Die „Gelbwesten“ in Frankreich und das Wiederaufleben des internationalen Klassenkampfs

Vor acht Monaten verabredeten sich in Frankreich Tausende „Gelbwesten“ in den sozialen Medien, um gegen die arbeiterfeindliche Politik des „Präsidenten der Reichen“, Emmanuel Macron, auf die Straße zu gehen. In ihren weithin sichtbaren gelben Warnwesten protestieren sie seither gegen die Erhöhung der Benzinsteuer, die Niedriglöhne, das Sparprogramm, den Polizeistaat und die Kriegsvorbereitungen.

Die Gelbwesten sind unter Arbeitern populär und zeigen deutlich, dass Macron isoliert und verhasst ist. Sie haben sich in Frankreich zur größten politischen Oppositionsbewegung seit dem Generalstreik von Mai 1968 entwickelt.

Die Proteste markieren einen Wendepunkt in Frankreich und auf der ganzen Welt. Sie sind ein erstes Anzeichen dafür, dass die Arbeiterklasse wieder die politische Bühne betritt. Weltweit beginnen Arbeiter, ihren Zorn über die horrende soziale Ungleichheit, über das ständige Anwachsen von Armut und Elend, die Bereicherungsorgie einer winzigen Elite und die staatliche Unterdrückung offen zu zeigen.

Der Kampf der Gelbwesten ist Teil des größten Aufschwungs des Weltproletariats seit Jahrzehnten. Gleichzeitig ist es zu größeren Streiks der Lehrer in den USA, spontanen Streiks in den mexikanischen Maquiladoras und Arbeitsniederlegungen in mehreren EU-Ländern gekommen. Parallel dazu streikten Plantagenarbeiter und staatlich Beschäftigte auf dem indischen Subkontinent, und auch gegen Militärregime im Sudan und Algerien fanden Massenproteste statt. All diese Kämpfe stellen sich mit großer Militanz gegen das Diktat der Banken und fordern tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen.

Nach mehr als einem halben Jahr der Gelbwesten-Proteste ist es notwendig, die Lehren aus dem bisherigen Kampf zu ziehen. Als erstes muss die Situation, mit der die arbeitende Bevölkerung konfrontiert ist, ehrlich und ungeschminkt dargestellt werden.

Bisher hat die Finanzaristokratie in Frankreich und weltweit jedes Zugeständnis an diese Kämpfe abgelehnt. Gleichzeitig drohen die USA dem Iran mit Krieg und führen Handelskrieg gegen China. Seit Beginn der Gelbwesten-Proteste hat Macron einschneidende Angriffe auf die noch verbliebenen sozialen Rechte angekündigt, die nach der Niederlage der Nazis im Zweiten Weltkrieg gewährt wurden.

In Frankreich sind die staatlich garantierten Renten durch ein „Rentenpunktesystem“ ersetzt worden, das die effektive Höhe der Renten im Unklaren lässt. Ein Arbeitsplatz auf Lebenszeit, wie er früher nicht nur im öffentlichen Dienst üblich war, ist heute gänzlich undenkbar. Finanzmittel für Gesundheit und Bildung wurden stark eingeschränkt. Mehr und mehr wird deutlich, dass Arbeiter durch Verhandlungen mit den Vertretern des kapitalistischen Staats keine Veränderungen erreichen können.

Der Polizeistaat geht mit beispielloser Härte gegen die Gelbwesten vor. Zehntausende von Polizisten wurden in gepanzerten Fahrzeugen gegen die Gelbwesten geschickt. Durch Einsätze mit Wasserwerfern, Blendgranaten und automatischen Gewehren wurden mehr als 2000 Demonstranten verletzt. Dutzende haben durch Polizeigranaten eine Hand oder durch Gummigeschosse ihr Augenlicht verloren. Allein am 8. Dezember 2018 wurden bei den umfangreichsten Massenverhaftungen in Frankreich seit der Nazi-Besatzung zwischen 7000 und 9000 Demonstranten festgenommen. Im März erhielt die Armee sogar erstmalig seit 1947 die Erlaubnis, auf soziale Proteste zu schießen.

Die entscheidende Frage lautet: Welche revolutionäre Perspektive braucht die beginnende Bewegung der internationalen Arbeiterklasse?

Die Gelbwesten-Bewegung bestätigt die Perspektiven des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) und seiner französischen Sektion, der Parti de l’égalité socialiste (PES). Die Wiedereinführung des Kapitalismus in der Sowjetunion und China 1989 und die Auflösung der Sowjetunion 1991 durch die stalinistischen Regime bedeuteten nicht das „Ende der Geschichte“ und den endgültigen Triumph der kapitalistischen Demokratie. Die Auswirkungen dieser Ereignisse haben lediglich den Klassenkampf eine bestimmte Zeitlang unterdrücken können. Diese Periode ist jetzt vorüber. Nach dreißig Jahren eskalierender imperialistischer Kriege und zehn Jahre nach der Finanzkrise 2008 fühlt sich die Finanzaristokratie wieder vom bewussten revolutionären Handeln der Arbeiterklasse bedroht.

Die Gelbwesten haben auch die Voraussagen des IKVI über die Form bestätigt, die dieses Wiederaufleben des Klassenkampfs annehmen werde. Es handelt sich um eine internationale Rebellion gegen die Gewerkschaften, die sozialdemokratischen und stalinistischen Parteien und ihre Verbündeten unter den pablistischen Abkömmlingen kleinbürgerlicher Renegaten des Trotzkismus. Selbst in Frankreich, wo diese Tendenzen stark vertreten sind, haben nicht solche Strömungen die militanten Proteste initiiert, sondern diese sind außerhalb ihrer Kontrolle ausgebrochen.

