Kabul: Gewaltige Explosion erschüttert den Einigungsprozess

Am Montag explodierte eine riesige Autobombe vor dem „Green Village“ in Kabul. Praktisch gleichzeitig gab der US-Sondergesandte für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, im Landesfernsehen ein Abkommen der USA mit den Taliban bekannt.

Der Selbstmordanschlag, für den die Taliban die Verantwortung übernommen haben, tötete mindestens 16 Menschen und verwundete mindestens 119. Das „Green Village“, dem der Anschlag galt, ist der Standort der meisten internationalen Organisationen und Söldnerstützpunkte.

Am Dienstagmorgen versammelten sich wütende Bewohner der angrenzenden Stadtviertel zu Protesten. Sie forderten den Abzug der ausländischen Söldner, weil ihre Anwesenheit immer wieder zu Anschlägen führt. Alle Todesopfer waren Afghanen, und die meisten von ihnen Zivilisten. Nur drei der Getöteten gehörten der afghanischen Polizei oder Armee an.

Während ihrer Kundgebung kletterten afghanische Zivilisten über die Mauern und zündeten auf dem Gelände mehrere gepanzerte Autos an. Andere warfen Steine und Molotowcocktails über die Mauern. Die afghanische Bereitschaftspolizei wurde mobilisiert, um die „unangemeldete Demonstration“ zu unterdrücken, und mindestens fünf Demonstranten wurden durch den Einsatz scharfer Munition verletzt.

Die Taliban, die die Verantwortung für den Anschlag übernahmen, bezeichneten ihn als ihre Antwort auf die Bombardierung afghanischer Dörfer und Häuser durch die US-Besatzungstruppen und die afghanischen Sicherheitskräfte.

Das vorläufige Abkommen, das Khalilzad im Fernsehen ankündigte, soll angeblich die Intervention des US-Imperialismus in Afghanistan beenden. Mit seiner 18-jährigen Dauer ist dies der längste Krieg in der Geschichte der USA. Das Abkommen wurde von der amerikanischen Regierung und den Taliban in neun Verhandlungsrunden seit dem letzten Januar in Doha ausgehandelt.

Laut Khalilzad sieht das Abkommen den Rückzug von etwa 5.400 US-Soldaten aus Afghanistan vor. Er soll in etwa fünf Monate nach Unterzeichnung des Abkommens beginnen. Als Gegenleistung sollen die Taliban garantieren, dass sie weder Al-Qaida, noch dem Islamischen Staat und seinem afghanischen Ableger oder irgendeiner anderen bewaffneten Gruppe die Nutzung des von ihnen kontrollierten Gebiets erlauben, um Anschläge auf die USA oder ein anderes Land vorzubereiten oder auszuführen.

Khalilzad erklärte in der Sendung des afghanischen Tolo-TV: „Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir innerhalb von 135 Tagen fünf Stützpunkte verlassen, die wir momentan kontrollieren, sofern die Bedingungen sich so entwickeln, wie in dem Abkommen vorgesehen.“

Der Rückzug der verbliebenen 8.600 US-Soldaten soll von „Bedingungen abhängen“ und an weitere Verhandlungen zwischen den Taliban und dem von den USA unterstützten Regime in Kabul geknüpft sein, das bei den Verhandlungen in Doha ausgeschlossen war. Die Taliban hatten sich nur zu Verhandlungen mit Washington bereit erklärt, nicht jedoch mit dem Regime von Präsident Ashraf Ghani, da dieser nur eine Marionette der US-geführten Besatzung sei.

Dass die USA zugestimmt haben, Ghanis Regierung von den Verhandlungen auszuschließen, bestätigt anschaulich die Einschätzung der Taliban über das Regime. Erst kurz vor der Fernsehsendung legte der US-Sondergesandte Khalilzad der Ghani-Regierung den Einigungsentwurf vor, der ohne ihre Teilnahme ausgehandelt worden war.

