Perspektive

Julian Assange in Lebensgefahr

Seit der Verhaftung des WikiLeaks-Gründers Julian Assange am Donnerstag letzter Woche in London betreiben die Regierungen der USA, Großbritanniens und Ecuadors die Überstellung des Whistleblowers in die USA, wo hinter den Kulissen eine Anklage unter dem Spionagegesetz gegen ihn vorbereitet wird. Julian Assanges Leben und seine Freiheit sind unmittelbar in Gefahr. Alle Anhänger der Meinungsfreiheit müssen jetzt aktiv werden, um zu verhindern, dass er der amerikanischen Regierung in die Hände fällt.

Daniel Ellsberg, der damals für die Rand Corporation tätig war, übergab der Washington Post vor mehr als 40 Jahren Beweise für das rechtswidrige Vorgehen der US-Regierung im Vietnamkrieg. Am Donnerstag letzter Woche erklärte Ellsberg nun:

„Das ist ein sehr schwerer Angriff auf den ersten Zusatzartikel zur Verfassung [Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit]. Ein klarer Versuch, die Pressefreiheit aufzuheben ... Es ist die erste Anklage gegen einen Journalisten und Herausgeber oder Verleger, in diesem Fall Julian Assange. Und wenn sie durchkommt, wird es nicht die letzte sein. Dies ist eindeutig Bestandteil von Präsident Trumps Krieg gegen die Presse, die er als Staatsfeind bezeichnet. Und wenn es ihm gelingt, Julian Assange hinter Gitter zu bringen – meiner Meinung nach auf Lebenszeit, sofern er überhaupt dort ankommt –, dann wird ihm in der ersten Anklage vermutlich eine Straftat vorgeworfen, die mit wenigen Jahren Haft bewehrt ist. Aber das ist wahrscheinlich nur die erste von vielen.“

Der offizielle Vorwand, unter dem Assange ausgeliefert wird, ist eine durchsichtige Lüge. In einer Anklageschrift, die zunächst unter Verschluss gehalten und am 11. April veröffentlicht wurde, wirft ihm das US-Justizministerium lediglich vor, gegen ein Bundesgesetz verstoßen zu haben, das Verschwörungen zum Eindringen in Computer von Regierungsbehörden verbietet.

Die Tatsache, dass für diese Straftat nur eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren vorgesehen ist und sie nicht unter das Spionagegesetz fällt, bietet allen Beteiligten eine Rechtfertigung für die Auslieferung von Assange an die Amerikaner. Denn im Auslieferungsabkommen zwischen den USA und Großbritannien wird eine Überstellung wegen „politischer Delikte“, einschließlich Spionage, explizit ausgeschlossen. Unter Berufung auf die Anklageschrift des US-Justizministeriums kann die britische Regierung nun vor Gericht argumentieren, dass diese Einschränkung der Auslieferung Assanges nicht im Wege steht.

Die ecuadorianische Regierung ihrerseits kann Assanges Asyl mit der Begründung widerrufen, dass ihm aufgrund der Anklage nicht die Todesstrafe drohe.

In Wirklichkeit wird Assange, sobald er sich in den Händen der US-Justiz befindet, sehr bald mit einer Reihe weiterer Anklagen einschließlich Spionage konfrontiert sein. Die Versuche, die Bedrohung der Pressefreiheit und die Bedeutung der Anklage herunterzuspielen, zielen darauf ab, die Bevölkerung einzulullen und von den Kernfragen der Meinungsfreiheit abzulenken.

Schon die Formulierung der Anklage macht deutlich, dass die US-Regierung Assange ungeachtet der Straftat, die ihm als Schlussfolgerung offiziell vorgeworfen wird, letztlich aus politischen Gründen ins Visier nimmt. Es heißt darin: „Der Hauptzweck der Verschwörung bestand darin, [Chelsea] Manning zu helfen, geheime Informationen mit Bezug auf die nationale Verteidigung der Vereinigten Staaten zu beschaffen und weiterzugeben, damit WikiLeaks diese auf seiner Website öffentlich bekanntmachen konnte.“

Die Informationen, die WikiLeaks der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte, umfassten laut Anklageschrift „etwa 90.000 wichtige Tätigkeitsberichte im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg, 400.000 wichtige Tätigkeitsberichte im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg, 800 Beurteilungen von Häftlingen in Guantanamo Bay und 250.000 Telegramme des US-Außenministeriums. Viele dieser Unterlagen wurden gemäß der von Barack Obama unterzeichneten „Order No. 13526“ im Jahr 2009 als geheim eingestuft. Ihre Veröffentlichung, so die Anklageschrift, „war nach vernünftigem Ermessen geeignet, der nationalen Sicherheit schweren Schaden zuzufügen“.

Diese Wortwahl lehnt sich an das Spionagegesetz an, das die Veröffentlichung von Informationen „mit Bezug auf die nationale Verteidigung“ verbietet. Nach dem Spionagegesetz macht sich strafbar, wer solche Informationen „mitteilt, aushändigt oder überträgt oder deren Mitteilung, Aushändigung oder Übertragung herbeiführt“.

