Perspektive

Der 75. Jahrestag des D-Day und die neue Gefahr eines imperialistischen Kriegs

Die Feierlichkeiten zum 75-jährigen Jubiläum der Invasion der Alliierten im von den Nazis besetzten Frankreich am 6. Juni 1944 waren von krassen Widersprüchen geprägt.

Die Invasion selbst, der größte seegestützte Angriff der Weltgeschichte, war eine massive Militäroperation mit 160.000 Mann – amerikanische, britische und kanadische Truppen – Tausenden von Schiffen und Landungsbooten sowie einer intensiven Bombardierung aus der Luft.

Wie alle derartigen Operationen gab es auch beim D-Day skrupellose Aktionen und Fehleinschätzungen, für die Soldaten, viele von ihnen 18- und 19-Jährige, die noch nie zuvor gekämpft hatten, mit dem Leben bezahlten.

Am Ende gab es auf allen Seiten insgesamt fast 20.000 Tote – bei den Invasoren und den gegnerischen deutschen Truppen.

Die Veteranen der Schlacht, die zum Jahrestag an Stöcken oder im Rollstuhl zurückkehrten – viele sicherlich zum letzten Mal – erinnerten an die Schrecken eines Krieges, der ihr ganzes Leben prägte. Sie berichteten, wie sie über die Leichen von Mitsoldaten stiegen, um den Brückenkopf zu erreichen, und sterbende Freunde um Hilfe schreien hörten. Die unauslöschliche Erinnerung eines britischen Arztes an den D-Day war, dass ein 16-jähriger deutscher Soldat, dem beide Beine abgerissen worden waren, in seinen Armen starb.

Das Leiden, der Schmerz und auch der Heldentum dieser Veteranen des schrecklichsten Krieges in der Geschichte der Menschheit sind unbestreitbar. Wenn sie sagen, sie hätten im Kampf für die „Freiheit“ ein notwendiges Opfer gebracht, sind zweifellos ehrlich. Weite Teile der Bevölkerung waren damals der Meinung, dass der Krieg geführt wurde, um den Faschismus zu besiegen.

Die Reden der Politiker, angeführt von Donald Trump, waren jedoch von ganz anderer Art. Wenn sie in Portsmouth und in der Normandie die Worte „Frieden“, „Freiheit“ und „Demokratie“ im Munde führten, schwang so viel Zynismus und Heuchelei mit, dass sich ihr Sinn ins Gegenteil verkehrte.

Trump, der das Lob der Medien einheimste, weil er einige Plattitüden und Anekdoten herunternäselte, die ihm seine Mitarbeiter zusammengestellt hatten, schrieb den D-Day-Veteranen „das Überleben der Freiheit“ von „unserer Zivilisation“ und „unserer Lebensweise“ sowie „den Segen des Friedens“ zu.

Sein Gastgeber, der französische Präsident Emmanuel Macron, schlug einen ähnlichen Ton an: „Wir dürfen nie aufhören, für das Bündnis der freien Welt zu arbeiten“, sagte er. „Wir müssen uns dieses Erbes des Friedens, das uns hinterlassen wurde, als würdig erweisen.“ Gleichzeitig berief er sich auf die Vereinten Nationen, die NATO und die Europäische Union – alles Institutionen, die Trump verächtlich verspottet hat – als Verkörperung dieses Erbes.

Entgegen all diesem Gerede von „Frieden“ sind in den Kriegen, die der Imperialismus seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geführt hat, mindestens 20 Millionen Menschen gestorben – in Korea, in Vietnam, auf dem Balkan, im Irak, Libyen und Syrien und nicht zuletzt in Algerien, wo das französische Militär rund 200.000 Menschen abgeschlachtet hat.

Zudem führten Trump und Macron unmittelbar nach ihren Reden Gespräche über den Iran, gegen den Washington kontinuierlich Truppen für zusammenzieht.

