Streiks bei Amazon und im Einzelhandel

In der Woche vor Ostern haben Beschäftigte in fünf Amazon-Warenzentren und weiteren Einzel- und Versandhandelsunternehmen gestreikt und gemeinsam demonstriert.

Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), die zu den Streiks aufgerufen hatte, forderte erneut die Übernahme des Einzelhandelstarifs für die Amazon-Beschäftigten. Doch die punktuellen Streiks, die Verdi seit 2013 immer wieder führt, stören den Betriebsablauf des weltgrößten Internet-Versandhändlers kaum. Amazon zeigt sich daher bisher unbeeindruckt von den Streiks und Protesten.

In Rheinberg und Werne (Nordrhein-Westfalen) streikten die Amazon-Beschäftigten von Montag bis Donnerstag, in Bad Hersfeld (Hessen) legten sie am Montag und Dienstag, in Leipzig (Sachsen) am Mittwoch und Donnerstag und in Koblenz (Rheinland-Pfalz) am Montag die Arbeit nieder.

In Nordrhein-Westfalen und Hessen verband die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) die Proteste mit den am Donnerstag in Düsseldorf begonnenen Tarifverhandlungen für den Einzelhandel. Verdi fordert 6,5 Prozent und mindestens 163 Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten.

Am Mittwochvormittag organisierte die Gewerkschaft Protestmärsche von Beschäftigten, die ohne gewerkschaftlich ausgehandelten Tarif arbeiten, in Duisburg, Dortmund und Bad Hersfeld. Die Arbeiter von Amazon fordern seit 2013 die Übernahme des Tarifvertrags des Einzelhandels und geben nicht auf, für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

In Duisburg versammelten sich rund 500, in Bad Hersfeld rund 350 und in Dortmund rund 300 Beschäftigte von Amazon, Tedi (Discount-Markt), Obi (Baumarkt), Douglas (Kosmetik), Smyths Toys (Spielwaren) und Porta Möbel Logistik zu Protesten. Diese Unternehmen sind alle nicht tarifgebunden. Arbeiter des Dortmunder Tedi-Zentrallagers hatten sich schon am Dienstag dem Streik der Amazon-Arbeiter angeschlossen.

Diese großen, europaweit und international agierenden Einzelhandelsketten maximieren ihre Profite auf dem Rücken der Beschäftigten.

Die in mehr als 20 Ländern tätige Parfümerie-Kette Douglas mit Sitz in Düsseldorf gehört seit 2015 dem Finanzinvestor CVC Capital Partners. Die Kette setzte zuletzt 3,3 Milliarden Euro im Jahr um und ist Marktführer in Europa.

Der Tedi-Discounter gehört zum Einzelhandelskonzern Tengelmann. In acht europäischen Ländern unterhält der Ableger der Tengelmann-Textiltochter KiK 2100 Filialen und eröffnet jede Woche drei neue Läden. Auch die Baumarkt-Kette Obi gehört zum größten Anteil zur Tengelmann-Gruppe. Obi ist Marktführer in Deutschland.

Der irische Konzern Smith Toys übernahm 2018 das gesamte Filial- und Onlinegeschäft der ehemaligen Kette „Toys ‚R‘ Us“ im deutschsprachigen Raum.

Im europäischen Einzelhandel herrscht ein mörderischer Konkurrenzkampf, der sich in Konzern-Übernahmen, Filial-Schließungen und Handelszusammenschlüssen äußert. Gleichzeitig stieg der Umsatz im Ladeneinzelhandel in den letzten beiden Jahren jeweils um rund 2 Prozent, auch Deutschland verzeichnet seit zehn Jahren ununterbrochen Umsatzsteigerungen. Doch die Unternehmen tragen ihren Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten aus.

Gerade die großen Konzerne und Ketten lehnen eine auch nur halbwegs angemessene Bezahlung ab. Einige, wie Kaufhof und Karstadt, haben mit Verdi Tarifabweichungen vereinbart, andere, wie Amazon, lehnen jegliche Vereinbarung mit der Gewerkschaft ab.

Im Tarif des Einzelhandels NRW würden beispielsweise Kommissionierer bei einer 37,5-Stunden-Woche aktuell 2.298 Euro brutto im Monat verdienen. Amazon bezahlt in Deutschland je nach Einsatz und Bundesland bis zu 500 Euro weniger. Der Konzern orientiert sich nach eigenen Angaben am ebenfalls von Verdi ausgehandelten Tarif für die Speditions-, Logistik- und Transportwirtschaft.

Der weltgrößte Internet-Versandhandelskonzern ist weltweit bekannt für niedrige Löhne und extrem harte Arbeitsbedingungen. In rund 20 Ländern arbeiten 650.000 Menschen bei Amazon. Alle Standorte sind vernetzt, jeder Handschlag eines jeden Arbeiters wird kontrolliert und ausgewertet. Die lückenlose Kontrolle der Beschäftigten sowie ein ausgeklügeltes System, das sie antreibt, lassen Umsatz und Gewinn auf Kosten der Gesundheit der Arbeiter steigen.

In den riesigen Logistikzentren legen die Picker (Kommissionierer) pro Schicht zwischen 20 und 25 Kilometer zurück, manchmal auch mehr. Über die Arbeitsbedingungen hat ein Rheinberger Amazon-Arbeiter der WSWS vor eineinhalb Jahren ausführlich berichtet.

Dabei profitiert der Konzern von den Hartz-Gesetzen, die SPD und Grüne 2005 verabschiedeten, und der Rolle der Gewerkschaft Verdi. Sie haben Deutschland zum europäischen Land mit dem größten Niedriglohnsektor gemacht.

