Neues Hochschulgesetz in NRW erlaubt Kriegsforschung

Am 11. Juli verabschiedete die Regierungskoalition aus CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen ein neues Hochschulgesetz. Das Gesetz ist ein weitreichender Angriff auf Studierende und Lehrende der NRW-Hochschulen im Speziellen und gegen die Interessen der Arbeiterklasse im Allgemeinen.

Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt auf der Abschaffung der Zivilklausel, d.h. des Verbots von Forschung für militärische Zwecke. In § 3 des bisher gültigen Gesetzes hieß es: „Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach.“

Die nun beschlossene Rücknahme der Klausel ist ein Meilenstein der Remilitarisierung der Hochschulen in Deutschland und ein Signal an den deutschen Verteidigungs- und Sicherheitsapparat, die Hochschulen künftig intensiver und direkter in die Vorbereitung von „Großmachtkonflikten“ einzubinden.

Seitdem führende Regierungspolitiker 2014 das „Ende der militärischen Zurückhaltung“ Deutschlands forderten, wird die Aufrüstung und die politische Stärkung des Kriegsapparats systematisch vorangetrieben. Erst kürzlich bekannte sich die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die zuvor schon ein deutsch-französisches Projekt zum Bau von Flugzeugträgern gefordert hatte, zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato und damit zu einer Verdoppelung des Militärhaushalts. Ein deutscher Flugzeugträger bedürfte nicht zuletzt technischer Entwicklungen an Forschungsstandorten in Deutschland.

Die Blaupause für diesen Kurs lieferte im Jahr 2013 der regierungsnahe Think-Tank Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit dem Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“. In dem Dokument wird der Aufbau einer „Denklandschaft“ gefordert, die „imstande ist, politische Optionen schnell und in operationalisierbarer Form zu entwickeln“. Eine dieser Optionen besteht, so das Papier, im „Einsatz militaristischer Gewalt“. Universitäten und Forschungseinrichtungen werden explizit als Teil der „Denklandschaft“ verstanden.

Die Zivilklausel war im September 2014 von der damaligen rot-grünen Landesregierung im Hochschulzukunftsgesetz verankert worden. Die Maßnahme zielte darauf ab, SPD und Grünen, die bei der Durchsetzung militärischer Auslandseinsätze seit dem Kosovo-Krieg eine Schlüsselrolle spielen, einen Anschein von Antimilitarismus zu verleihen.

Die Klausel hatte seither vor allem symbolischen Charakter, änderte jedenfalls nichts daran, dass an Hochschulen in NRW für militärische Zwecke geforscht wurde. Wie Recherchen des Spiegels zeigen, flossen seit 2008 Drittmittel in Höhe 21,7 Millionen Dollar vom US-Verteidigungsministerium direkt an Hochschulen in Deutschland – auch in NRW.

Die RWTH Aachen, die seit Jahren zu den „Exzellenzuniversitäten“ gehört, erhielt mindestens 1.223.190 US-Dollar. Die zwei größten Einzelsummen, jeweils rund 210.000 Dollar, gingen bei der RWTH ab April 2018 und Anfang 2019 trotz bestehender Zivilklausel ein.

Wie in vielen anderen Fällen rechtfertigte auch die RWTH die offensichtliche Einflussnahme des Militärs mit der Problematik des „Dual Use“. Zivile Forschung könne eben auch für militärische Zwecke verwendet werden. Man vertraue aber auf das „Verantwortungsbewusstsein unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“, so RWTH-Rektor Ulrich Rüdiger.

Laut Recherchen von Stern und der investigativen Plattform Correctiv entstand ab 2016 an der RWTH eine „Machbarkeitsstudie“ für eine Panzerfabrik in Karasu an der türkischen Schwarzmeerküste. Die RWTH hatte dabei sowohl mit dem deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall als auch mit dessen türkischem Partner BMC zusammengearbeitet.

Solche Fördermittel und Forschungsprojekte werden nun legitimiert und ausgeweitet. Die NRW-Landesregierung stellte das neue Hochschulgesetz, das am 1. Oktober 2019 in Kraft treten wird, indessen als Maßnahme dar, um „den Hochschulen ihre Autonomie und eigenverantwortliche Gestaltungsmöglichkeiten“ zurückzugeben.

Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos), die seit ihrem Amtsantritt im Juni 2017 an einem neuen Gesetz gearbeitet hatte, erklärte, die Änderungen stärkten „die Qualität von Forschung und Lehre für die Studierenden“.

Neben der Abschaffung der Zivilklausel beinhaltet das Gesetz erhebliche soziale Angriffe, die schwerwiegende Auswirkungen auf Studierende haben werden, die ohnehin sozial benachteiligt sind. So wurden verbindliche Studienverlaufsvereinbarungen neu und die Anwesenheitspflicht wieder eingeführt.

Von beidem werden vor allem Studierende betroffen sein, die neben ihrem Studium zusätzlich arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt und die Abgaben an die Hochschulen bezahlen zu können. Vornehmlich werden auch Studierende mit Kindern, Behinderungen oder chronischen Krankheiten durch diese Regelungen schwer beeinträchtigt werden.

