Italien: Fünf-Sterne und Demokraten riskieren wacklige Koalitionsregierung

Am gestrigen Mittwochabend haben sich die italienischen Demokraten mit der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung, die sich bisher vehement bekämpft hatten, auf eine Koalitionsregierung geeinigt. Mit dem Bündnis, das die beiden Parteien jetzt aus dem Hut gezaubert haben, wollen sie vorgezogene Neuwahlen um jeden Preis verhindern. Am 20. August war die Koalitionsregierung der rechtsextremen Lega mit den Cinque Stelle (Fünf Sternen, M5S) nach 14 Monaten auseinandergebrochen.

Wie Reuters berichtet, haben die Finanzmärkte und das europäische Establishment die Einigung enthusiastisch begrüßt. Sie rechneten damit, wie es heißt, dass Italien „eine fiskalisch umsichtige Regierung bekommt“. Die Neuwahlen könnten bis 2023 hinausgezögert werden, und in der Zwischenzeit sind harsche Sparmaßnahmen zur Verringerung des Defizits zu erwarten. Die geplante Koalition von Demokraten und Cinque Stelle ist jedoch alles andere als stabil. Zwar haben die beiden Parteien im Parlament eine knappe Mehrheit. Aber ihre Partnerschaft dürfte sich als wackelig und krisenhaft erweisen.

Die zwei Parteien haben sich bisher nicht einmal auf eine gemeinsame politische Plattform oder auf die Besetzung der Ministerposten geeinigt. Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio und sein PD-Kollege, Nicola Zingaretti, versprachen lediglich, sie wollten eine gemeinsame Basis „zum Wohle des Landes“ finden. Allerdings sind beide Parteien zu weiteren einschneidenden Kürzungen bereit, um das Diktat der EU zu erfüllen, das sich in einer Situation grassierender Arbeitslosigkeit und wachsender sozialer Ungleichheit frontal gegen die Arbeiterklasse richtet.

Am heutigen Donnerstag empfängt Präsident Sergio Mattarella den Rechtsanwalt Giuseppe Conte, den die Fünf Sterne zum alten und neuen Regierungschef bestimmten. Der Staatspräsident, der selbst der PD nahesteht, will ihm das Mandat zur Bildung einer neuen Regierung erteilen. Um die Krise abzuwenden, hatte Mattarella sich in den letzten Tagen mit allen Parteiführern getroffen.

Die jüngste Krise der kapitalistischen Elite wurde von Lega-Chef Matteo Salvini bewusst provoziert. Er hatte als Innenminister die Koalition am 7. August für beendet erklärt und ein Misstrauensvotum der Lega gegen Regierungschef Conte eingereicht.

Trotz all dieser Manöver, die die italienische herrschende Klasse auf höchster Ebene ausführt, könnte sich das vorläufige Abkommen schnell in Luft auflösen. Überraschend hat der Gründer der Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, am Mittwoch eine Erklärung veröffentlicht, deren Sinn eindeutig darin besteht, dass die Minister Technokraten sein sollten (Grillo: „Persönlichkeiten aus der Welt der Kompetenz“), und keine gewählten Politiker.

Offensichtlich fürchtet Grillo, der sein MoVimento 5 Stelle als „Anti-Establishment“-Bewegung aufgebaut hat, dass die auf dieser Grundlage versammelte Parteibasis jetzt rebellieren könnte. Die Lage wird dadurch weiter kompliziert, dass die Fünf Sterne immer versprochen haben, einen Abschluss mit der PD durch eine Online-Abstimmung unter den Mitgliedern absegnen zu lassen. Viele Fünf-Sterne-Anhänger wenden sich jetzt in den sozialen Medien gegen ein solches Bündnis mit derselben Partei, die in den Augen ihrer Partei bisher immer das „Establishment“ verkörperte.

Selbst wenn eine Regierung zustande kommt, wird sie sich zweifellos auf Kollisionskurs mit der Arbeiterklasse begeben. Die nächste Regierung muss bis zum 15. Oktober einen Haushalt vorlegen, der den Defizitrichtlinien der EU entspricht. Diese erfordern die Einsparung von mindestens 23 Milliarden Euro, was nur zu erreichen ist, wenn auf Kosten der Arbeiterklasse die Sozialausgaben weiter massiv gekürzt werden.

Die Lega und ihre Verbündeten, die sich dann offiziell in der Opposition befinden, werden diesen Konflikt natürlich zynisch ausnutzen. Sie werden die immense soziale Unzufriedenheit in reaktionäre nationalistische und autoritäre Bahnen lenken, wie es der faschistische Diktator Benito Mussolini in den 1920er und 1930er Jahren tat.