Die Anklageschrift ist so formuliert, dass sowohl Assange als auch Manning nach diesem Gesetz strafrechtlich verfolgt werden könnten. Mit der ausdrücklichen Ankündigung, dass Assange aufgrund der Aktivitäten von Manning verfolgt wird, gibt die Regierung zu erkennen, dass auch Mannings Zukunft in Gefahr ist. Tatsächlich sind die ersten beiden Worte der Anklageschrift: „Chelsea Manning“.

Des Weiteren bestätigt diese Formulierung die Bedeutung der Dokumente, die letztes Jahr „versehentlich“ von der Staatsanwaltschaft freigegeben wurden. Darin wird die Forderung nach Assanges Auslieferung mit dem Vorliegen von „Straftaten“ (im Plural) begründet. Die Staatsanwälte beriefen im Zuge der Ermittlungen gegen Assange spätestens 2011 eine geheime Grand Jury ein, und 2012 beantragte die US-Regierung Genehmigungen zum Abhören von WikiLeaks-Mitarbeitern aufgrund von Spionagevorwürfen.

Um zu glauben, dass mehr als acht Jahre lang eine geheime Grand Jury zusammentreten musste, nur damit Assange wegen einer Passwortmanipulation angeklagt werden konnte, muss man entweder ein Komplize dieser Machenschaften oder hoffnungslos naiv sein.

Die Reaktion führender Politiker in den USA und auch ihre früheren Äußerungen machen deutlich, dass die herrschende Elite darauf brennt, Assange habhaft zu werden und ihn auf Lebenszeit einzusperren oder sich noch schlimmer zu rächen.

Der Fraktionsführer der Demokraten im Senat, Charles Schumer, twitterte: „Ich hoffe, er wird bald dafür zur Rechenschaft gezogen, dass er sich im Interesse Putins und der russischen Regierung in unsere Wahlen eingemischt hat.“ Senator Mark Warner von den Demokraten nannte Assange „einen direkten Beteiligten an den Bemühungen Russlands, den Westen zu schwächen und die amerikanische Sicherheit zu untergraben“. Er fuhr fort: „Ich hoffe, dass britische Gerichte ihn schnell in US-Gewahrsam überführen werden, damit er endlich seine verdiente Strafe erhält.“

Die strafrechtliche Verfolgung von Assange auf der Grundlage des unbegründeten Vorwurfs der „Einmischung“ im Dienste Russlands würde eine Anklage wegen Spionage bedingen.

Im Stil eines Kerkermeisters, der ein Opfer in Empfang nimmt, erklärte der demokratische Senator Joe Manchin: „Er gehört uns, und wir können jetzt von ihm die Fakten und die Wahrheit erfahren.“ Legt man diese Aussage zugrunde, so wird Assange zum Zwecke der Vernehmung in die USA überführt. Dann würde es sich aber nicht um eine einfache Auslieferung, sondern um eine außerordentliche Überstellung handeln.

Überdies war Assange in den letzten Jahren in der Presse und von staatlicher Seite mit offenen Morddrohungen konfrontiert. Der rechte Radiojournalist Rush Limbaugh forderte, man müsse ihm „eine Kugel ins Gehirn“ jagen. Der ehemalige Fox-News-Moderator Bill O'Reilly wandte sich direkt an Assange: „Wir werden dich hängen.“ Der ehemalige Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus Newt Gingrich sagte: „Julian Assange ist an Terrorismus beteiligt und sollte wie ein feindlicher Kämpfer behandelt werden.“ Vizepräsident Joe Biden, ebenfalls Demokrat, nannte Assange einen „High-Tech-Terroristen“. Der Parteifunktionär der Demokraten Bob Beckel sagte: „Dieser Kerl ist ein Verräter“, und die USA sollten „den Hurensohn standrechtlich erschießen“.

Ein weiterer Zweck der jetzigen Anklage besteht darin, den korrupten und verlogenen Medien einen Vorwand zu liefern, die Verhaftung Assanges zu begrüßen. Besonders die New York Times und die Washington Post haben die Anklage auf kriminelle Weise heruntergespielt, indem sie behaupteten, dass aufgrund des relativ geringfügigen Delikts keine Gefahr für die freie Meinungsäußerung bestehe.

In einem Kommentar der Redaktion schrieb die New York Times am 11. April: „In ihrer Anklage wirft die Regierung Julian Assange, dem Gründer von WikiLeaks, nicht die Veröffentlichung geheimer Regierungsunterlagen, sondern deren Diebstahl vor, und weicht damit – vorerst – den wesentlichen Fragen nach dem ersten Verfassungszusatz aus.“

Der einzige Anklagepunkt gegen Assange, so die Times, bedeute, dass „die Unterscheidung zwischen einem Journalisten, der mithilfe undichter Stellen Machtmissbrauch aufdeckt – was traditionelle Zeitungen wie die Times ständig tun – und einem ausländischen Agenten, der die Sicherheit der Vereinigten Staaten durch Diebstahl oder Ausflüchte zu untergraben versucht“, „nicht unmittelbar in Frage gestellt wird“. Die Regierung habe „gut daran getan, Assange wegen einer unbestreitbaren Straftat anzuklagen“.