Nun soll eine Runde „afghanisch-afghanischer“ Verhandlungen zu einem dauerhaften Waffenstillstand in dem langen und blutigen Konflikt führen und die Grundlagen für eine Übergangsregierung schaffen. Dieser Regierung sollen dann auch die Taliban angehören, obwohl ihr Sturz im Oktober 2001 das erklärte Ziel der US-Intervention gewesen war.

Die Taliban beharren darauf, dass die politische Opposition und andere Gruppen an den Verhandlungen beteiligt sein müssen, und dass die jetzige Regierung dann nur noch eine Fraktion stellen dürfe.

Was Ghani betrifft, so strebt er Neuwahlen für den 28. September an, um sich vor den Verhandlungen eine gewisse Legitimität zu verschaffen. Sowohl die Taliban als auch Khalilzad haben dies jedoch abgelehnt. Letzterer bezeichnete die von den USA unterstützte Regierung als „das größte Hindernis“ für ein Friedensabkommen. Auch Ghanis Gegner, zu denen der Regierungschef Abdullah Abdullah gehört, haben bereits angekündigt, im Interesse des „Friedens“ auf die Wahl verzichten zu wollen. Abdullah Abdullah war bei der Wahl 2014 Ghanis stärkster Rivale und teilt zurzeit angeblich die Macht mit ihm. Zweifellos sind sie bemüht, sich alle Optionen offen zu halten, falls die Taliban wieder an die Macht kommen.

In Erklärungen an ihre Anhänger haben die Taliban-Führer das Ergebnis der Verhandlungen mit den USA als den dritten historischen Triumph der afghanischen Bevölkerung gegen die Fremdherrschaft dargestellt. Der erste war die Vertreibung der Briten im 19. Jahrhundert und der zweite die der Sowjettruppen Ende der 1980er Jahre. Die Taliban deuteten auch an, dass ihre Bewegung in der Lage sei, die Macht in Kabul zu übernehmen.

Ein Diplomat, der die Verhandlungen in Doha beobachtete, hat gegenüber Reuters erklärt, der Einigungsentwurf sehe ein Ende der US-Luftangriffe auf die Taliban vor. Im Gegenzug würde die islamistische Miliz alle Angriffe auf die US-geführten Besatzungstruppen einstellen, einschließlich der „Insider-Anschläge“, bei denen Taliban-Sympathisanten innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte amerikanische „Berater“ angreifen.

Ohne US-Luftunterstützung wären die afghanischen Sicherheitskräfte weit weniger in der Lage, eine Offensive der Taliban abzuwehren. Die Taliban haben bereits größere Teile des afghanischen Staatsgebiets unter ihre Kontrolle gebracht als jemals seit ihrem Sturz durch den Überfall der USA im Jahr 2001. Sie kontrollieren oder beanspruchen die Kontrolle über fast die Hälfte des Landes.

Der Entwurf des Abkommens zwischen den USA und den Taliban muss noch von US-Präsident Donald Trump und dem Taliban-Führungsrat (Quetta Shura) in Pakistan gebilligt werden. Trump hat bisher widersprüchliche Bemerkungen über seine Haltung zu diesem Abkommen gemacht.

Letzten Monat hatte er vor Reportern über die seit 18 Jahren andauernde US-Besatzung erklärt: „Irgendwann muss man sagen, das ist lange genug.“

Berichten zufolge will Trump den Rückzug aus Afghanistan vor der Wahl von 2020 durchsetzen. Allerdings deutete er auch an, dass sich die USA nie vollständig aus Afghanistan zurückziehen werden: „Es ist ein gefährliches Land, und deshalb müssen wir weiterhin ein Auge darauf haben ... Wir werden dort eine Präsenz unterhalten. Wir reduzieren diese Präsenz deutlich, und wir werden immer eine haben. Wir werden zuverlässige Geheimdienstinformationen haben.“

Letzten Donnerstag erklärte Trump gegenüber Fox Radio, die US-Truppenstärke werde auf 8.600 Soldaten verringert werden, „von da ab werden wir dann entscheiden, was passiert“.