Dieser neue Aufschwung des Klassenkampfs hat die tiefe Kluft zwischen den Arbeitern und den wohlhabenden Mittelschichten offenbart, die nach 1968 aus der Studentenbewegung hervorgingen und in Frankreich lange Zeit die „linke“ Politik dominiert haben. Wochenlang haben die Gewerkschaften, staatlich geförderte Akademiker und die Schreiberlinge der kleinbürgerlichen Pseudolinken die Proteste boykottiert. Stattdessen organisierten sie winzige feministische #MeToo-Kundgebungen oder hielten sich komplett fern. Ihre Lieblingsthemen – Sexualität, Hautfarbe und Lebensstil – spielen in den Protesten gegen soziale Ungleichheit, die von den unteren 90 Prozent ausgehen, keine Rolle.

Aus Furcht vor einem revolutionären Aufbegehren haben diese pseudolinken Kräfte Position gegen die Gelbwesten bezogen. Die Gewerkschaften beendeten Streiks der Lastwagenfahrer und Hafenarbeiter, die in den ersten Wochen aus Solidarität mit den Gelbwesten ausbrachen. Philippe Martinez, Chef der stalinistischen Conféderation General du Travail (CGT), knüpfte an die Tradition der üblen Diffamierungen im letzten Jahrhundert an, als französische Stalinisten die trotzkistische Bewegung als „Hitler-Trotzkisten“ verleumdet hatten. Er verleumdete die Gelbwesten als Faschisten, indem er behauptete, unter ihren gelben Westen seien sie „braun“.

Mehrere Parteien wie die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) bliesen ins selbe Horn. Selbst diejenigen, die sich weniger offen feindlich zeigten, wie zum Beispiel Jean-Luc Mélenchon, unterschieden sich nicht groß davon: Seine Partei La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich, LFI) organisierte keinen einzigen Protest zur Unterstützung der Gelbwesten, obwohl sie bei den Präsidentschaftswahlen 2017 sieben Millionen Stimmen erhalten hatte.

Die Gelbwesten haben eins ganz klargemacht: Um einen wirkungsvollen Kampf zu führen, müssen Arbeiter und Jugendliche unabhängig von den Gewerkschaften und den kleinbürgerlichen pseudolinken Parteien handeln. Die ersten unabhängigen Kämpfe haben allerdings die politischen Probleme, vor denen Arbeiter in dieser neuen revolutionären Ära weltweit stehen, umso schärfer hervortreten lassen. In seiner großartigen „Geschichte der russischen Revolution“ schrieb Leo Trotzki:

„Die Massen gehen in die Revolution nicht mit einem fertigen Plan der gesellschaftlichen Neuordnung hinein, sondern mit dem scharfen Gefühl der Unmöglichkeit, die alte Gesellschaft länger zu dulden. Nur die führende Schicht der Klasse hat ein politisches Programm, das jedoch noch der Nachprüfung durch die Ereignisse und der Billigung durch die Massen bedarf. Der grundlegende politische Prozess der Revolution besteht eben in der Erfassung der sich aus der sozialen Krise ergebenden Aufgaben durch die Klasse und der aktiven Orientierung der Masse nach der Methode sukzessiver Annäherungen.“

Die Proteste der Gelbwesten bezeichnen das Anfangsstadium dieses Prozesses. Hunderttausende Arbeiter und verarmte Angehörige der Mittelschicht kamen zum Schluss, es sei sinnlos, an die etablierten Parteien oder Gewerkschaften zu appellieren; diese würden ihren Kampf ohnehin nur ausverkaufen. Während sie bisher Parteien jeder Richtung ihre Stimme gegeben hatten, sammelten sie sich nun hinter dem Ruf nach einer Revolution gegen Macron.

In dieser ersten Annäherung blieben jedoch Fragen des Programms und der Perspektive ungelöst. Es gab keine Einigkeit darüber, was nach Macron kommen sollte. Einige der Gelbwesten lehnten Diskussionen über Politik generell als spalterisch ab, oder sie glaubten irrtümlich, Sozialismus sei die Politik des diskreditierten kleinbürgerlichen Umfelds der wirtschaftsfreundlichen Sozialistischen Partei (PS). Die ständig wiederholte Aufforderung an die Gelbwesten, Forderungen zu formulieren, auf die sich Macron einlassen könne, führte zu Losungen wie dem Volksentscheid nach Schweizer Vorbild, zuerst vorgeschlagen von Mélenchon, wodurch die Macht angeblich auf das Volk übergehen sollte.

Doch alle Bemühungen, die parlamentarische Demokratie Frankreichs zu reformieren, laufen ins Leere. Die Nationalversammlung lehnt den Volksentscheid ab, und militante Proteste lassen den Staat nur zu noch schärferer Repression greifen. Viele Gelbwesten spüren, dass der Weg vorwärts die Mobilisierung der Massenunterstützung ist, die sie unter Arbeitern haben. Doch bei aller Sympathie für die Gelbwesten sehen Arbeiter in Losungen wie dem Volksentscheid nicht die Basis für eine revolutionäre Konfrontation mit Macron, der EU und den globalen Finanzmärkten.

Das zeigt die Dringlichkeit, sich den Perspektiven der PES in Frankreich zuzuwenden. Die PES hat die Gelbwesten unerschütterlich verteidigt und gegen die staatliche Repression und die Verleumdung der Gelbwesten durch Medien, große Parteien und Pseudolinke in Schutz genommen. Wir haben immer wieder betont, dass Arbeiter in Frankreich und international unabhängige Aktionskomitees bilden müssen, die die trotzkistische Perspektive des Kampfs um die politische Macht vertreten. Sie müssen das IKVI als revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse aufbauen. Wie jeder Tag aufs Neue zeigt, lautet die Alternative, vor der die Arbeiterklasse steht, nicht Reform oder Revolution, sondern Revolution oder Konterrevolution. Um den Angriffen auf den Lebensstandard der Arbeiter Einhalt zu gebieten, gibt es nur einen Weg: Die Mobilisierung der ganzen wirtschaftlichen und ökonomischen Kraft der internationalen Arbeiterklasse, um die Kontrolle über die Wirtschaft zu übernehmen, die Finanzaristokratie zu enteignen und die Staatsmacht zu ergreifen.

