Wahlversammlungen der SGP in Dresden, Köln und Stuttgart

Vergangene Woche führte die Sozialistische Gleichheitspartei in Dresden, Köln und Stuttgart drei weitere erfolgreiche Wahlversammlungen durch. Zuvor hatte sie ihre Perspektive schon auf Auftaktveranstaltungen in Berlin und Frankfurt vorgestellt.

Die SGP tritt in Deutschland bundesweit zur Europawahl an und kämpft gemeinsam mit ihren Schwesterparteien, der Socialist Equality Party in Großbritannien und der Parti de l’égalité socialiste in Frankreich, für den Aufbau von Sektionen der Vierten Internationale in ganz Europa. Sie tritt als einzige Partei bei dieser Wahl für die Vereinigung der europäischen und der internationalen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalen Programms ein.

Ulrich Rippert und Saravan Ratnamaheson in Stuttgart

„Ja, wir nehmen an dieser Europawahl teil“, sagte der SGP-Vorsitzende Ulrich Rippert, der am Samstag, den 27. April, in Stuttgart als Hauptsprecher auftrat. „Aber unser Programm geht weit darüber hinaus.“ Um die Bedeutung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) als Weltpartei begreiflich zu machen, warf Rippert die Frage auf: „Worin besteht die Stärke einer Partei?“ Sie müsse, so Rippert, in der Lage sein, an den entscheidenden historischen Wendepunkten die Veränderungen korrekt einzuschätzen und daraus eine fortschrittliche politische Perspektive abzuleiten.

Er verglich die heutige Situation in Europa und weltweit mit den Voraussagen, die sämtliche bürgerlichen Politiker vor dreißig Jahren, beim Untergang der Sowjetunion und der stalinistischen Staaten in Osteuropa, abgegeben hatten.

„Was ist aus ihren Versprechen geworden?“ fragte er. „Statt ‚blühenden Landschaften‘ erleben wir heute eine beispiellose soziale Ungleichheit. Nie zuvor war die Welt so stark in Reich und Arm gespalten. Jeff Bezos, der Besitzer von Amazon, verdient in einer Sekunde so viel wie einer seiner Arbeiter im ganzen Jahr.“

Statt „Frieden und Wohlstand“ sei eine kriminelle Elite dabei, massiv für den Krieg aufzurüsten, und statt „Demokratie“ bereiteten die Herrschenden sich auf Polizeistaat und Diktatur vor. In Deutschland sei die Regierung dabei, mit staatlicher Aufrüstung und neuen Vollmachten, wie Horst Seehofers neuem Gesetz zum Verfassungsschutzrecht, wieder alte Gestapo-Methoden zurückzubringen. Der Grund dafür, so Rippert, bestehe darin: „Sie sind sich über die Ruhe vor dem Sturm bewusst.“

„Niemand sollte glauben, man könne das Rad so einfach zurückdrehen“, fuhr er fort und betonte, dass nach Jahrzehnten des Sozialabbaus der Klassenkampf weltweit zurückkehre und die Arbeiterklasse gegen die massiven sozialen und demokratischen Angriffe Widerstand leiste. Rippert verwies auf die Lehrerstreiks in den USA, im Iran und Polen, die Streikwelle in Matamoros (Mexiko), die militanten Warnstreiks in Deutschland oder – ganz aktuell – die Pilotenstreiks in Skandinavien: „Alle diese Kämpfe bestätigen die Voraussagen des IKVI: Erstens ist der Klassenkampf nicht mehr nur seinem Inhalt nach international, sondern er nimmt aufgrund der Globalisierung mehr und mehr auch eine internationale Form an. Zweitens entwickeln sich die neuen Kämpfe der Arbeiterklasse als Rebellion gegen die Gewerkschaften.“

Diese komplexen Fragen, erläuterte Rippert, seien allein im IKVI ausgefochten worden, das die World Socialist Web Site als authentische Stimme des Marxismus herausgebe. Er rief alle Anwesenden auf, sich aktiv am Aufbau des IKVI und seiner Sektionen zu beteiligen.

