Ermittlungen zum Oktoberfestattentat sollen eingestellt werden

Die 2014 wieder aufgenommenen Ermittlungen zum Oktoberfestattentat von 1980 sollen ohne neue Erkenntnisse eingestellt werden. Das berichtete die Süddeutsche Zeitung Mitte Mai. Die Sonderkommission „26. September“ des bayerischen Landeskriminalamts, die nach dem Tag des Anschlags benannt ist, sei bereits aufgelöst worden. Der Ermittlungsbericht liegt laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) bei der verantwortlichen Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.

Die Süddeutsche Zeitung zitiert einen Fahnder mit den Worten: „Es gibt keine letztliche Klärung.“ Die Bundesanwaltschaft äußerte sich nicht konkret zu den Berichten, ein Sprecher der Behörde sagte nur: „Die Ermittlungen dauern an.“

Die Ermittlungen galten dem schwersten rechten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Die von Gundolf Köhler am Abend des 26. September 1980 in einen Papierkorb gelegte Bombe tötete in München zwölf Besucher des Oktoberfestes sowie ihn selbst. 211 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.

Die Ermittlungsbehörden hatten damals das neonazistische und rechtsterroristische Umfeld des Attentäters vertuscht. Zeugenaussagen, laut denen Köhler am Abend des Anschlags nicht allein war, wurden ignoriert. Schnell wurde die These des Alleintäters aufgestellt. Gundolf Köhler soll die Bombe aus Liebeskummer und Frust über eine nicht bestandene Prüfung gebaut und gezündet haben, quasi ein erweiterter Suizid eines leidenden Studenten. Nur etwa zwei Jahre nach dem Attentat, am 23. November 1982, stellte der Generalbundesanwalt die Ermittlungen ein.

Der Journalist Ulrich Chaussy und der Opferanwalt Werner Dietrich fanden sich nie mit dieser offiziellen Version ab und stellten jahrzehntelang eigene Recherchen an. Ihrer Arbeit ist es zu verdanken, dass sich die Bundesanwaltschaft Ende 2014 gezwungen sah, das Verfahren wieder aufzunehmen.

Doch dem damaligen Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Harald Range, und den ermittelnden Behörden ging es nicht darum, die wahren Hintergründe des Oktoberfestattentats aufzudecken. Das staatliche Ziel des Wiederaufnahmeverfahrens gab der damalige Bundesjustiz- und heutige Außenminister Heiko Maas (SPD) schon 2013 in einem Brief an die Grünen-Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag, Margarete Bause, vor. Maas erklärte, dass angesichts der Versäumnisse bei den NSU-Morden „jedem Vertrauensverlust gegenüber der Tätigkeit staatlicher Ermittlungsbehörden entgegengewirkt werden muss“.

Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hatte von 2000 bis 2007 unter den Augen der Geheimdienste und Polizeibehörden neun Migranten und eine Polizistin ermordet, drei Bombenattentate verübt und 15 Banken ausgeraubt. Die drei Kern-Mitglieder des NSU, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, mussten Mittäter gehabt haben. Aber wer diese waren, ist aufgrund der Mauer des Schweigens, Vertuschens und der Vernichtung von Beweismaterial seitens der staatlichen Behörden unklar.

Die Parallelen zum Oktoberfestattentat sind offensichtlich. Die Ermittler der „Soko 26. September“ haben der Süddeutschen Zeitung zufolge zwar 1008 Zeugen befragt, 766 neue Spuren verfolgt, Wohnungen in Deutschland und in der Schweiz durchsucht und 200.000 Aktenseiten des Verfassungsschutzes und 220.000 des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes (Stasi) der DDR gesichtet. Doch anstatt etwas über mögliche Hintermänner und Komplizen des Attentäters Köhler zu enthüllen, entkräfteten die Ermittler alle entsprechenden Hinweise.

Die Zeugin, wegen deren Aussage das Verfahren 2014 vor allem wieder aufgenommen wurde, soll sich vertan haben. Sie hatte ausgesagt, sie habe am Tag nach dem Anschlag in München ein Bekennerschreiben entdeckt. „Die Angaben der Frau ließen sich jedoch nicht erhärten, es handelte sich um eine zeitliche Verwechslung“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Auch das Umfeld des rechtsradikalen Revierförsters Heinz Lembke, der im Verdacht stand, den Sprengstoff geliefert zu haben, wurde erneut untersucht. „Man fand jetzt einen Komplizen von Lembke, der bisher nicht bekannt war – aber keine Verbindung zu Köhler.“

Ob Lembke für den Verfassungsschutz oder andere staatliche Stellen gearbeitet hat, war offenbar nicht Teil der Ermittlungen. Anwalt Dietrich hatte in Akten den Vermerk, „Erkenntnisse über Lembke sind nur zum Teil gerichtsverwertbar“, entdeckt. Solche Vermerke kommen normalerweise nur bei V-Leuten oder Mitarbeitern von Geheimdiensten vor. Lembke war 1981 erhängt in seiner Zelle aufgefunden worden, nachdem er angekündigt hatte, umfassend auszusagen.