Aufgrund der Reden zur Feier eines Krieges, der vorgeblich dem Sieg über die Nazis diente, würde man nicht vermuten, dass Trump bewusst die Fremdenfeindlichkeit und den Nationalchauvinismus schürt, die die ideologischen Grundlagen des heutigen Neofaschismus bilden, oder dass Macron erst im vergangenen Jahr den faschistischen Diktator Marschall Philippe Pétain, der die Nazi-Besatzer in Frankreich uneingeschränkt unterstützte, als „großen Soldaten“ lobte. Man würde auch nicht vermuten, dass heute mehr Neofaschisten in europäischen Regierungen sitzen als je zuvor seit dem Ende des Dritten Reiches, oder dass die faschistischen Alternative für Deutschland (AfD) heute die größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag ist.

Hintergrund der Reden vom Donnerstag – wie des D-Day selbst – waren die Bestrebungen der betreffenden Politiker, die imperialistischen Interessen ihrer jeweiligen Länder zu befördern.

Der Zweite Weltkrieg war ungeachtet der Reden, die diese Woche auf beiden Seiten des Ärmelkanals gehalten wurden, kein „Krieg für die Demokratie“ gegen den Faschismus. Er war, wie der Erste Weltkrieg nur 21 Jahre zuvor, ein Ergebnis der grundlegenden Widersprüche des kapitalistischen Systems, d. h. des Widerspruchs zwischen der Weltwirtschaft und der Aufspaltung der Welt in antagonistische Nationalstaaten, und zwischen der gesellschaftlichen Produktion und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln.

Die Invasion am D-Day war das Ergebnis einer langwierigen Auseinandersetzung zwischen den USA und Großbritannien und der Eröffnung einer „zweiten Front“, die die Sowjetunion zuvor mindestens zwei Jahre lang gefordert hatte.

Eines der auffälligsten Merkmale der Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag des D-Day in Großbritannien und Frankreich war der bewusste Ausschluss Russlands von den Feierlichkeiten. Zwar trug die Invasion in der Normandie zweifellos zur Niederlage des Dritten Reiches im Zweiten Weltkrieg bei, doch der überwältigende Anteil und die Opfer der Roten Armee, die für 80 Prozent der Verluste der deutschen Streitkräfte verantwortlich war, sind unbestreitbar. Die an sich ungeheuerliche Zahl von fast 300.000 Gefallenen der USA verblasst im Vergleich zu 26 Millionen Toten, Militärs und Zivilisten, auf Seiten der Sowjetunion.

Es waren die Siege der Roten Armee, die letztlich die USA und Großbritannien dazu brachten, die Invasion in der Normandie durchzuführen und die von Moskau geforderte zweite Front zu eröffnen. Die Rote Armee kämpfte an einer Front von fast 1600 km Länge, und hinter ihr stand der antifaschistische Widerstand der sowjetischen Massen.

Sowohl US-Präsident Franklin D. Roosevelt als auch der britische Premierminister Winston Churchill befürchteten, dass ohne eine Intervention in Frankreich der Krieg in Europa allein von der Sowjetunion gewonnen werden könnte. Dies hätte das Gespenst der sozialistischen Revolution auf dem ganzen Kontinent heraufbeschworen.

Beiden imperialistischen Staatsoberhäuptern ging es um die Verteidigung des Kapitalismus in einem Nachkriegseuropa. Sie sahen voraus, dass Millionen von Arbeitern, die die Große Depression, den Aufstieg des Faschismus und die Schrecken des Weltkriegs durchlebt hatten, den Weg der Revolution einschlagen würden.

Churchill hatte eine lange Geschichte als fanatischer antikommunistischer Feind der Sowjetunion, der auf den Einsatz britischer Truppen in Archangelsk und Murmansk im Jahr 1918 zurückging, was er dann als Kriegsminister als Versuch beschrieb, „den bolschewistischen Staat bei der Geburt zu erwürgen“.

Churchill, der den Bolschewismus als „Krankheit“ und „Seuche“ bezeichnete, hoffte wie viele in der britischen herrschenden Klasse noch 1935, dass Adolf Hitler „als der Mann in die Geschichte eingehen wird, der der großen germanischen Nation Ehre und Seelenfrieden zurückgab und sie ruhig, hilfreich und stark an die Spitze der europäischen Familie brachte“. In den 1930er Jahren äußerten er und gleichgesinnte rechte Torys die Hoffnung, dass Nazi-Deutschland die Sowjetunion niederwerfen würde.

