„Ich würde lieber verhungern, als meinen Standpunkt aufzugeben“

Chelsea Manning erneut in Haft wegen Weigerung, gegen WikiLeaks auszusagen

Die Whistleblowerin Chelsea Manning wurde zum zweiten Mal von einem Bundesrichter in Alexandria (Virginia) in Beugehaft genommen. Wie bereits im März hat sie sich geweigert, vor einer Grand Jury auszusagen. Der Zweck dieses Gremiums besteht darin, eine Anklage gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange zu konstruieren.

Bundesrichter Anthony Trenga lehnte die Anträge von Mannings Anwälten ab, die Vorladung aufzuheben und alle Hinweise auf eine rechtswidrige elektronische Überwachung Mannings durch die Regierung offenzulegen.

Trenga wurde vom ehemaligen Präsidenten George W. Bush ernannt und ist ein Befürworter von Trumps Einreiseverbot für Muslime. Nach einer zweistündigen Anhörung ordnete er die sofortige Inhaftierung Mannings an. Obendrein verurteilte er sie zu einer Geldstrafe von 500 Dollar pro Tag, wenn sie nach einem Monat in Haft nicht aussagt, und zu 1.000 Dollar pro Tag nach zwei Monaten.

Laut ihren Anwälten ist eine derartige gestaffelte Geldstrafe äußerst ungewöhnlich. Üblicherweise wird sie nicht gegen natürliche Personen angewandt, sondern nur, um Bevollmächtigte von Unternehmen zu Aussagen zu zwingen.

Manning hält daran fest, dass sie grundsätzlich vor keiner Grand Jury über etwaige Kontakte zu Assange und WikiLeaks oder irgendein anderes Thema aussagen wird. Im öffentlichen Teil der Anhörung am Dienstag erklärte sie gegenüber Richter Trenga: „Ich würde lieber verhungern, als meinen Standpunkt zu ändern. ... Und ich meine das genauso, wie ich es sage.“

Als Manning vor der Anhörung bei einer Pressekonferenz gefragt wurde, wie lange sie bereit sei, Antworten auf die Fragen der Grand Jury zu verweigern, antwortete sie resolut: „Für immer, unbefristet.“

Assange droht derzeit die Auslieferung aus Großbritannien an die USA. Offiziell wird ihm vorgeworfen, er habe versucht Manning zu helfen, ein Passwort zu knacken, damit sie anonym in ein militärisches Computernetzwerk eindringen könnte. Manning kritisierte das Verfahren gegen Assange am Donnerstag auf der Grundlage der veröffentlichten Beweise und Interviews als „Bananas“ (völligen Blödsinn).

Assange wird momentan im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh festgehalten, das als britisches Guantanamo gilt. Wegen Kautionsverstößen im Zusammenhang mit längst entkräfteten Vergewaltigungsvorwürfen aus Schweden ist er zu 50 Wochen Haft verurteilt worden. Am 11. April wurde Assange rechtswidrig in der ecuadorianischen Botschaft verhaftet. Zuvor hatte ihm die Regierung Ecuadors nach sieben Jahren den Asylstatus aberkannt. Nachdem in Schweden die „Vorermittlungen“ wegen der Vergewaltigungsvorwürfe wieder aufgenommen wurden, droht ihm nun auch eine Auslieferung nach Schweden.

Die Verfolgung von Assange und Manning findet vor dem Hintergrund einer enormen Kriegshetze statt. Die Trump-Regierung bedroht en Iran und Venezuela und verschärft zugleich ihren Handelskrieg gegen China. Die Intensivierung der Kampagne zur Zensur des Internets und die Versuche, Assange und Manning zum Schweigen zu bringen, zielen darauf ab, Widerspruch zu unterdrücken und die Entwicklung einer Massenbewegung gegen Krieg zu verhindern.

Manning saß 62 Tage im städtischen Gefängnis von Alexandria ein und war erst letzte Woche freigelassen worden, nachdem die Tagungsfrist der Grand Jury abgelaufen war. Allerdings erhielt sie schon vor ihrer Entlassung eine Vorladung, in der sie aufgefordert wurde, am Donnerstag vor einer neuen Grand Jury zu erscheinen. Manning hatte nur eine Woche in Freiheit, um sich mit Freunden und ihrer Familie zu treffen, bevor sie erbarmungslos wieder zurück in staatliche Haft gebracht wurde.