Das Streben der Finanzoligarchie nach Diktatur

Die Politik der Sparprogramme und die polizeilich-militärische Unterdrückung wurzeln in der objektiven, historischen Krise des Weltkapitalismus. Seit der Auflösung der Sowjetunion hat sich nicht nur die Finanzelite jedes Landes obszön bereichert. Die Globalisierung der Wirtschaft hat auch die Widersprüche des Kapitalismus auf die Spitze getrieben: Erstens der Widerspruch zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaatensystem, und zweitens der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Akkumulation von Profit. Diese Widersprüche führten im zwanzigsten Jahrhundert zu Weltkriegen und faschistischer Diktatur, aber auch zur sozialen Revolution.

Befreit von politisch-militärischen Beschränkungen, die die Existenz der Sowjetunion ihnen auferlegt hatte, fielen die NATO-Staaten in den Irak, den Balkan, Afghanistan, Libyen, Syrien und Mali ein, um die strategischen, ölreichen Gebiete Asiens und Afrikas zu plündern. Dieser imperialistische Drang zum Krieg, den Millionen Menschen mit dem Leben bezahlen, geht bis heute mit Angriffen auf Löhne und soziale Bedingungen einher, die die soziale Ungleichheit, wirtschaftliche Instabilität und Finanzkrisen verschärfen. Der Finanzcrash von 2008 durch kriminelle Spekulationsgeschäfte der Banken führte beinahe zum Kollaps des Weltfinanzsystems.

Die EU-Mächte reagierten, indem sie Billionen von Euros in die Taschen der Reichen leiteten, finanziert durch Sparmaßnahmen und Angriffe auf die verbliebenen sozialen Zugeständnisse an die Arbeiter nach dem Zweiten Weltkrieg. Umfassende Angriffe auf das Bildungs- und Gesundheitssystem und den Kündigungsschutz folgten. In klarster Form geschah dies durch die Ausplünderung Griechenlands über zehn Jahre hinweg, was dieses Land in die tiefste Rezession stürzte, die Europa seit der Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion erlebt hat. Während das soziale Elend in Frankreich enorm zunimmt, hat sich der Reichtum seiner Milliardäre seit 2008 verdreifacht. Macron pumpt unterdessen hunderte Milliarden Euros in den Aufbau der französischen und EU-Kriegsmaschinerie und führt schrittweise, als Vorbereitung auf noch größere Kriege, die allgemeine Wehrpflicht wieder ein.

Die Strategen der herrschenden Klasse wissen, dass sie diese Politik, der die Arbeiterklasse mit Zorn und wachsender Militanz begegnet, nur durch autoritäre, faschistische Herrschaftsmethoden durchsetzen können. In einem Dokument von 2013, zur Zeit der Eurokrise, erörterte die JP Morgan Bank, welche Hürden sie aus dem Weg schaffen wollte, um die „Peripherie“, d.h. den europäischen Süden, wiederaufzubauen:

„In den Verfassungen der Staaten erkennt man starke sozialistische Einflüsse, ein Ausdruck der politischen Stärke linker Parteien nach der Niederlage des Faschismus … [D]ie politischen Systeme rund um die Peripherie weisen typischerweise einige der folgenden Merkmale auf: Ein im Verhältnis zu den Regionen schwacher Zentralstaat; in der Verfassung verankerter Schutz von Arbeiterrechten; Konsens schaffende Systeme, die Klientelpolitik begünstigen; und das Recht auf Protest, wenn am politischen Status quo unerwünschte Veränderungen vorgenommen werden. Die Krise hat die Mängel dieses politischen Erbes deutlich gezeigt.“

In der gegenwärtigen Krise will die europäische Bourgeoisie die demokratischen Zugeständnisse an die Arbeiterklasse aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg rückgängig machen. Dutzende Millionen Tote im Krieg, faschistische Unterdrückung und der Holocaust hatten den europäischen Kapitalismus diskreditiert. Zur Rechtfertigung ihrer Politik, den Kapitalismus in Frankreich nicht anzutasten, versprachen die stalinistische KPF, die Sozialdemokraten und bürgerlichen Gefolgsleute von General Charles du Gaulle, die alle gemeinsam im Nationalen Widerstandsrat (CNR) saßen, sie würden „die beherrschende Rolle der großen wirtschaftlichen und finanziellen Aristokratien in der Wirtschaft beenden“. Sie verstaatlichten einige Industrien, führten Kranken- und Rentenversicherung ein, und verankerten das Recht auf Protest und Streik in der französischen Verfassung. Es war das Versprechen, dass ein Verbot des Klassenkampfs wie unter den Nazis nie wiederkehren würde. Ähnliche Zugeständnisse führte man in Italien und dann in großen Teilen Europas ein.

75 Jahre danach zerfällt, was von diesem politischen System noch übrig ist. Europas sozialdemokratische Parteien brechen inmitten wachsenden Klassenzorns über Jahrzehnte von Sparmaßnahmen und Krieg auseinander. Das betrifft ganz besonders Frankreichs Parti Socialiste (PS), eine Partei der Wirtschaft, die nach dem Generalstreik von 1968 unter den sogenannten „Linken“ zur führenden Kraft wurde. Der Klassenkampf ist in eine neue Phase eingetreten. Die Bourgeoisie baut wieder faschistische Regime auf und zerstört Rechte, die dauerhaft aufrechtzuerhalten sie versprochen hatte.

Diese Politik wird in ganz Europa verfolgt, was unterstreicht, dass sie nicht in der Sturheit einzelner Politiker wie Macron, sondern in Klasseninteressen wurzelt. In Deutschland stellen sich alle großen bürgerlichen Parteien hinter rechtsextreme Professoren wie Jörg Baberowski, die Hitlers Verbrechen verharmlosen, um unpopuläre Austeritätspolitik und die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik zu legitimieren. Gleichzeitig wird die neofaschistische AfD systematisch aufgebaut. In Spanien unterstützen Armee und Polizei seit der Niederschlagung des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums 2017 die Partei Vox, welche den Putsch der faschistischen Armee und den spanischen Bürgerkrieg von 1936–1939 verherrlicht und ein Verbot marxistischer Parteien fordert. Italiens rechtsextremer starker Mann, Innenminister Matteo Salvini, lobt den faschistischen Diktator Benito Mussolini. Als Macron die Gelbwesten angriff, pries auch er General Philippe Pétain, den Diktator des Vichy-Regimes, als großen Soldaten. Pétain hatte mit den Nationalsozialisten kollaboriert und wurde später als Hochverräter und Massenmörder verurteilt.

