Perspektive

Abtreibungsverbot in Alabama: Zurück zur Barbarei

Die Gouverneurin von Alabama, Kay Ivey, unterzeichnete am Mittwochnachmittag das strengste Abtreibungsverbot aller US-Bundesstaaten. Sie kriminalisierte damit den medizinischen Eingriff in allen Fällen, in denen nicht das Leben oder die Gesundheit der Mutter in ernster Gefahr ist. Ein Zusatzartikel, der Abtreibungen in Fällen von Vergewaltigung und Inzest erlaubt, wurde aus dem Gesetzentwurf gestrichen, als er dem Senat des Bundesstaats am 9. Mai vorgelegt wurde.

Das neue Gesetz schreibt eine Gefängnisstrafe von bis zu 99 Jahren für jeden Arzt vor, der eine Abtreibung durchführt, wenn es für die Schwangere dabei nicht um Leben und Tod geht. Nur der Versuch, eine Abtreibung durchzuführen, wird mit 10 Jahren bedroht. Während Frauen, die eine Abtreibung durchführen lassen, nicht explizit kriminalisiert werden, legt das Gesetz für einen Fötus ab dem Zeitpunkt der Empfängnis die Eigenschaft einer „Person“ fest. Dadurch wird der strafrechtlichen Verfolgung von „Kindesmissbrauch“ durch schwangere Frauen - womit jedes Verhalten gemeint ist, das als potenziell schädlich für den Fötus angesehen wird – Tür und Tor geöffnet.

Republikanische Abgeordnete in Senat und Repräsentantenhaus des Bundesstaates stimmten für dieses extreme Gesetz gegen Abtreibungen, um dem Obersten Gerichtshof der USA die Gelegenheit zu geben, das Urteil im Fall Roe vs Wade zu kippen. Dieses war ein Schlag gegen Gesetze, die Abtreibung kriminalisieren. Die Republikanerin Terri Collins, die den Gesetzentwurf vorangetrieben hatte, machte explizit deutlich, dass das Abtreibungsverbot für Opfer von Vergewaltigung und Inzest notwendig sei, um angesichts der zu erwartenden rechtlichen Anfechtungen vor den Bundesgerichten den Grundsatz durchzusetzen, dass ein Fötus vom Zeitpunkt der Empfängnis an eine lebende Person mit vollen verfassungsmäßigen Rechten ist.

Das Gesetz von Alabama ist ein empörender Akt der mittelalterlichen Barbarei. In seiner Konsequenz läuft das Gesetz, sollte es schließlich von den Gerichten bestätigt werden, darauf hinaus, Frauen zu Abtreibungen in Hinterzimmern mit dem damit verbundenen, stark erhöhten Risiko für Todesfälle oder Verstümmelungen zu zwingen. Von diesem Risiko werden vor allem Frauen aus der Arbeiterklasse betroffen sein, da reichere Frauen in der Lage sein werden, in andere Staaten zu reisen und die Behandlung dort durchführen zu lassen. Alabama ist ein Bundesstaat, der so verarmt ist und hinsichtlich der sozialen Infrastruktur derartige Defizite hat, dass es in mehr als der Hälfte seiner Landkreise keine Geburtshelfer gibt.

Das Gesetz ist verfassungswidrig und das nicht nur, weil es dem Präzedenzfall Roe vs Wade direkt widerspricht, sondern auch, weil es die Erhebung einer religiösen Doktrin zur Staatspolitik darstellt, wodurch das Verbot der Errichtung einer Staatsreligion aus dem 1. Zusatzartikel der Verfassung verletzt wird. Die Äußerungen der Abgeordneten aus Alabama waren hinsichtlich der religiösen Motivation für das Gesetz eindeutig.

Der republikanische Senator Clyde Chambliss, der das Gesetz befürwortet, argumentierte gegen Ausnahmen für Vergewaltigung und Inzest. Chambliss erklärte: „Wenn Gott das Wunder des Lebens im Schoß einer Frau erschafft, ist es nicht an uns als Menschen, dieses Leben auszulöschen.“ Terri Collins, die im Repräsentantenhaus des Staates für das Gesetz eintrat, erklärte den Entwurf zum Ergebnis von „Gebeten“. Dies steht in direktem Widerspruch zum 1. Zusatzartikel, der es verbieten, dass die religiösen Anschauungen fundamentalistischer Protestanten oder der korrupten römisch-katholischen Hierarchie in ein Gesetz gegossen und damit allen Bürgern auferlegt wird.

Es gibt allen Grund zu der Annahme, dass die fünfköpfige ultrarechte Mehrheit am Obersten Gerichtshof der USA nach einer Gelegenheit sucht, das Urteil Roe vs Wade zu kippen. Die oberflächlichen Aussagen, die vier der fünf Richter während der Anhörungen zu ihrer Vereidigung gemacht haben und in denen sie Roe vs Wade als entschiedenen und gültigen Präzedenzfall bekräftigten, sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Bezeichnenderweise hat das Oberste Gericht am Montag einen 40 Jahre gültigen Präzedenzfall gekippt. Dieser befasste sich mit einer obskuren Frage der staatlichen Souveränität, nämlich der, ob die Bundesstaaten durch souveräne Immunität vor Klagen von Einwohnern anderer Staaten geschützt sind.