Das Gesetz traf sowohl bei Studierenden als auch bei einem erheblichen Teil der Mitarbeiter auf Protest. Noch während das Gesetz im Landtag beschlossen wurde, protestierten mitten in der Klausurphase hunderte Studierende vor dem Gebäude. 5000 Unterzeichner sprachen sich in einer Unterschriftenkampagne gegen das Gesetz aus.

Bereits im März dieses Jahres hatte die Fachschaft Physik der Uni Köln mit einer Erklärung ihre Ablehnung des neuen Hochschulgesetzes zum Ausdruck gebracht. Unter dem Titel „Die UzK [Uni Köln] kann auf eine gesetzliche Zivilklausel nicht verzichten und muss sich deshalb für deren Erhalt einsetzen!“ wird betont, dass die Zivilklausel im Hochschulgesetz nicht im Widerspruch zur Wissenschaftsfreiheit stehe, sondern „die Wissenschaft gegen eine Indienstnahme für inhumane Ziele“ verteidige. „Dies gilt erst recht angesichts aktuell diskutierter, weitreichender Aufrüstungspläne, der Infragestellung der Klimaschutz-Ziele und zugehöriger Drittmittel-Angebote.“

Der Erklärung schlossen sich rund zwei Dutzend weitere studentische Gremien der Uni Köln an. An vielen anderen Universitäten hatten sich die Studierenden zuvor in ähnlicher Weise gegen das neue Gesetz ausgesprochen.

Auch viele Lehrende schlossen sich dem Protest gegen das neue Hochschulgesetz an. Das Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen veröffentlichte beispielsweise im Mai seine „Positionierung für den Erhalt der Zivilklausel im Hochschulgesetz des Landes NRW“. Darin werden die „wirtschaftliche Vereinnahmung“ der Hochschulen und „jegliche Bewerbung und Durchführung von Forschung für militärische Zwecke“ konsequent abgelehnt, denn: „Eine hochschulgesetzlich verankerte Zivilklausel ist eine notwendige Bedingung, um den Friedensauftrag der Hochschulen über die Abwehr militärischer Indienstnahme hinausgehend als positive Entwicklungsaufgabe zu begreifen.“

Während SPD und Grüne im Landtag gegen das Gesetz stimmten – in dem Wissen, dass ihre Stimmen an der Verabschiedung des Gesetz nichts ändern würden –, hüllten sich deren Studierendenorganisationen (Jusos und campus:grün) auf dem Campus in Schweigen. Nachdem (!) das Gesetz beschlossen worden war, erklärte campus:grün, man werde die „Implementierung“ des „schlechten schwarz-gelben“ Hochschulgesetzes „kritisch begleiten“. Während die Grünen im Bundestag regelmäßig eine noch „bessere Ausstattung“ der Bundeswehr und ein offensiveres Vorgehen gegen Russland fordern, erklären ihre Vertreter an den Unis ihre Bereitschaft, dieser Politik an den Hochschulen mit der nötigen Prise „Kritik“ zur Durchsetzung zur verhelfen.

Sie versuchen auf diese Weise, den Einzug des Militarismus in die Universitäten von jeder ernsthaften Kritik abzuschirmen. Die Grünen und auch die Linkspartei haben die Rückkehr des deutschen Militarismus von Anfang unterstützt.

Ebenso wie die SPD und die Grünen stimmte auch die AfD im Landtag gegen das Gesetz. Sie befürchte eine „Anglo-Amerikanisierung“ des deutschen Hochschulbetriebs. Der im letzten Monat zurückgetretene AfD-Landeschef Helmut Seifen, der das Gesetz als Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses maßgeblich beeinflusst hatte, begrüßte andere Teile des Gesetzes ausdrücklich.

Dies gilt nicht nur für die Abschaffung der Zivilklausel, weil „die Welt“, so Seifen in der Schlussdebatte, „nicht nur aus friedfertigen Idealisten“ bestehe. Besonders lobte Seifen den neuen Paragraphen 51a des Gesetzes als Schritt gegen die „immer unduldsamer werdenden Einschränkungen des Meinungsspektrums“. Der Paragraph zählt eine lange Liste von „Ordnungsverstößen“ auf, die zu einer Rüge bis zur Zwangsexmatrikulation führen können.

Seifen ließ in der Debatte keinen Zweifel daran, dass sich der Paragraph gegen studentische Kritiker rechter Professoren und AfD-Mitarbeiter an den Unis richtet: „Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass an den Hochschulen einem verlängerten Arm der militanten Antifa … bald nicht mehr alle Türen und Tore offen stehen, wissenschaftliche Diskurse zu verhindern.“

Rechtsextreme Professoren wie Jörg Baberowski („Hitler war nicht grausam“) von der Berliner Humboldt-Uni haben immer wieder gefordert, ihre studentischen Kritiker von der Uni zu werfen. Ein solches Vorgehen wird durch das neue Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen ermöglicht.

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