Die Schlussfolgerungen aus diesen tektonischen Verschiebungen in Europa und der Weltpolitik können nur aus historischer Perspektive gezogen werden. Die Behauptung vieler französischer Medien, dass die Linke und der Sozialismus tot seien, trifft nicht zu. Vielmehr haben sich die Versprechungen des CNR nach dem Krieg, die Macht der „wirtschaftlichen und finanziellen Feudalherrscher“ im nationalen Rahmen des Kapitalismus zu beenden, als falsch erwiesen. Die politischen Tendenzen im CNR – Stalinisten, Sozialdemokraten und Gaullisten, die jahrzehntelang den Rahmen für die offizielle französische Politik abgaben – sind heute politisch bankrott. An ihre Stelle tritt offen die Finanzaristokratie. Sie eignet sich nicht nur den von der Arbeiterklasse geschaffenen gesellschaftlichen Reichtum an, um ihr schwindelerregendes Vermögen zu mehren. Sie rehabilitiert auch die faschistischen Verbrecher des 20. Jahrhunderts, um im 21. Jahrhundert autoritäre Regime an die Macht zu bringen.

Als historische Alternative zum Zerfall der offiziellen europäischen Politik tritt die überragende Gestalt Leo Trotzkis in den Vordergrund. Zusammen mit Lenin führte er die Oktoberrevolution, und später, im Kampf gegen die nationalistische Degeneration der Sowjetunion unter Stalin, gründete Trotzki die Vierte Internationale. Er warnte nicht nur zu Recht vor der konterrevolutionären Rolle des Stalinismus. Er verteidigte das Programm der sozialistischen Weltrevolution gegen den Stalinismus und rief auf dieser Grundlage eine Bewegung ins Leben, die noch heute, lange nach seiner Ermordung durch einen von Stalin gedungenen Mörder im August 1940, der Arbeiterklasse eine marxistische, internationalistische Perspektive bietet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Trotzkisten die einzigen, die sich gegen den Verrat wandten, den die stalinistischen Parteien an der sozialistischen Revolution begingen. Dazu zählte auch die KPF, die damals die stärkste Partei in der französischen Arbeiterklasse war. Vor dem Krieg hatte Stalin die Ermordung Trotzkis und der verbliebenen Alten Bolschewiki in den Moskauer Schauprozessen und den politischen Völkermord an Marxisten in der UdSSR durch die Große Säuberung befohlen. Bei Kriegsende wies Stalin die europäischen Kommunistischen Parteien an, dafür zu sorgen, dass die Arbeiterklasse nicht die Macht übernehmen würde. Die Trotzkisten kämpften gegen die Auflösung unabhängiger Arbeiter-Kampforganisationen, die im Widerstand gegen den Faschismus entstanden waren, durch die Stalinisten. Solche Organisationen waren die Milizen der Résistance und die Fabrikkomitees. Die Stalinisten entwaffneten sie und lösten sie auf. Die Vierte Internationale wandte sich auch gegen die Volksabstimmung über die Verfassung von 1946, die sich auf das Programm des CNR stützte, und warnte zu Recht davor, dass eine kapitalistische Republik unvermeidlich die Hoffnungen der Arbeiter enttäuschen würde.

Diese historische Einschätzung – belegt durch blutige Kolonialkriege Frankreichs in Indochina und Algerien, dann durch den Ausverkauf des Generalstreiks von 1968 durch die KPF, die sich weigerte, die Macht zu übernehmen – bestätigt sich heute in der Hinwendung der Bourgeoisie ganz Europas zu autoritären Herrschaftsformen.

Die Gelbwesten-Bewegung hat auch die historische Bedeutung des Kampfs des IKVI gegen die kleinbürgerlichen pablistischen Renegaten vom Trotzkismus deutlich gemacht.

Die Führer der pablistischen NPA sind ehemalige Studenten aus der Protestbewegung von 1968. Sie schlossen sich damals der kleinbürgerlichen Tendenz von Michel Pablo und Ernest Mandel an, die 1953 mit dem IKVI gebrochen hatte. Diese Tendenz rief dazu auf, die Vierte Internationale in die damaligen stalinistischen Massenparteien und bürgerlich-nationalistischen Parteien aufzulösen, weil diese, so die Pablisten, die Vierte Internationale als revolutionäre Führung der Arbeiterklasse ersetzen könnten. Auf diese Weise passten sich die Pablisten an die Nachkriegsordnung in Westeuropa und an die Stalinisten an.

In seinem Buch „Trotskyisms“ (Trotzkismen) erklärte der inzwischen verstorbene Daniel Bensaïd, ein Studentenführer von 1968, die Abspaltung der Pablisten von der Vierten Internationale so: „Ende der 1940er Jahre hatten sich die Voraussetzungen, unter denen die Vierte Internationale gegründet worden war, stark verändert. Ihr Programm musste neu geschrieben werden. Pablo wagte sich an diese Neufassung … Er verstand bereits in den 1950ern, dass man es mutig wagen konnte, Themen wie Befreiung der Frau, Selbstverwaltung und demokratischer Sozialismus aufzubringen.“ Mit andern Worten schlug Pablo vor, das trotzkistische Programm aufzugeben und es durch Konzeptionen zu ersetzen, wie sie unter wohlhabenden und gut integrierten sozialen Schichten populär waren.

Gegen diese Art Lebensstil und Identitätspolitik, die seit 1968 ein halbes Jahrhundert lang für „die Linke“ bezeichnend war, haben die Gelbwesten rebelliert. Tatsächlich stellt die vorgeblich demokratischere, modernere Alternative zum Trotzkismus und zum klassischen Marxismus (den die PES vertritt) einen Betrug dar. Die Parteien, die sich auf diese Politik gründen, passen sich vielmehr an den Kapitalismus an, während dieser im Begriff ist, zu faschistischen Herrschaftsformen zurückzukehren und weltweit Krieg vorzubereiten.

