Pause brauchst, musst du dich melden, und dann wird kontrolliert, wie viele Minuten du weg bleibst. Das ist manchmal schon anstrengend.“

Er fuhr fort: „Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn sie mich jetzt entlassen.“ Er habe Familie, für die er sorgen müsse. „Wenn ich eine Abfindung bekomme, dann muss ich als erstes meine Schulden abbezahlen – was bleibt dann noch übrig?“ Er sei nicht der einzige, sagte er, der auch nach drei Jahrzehnten harter Arbeit im Werk nur Schulden habe. „Viele Kollegen, die für die Familie, ein Haus oder ihr Auto Geld aufnehmen mussten, fürchten jetzt, alles zu verlieren.“

Für den 58-jährigen Norbert, einen gelernten Reifenmechaniker, stellt sich die Lage etwas anders dar. Er hat sein ganzes Leben im Werk verbracht, und ihn interessiert im Moment vor allem, wie hoch die Abfindung wohl ausfallen werde. Er denke schon seit längerem ans Aufhören, sagte er. „Wenn die Abfindung stimmt, ist es für mich kein Drama, dann höre ich auf. Aber für die jüngeren Kollegen ist es schlimm“, räumte Norbert ein.

In Hanau fürchte er momentan keine Werkschließung, sagte er weiter: „Wenn das Unternehmen tatsächlich über hundert Millionen Euro investiert, dann haben die auch vor, noch eine Weile hier zu bleiben. Hanau und Fulda – das sind wohl die Werke, die am längsten überleben. Auch Elektroautos brauchen schließlich Reifen.“

Ein anderer konterte, dass die hundert Millionen bisher nur angekündigt seien. „Vielleicht ist es nur Propaganda.“ Er erzählte, er habe seinen Vorgesetzten gefragt, wozu die versprochenen Millionen in Hanau und Fulda verwendet würden? Darauf habe er keine Antwort erhalten. „Jedenfalls geht es nicht darum, die Bedingungen für die Arbeiter zu verbessern“, setzte er hinzu.

Auch Norbert gab zu, dass der Konzern jeden Stellenabbau, den er für notwendig erachte, rücksichtslos durchsetze. „Es stimmt auch, dass der Betriebsrat bisher jedesmal zugestimmt hat. Von der IG BCE hörst du als Arbeiter wenig“, sagte er und berichtete, was nach der deutschen Wende von 1989 geschah. Damals waren bei der Übernahme der ostdeutschen Reifenwerke Riesa und Fürstenwalde mehrere tausend Arbeitsplätze abgebaut worden. „Sie haben sich gebrüstet, im Osten 700 Arbeitsplätze erhalten zu haben. Nein! Da waren ursprünglich bis zu 11.000 Arbeiter beschäftigt. Die meisten von ihnen wurden arbeitslos.“

Goodyear-Dunlop Arbeiter

Mehrere erklärten, dass ihnen auch das Beispiel der Werksschließungen in Philippsburg und im französischen Amiens nicht verborgen geblieben sei.

In Amiens hatten im Januar 2014 durch die Schließung des Goodyear-Werks 1134 Kollegen ihren Arbeitsplatz verloren. Sieben von ihnen wurden in den folgenden Jahren wegen sogenannten „Bossnappings“ vor Gericht gezerrt und Anfang 2017 zu Bewährungsstrafen bis zu einem Jahr verurteilt, weil sie während einer Betriebsbesetzung zwei Manager einige Stunden lang festgehalten hatten. Die Gewerkschaften – sowohl die französische CGT als auch die deutsche IG BCE – hatten diesen Arbeitskampf isoliert und die Werksschließung akzeptiert.

Die IG BCE weigerte sich damals, Arbeiter der deutschen Standorte zum gemeinsamen Arbeitskampf aufzurufen, um die Arbeitsplätze in Amiens zu verteidigen, und genauso verhielt sich die Gewerkschaft auch später, im Jahr 2017, als das Werk in Philippsburg mit zuletzt 860 Kollegen geschlossen wurde.

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