Zum Schluss der Ermittlungen hatten die Beamten noch den Profiler Alexander Horn beauftragt, Gundolf Köhler einzuschätzen. Der Leiter der Operativen Fallanalyse bei der Münchner Polizei hatte beim NSU richtig gelegen. Er hatte auf eine Gruppe von rechtsextremen Ausländerfeinden verwiesen, als die Polizei noch die Mär von ausländischen Kriminellen hochhielt. Damals hatte seine Expertise keine Auswirkungen gehabt.

Jetzt kam Horn in Bezug auf Köhler zu dem gleichen Ergebnis wie seine Kollegen vor fast 40 Jahren: Köhler sei ein junger Mann mit privaten Problemen gewesen, weniger ein politischer Attentäter. Nun werden seine Schlussfolgerungen anerkannt, den sie passen in die offizielle Version. Obwohl sie nichts über trotzdem mögliche Hintermänner aussagen, werden sie von den Ermittlern benutzt, um die Alleintäterthese zu stützen.

Der Ausgang der Ermittlungen war absehbar. Bereits vor drei Jahren hatte Ulrich Chaussy in einem Interview mit der WSWS berichtet, dass die neue Ermittlungsgruppe nicht gewillt sei, „in die gebotene kritische Überprüfung der Ermittlungen ihrer ehemaligen Kollegen einzutreten“.

Weil 1980 und später im Umfeld der Ermittlungsbehörde Asservate verschwunden seien, ergebe sich „zwingend die Notwendigkeit, der Frage nachzugehen, wer in der Tatnacht auf Seiten der ermittelnden Behörden was getan hat, auf wessen Anweisung“. Andernfalls komme man nicht darauf, „was damals eigentlich mit den Ermittlungen los war“.

Chaussy hatte unter anderem öffentlich gemacht, dass sich im Aschenbecher von Köhlers Auto 48 Zigarettenstummel befunden hatten, die zu sechs verschiedenen Sorten – mit und ohne Filter – gehörten. Auf diesen fanden die Ermittler die Spuren von drei unterschiedlichen Blutgruppen, DNA konnte man damals noch nicht auswerten.

Es war ein eindeutiger Hinweis darauf, dass Köhler – wie viele Zeugen bestätigt hatten – nicht allein nach München zum Oktoberfest gefahren war. Später hätte man mithilfe der DNA an den Zigarettenkippen womöglich die Mitfahrer Köhlers finden können. Aber als 2010 Anwälte von Opfern neue DNA-Analysen forderten, teilte das Bundeskriminalamt (BKA) mit, dass alle Asservate 1997 vernichtet worden seien.

Wer dies warum veranlasst und getan hat, wurde genauso wenig hinterfragt, wie viele andere „Ermittlungspannen“, mit denen die Aufklärung verhindert sowie Rechtsextreme gewarnt und gedeckt wurden. Die Ermittlungen ihrer ehemaligen Kollegen waren nicht Gegenstand der Untersuchungen der „Soko 26. September“.

Es ist so gekommen, wie Ulrich Chaussy bereits vor drei Jahren befürchtet hatte. „Ich habe damit gerechnet, dass das Verfahren demnächst in angemessenem Abstand zum NSU-Urteil eingestellt wird“, erklärte Chaussy jetzt. Die „Soko 26. September“ habe die Ermittlungspannen von früher nicht aufklären wollen.

Opferanwalt Werner Dietrich sagte in einer ersten Stellungnahme, er gehe davon aus, dass sich der endgültige Abschluss noch mehrere Monate hinziehen könne. Er sei „mitten in der Akteneinsicht“ und wolle daher noch nichts zu den Ermittlungsergebnissen sagen. Insbesondere habe er noch keine Einsicht in Verschlusssachen und Geheimdienstunterlagen gehabt, die nur bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe einsehbar seien.

„Ob die beigezogenen Unterlagen vollständig sind, oder etwas unterdrückt oder geschreddert wurde, kann ich natürlich erst sagen, wenn ich die Unterlagen gesehen habe“, erklärte Dietrich. Der Verfassungsschutz hatte sich jahrelang geweigert, Akten vorzulegen. Erst ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes erzwang die Herausgabe. Doch in der Regel sind diese Akten „frisiert“.

Dietrich kritisierte scharf, dass vor dem offiziellen Abschluss des neuen Ermittlungsverfahrens Ergebnisse herausgesickert seien. Er sei „befremdet und empört“, dass vorab Informationen herausgegeben worden seien.

In seinem aktualisierten Buch, „Oktoberfest – Das Attentat: Wie die Verdrängung des Rechtsterrors begann“, beschreibt Ulrich Chaussy, wie die staatlichen Stellen nach dem Attentat nicht willens waren, Ermittlungen in der rechtsextremistischen Szene zu führen und diese sogar sabotierten. Die Durchdringung damaliger rechtsterroristischen Gruppen durch die Verfassungsschutzbehörden wird nach wie vor geheim gehalten. Das gilt insbesondere für die „Wehrsportgruppe Hoffmann“, zu der der Oktoberfest-Attentäter Köhler enge Verbindungen unterhielt.

Die Ermittlungen, die nun vor der Einstellung stehen, folgten dieser Tradition. Chaussy gab sich unbeeindruckt: „Es sind nur Ermittlungen eingestellt, die können beim Vorliegen neuer Tatsachen wieder aufgenommen werden.“

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