Churchills Berechnungen während des Zweiten Weltkriegs basierten nicht auf „Demokratie“ oder „Freiheit“, sondern auf der Verteidigung eines britischen Imperiums, das Hunderte von Millionen Arbeiter und Bauern in den Kolonien des indischen Subkontinents, Afrikas und des Nahen Ostens versklavt hatte.

Roosevelt seinerseits vertrat einen aufstrebenden US-Imperialismus, der zur vorherrschenden atlantischen Macht geworden war und die globale Hegemonie anstrebte. Zum Zeitpunkt des D-Day produzierten die Vereinigten Staaten 45 Prozent der weltweiten Rüstungs- und fast 50 Prozent der weltweiten Industriegüter. Zwei Drittel aller Schiffe der Welt stammten aus US-amerikanischer Produktion.

Die damit verbundenen Interessengegensätze lagen den Differenzen zwischen den USA und Großbritannien über die militärische Strategie in Europa zugrunde, sowohl vor als auch nach dem D-Day, wobei Washington letztlich die Kriegspläne gegen Deutschland diktierte.

In dem kürzlich erschienenen Buch War and Peace: FDR's Final Odyssey: D-Day to Yalta, 1943-1945,erzählt der britische Biograph Nigel Hamilton, wie wütend Churchill nach dem D-Day über die Entscheidung von Gen. Dwight Eisenhower war, dem Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, nicht unverzüglich eine Armee Richtung Osten zu schicken, um vor der Roten Armee Berlin zu erreichen.

Hamilton schreibt: „Allzu früh gab er [Churchill] Anweisung, Pläne für eine anglo-amerikanische Operation Barbarossa [Deckname der Nazis für den Überfall auf die Sowjetunion] aufzustellen: einen Angriff auf das Gebiet um Dresden, ,um Russland den Willen der Vereinigten Staaten und des britischen Empire aufzuzwingen‘... Daran sollten nahezu fünfzig – zumeist amerikanische – Divisionen und bis zu 100.000 Wehrmachtsoldaten beteiligt sein! Sie sollte außerdem vier Tage vor den britischen Parlamentswahlen gestartet werden: Operation Undenkbar.“

Churchills Vorschlag, sich mit den Armeen des deutschen NS-Regimes zu verbünden, um die Sowjetunion anzugreifen, wurde von Washington abgelehnt. Dort glaube man zu Recht, dass die Bevölkerung der Vereinigten Staaten – der man gesagt hatte, sie würde einen Kreuzzug gegen den Faschismus führen – einen solchen Krieg niemals mittragen würde. Dennoch entlarvte Churchills Vorschlag die „demokratischen“ und „antifaschistischen“ Vorwände der US-amerikanischen kapitalistischen herrschenden Klasse und ihres wichtigsten Verbündeten.

Fünfundsiebzig Jahre später, nachdem die Sowjetunion von der stalinistischen Bürokratie aufgelöst wurde und der US-Imperialismus zu einem immer aggressiveren Militarismus greift, um den Niedergang seiner globalen wirtschaftlichen Hegemonie auszugleichen, ist die Gefahr eines neuen, diesmal atomaren Weltkriegs größer denn je. Hand in Hand mit Kriegsvorbereitungen gehen das Wiederaufleben rechtsextremer und faschistischer Elemente, sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten selbst, und die Zunahme staatlicher Repressionen.

Zum dritten Mal innerhalb von einhundert Jahren steht die Menschheit vor der Wahl zwischen Sozialismus und Barbarei. Es gibt keine Möglichkeit, einen neuen imperialistischen Krieg und damit die Gefahr der atomaren Vernichtung anders zu stoppen als durch eine sozialistische Revolution. Entscheidend dafür ist die Schaffung einer neuen politischen Führung der Arbeiterklasse durch den Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.

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