Die Gelbwesten und der Bankrott der Pseudo-Linken

Die Bilanz der Gelbwesten-Proteste hat die Analyse des IKVI bestätigt: Die NPA und vergleichbare Parteien in aller Welt sind weder links noch „weit links“, sondern pseudolinke, antimarxistische Parteien. Sie stützen sich auf das wohlhabende Kleinbürgertum, das durch eine Klassenkluft von der Arbeiterklasse getrennt ist. Während in ganz Europa diktatorische Herrschaftsformen vorbereitet werden, haben diese Organisationen auf den stärksten Aufschwung des Klassenkampfes in Frankreich seit einem halben Jahrhundert mit Abscheu und Beunruhigung reagiert. In den ersten Wochen der Proteste haben die Stalinisten und Pablisten ihre Feindschaft gegenüber den Gelbwesten nicht verhehlt und sie als faschistische Agenten des Kapitals gebrandmarkt. Während die stalinistische CGT von einer „Manipulation des Zorns der Bürger und Arbeiter durch die extreme Rechte und Interessen der Transportunternehmen“ sprach, griff die NPA die Gelbwesten heftig an. Sie schrieb:

„Wie auch die Gewerkschaften CGT und Solidaires, werden wir unsere Wut am 17. November nicht mit den Manövern der Bosse oder den Forderungen der extremen Rechten verbinden, welche kein zeitweiliger Verbündeter, sondern nach wie vor ein tödlicher Feind ist. Ja, alles steigt außer den Löhnen, und die unteren Klassen haben zu Recht die Nase voll von den Erhöhungen der Benzinpreise und überhaupt aller Preise … Aber das können wir an diesem 17. November nicht in den Aktionen oder angeblichen Volksversammlungen sagen, die wie ein rechtsextremer Mob daherkommen. Wir würden sonst mit den Todfeinden der Arbeiterbewegung gemeinsame Sache machen.“

Solche Erklärungen der NPA und der angeblich „linken“ Gewerkschaften sollte man sich gut merken. Sie offenbaren sehr deutlich die Klassenpsychologie von privilegierten sozialen Kräften, aus denen die Pseudolinke besteht, deren Fokus auf postmoderner Politik um Geschlecht, Lebensstil und ethnischer Identität liegt. Forderungen nach größerer sozialer Gleichheit für die „unteren Klassen“, nämlich die Arbeiter, begegnen sie, indem sie diese im Namen der „Arbeiterbewegung“, d.h., der staatlich subventionierten französischen Gewerkschaften und der wohlhabenden Mittelklasse, als Faschisten verurteilen.

Die Erklärung der NPA war eine haltlose Verleumdung. Die Gelbwesten sind sozial und politisch heterogen. Sie umfassen Schichten verarmter Mittelständler und Kleinunternehmer, die von geringen Einkommen und Renten leben, wie auch Arbeiter. Bei Wahlen geben sie ihre Stimme allen großen französischen Parteien, auch den Neofaschisten. Die Arbeiter unter den Gelbwesten erkennen die legitimen Forderungen der Protestler aus den Mittelschichten an und haben Macrons Versuche zurückgewiesen, die Proteste durch Almosen wie minimale Lohnerhöhungen zu beenden.

Der hohe Stimmenanteil für die Neofaschisten ist zweifellos ein Hinweis auf große Gefahren. Bei den jüngsten Europawahlen gaben 23 Prozent der französischen Wähler den Kandidaten der Neofaschisten ihre Stimme, vor allem aus Protest gegen Macron, und weil alle nominell „linken“ Parteien zu Recht als Werkzeug der herrschenden Klasse gesehen wurden. Das Wahlergebnis widerspiegelt einen starken nationalistischen Druck und politische Konfusion in Frankreich, auch in der Arbeiterklasse, die jahrzehntelang ihr Vertrauen in Parteien gesetzt hatte – die KPF und später die PS –, welche Sparmaßnahmen durchgesetzt haben, imperialistische Kriege führten und eine feindselige Politik gegen Immigranten und Muslime verfolgten, sobald sie an der Regierung waren.

Die Vorbereitungen auf ein faschistisches Regime sind in Frankreich weit fortgeschritten. Allerdings zeigt die offizielle Rehabilitierung von Faschisten in ganz Europa – so Macrons Lob für Pétain, während er die Gelbwesten angriff – dass die Legitimierung des Faschismus vor allem von oben betrieben wird. Faschistische Gewalt während der Proteste kam nicht von den Gelbwesten, sondern von einem Teil der Sicherheitskräfte und Polizeigewerkschaften, wo die Faschisten Wähler haben. Die Gelbwesten-Proteste haben deutlich gemacht, dass zum jetzigen Zeitpunkt Massenunterstützung für den Faschismus, wie sie in den 1930er Jahren in Europa entstand, nicht existiert. Im gegenwärtigen Stadium des Klassenkampfs sucht die verarmte Mittelklasse das Bündnis mit den Arbeitern.

Die Arbeiterklasse steht vor großen Aufgaben. Sie muss ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, einen Kampf gegen den Kapitalismus zu führen und alle unterdrückten Schichten der Bevölkerung hinter sich zu sammeln. Das Wiederaufleben von Arbeiterkämpfen in ganz Europa und international lässt die wachsende Bereitschaft der Arbeiterklasse für diese Strategie erkennen. Doch der Kampf, breitere Arbeiterschichten zu mobilisieren, erfordert einen bewussten politischen Bruch mit der Pseudolinken, diesen populistischen Parteien, die sich gegen die sozialistische Revolution stellen, den Klassenkampf leugnen und versuchen, die Arbeiter in Frankreich von ihren Klassenbrüdern auf der ganzen Welt abzuschneiden, um sie dem Nationalismus und Kapitalismus unterzuordnen.

