Deutsche Medien denunzieren Assange

Liest man die Kommentare der deutschen Medien über die Verhaftung von Julian Assange, kann man nur folgern, dass es um Demokratie und Pressefreiheit in Deutschland schlecht bestellt ist.

Der Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks wurde wie ein Schwerverbrecher aus seiner Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft in London geschleppt und muss mit seiner Auslieferung an die USA rechnen, weil er Verbrechen des US-Militärs im Irak, die Zustände im Gefangenenlager Guantanamo, die illegale Zusammenarbeit von BND und NSA und viele andere staatliche Verbrechen an die Öffentlichkeit gebracht hat.

Die illegale Beendigung seines Asyls und seine Verhaftung kennzeichnen einen politischen Wendepunkt. Sie verfolgen das Ziel, Assange für immer zum Schweigen zu bringen und ehrliche Journalisten einzuschüchtern. Wer Kriegsverbrechen, Korruption oder illegale Machenschaften der Geheimdienste aufdeckt, muss künftig mit Verfolgung und hohen Strafen rechnen.

Trotzdem finden sich in den deutschen Medien keine Silbe des Protests und kaum ein kritisches Wort. Die Reaktionen reichen von unverhohlenem Jubel über zynische Gleichgültigkeit bis zu abwägender Neutralität. Den Schreiberlingen in den Redaktionsstuben fehlt offensichtlich das Rückgrat, sich staatlicher Willkür zu widersetzen.

Am übelsten treibt es Bild, das Hetzblatt aus dem Hause Springer, dessen Hauptaktionärin Friede Springer eng mit Bundeskanzlerin Angela Merkel befreundet ist.

„Seine Verhaftung ist rechtens und richtig“, schreibt Bild und entwickelt einen Begriff von Freiheit und Demokratie, der jedem Diktator gut anstehen würde: „Die Veröffentlichung gestohlener, geheimer, hochsensibler Daten war kein Dienst an der Freiheit, sondern ein Messer in ihren Rücken“, heißt es in dem Kommentar. Und: „Assanges Krieg gegen staatliche Strukturen wurde zum Kampf gegen die westliche Freiheit.“

Besonders übel nehmen Bild und zahlreiche andere Zeitungen Assange, dass Wikileaks interne Dokumente über Hillary Clinton veröffentlicht hat, die demokratische Kandidatin im US-Präsidentenwahlkampf. Die längst widerlegte Behauptung, Wikileaks habe dabei als verlängerter Arm Moskaus gehandelt, wird ebenso penetrant wiederholt, wie die Unterstellung, Assange sei für den Wahlsieg Donald Trumps verantwortlich.

In Bild heißt es, die Veröffentlichung der Clinton-E-Mails sei „perfekt orchestriert“ gewesen, „um ihr – und der amerikanischen Demokratie – den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Das Ziel war nicht (nur) der Wahlsieg von Donald Trump, sondern die Erosion der amerikanischen Institutionen.“

Die Grünen-nahe taz schreibt, Assange habe in den letzten Jahren wegen „seiner mehr oder weniger deutlichen Wahlkampfhilfe für Donald Trump“ in der linksliberalen Öffentlichkeit viele Sympathien verspielt.

Das offenbart, milde gesagt, ein sehr merkwürdiges Berufsverständnis von Journalismus. Die Dokumente, die die engen Verbindungen Clintons zur Wall Street und die Sabotage des Wahlkampfs von Bernie Sanders durch die demokratische Parteizentrale aufdeckten, waren nämlich unbestritten authentisch. Aber laut Assanges Kritikern hat die Öffentlichkeit kein Recht auf die Wahrheit, wenn sie ihren eigenen politischen Zielen im Weg steht. Tatsächlich gewann Trump die Wahl nicht wegen den Enthüllungen von Wikileaks, sondern weil die ehemalige Außenministerin Clinton wegen ihren Kriegsverbrechen und ihren engen Verbindungen zur Hochfinanz, zum Militär und zu den Geheimdiensten unter Arbeitern tief verhasst war.

Auch die Online-Ausgabe der Rheinischen Post jubelte über die Verhaftung von Assange. Man könne „die Entscheidung der ecuadorianischen Regierung, das Asyl aufzuheben, nur begrüßen“, kommentierte sie. „Julian Assange muss jetzt für seine Taten Konsequenzen tragen. Das kann nur richtig sein.“

Einen besonders gehässigen Artikel hat Jannis Brühl, der als ehemaliger Arthur-F.-Burns-Stipendiat über enge Verbindungen zu US-Medien verfügt, in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. Er empört sich darüber, dass Assange „die Welt auch noch aus seiner Notunterkunft in London erschüttern konnte“, Besucher empfangen durfte und „zumindest zeitweise Zugang“ zum „Wikileaks-Twitter-Account mit 5,4 Millionen Followern“ hatte.

Nicht genug, dass Assange wegen der äußerst realen Gefahr, an die USA ausgeliefert zu werden, sieben Jahre unter unerträglichen Umständen in der ecuadorianischen Botschaft zubringen musste, das letzte ohne Zugang zu Kommunikation und Internet. Ginge es nach Brühl, hätte man ihn vollständig isolieren müssen.

Am nächsten Tag musste die Süddeutsche eingestehen, dass die inzwischen veröffentlichte Anklageschrift der US-Justiz die Pressefreiheit bedroht. Sie sei „eine schockierend kriminalisierende Beschreibung von absolut angemessenen journalistischen Vorgehensweisen“. Unter anderem klage sie Assange an, weil er seine Quelle geschützt, sich mit Informanten über einen verschlüsselten Chat-Service abgesprochen und diese ermutigt habe, ihm „Informationen und Dokumente von US-Regierungsstellen zu übergeben“. Wenn das nicht erlaubt sei, könne man „jede Art von kritischem Recherchejournalismus einstellen“.

Der Tagesspiegel denunzierte Assange als „Star mit Guru-Status“, dessen „Pilger nun aufgebracht sein werden“. Er sei „schräg, grotesk, konfus, überspannt, unerwachsen, verantwortungslos“.

Vor einigen Jahrzehnten gab es auch unter bürgerlichen Journalisten noch ein Bewusstsein für demokratische Werte. 1962 wanderte Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein ins Gefängnis, weil er Aufrüstungspläne der Bundeswehr enthüllt hatte. Whistleblower wie Daniel Ellsberg, Bob Woodward und Carl Bernstein, die die Pentagon Papers und den Watergate-Skandal enthüllten, fanden Unterstützung und wurden geehrt.

Heute hat der bloße Gedanke, dass Medien mehr seien als ein getreues Sprachrohr der Obrigkeit, Seltenheitswert. Der Hauptgrund dafür ist die Rückkehr des Klassenkampfs. Mit der Verschärfung der sozialen Spannungen und der wachsenden Opposition gegen die offizielle Politik, rücken Regierung, Parteien und Medien enger zusammen und gemeinsam nach rechts.

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