Amazon kann es sich leisten, niedrige Löhne zu bezahlen und die Arbeitshetze unerträglich zu steigern, weil kaum bessere Arbeitsplätze zu finden sind. Das zeigen die Erfahrungen von Amazon-Beschäftigten in Rheinberg, mit denen wir letzte Woche im Rahmen unserer Europawahlkampagne vor dem Tor sprachen.

Halit hatte vorher in einer Döner-Fabrik gearbeitet, für 1500 Euro brutto. „Acht Stunden am Tag Akkordarbeit“, berichtete er. „Nach fünf Jahren habe ich gefragt, ob ich 1800 Euro haben kann.“ Als das abgelehnt wurde, wusste Halit: „Ich muss hier raus und etwas anderes finden.“

Astrid war vor Amazon im Garten- und Landschaftsbau tätig. „Da habe ich 1200 Euro netto bekommen. Im Sommer hat man oft abends bis 20 Uhr gearbeitet, man konnte nichts planen.“

Hedwig Prescher

Hedwig Prescher arbeitet bei Kötter als Reinigungsfachkraft. Sie kam aus dem Amazon-Logistikzentrum heraus, weil sie dort nachts putzt. „Ich arbeite fünf Nächte die Woche, jeweils sieben Stunden.“ Mit 67 Jahren ist sie Rentnerin und müsste theoretisch nicht mehr arbeiten. „Aber meine Rente ist zu viel zum Sterben und zu wenig zum Leben. Die Kinder sind aus dem Haus. Mit dem Geld, das ich hier verdiene, kann ich mir wenigstens etwas leisten.“

Letztes Jahr setzte Amazon fast 200 Milliarden um und machte einen Gewinn von 3,9 Milliarden Dollar (rund 3,5 Milliarden Euro). Deutschland ist nach den USA der wichtigste Markt für Amazon. Inzwischen hat der Konzern in Deutschland 37 Standorte, betreibt zwölf Logistikzentren und beschäftigt nach eigenen Angaben rund 13.000 Festangestellte, Tendenz steigend. Aktuell soll in Sachsen-Anhalt ein neues Logistikzentrum mit bis zu 2000 Arbeitern entstehen.

Während sich die Amazon-Beschäftigten mit einem Hungerlohn begnügen müssen, verdient der Besitzer und oberste Chef von Amazon, Jeff Bezos, in einer Minute mehr als ein Arbeiter im ganzen Jahr. Bezos ist mit einem geschätzten Vermögen von 150 Milliarden Dollar der reichste Mensch der Welt. Würde man sein Vermögen auf alle 650.000 Beschäftigten verteilen, bekäme jeder Arbeiter über 200.000 Euro.

Die Gewerkschaft Verdi stellt die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und die obszöne Bereicherung Einzelner nicht in Frage. Ihr Hauptziel bestand von Anfang an darin, die Amazon-Geschäftsführung von ihrer Nützlichkeit als Partner und Co-Manager zu überzeugen. Das ist auch der Grund für ihre Streiktaktik. Die Gewerkschaft achtet sorgfältig darauf, den Geschäftsinteressen von Amazon nicht zu schaden.

Seit 2013 ruft Verdi immer wieder zu zeitlich begrenzten Schwerpunktstreiks auf. Doch sie hat die Amazon-Belegschaft noch nie an allen deutschen oder europäischen Standorten gemeinsam zum Streik aufgerufen. Das ermöglicht es dem Konzern, sein weit verzweigtes europäisches Logistiknetzwerk einzusetzen, um die Streiks zu unterlaufen. Wird in Rheinberg, Werne, Bad Hersfeld, Koblenz oder Leipzig gestreikt, müssen die Arbeiter in anderen Logistikzentren europaweit die Ausfälle übernehmen. Die Arbeitsniederlegungen haben daher bislang kaum Auswirkungen für den Amazon-Konzern gehabt.

Die Streiks verpuffen auch weitgehend wirkungslos, weil sich nicht alle Arbeiter an einem Standort am Streik beteiligen. Dabei wären sie durchaus bereit, zu kämpfen. Aber sie misstrauen der Gewerkschaft, die sie immer wieder ausverkauft hat.

Es ist offensichtlich, dass sich die Beschäftigten von Amazon und die der anderen großen Einzelhandelskonzerne international organisieren müssen. Die Sozialistische Gleichheitspartei als Teil der Vierten Internationale kämpft darum, Arbeiter unabhängig von den Gewerkschaften international zusammenzuschließen, um koordinierte Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen über alle Ländergrenzen hinweg vorzubereiten. Wir rufen zum Aufbau unabhängiger Aktionskomitees auf.

Wir setzen uns zum Ziel, der sozialen Ungleichheit ein Ende zu bereiten. In unserem Wahlaufruf heißt es: „Schon seit Jahren sinken die Löhne, steigt die Arbeitshetze, wächst der Niedriglohnsektor und zerfallen Schulen und Krankenhäuser, während sich eine kleine Minderheit hemmungslos bereichert.“ Wir kämpfen dafür, die großen Banken und Konzerne sowie die Vermögen der Superreichen zu enteignen. „Statt Profitinteressen müssen die Bedürfnisse der Menschen im Mittelpunkt stehen. Nur so können die sozialen Rechte aller gesichert werden.“ Dazu gehört auch das Recht auf einen angemessen bezahlten Arbeitsplatz.

Wir laden die Beschäftigten im Einzel- und Versandhandel ein, mit uns Kontakt aufzunehmen, um diese Fragen zu diskutieren..

Loading