Die ehemalige Soldatin wird von der Trump-Regierung verfolgt, weil sie WikiLeaks im Jahr 2010 geheime Dokumente zugespielt und damit wesentlich zur Aufdeckung von US-Kriegsverbrechen im Irak und Afghanistan beigetragen hat. Zuvor hatte sie bereits sieben Jahre einer 35-jährigen Haftstrafe in einem Militärgefängnis abgesessen, ein Jahr davon in Isolationshaft.

US-Präsident Barack Obama hatte ihr den Rest der Strafe im Jahr 2017 erlassen, am letzten Tag seiner zweiten Amtszeit. Auf diese Weise wollte er vergessen machen, dass seine Regierung Whistleblower verfolgt hat. Allerdings lehnte er es ab, eine vollständige Begnadigung zu gewähren, durch die Mannings Strafregister gelöscht worden wäre.

Vor der Anhörung am Donnerstag erklärte Manning der Presse: „Ich glaube, das ist letzten Endes ein Versuch, mich wieder ins Gefängnis zu bringen. Ich glaube, es handelt sich um die gleichen Fragen, die man mir vor sieben Jahren vor dem Militärgericht gestellt hat. Es gibt nichts Neues. Sie stellen keine neuen Fragen. Es gibt keine neuen Informationen, die sie aus mir herausholen könnten.

Aus meiner Sicht geht es hier letzten Endes darum, das Verfahren vor dem Militärgericht neu zu verhandeln. Das damalige Ergebnis hat ihnen nicht gepasst. Ich bin rausgekommen. Also versuchen sie so, mich wieder hinter Gitter zu bringen.“

Nachdem Manning wieder ins Gefängnis zurückgebracht worden war, äußerte ihre Anwältin Moira Meltzer-Cohen ihre Enttäuschung und bekräftigte, dass ihre Klientin ihre Überzeugungen nicht verraten würde, indem sie aussagt.

Sie erklärte: „Im Jahr 2010 hatte Chelsea die grundsätzliche Entscheidung getroffen, vor den Augen der Welt den wahren Charakter der modernen asymmetrischen Kriegsführung aufzudecken. Es ist bezeichnend, dass sich die USA mehr Sorgen um die Enthüllung dieser Dokumente machen, als um deren verheerenden Inhalt.

Die amerikanische Regierung ist von der informierten Zustimmung der Regierten abhängig, und die freie Presse ist der lebendige Mechanismus, der uns informiert hält. Diese Regierung ist stolz darauf, dass sie sich öffentlich feindselig gegenüber der Presse äußert. Grand Jurys und Verfahren wie dieses stehen für eine wachsende Bedrohung der Presse und beschädigen die Integrität des Systems selbst nach den eigenen Maßstäben der Regierung.

Diese Regierung ist außerdem davon besessen, das Vermächtnis von Präsident Barack Obama zu zerstören, u.a. durch die Abschaffung seiner Gesundheitspolitik und Chelsea Mannings Begnadigung.

Es ist Sache der Presse, für sich selbst und die Ausübung von Journalismus zu kämpfen, und für Chelsea genauso einzustehen, wie sie immer für die Presse eingestanden ist.“

Die Mainstreammedien und die Demokratische Partei reagierten auf die erneute Inhaftierung Mannings mit fortgesetztem Schweigen. Weder die New York Times noch die Washington Post berichteten in den Stunden, nachdem ihre erneute Verhaftung bekannt wurde, auf ihren Titelseiten darüber.

Als die World Socialist Web Site bei der Pressestelle von Senator Bernie Sanders in Washington DC um einen Kommentar zu Mannings Verhaftung bat, wahrte der Präsidentschaftskandidat für die Wahl 2020 sein komplizenhaftes Schweigen. Ein Mitarbeiter bestätigte: „Der Senator hat sich nicht über Julian Assange oder Chelsea Manning geäußert.“

Das Gleiche gilt für die Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez und Rashida Tlaib, die beide Mitglieder der Democratic Socialists of America sind. Bisher hat sich noch keine von ihnen auf ihren Social-Media-Accounts über Mannings jüngste Verhaftung geäußert. Tlaibs Pressestelle antwortete nicht auf eine Bitte der WSWS um eine Stellungnahme, und Ocasio-Cortez' Büro war telefonisch nicht erreichbar.

Obwohl die Demokraten und die Mainstreammedien Manning und Assange fallengelassen haben, genießen beide die Unterstützung von Millionen von Arbeitern und Jugendlichen auf der ganzen Welt. Diese Unterstützung muss zu einer bewussten politischen Bewegung entwickelt werden. Es sollten überall Demonstrationen, Meetings und Teach-ins organisiert werden, um ihre Freiheit und ein Ende ihrer Verfolgung durch die US-Regierung zu fordern.

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