Diese Rolle spielen die sogenannten „linken Populisten“ in der LFI, Mélenchons Partei „Unbeugsames Frankreich“. Die LFI spricht für eine andere gewerkschaftliche und akademische Pseudolinke als die NPA. Doch Mélenchon griff die Gelbwesten nicht so plump an, wie die Pablisten es taten. Die LFI hoffte nach ihrem Wahlerfolg bei den Präsidentschaftswahlen 2017, als sie 20 Prozent der Stimmen errang, ihren Anspruch, die „führende Oppositionskraft“ gegen Macron zu sein, aufrechtzuerhalten zu können. Deshalb verfolgte sie einen etwas anderen Kurs als die NPA, obwohl sie wie diese das Wiederaufleben des Klassenkampfes mit größter Beunruhigung registrierte. Auf seinem Blog behauptete Mélenchon, er sei „hocherfreut“, weil die Proteste der Gelbwesten „das theoretische Modell in meiner Theorie der Bürgerrevolution bestätigen …“.

Mélenchon wollte die Aussage der Gelbwesten, sie kämpften für „das Volk“, d.h. nicht nur für Lohnarbeiter, sondern auch für hart arbeitende Mittelständler, Kleinunternehmer, Bauern und Selbständige, für seine Zwecke ausschlachten. Doch sein Ruf nach einer „Bürgerrevolution“ des Volkes hatte einen vollkommen anderen Klasseninhalt. Er sprach sich für Identitätspolitik basierend auf Geschlecht und Ethnizität aus, und vor allem für den französischen Nationalismus. Damit sprach er für Schichten der Bourgeoisie und der wohlhabenden Mittelklasse, die in den zehn reichsten Prozent der Bevölkerung zu finden sind.

Mélenchon wurde als Student politisch aktiv, als er in Pierre Lamberts Organisation Communiste Internationaliste (OCI) eintrat. Die OCI war die frühere Sektion des IKVI. Kurz nachdem sie 1971 vom IKVI abgespalten hatte, trat Mélenchon der OCI bei und engagierte sich für den Aufbau der „Union der Linken“ mit der KPF und der PS. Die PS war eine bürgerliche Partei, die 1971 als Wahlkampfmaschine für den Sozialdemokraten François Mitterand gegründet wurde, der selbst noch dem Vichy-Regime gedient hatte. Die nationalistische, liquidatorische Perspektive der OCI führte dazu, dass sie ihre Mitglieder anwies, in der PS zu arbeiten. Auch Mélenchon schloss sich 1976 der PS an. Ein Mitglied der OCI, Lionel Jospin, wurde später Premierminister und stand als PS-Führer von 1997–2002 an der Spitze der Regierung der Pluralen Linken. Doch die Bevölkerung hatte bald genug von der Pluralen Linken, was 2002 zur Niederlage Jospins in den Präsidentschaftswahlen führte, und die PS konnte zehn Jahre lang keinen Präsidenten mehr stellen. Also trat Mélenchon aus der Partei aus und gründete 2009 mit der Linksfront seine eigene Bewegung, die sich mit der KPF verbündete. 2016 wurde daraus die LFI.

Mélenchons aktueller Aufruf zu einer „Bürgerrevolution“ wurde in Diskussionen mit Chantal Mouffe ausgeheckt. Mouffe ist die postmodernistische, feministische und „linkspopulistische“ Mentorin von Syriza (Alexis Tsipras‘ „Koalition der Radikalen Linken“), des griechischen Verbündeten der LFI, die dem Marxismus völlig feindlich gegenübersteht. Mouffe schreibt: „[V]öllig unnötig“ sei für den linken Populismus „ein ‚revolutionärer‘ Bruch mit dem liberal-demokratischen Regime“, und sie wendet sich gegen all diejenigen, die „die Politik nach wie vor auf den Gegensatz von Kapital und Arbeiterschaft reduzieren und der als Vehikel für die sozialistische Revolution dargestellten Arbeiterklasse einen ontologischen Vorrang einräumen“. Wie das Milieu der ehemaligen studentischen Radikalen von 1968 im Allgemeinen, weist auch Mouffe die wesentlichen Auffassungen des Marxismus zurück.

In seinem Blog beeilte sich Mélenchon, hinzuzufügen, dass seine angeblich revolutionäre Theorie nicht die Grundlage für einen Kampf um die Macht sein könne. „Meine Arbeit trifft für keine Situation eine Aussage darüber, wie die Regierung unter den Schlägen einer solchen Bewegung fallen könnte. Das hängt vor allem damit zusammen, dass das Ergebnis in meinen Augen auf jeden Fall friedlich und demokratisch sein muss. In jeder Situation müssen wir also eine Lösung im Rahmen der Institutionen finden.“ Mélenchon betonte auch seine Ablehnung „traditioneller Dogmen der traditionellen Linken und Linksextremen“, etwa dass „das Konzept des Proletariats und der sozialistischen Revolution in der geschichtlichen Dynamik eine zentrale Rolle spielen“ werde. Wie Mouffe gründet sich also auch Mélenchon auf die bewusste Ablehnung des Marxismus und des Klassenkampfs, und er richtet seine Politik auf nationalistische Weise auf den französischen Staat aus.

Dieser verächtliche Angriff auf den Klassenkampf und den Sozialismus als „Dogma“ veranschaulicht den Bankrott der Pseudolinken. Die Forderungen der Gelbwesten fanden enorme Unterstützung in der Bevölkerung, Mélenchon erhielt 7 Millionen Stimmen, und unter Lehrern und Krankenschwestern in Frankreich und in breiteren Schichten der internationalen Arbeiterklasse brachen Streiks aus. Doch weder der LFI noch den Gewerkschaften oder einer pseudolinken Partei war daran gelegen, einen revolutionären Kampf gegen Macron auf Basis dieser wachsenden Opposition zu entwickeln.