Trump wiederholte zum dritten Mal in nur einem Monat seine Aussage: „Wir könnten diesen Krieg in sehr kurzer Zeit gewinnen, wenn ich bereit wäre, zehn Millionen Menschen zu töten.“

Diese implizite Drohung, ein Land mit Atomwaffen von der Landkarte auszuradieren, ist nicht bloß eine bösartige Obsession des derzeitigen Bewohners des Weißen Hauses. Sie gibt Aufschluss über das kriminelle Wesen des US-Establishments und seines Militär- und Geheimdienstapparats, der weltweit Gewalt, Aggression und Krieg einsetzt, um den Niedergang der wirtschaftlichen Hegemonie des US-Imperialismus auszugleichen.

Generalstabschef Joseph Dunford deutete ebenfalls an, dass ein vollständiger Rückzug – die Hauptforderung der Taliban – alles andere als gesichert sei. Letzten Mittwoch erklärte Dunford vor der Presse: „Ich glaube, dazu ist es zu früh. Ich benutze das Wort ,Rückzug‘ jetzt noch nicht. Wir werden sicherstellen ... dass Afghanistan keine Zufluchtsstätte [für al-Qaida-nahe Kräfte] wird.“

Beobachter vermuten, dass der Deal zwischen den USA und den Taliban auch Geheimklauseln enthalten könnte, um es Washington zu erlauben, „Rest-Streitkräfte“ aus CIA-Agenten und Söldnern im Land zu behalten. Schon heute sind 2.500 von ihnen in Afghanistan tätig. Die CIA hat in den letzten 18 Jahren ein Netzwerk aus bewaffneten Milizen errichtet, die nur ihr allein Rechenschaft schuldig sind. Die Khost Protection Force ist die bekannteste dieser bewaffneten Gruppen, und sie sind berüchtigt für Folter und Misshandlung der Zivilbevölkerung.

Wenn in Kabul ein Regime regiert, in dem die Taliban den Ton angeben, dann ist auch keineswegs ausgeschlossen, dass die USA einen Deal mit diesem Regime im Sinne der Interessen und Ziele des US-Imperialismus anstreben, die von Anfang an hinter der Intervention von 2001 steckten: Im Zentrum dieser Interessen steht die Vorherrschaft der USA über die energiereiche Kaspische Senke, sowie die Sicherung eines Brückenkopfs für das US-Militär in einer strategisch wichtigen Weltregion, die an die ehemalige Sowjetunion, an China und Südasien grenzt.

Die reaktionäre islamistische Ideologie der Taliban basiert größtenteils auf dem Wahhabismus, und dessen Träger ist die saudische Monarchie, der wichtigste Verbündete der USA in der arabischen Welt.

Khalilzad, der amerikanische Sondergesandte für Afghanistan, begann seine Karriere in den 1980er Jahren als Geheimdienstberater der US-Regierung. Damals orchestrierte die CIA den Sturz der afghanischen Regierung, die von der Sowjetunion unterstützt wurde, und rüstete eine Truppe unterschiedlicher islamistischer Milizen mit Waffen und Geldmitteln in Milliardenhöhe aus. Aus diesen Milizen gingen sowohl die Taliban als auch al-Qaida hervor.

Nachdem sich die Taliban in den 1990ern die Kontrolle über das Land gesichert hatten, war Khalilzad als Berater des Ölkonzerns Unocal tätig. Unocal wollte eine Erdgaspipeline quer durchs Land von der Kaspischen Senke nach Pakistan verlegen, und Khalilzad verhandelte zu diesem Zweck mit der islamistischen Regierung und war bemüht, sich dafür die Anerkennung der USA zu sichern.

Keiner weiß heute, ob es wirklich zu dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban kommen wird. Unabhängig davon ist jedoch klar, dass die letzten 18 Jahre Krieg und Besatzung für die afghanische Bevölkerung katastrophale Folgen hatten.

Während die Zahl der direkten Todesopfer konservativ auf 175.000 geschätzt wird, liegt sie unter Berücksichtigung der indirekten Todesfälle wohl näher bei einer Million. Gleichzeitig wurden viele Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben. Zu den getöteten Afghanen kommt noch die Zahl von 2.300 US-Soldaten und 1.100 Soldaten anderer Nationen hinzu, die dieser Krieg getötet hat.

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