Die internationalen Wirtschaftsmedien, die sich um die politische Instabilität in Europas viertgrößter Volkswirtschaft sorgen, behaupten jetzt unbekümmert, die neue Koalition sei in der Lage, Salvini und die faschistische Rechte zu stoppen. Die New York Times schreibt, die „plötzliche Wende in der italienischen Politik“ sei eine „Erleichterung für das europäische Establishment nach 14 Monaten euroskeptischer Provokationen, von Migranten-feindlichen Razzien und der Missachtung der Finanzregeln des [EU-]Blocks“.

In Wirklichkeit werden die Durchsetzung der EU-Diktate und die Partnerschaft zwischen den beiden Parteien eher dazu führen, dass sowohl die PD als auch die Fünf Sterne weiter diskreditiert werden. Diese Politik wird auch Salvini und seinen Verbündeten – dem Milliardär und Forza Italia-Chef Silvio Berlusconi und Fratelli d‘Italia, der direkten Nachfolgeorganisation von Mussolinis faschistischer Partei – die Tür öffnen, um ihre flüchtlingsfeindliche und nationalistische Agitation zu verstärken und sich gleichzeitig als Gegner der Sparoffensive zu präsentieren.

Salvini ist ein bekennender Bewunderer von US-Präsident Donald Trump. In seiner typischen demagogischen Rhetorik erklärte Salvini am Mittwoch, dass die neue Koalition wahrscheinlich in Frankreich auf dem G7-Gipfel vom vergangenen Wochenende ausgebrütet worden sei, auf dem Conte Italien vertrat. Conte, so Salvini, sei ein Premierminister „von Paris’, Berlins und Brüssels Gnaden“. Salvinis Lega hatte bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Mai 34 Prozent der Stimmen gewonnen, weil er der EU vorgeworfen hatte, Italiens Souveränität zu verletzen.

Salvini nannte das neue Regierungsbündnis auch eine „Monti-Zugabe“. Damit bezog er sich auf den technokratischen Premierminister Mario Monti, der von 2011 bis 2013 regiert hatte. Unterstützt wurde er von der PD und anderen Parlamentsfraktionen. Monti hat der Arbeiterklasse die Last der globalen Finanzkrise von 2008–2009 und der anschließenden italienischen Schuldenkrise aufgebürdet. Er hob das Rentenalter und die Steuern an und führte weitere Arbeitsmarktreformen durch.

Die PD (deren Ursprünge auf die 1991 aufgelöste stalinistische Kommunistische Partei Italiens zurückgehen) greift Salvini von rechts an. Sie möchte Neuwahlen verhindern, da sonst die Verabschiedung des von der EU diktierten Haushalts für das kommende Jahr gefährdet wäre. Der ehemalige Premierminister Matteo Renzi (PD) warf Salvini vor, er wolle die von der Regierung Renzi 2014–2016 beschlossenen Rentenkürzungen rückgängig machen.

Die PD ist weit davon entfernt, Salvinis fremdenfeindlicher Politik zu widersprechen, für die tatsächlich Salvinis Vorgänger, Innenminister Marco Minniti (PD), die Weichen gestellt hatte. Er war der erste, der vor drei Jahren das Mittelmeer abriegelte und es in Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache in ein Massengrab verwandelte. Außerdem verfolgt jede Regierung in Europa ähnlich brutale Anti-Flüchtlingsmaßnahmen.

Salvini kann mit seiner Demagogie nur deshalb Stimmen gewinnen, weil er sich damit auf die Enttäuschung über die jahrzehntelange „linker“ Sparpolitik stützt. Seit Anfang der 1990er Jahre wechselten sich von der PD geführte oder unterstützte Regierungen mit offen rechtsgerichteten Regierungen ab, viele davon unter Führung von Berlusconi. Sie alle bereicherten letzten Endes die reiche Elite auf Kosten der Arbeiterklasse.

Seit Jahrzehnten reagiert die italienische Arbeiterklasse immer wieder mit militanten Streiks und Protesten, und es gibt eine starke antifaschistische Tradition, die auf die Resistenza gegen Hitler und Mussolini zurückgeht. Dieser Widerstand ist von der PD und ihren Gewerkschaft und pseudolinken Komplizen immer wieder erstickt worden. Das zeigt deutlich, wie notwendig die Entwicklung einer echten sozialistischen und internationalistischen Partei in Italien ist.

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Peter Schwarz, „Die politische Krise in Italien
20. August 2019

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