Selbst als die NPA eine Kursänderung vornahm, und die pseudolinken Parteien sich zum Winterende stärker den Gelbwesten-Protesten zuwandten, versuchten sie nicht, eine Bewegung aufzubauen; auch gelang es ihnen nicht, unter den Gelbwesten Unterstützung zu erhalten. Sie versuchten, die Proteste unter die Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie zu bringen, was bei den Gelbwesten auf überwältigende Ablehnung stieß. Bei den diesjährigen Europawahlen erhielt die LFI im Vergleich zu 2017 nur ein Drittel der Stimmen. Dieser plötzliche und dramatische Einbruch ist der Tatsache geschuldet, dass diese Parteien sich als unbrauchbar erwiesen haben und jedem wirklichen Kampf feindlich gegenüberstehen. Immer deutlicher zeigt sich, dass über eine ganze historische Epoche hinweg die antimarxistische Propaganda von Mouffe, Mélenchon und anderen Postmodernisten den Aufbau einer marxistischen revolutionären Avantgarde behindert und die Initiative der herrschenden Klasse überlassen hat.

Was ist der Weg vorwärts für die Gelbwesten-Bewegung?

Monatelang haben die offiziellen Medien die baldige Demoralisierung und den Zusammenbruch der Gelbwesten prophezeit. Doch ihre anhaltenden Proteste mit zehntausenden Teilnehmern, sowie die Streiks von weiteren Schichten von Arbeitern in Frankreich und international sind nur der Anfang eines Aufschwungs der Arbeiterklasse. Unter der Oberfläche des offiziellen politischen Lebens wächst eine viel größere Bewegung von enormer Sprengkraft heran. Es gilt, dieser beginnenden Bewegung der Arbeiterklasse Orientierung zu geben in einer Situation, wo das alte politische Establishment zusammenbricht und die Gefahr von Krieg und autoritärer Herrschaft akut ist.

Dazu müssen der PES in Frankreich und Sektionen des IKVI weltweit aufgebaut werden, um der Arbeiterklasse eine revolutionäre Perspektive und Führung zu bieten. Die Gelbwesten und der weltweite Aufschwung des Klassenkampfs bestätigen auf machtvolle Weise die Aufrufe des PES und des gesamten IKVI an die Arbeiter, ihre Kämpfe unabhängig von den Gewerkschaften und etablierten Parteien zu führen. Das ist keine sektiererische oder utopische Politik, sondern die einzige realistische Grundlage für den Klassenkampf. Die Gelbwesten, eine relativ kleine Schicht von Arbeitern und Mittelständlern, haben Macron einen vernichtenden Schlag versetzt, gerade weil sie die tödliche Kontrolle dieser Organisationen über soziale Kämpfe durchbrochen haben. Sie trotzten Drohungen der Polizei und des Militärs und wiesen Angriffe der offiziellen Medien mit der gebührenden Verachtung zurück. Die wachsende Radikalisierung der Arbeiterklasse verhalf ihnen zu massenhafter Unterstützung.

Das entscheidende Hindernis für die Gelbwesten-Bewegung sind auch jetzt nicht organisatorische Schwierigkeiten bei der Koordinierung von Aktionen. Viel schwieriger ist es, die unzweifelhaft vorhandene Sympathie von Millionen und die zahlreichen sozialen Medien und Nachbarschaftsgruppen um sie herum zu mobilisieren. Denn die Notwendigkeit eines internationalen Kampfs um die Arbeitermacht wird bisher nur diffus und ansatzweise erkannt, weil die revolutionäre Avantgarde in der Arbeiterklasse noch klein ist. Eine revolutionäre Perspektive zu entwickeln, ist unmöglich, wenn die heutigen Kämpfe nicht in die Kontinuität der Kämpfe der gesamten Arbeiterbewegung auf der Basis des klassischen Marxismus, der Oktoberrevolution und des Trotzkismus gestellt werden. Fortgeschrittene Arbeiter und Jugendliche stehen vor der Aufgabe, sich mit den politischen und historischen Perspektiven vertraut zu machen, die vom IKVI im Kampf entwickelt worden sind.

In den Anfangsstadien des erneuten Klassenkampfs haften dem Widerstand aus der Bevölkerung noch Spuren der Vergangenheit an. Lange Zeit galt in Frankreich „die Linke“ als die Politik der wohlhabenden Mittelkasse, die sich populärer demokratischer Begriffe bediente, um den Klassenkampf zu unterdrücken. Die Gelbwesten entstanden nur zwei Jahre nach Gründung des PES. Bis dahin hatte es in Frankreich nach den Verrätereien der Pablisten und dem Bruch der OCI mit dem IKVI fast ein halbes Jahrhundert lang keine trotzkistische Partei gegeben, die den Namen verdient hätte. Viele politische Fragen müssen noch geklärt werden.

Unter den Gelbwesten gibt es viele, die den Ruf nach „apolitischen“ Protesten unterstützen und gegen alle Parteien richten. Daraus spricht der Zorn der Arbeiter gegen das gesamte politische Establishment. Pseudolinke Kräfte unterstützen dies jedoch, um einen bewussten Bruch mit den Parteien zu verhindern, die die Sparprogramme durchgesetzt haben. Deshalb können Losungen wie der Volksentscheid, in dem Arbeiter eine legitime Forderung sehen, um Einfluss auf politische und ökonomische Entscheidungen zu nehmen, nicht als Grundlage für den Klassenkampf dienen. Solange solche Losungen vom Kampf für die weltweite Enteignung der Finanzaristokratie, für Arbeiterkontrolle über den globalen Produktionsprozess und für Arbeitermacht getrennt sind, sind es Forderungen nach Reformen, die der kapitalistische französische Staat niemals erfüllen wird. Deshalb haben selbst ehrlich gemeinte Forderungen der Gelbwesten nach einem Generalstreik oder einer Revolution, wie auch ihr Versuch, unabhängige Volksversammlungen einzurichten, bei der Masse der Arbeiter nicht den Impuls ausgelöst, einen entscheidenden Kampf gegen Macron, die EU und die Finanzmärkte aufzunehmen.

Auch heute, in der tiefsten Krise des Kapitalismus, handelt die Bourgeoisie mit einem viel stärkeren Bewusstsein ihrer Klassenziele als die Arbeiter. Einerseits propagiert sie über die offiziellen Medien die Aufrufe von Scharlatanen wie Mélenchon für eine Revolution des gesamten Volks, während der Klassenkampf angeblich längst auf der Müllhalde der Geschichte gelandet sei. Andererseits führen die Personen in den Chefetagen der Banken und im Staatsapparat bewusst den Klassenkampf, und sie führen ihn mit harten Bandagen.