Richter Stephen Breyer sagte in seinen kritischen Ausführungen, dass die fünfköpfige rechte Mehrheit mit der Entscheidung einen Präzedenzfall für die Aufhebung etablierter Präzedenzfälle schaffe. Breyer warnte: „Die heutige Entscheidung kann nur zu der Frage führen, welche Fälle das Gericht als nächstes aufheben wird“. Dass Breyer sich hier implizit auf das 46 Jahre alte Urteil aus Roe vs Wade bezog, wurde von allen Gerichtsbeobachtern so verstanden.

In den Bundesgerichten wird derzeit eine ganze Reihe von Prozessen geführt, die das Abtreibungsrecht betreffen. Sie wurden ausgelöst durch eine Welle von gesetzlichen Einschränkungen, die von den republikanisch kontrollierten Legislativen der Bundesstaaten erlassen wurden. Dies geschah hauptsächlich in der Zeit seit Trumps Präsidentschaft, in der er zwei radikale Abtreibungsgegner zu Obersten Richtern ernannte. Neil Gorsuch ersetzte Antonin Scalia, was in der betreffenden Frage an den Mehrheitsverhältnissen zwar nichts änderte, aber Brett Kavanaugh ersetzte Anthony Kennedy. In zahlreichen Abtreibungsfällen war Kennedys Stimme die entscheidende. Er war außerdem an der Ausarbeitung des aktuell maßgeblichen Urteils im Fall Planned Parenthood vs Casey (1992) beteiligt, das Abtreibungsrechte zwar beschränkte, aber die Rechtsprechung aus Roe vs Wade im Allgemeinen intakt ließ.

Seit Januar haben vier Staaten – Georgia, Kentucky, Mississippi und Ohio – Gesetze erlassen, die die Abtreibung nach der sechsten Schwangerschaftswoche verbieten. Der einzige Zweck dieser Gesetze besteht darin, die große Mehrheit der Abtreibungen zu blockieren, da nur wenige Frauen gerade einmal sechs Wochen nach der Empfängnis sicher sind, dass sie überhaupt schwanger sind.

Ein Gesetz, das in Texas vorgelegt, aber noch nicht verabschiedet wurde, geht noch weiter: Es würde die geltende staatliche Definition, dass Abtreibung nicht als Mord gilt, beseitigen und jede Frau, die eine Abtreibung durchführen lässt, zu einer potenziellen Kandidatin für die Todeszelle machen.

Dabei handelt es sich nicht um Entscheidungen, die nur auf die Bundesstaaten begrenzt wären. Sie haben nationale Auswirkungen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gesetze der Bundesstaaten zur Kriminalisierung von Abtreibungen so interpretiert werden, dass das Verhalten einer Frau, die für eine Abtreibung den Bundesstaat verlässt, sowie die Handlungen derjenigen, die ihr helfen, ebenfalls unter Strafe gestellt werden. Das ist die barbarische Logik, die sich aus der Position „Abtreibung ist Mord“ ergibt.

Außerdem gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass die Mehrheit des Obersten Gerichtshofs sich mit der bloßen Umkehrung von Roe vs Wade, was die Abtreibungspolitik den Bundesstaaten überließe, begnügen würde. Ebenfalls möglich ist eine Art Dred Scott-Entscheidung im Bereich der Frauenrechte, die von den Bundesstaaten, die Abtreibungsrechte anerkennen, verlangen würde, die Verbote der anderen Bundesstaaten durchzusetzen. So wie Trump bei seinen Angriffen auf Einwanderer und Flüchtlinge versucht, die „Schutzgemeinden“ für Einwanderer („sanctuary cities“) dazu zwingen, die drakonischsten Maßnahmen durchzusetzen.

Der unerbittliche Kahlschlag bei der sozialen Unterstützung für Frauen, die eine Abtreibung suchen, geht noch über die Konterrevolution in der Gesetzgebung gegen Roe hinaus. Nach Angaben des Guttmacher-Instituts haben 90 Prozent aller Landkreise in den USA keine Anlaufstelle für Abtreibungen. In sieben amerikanischen Staaten gibt es nur eine einzige entsprechende Institution im gesamten Bundesstaat. Alabama hat nur drei. Sogar ein dicht besiedelter Flächenstaaten im Mittleren Westen wie Ohio hat nur 10, verglichen mit 45 im Jahr 1992. 27 amerikanische Großstädte haben keine Anlaufstellen.