Den Beitrag ergänzte Saravan Ratnamaheson, Europakandidat und SGP-Vorstandsmitglied, der als zweiter Redner in Stuttgart sprach. Als Beispiel für die massive Rechtswende aller Regierungen wies er auf die Terroranschläge an Ostern in Sri Lanka hin, denen über 250 Menschen zum Opfer gefallen waren.

Die sri-lankische Regierung habe vor den Anschlägen die Bevölkerung nicht gewarnt, habe jedoch sofort nach den Anschlägen Notstandsmaßnahmen und einen Ausnahmezustand im ganzen Land eingeführt, so Ratnamaheson. „Unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung setzt die Regierung ihr neues Antiterrorgesetz durch, das sich im Wesentlichen gegen die Arbeiterklasse richtet.“ Er wies darauf hin, dass vor wenigen Wochen noch 100.000 Plantagenarbeiter in den Teeplantagen Sri Lankas gestreikt hatten. Auch die indische Regierung, fügte der Redner hinzu, gehe in atemberaubendem Tempo nach rechts und bereite sich aktiv auf einen Atomkrieg gegen Pakistan vor.

Ebenso wie Rippert in Stuttgart erläuterten in Dresden der stellvertretende SGP-Vorsitzende Christoph Vandreier und in Köln das SGP-Vorstandsmitglied Dietmar Gaisenkersting die große Bedeutung, die der Aufbau der Vierten Internationale für die Entwicklung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse gewinnt. „Jetzt beginnt die Zeit, auf die wir immer hingearbeitet haben“, sagte Gaisenkersting am 25. April in Köln. „Solange die herrschende Klasse in der Lage war, den Klassenkampf mit Hilfe der Gewerkschaften und reaktionären Bürokratien von SPD und Linken zu unterdrücken, war es auch für uns schwer. Aber jetzt verändert die Wiederkehr des Klassenkampfs die gesamte Situation grundlegend.“

Gaisenkersting ging auf die besondere Lage der Ford-Arbeiter ein: Der Ford-Konzern ist gerade dabei, in seinen Werken in Köln und Saarlouis mit aktiver Beihilfe der IG Metall über 5000 Arbeitsplätze abzubauen.

Die IG Metall habe sich – wie alle Gewerkschaften – völlig verwandelt, so der Redner: „Aus bürgerlichen Arbeiterorganisationen haben sich die Gewerkschaften in Organe des Managements verwandelt. Sie fungieren als Unternehmensberater, arbeiten selbst die Entlassungspläne und Kürzungsmaßnahmen aus und nutzen ihr Netz von Betriebsräten und Vertrauensleuten als Betriebspolizei, um jeden selbständigen Widerstand der Arbeiter im Keim zu ersticken.“

Um den Kampf unabhängig vom Gewerkschaftsapparat zu führen, schlägt das IKVI den Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees vor. Das sei, so Gaisenkersting, nicht bloß eine organisatorische Frage. Um den Aufbau solcher Komitees voranzutreiben, sei ein internationales sozialistisches Programm notwendig.

Dietmar Gaisenkersting in Köln

Zur EU sagte Gaisenkersting, dass Europa weit davon entfernt sei, zusammenzuwachsen. Er wies auf den Brexit und auf die wachsenden Spannungen über Rüstungsexporte zwischen Deutschland und Frankreich hin. „Der Kapitalismus ist außer Stande, Europa zu vereinen“, erklärte er, „das hat das 20. Jahrhundert schon zweimal gezeigt: Die Versuche, Europa auf kapitalistischer Grundlage zu vereinen, führten zum Ersten und zum Zweiten Weltkrieg, als der Kontinent militärisch unter der Knute Deutschlands neu organisiert werden sollte.“

In diesem Zusammenhang sei es alarmierend, dass Herfried Münkler, Professor an der Humboldt-Universität Berlin (HU), fordere, Deutschland müsse nicht nur der Zahlmeister, sondern auch der Zuchtmeister Europas werden. „Eine friedliche Vereinigung Europas ist nur auf sozialistischer Grundlage möglich“, betonte Gaisenkersting.