Der Leitartikel der Washington Post trägt den Titel: „Julian Assange ist kein Held der Pressefreiheit. Und es ist längst überfällig, dass er sich persönlich verantwortet.“

Die Post schrieb: „Der Fall Assange könnte am Ende zum Sieg für die Rechtsstaatlichkeit werden, und nicht zur Niederlage für die bürgerlichen Freiheiten, wie seine irregeleiteten Verteidiger warnen“. Die Post bezeichnete die Bedenken wegen Assanges Sicherheit als „Pro-WikiLeaks-Propaganda“. Die Tatsache, dass Assange nicht wegen Verstoßes gegen das Spionagegesetz angeklagt werde, beweise, dass „seine Furcht um sein Leben nicht berechtigt war, denn es war weder durch CIA-Attentäter noch durch die Todesstrafe nach einer Auslieferung an die USA bedroht“.

Die Post erklärte, Großbritannien solle „keine Angst haben, dass die Pressefreiheit gefährdet wird, wenn es ihn auf der Grundlage des Hacking-Vorwurfs vor Gericht schickt“, denn Assange habe sich „unethisch“ und nicht wie ein „wahrer Journalist“ verhalten. Er habe „der Öffentlichkeit Dokumente vor die Füße geworfen, ohne sich die Mühe zu machen, deren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, und ohne den darin benannten Personen eine Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben“.

Ausgerechnet die New York Times und die Washington Post maßen sich an, über „wahren Journalismus“ zu predigen! Dabei haben sie sich selbst als bloße Propagandaorgane des Staats erwiesen.

Die Times verbreitete kritiklos die falschen Behauptungen der Bush-Administration über „Massenvernichtungswaffen“ im Irak, und die Post ist Eigentum von Jeff Bezos, dem milliardenschweren CEO von Amazon, der kürzlich mit dem Pentagon einen Dienstleistungsvertrag im Wert von 600 Millionen Dollar abgeschlossen hat.

Die Verschwörung gegen Assange unterstreicht, dass es im politischen Establishment und in den Leitmedien keinerlei Unterstützung für die Verteidigung demokratischer Rechte mehr gibt. Wenn Ellsberg der Post heute Fotokopien von Berichten anbieten würde, die Rand im Auftrag des Pentagon über die Kriegsführung der USA erstellt hätte, würde die Post das FBI anrufen und ihn wegen Gefährdung der „nationalen Sicherheit“ verhaften lassen.

Die betuchten Leser der Times und der Post mögen sich einreden lassen, dass Assange Russland unterstützt habe, als er Beweise dafür veröffentlichte, dass Hillary Clinton Hunderttausende von Dollar kassierte, um Bankern und Konzernchefs auf privaten Versammlungen zu versichern, dass sie als Präsidentin ihre Interessen vertreten würde. Unterdessen machen die Demokraten gemeinsame Sache mit den Führern des Militärs und der Geheimdienste, die für die Verbrechen verantwortlich sind, die Assange aufgedeckt hat. Die Demokraten unterstützen den Angriff der Regierung auf Assange. Daran zeigt sich der der reaktionäre Charakter ihrer Opposition gegen Trump.

Die Verteidigung von Julian Assange, Chelsea Manning und Edward Snowden ist nun eine zentrale politische Frage für die Arbeiterklasse. Die Einstellung zu diesen Whistleblowern hängt weitgehend von der Klassenzughörigkeit ab. Die herrschende Klasse geht gegen die freie Meinungsäußerung und die Pressefreiheit vor, weil sich der Klassenkonflikt weltweit zuspitzt.

Die Sozialistische Gleichheitspartei und die World Socialist Web Site rufen alle, die es ernst meinen mit der Verteidigung demokratischer Rechte, dazu auf, sich dem Kampf zur Verteidigung von Assange, Manning und Snowden anzuschließen. Arbeiter und Jugendliche müssen sofort international aktiv werden, um diese Gefangenen des Klassenkampfs zu verteidigen. Ihr Leben hängt davon ab.

Der Kampf für die Freiheit von Assange ist die Speerspitze des politischen Kampfes zur Verteidigung demokratischer Rechte, gegen imperialistischen Militarismus und Kapitalismus. Die Verteidigung der Whistleblower hängt davon ab, dass die Kraft der Arbeiterklasse eingesetzt wird.

Nick Beams vom Nationalkomitee der Socialist Equality Party (Australien) erklärte bei der außerordentlichen Kundgebung am vergangenen Freitag in Sydney: „Der Angriff auf die Demokratie ist ein Symptom für eine schwere Krankheit. Es gibt keine Verteidigung der Demokratie, ohne das Problem an der Wurzel anzugehen. Es liegt im Profitsystem des globalen Kapitalismus, ein System in der Krise, das seine historische Rolle ausgespielt hat und nun die demokratischen Rechte, für die es einst stand, zerstören und in den Schmutz treten muss. Zur Verteidigung der Demokratie müssen wir den Kampf für eine sozialistische Perspektive aufnehmen. Nur dann kann die Welt von all den Schrecken befreit werden, die der Kapitalismus hervorbringt.“

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