Abtreibungen sind zudem nicht von Medicaid oder Obamacare abgedeckt – weil die Demokraten in diesen Fragen ständig kapitulieren. Das Ergebnis ist, dass die Frauen der Arbeiterklasse in weiten Teilen der USA ihres Rechts auf eine Abtreibung bereits beraubt sind. Sie können nicht nach New York, Chicago oder Los Angeles fliegen, um eine unerwünschte Schwangerschaft abzubrechen.

Die systematische Entkernung des Rechts auf Abtreibung, die in weiten Teilen des Landes vonstatten geht, hat nur einen winzigen Bruchteil der Energie, des Geldes und der Medienaufmerksamkeit auf sich gezogen, die in die reaktionäre #MeToo-Kampagne der Demokraten geflossen ist. Diese Kampagne zielt darauf ab, das Schicksal von Frauen mit hohem Einkommen – Schauspielerinnen, Führungskräfte von Unternehmen, Professoren – durch die Entfernung ihrer männlichen Vorgesetzten und Kollegen durch weitgehend erfundene Behauptungen über sexuelles Fehlverhalten zu verbessern. Die Alyssa Milanos dieser Welt kümmern sich nicht um das Abtreibungsrecht für Arbeiterinnen in Alabama und Georgia. Selbst mit einem vollständigen Verbot, das für die gesamten Vereinigten Staaten gilt, wären sie stets in der Lage, etwa auf Toronto oder London auszuweichen.

Die Verabschiedung des Gesetzes in Alabama wurde von den Demokraten im Kongress mit einem Chor geheuchelter Missbilligung empfangen. Im Verlauf der Jahrzehnte, in denen das Recht auf Abtreibung weitgehend ausradiert wurde, hat die Demokratische Partei wenig für die Verteidigung dieses Rechts getan und sich stets vor den rechten Christen weggeduckt.

Nancy Pelosi twitterte diese Woche gegen „diesen unerbittlichen und grausamen republikanischen Angriff auf die Gesundheit von Frauen“. Doch im Wahlkampf 2018 erklärte sie, dass die Verteidigung des Rechts auf eine Abtreibung kein „Lackmustest“ sei und bestand darauf, Demokraten in einigen Kongressbezirken zu unterstützen, die ebenso „grausame“ Ansichten hatten.

Bernie Sanders, Joe Biden, Kamala Harris, Kirsten Gillibrand und andere Präsidentschaftskandidaten verurteilten ebenfalls die Entscheidung. Aber keiner von ihnen hat die Verteidigung des Abtreibungsrechts, insbesondere im Süden und in ländlichen Gebieten, zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Wahlkampagnen gemacht. Und das, obwohl Trump wiederholt seine Absicht erklärt hat, den Sturz von Roe vs Wade zu einem Kernstück der Kampagne für seine Wiederwahl zu machen.

Als Ralph Northam, der Gouverneur von Virginia und langjährige Kinderneurologe, zu Beginn des Jahres über die Notwendigkeit von späten Abtreibungen in bestimmten, außergewöhnlich schwierigen medizinischen Notfällen sprach, wurde er von den ultrarechten Medien verunglimpft und von Trump und seinem Vizepräsidenten Mike Pence angegriffen. Eine Welle der Unterstützung seiner demokratischen Parteikollegen blieb aus. Als die rechte Presse dann die Seite des Gouverneurs aus seinem College-Jahrbuch veröffentlichte, die einen Mann mit schwarzem Gesicht zeigt, der neben einer Person in der Bekleidung des Ku-Klux-Klan steht, verließen die Demokraten Northam en masse und forderten seinen Rücktritt. Und das, obwohl der Angriff auf ihn eindeutig eine Reaktion auf seine Verteidigung der Abtreibungsrechte war.

Das unaufhörliche Gerede über die „Stärkung“ („empowerment“) von Frauen - womit natürlich bürgerliche Frauen gemeint sind – trifft nun auf das peinliche Schauspiel, bei dem Alabamas erste weibliche Gouverneurin die restriktivste Anti-Frauen-Gesetzgebung in der jüngeren amerikanischen Geschichte unterzeichnet hat. Einst wurde sie als mäßigender Einfluss auf die Republikanische Partei gefeiert.

In Wirklichkeit ist die Abtreibung ein demokratisches Recht, das für die Arbeiterklasse von besonderer Bedeutung ist. Es sind die Frauen aus der Arbeiterklasse, die schwierige Entscheidungen über die Frage treffen müssen, wie und wann sie Kinder bekommen. Bei ihnen ist die Gefahr, durch Vergewaltigung oder eine andere Form des Missbrauchs schwanger zu werden, besonders groß. Die Klassenspaltung in der amerikanischen Gesellschaft gilt in diesem Bereich genauso stark wie in jedem anderen.

Abtreibungsrechte können genau wie alle anderen demokratischen Rechte nicht verteidigt werden, indem man sich auf die Demokratische Partei verlässt oder versucht, Druck auf sie auszuüben. Sie können nur durch den von der Arbeiterklasse geführten Kampf gegen das kapitalistische System und alle seine politischen Vertreter verteidigt werden.

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