Auf diese Frage ging in Köln auch Elisabeth Zimmermann-Modler ein, ebenfalls Vorstandsmitglied der SGP und Europakandidatin. Sie schilderte das Anwachsen des Militarismus in der EU und Deutschland und sagte: „Hunderte Milliarden Euro werden in den Aufbau der Armeen und in die Rüstung gesteckt … Bereits jetzt haben die EU- und die Nato-Staaten Tausende Soldaten an der Grenze zu Russland stationiert, und die Bundeswehr ist mitten drin.“ Sie betonte, dass die Kosten für diese Aufrüstung der Arbeiterklasse aufgebürdet würden, und dass daher der Widerstand in der Bevölkerung, von Arbeitern und Jugendlichen zwangsläufig wachse.

Dies sei der Grund, so die Rednerin weiter, warum sämtliche Parteien, auch die Grünen und die Linke, die Aufrüstung eines Polizei- und Überwachungsstaats und die Zensur des Internets unterstützten.

Sie berichtete, dass der Verfassungsschutzbericht 2017 die Sozialistische Gleichheitspartei als „linksextremistische“ Partei denunziere, weil sie als einzige Partei jede Form von Militarismus, Staatsaufrüstung und Fremdenfeindlichkeit zurückweise, und weil dieser Kampf wachsende Unterstützung von Arbeitern und Jugendlichen erfahre. „Die Vierte Internationale“, erläuterte Zimmermann-Modler, „verkörpert die zentralen Lehren aus dem 20. Jahrhundert: Sie steht in der Tradition des Kampfs gegen Stalinismus und Kapitalismus.“

Eine Frage, die in allen drei Versammlungen einen zentralen Platz einnahm, war die Verteidigung von Julian Assange. Der WikiLeaks-Gründer war am 11. April in London verhaftet worden.

Marianne Arens, ebenfalls Europawahl-Kandidatin, die in Stuttgart die Versammlung leitete, schilderte die Gefahr, die von einer Auslieferung Assanges in die USA ausgehe, wo ihm eine schwere Gefängnisstrafe oder sogar die Todesstrafe drohe. „Wenn die britische Regierung das zulässt, dann ist das weniger eine Auslieferung. Vielmehr wird Assange damit zum Opfer einer ‚außerordentlichen Überstellung (extraordinary rendition)‘.“ Diese Angriffe seien „Angriffe auf uns alle. Wir werden sie nicht zulassen“, sagte Arens.

Alle Sektionen des IKVI haben den Kampf gegen die Angriffe auf Julian Assange und die mutige Whistleblowerin Chelsea Manning ins Zentrum ihrer Aktivitäten gestellt. Die Verteidigung demokratischer Grundrechte wie Presse-, Rede- und Meinungsfreiheit ist vom Kampf für den Sozialismus nicht zu trennen.

In Köln rief auch SGP-Vorstandsmitglied Philipp Tenter, der ebenfalls zur Europawahl kandidiert, die Teilnehmer zur Verteidigung von Julian Assange auf. Er zeigte einen Ausschnitt aus dem WikiLeak-Video „Collateral Murder“, das die mörderischen Hubschrauberangriffe der US-Army im Irak vor der ganzen Welt enthüllt hatte. „Um es klar auszusprechen“, sagte Tenter: „Der WikiLeaks-Gründer hat kein Verbrechen begangen. Ganz im Gegenteil. Er hat der Weltöffentlichkeit Beweise für unsägliche Kriegsverbrechen der Herrschenden geliefert.“ Nur deshalb werde er von den imperialistischen Regierungen verfolgt.

In Dresden ging am 24. April Christopher Khamis darauf ein, welche Rolle die Politik der deutschen Regierung und der EU dabei spiele, dass extrem rechte Kräfte immer stärker und offener auftreten könnten. Der Europakandidat leitete die Dresdener Versammlung. „Die EU ist kein Mittel gegen diese rechten Tendenzen, im Gegenteil“, sagte er. „Die EU ist eine wichtige Ursache des Nationalismus“.