Im Februar titelte Le Monde diplomatique: „Der Klassenkampf in Frankreich“. Die Zeitung schilderte die Panik der herrschenden Klasse bei Ausbruch der Gelbwesten-Proteste. „Furcht. Nicht vor einer Wahlniederlage, Mangel an ‚Reformwillen‘ oder einem Verlust an den Börsen. Sondern Furcht vor Aufstand, Revolte und Verlust der sozialen Stellung. Eine Furcht, die die französischen Eliten seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gespürt haben.“ Zitiert wurde der Chef eines Meinungsforschungsinstituts, der die Stimmung unter den wichtigsten Konzernvorständen beschrieb als „ähnlich der, wie ich sie aus Büchern über 1936 und 1968 kenne“. In diesen beiden Jahren fanden die umfassendsten Generalstreiks der Geschichte Frankreichs statt. Das Blatt verglich den ungezügelten Hass und die Furcht vor den Gelbwesten an den Börsen und in den Vorstandsetagen mit dem mörderischen Zorn der Bourgeoisie gegen die Revolution von 1848 und die Pariser Kommune von 1871, die sie in Blut ertränkte, und kommentierte: „Diejenigen, denen Furcht eingejagt wurde, verzeihen denen, die das taten, niemals, und auch denen nicht, die Zeugen ihrer Furcht geworden sind.“

Die Brutalität der Bourgeoisie darf nicht unterschätzt werden. Doch sie ist der Spiegel der sozialen Kluft, die sie von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung trennt, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten muss. Darin besteht letztlich die Schwäche der herrschenden Klasse. Die furchteinflößenden Drohungen der Staatsmaschinerie und der Medien resultieren aus Verzweiflung angesichts einer immer tieferen politischen Krise, für die sie keinen Ausweg kennt. Die Zeit, in der diese Konflikte vor allem in nationalen und populistischen, aber nicht in Begriffen des Klassenkampfs diskutiert wurden, neigt sich dem Ende zu. Immer mehr Arbeiter verstehen ihre Probleme im Lichte ihrer Klasseninteressen, und sie wollen sie auf diese Weise austragen, wie es die Bourgeoisie bereits tut. Die objektive Situation ermöglicht in Frankreich und weltweit rasche Veränderungen im politischen Bewusstsein der Arbeiterklasse, wie auch den Aufbau machtvoller Arbeiterorganisationen.

Die fortwährende Verschlechterung der Lebensverhältnisse in ganz Europa und darüber hinaus, und der zunehmende Einsatz polizeilicher und militärischer Gewalt durch die herrschende Elite führen dazu, dass sich hunderte Millionen Arbeiter radikalisieren. Die globale Forderung nach größerer sozialer Gleichheit, die die Proteste der Gelbwesten auslöste, bewirkt vor allem in der Jugend eine wachsende Unterstützung für Sozialismus und Kommunismus. Das Empfinden, dass Arbeiter in jedem Land denselben Problemen gegenüberstehen, ist weit verbreitet. Arbeiter werden immer mehr die Notwendigkeit spüren, Organisationen aufzubauen, die in der Lage sind, die allgemeine Stimmung für internationale Solidarität in einen einzigen Kampf der internationalen Arbeiterklasse gegen Autoritarismus, Austerität und Krieg zu verwandeln.

Die PES ist gefordert, auf der Grundlage der Lehren aus der Geschichte des internationalen Klassenkampfs ihre Präsenz unter den fortgeschrittensten Arbeitern und Jugendlichen zu festigen, bevor es zur entscheidenden revolutionären Konfrontation kommt. Unsere Partei arbeitet am Aufbau einer revolutionären Avantgarde, kämpft dafür, die Kämpfe der französischen Arbeiter mit denen ihrer internationalen Klassenbrüder zu vereinen, um ihnen in einer Offensive gegen Kapitalismus, Krieg und die Gefahr eines Polizeistaats Führung zu geben. Sie fordert die Enteignung der Finanzaristokratie, die Beendigung imperialistischer Kriege und die Verteidigung demokratischer Rechte.

Der Klassenkampf erfordert den Aufbau europäisch und international verbundener Komitees in den Betrieben und Wohnvierteln, die von den Gewerkschaftsbürokratien unabhängig sind und in Opposition zu ihnen stehen. Sie müssen dem transnationalen Charakter der modernen Wirtschaft Rechnung tragen. Die Gelbwesten in Frankreich haben gezeigt, dass Hunderttausende über die sozialen Medien zusammenkommen und unabhängig von den Gewerkschaften und etablierten politischen Parteien den Klassenkampf führen können. Dies muss zu einer viel größeren und internationalen Bewegung in der Arbeiterklasse ausgeweitet werden.

Die PES appelliert an alle Arbeiter und Jugendlichen, die den Kapitalismus ablehnen und die Notwendigkeit des Sozialismus anerkennen, die Dokumente des IKVI zu studieren und sich unserer Partei oder ihrer Jugendorganisation, den International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) anzuschließen. Wir sehen unsere Aufgabe darin, der aufkommenden Bewegung der Arbeiterklasse ein marxistisches Bewusstsein zu vermitteln, das den Charakter der politischen Situation, die Bewegung in der Arbeiterklasse und ihre Ziele zum Inhalt hat. Wir treten aktiv für den Aufbau von Betriebskomitees und oppositioneller Jugend- und Studentengruppen ein und setzen uns dafür ein, die wachsenden Klassenkämpfe mit einer sozialistischen, internationalistischen und antiimperialistischen Bewegung in der weltweiten Arbeiterklasse zu verknüpfen. Das Ziel besteht darin, die Staatsmacht zu ergreifen und das Wirtschaftsleben zu reorganisieren, um gesellschaftliche Bedürfnisse – und nicht privates Profitstreben – zu befriedigen. In Europa bedeutet das den Kampf, die Europäische Union durch die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa zu ersetzen.

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