Gerade in Sachsen, betonte Khamis, sei die Frage, woher dieses Erstarken der Rechten komme und wie man dagegen kämpfen könne, von großer Bedeutung. Gerade weil der Widerstand der europäischen Arbeiterklasse gegen den rechten Kurs keinen Ausdruck in den etablierten Parteien finde, sei es der herrschenden Klasse bisher möglich, jede Opposition zu unterdrücken.

Christopher Khamis und Christoph Vandreier in Dresden

Auf diese Frage konzentrierte sich auch der Hauptredner in Dresden, Christoph Vandreier. Er ist Spitzenkandidat und stellvertretender Vorsitzender der SGP und war gerade von einer Vortragstour in den Vereinigten Staaten zurückgekehrt. Dort hatte er in mehreren Städten sein Buch „Warum sind sie wieder da? Geschichtsfälschung, politische Verschwörung und die Wiederkehr des Faschismus in Deutschland“ vorgestellt. Er schildert darin detailliert, wie deutsche Akademiker, Medien und die kapitalistischen Parteien den Aufstieg der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) gefördert haben.

Dafür habe es in den USA ein enormes Interesse gegeben, so Vandreier. Hunderte von Studierenden hätten an den Vorträgen teilgenommen. Gerade in den USA sei vielen Menschen bewusst, dass das Aufkommen des Faschismus sich nicht auf Deutschland allein beschränke. „Donald Trump mobilisiert immer mehr die rückständigsten Elemente und versucht, sich so eine Basis für seine rechte Politik aufzubauen“, und er könne dabei mit der vollen Unterstützung der Demokratischen Partei rechnen, die ihn teilweise noch von rechts angreife, erklärte der Sprecher.

Als Parallele zu Julian Assanges Verhaftung ging Vandreier auf einen historischen Präzedenzfall ein: Der linke Pazifist und Journalist Carl von Ossietzky hatte im März 1929 in einem Artikel der Weltbühne die illegale, geheime Aufrüstung der Reichswehr dokumentiert. „Er hatte sich als wahrer Journalist betätigt und aufgezeigt, dass Deutschland wieder aufrüstet“, so Vandreier. 1931 wurde er dafür wegen Spionage und Verrats militärischer Geheimnisse verurteilt und inhaftiert, und 1933 brachte die NSDAP Ossietzky in ein Konzentrationslager, wo er 1938 verstarb.

Vandreier führte aus, dass heute keine einzige etablierte Partei Assange verteidige. Auch die Medien begrüßten seine Verhaftung und forderten seine Auslieferung.

Auf die Frage eines Zuhörers, wie denn die heutige Entwicklung zum Faschismus einzuschätzen sei, antwortete Vandreier, dass wir heute in Deutschland „nicht im Faschismus leben. Der Faschismus bedeutet die Zerschlagung der organisierten Arbeiterschaft“, das sei die marxistische Definition. Es sei eine besondere Form der Diktatur, die sich auf „die Mobilisierung der deklassierten Mittelklasse, des Bodensatzes der Gesellschaft, als Rammbock gegen die Arbeiterklasse“ stütze. Heute sei der Aufstieg der AfD nicht einer Massenunterstützung von unten, sondern der gezielten Förderung von Kapital und Kabinett geschuldet.

„Man muss aber erkennen“ fuhr Vandreier fort, „wie weit das politische Establishment schon nach rechts gerückt ist.“ Hier sei besonders die unmenschliche Flüchtlingspolitik der Regierung von SPD und CDU/CSU zu geißeln, die Menschen auf der Flucht in Lager sperrt und im Mittelmeer zu Hunderten ertrinken lässt. Im Zusammenhang mit der militärischen Aufrüstung sei das Auftreten faschistischer Netzwerke in der Bundeswehr und im Staatsapparat bedrohlich. Die Tatsache, dass „sich die AfD nicht im Verfassungsschutzbericht findet“, sei Ausdruck der engen Verbindungen der extremen Rechten mit dem Staat.

Auf allen drei Versammlungen schlossen sich den Vorträgen lebhafte und interessante Diskussionen bis spät in die Nacht an. In jedem Fall hatten alle drei Versammlungen deutlich gemacht, wie weit fortgeschritten die politische Situation bereits ist, und wie dringend es ist, die Vierte Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution aufzubauen.

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