Perspektive

Washington beschuldigt Iran und bereitet weiteren Nahostkrieg vor

Der US-Imperialismus präsentiert sich der Welt einmal mehr als Kläger, Richter und Henker und steuert rücksichtslos auf einen weiteren Krieg im Nahen Osten zu, mit potenziell katastrophalem Ausgang. Diesmal nutzt Washington die Angriffe auf saudische Anlagen am Samstag als Vorwand für einen Krieg gegen den Iran.

Die Reaktion von US-Außenminister Mike Pompeo auf diese Angriffe, die die Ölproduktion des saudischen Königreichs fast halbiert und die globale Tagesproduktion um 6 Prozent reduziert haben, war bemerkenswert schnell und eigenartig formuliert:

„Der Iran hat jetzt einen beispiellosen Angriff auf die Energieversorgung der Welt begonnen“, verlautete Pompeo am späten Samstag via Twitter. Und weiter: „Es gibt keine Beweise, dass die Angriffe aus dem Jemen kamen.“

Dieses Bild, das am Sonntag, den 15. September 2019 von der US-Regierung und DigitalGlobe zur Verfügung gestellt wurde, zeigt Schäden an der Infrastruktur der Ölverarbeitungsanlage Abaqaiq von Saudi Aramco in Buqyaq, Saudi-Arabien. (U.S. government /Digital Globe via AP)

Die Behauptung, der Iran stecke hinter den Anschlägen, die eine Reihe von Bränden auslösten und zwei Ölförderanlagen im Osten Saudi-Arabiens verwüsteten, wird von keinem Beweis gestützt. Es steht lediglich die dünne Aussage im Raum, es gäbe „keinen Beweis“ dafür, dass die Angriffe vom Jemen ausgingen.

Jemen kann nach Ansicht des US-Außenministers und seiner Kriegslogik als Angreifer ausgeschlossen werden, da die Houthi-Rebellen, die den größten Teil des Jemen kontrollieren, die Verantwortung für die Angriffe übernommen und ein klares Motiv haben, und zwar den mörderischen Krieg der Saudis gegen die Zivilbevölkerung des Jemen. Die US-Massenmedien haben die Behauptungen von Pompeo im Großen und Ganzen als absolute Wahrheit wiedergegeben. Am Montagabend zitierten Fernsehnachrichtensendungen ungenannte Informationsquellen, führten nicht spezifizierte Beweise an und behaupteten, der Iran sei für die Angriffe verantwortlich. Zweifellos ist dieser „Beweis“ genauso überzeugend wie der von US-Seite erfundene Zwischenfall im Golf von Tonkin in Vietnam und die Lüge von den „Massenvernichtungswaffen“ im Irak. Dieselben Medien erwähnen die saudischen Verbrechen im Jemen praktisch nicht.

In den letzten viereinhalb Jahren führt Saudi-Arabien einen mörderischen Krieg gegen den Jemen, das ärmste Land im Nahen Osten. Die Gewalt hat bislang knapp 100.000 Jemeniten das Leben gekostet – die meisten sind den Bombardements gegen zivile Einrichtungen zum Opfer gefallen. Rund acht Millionen Jemeniten leiden zudem unter Hunger als Folge des Kriegs.

Washington ist direkt beteiligt an diesem Blutbad und stellt die Kampfflugzeuge, Bomben und Raketen zur Verfügung, mit denen die saudischen Angriffe durchgeführt werden. Des Weiteren leisten die USA logistische Unterstützung und übernahmen bis Ende letzten Jahres die Luftbetankung, was den saudischen Bombern ununterbrochene Angriffe ermöglichte. Zudem unterstützt die US Navy eine Seeblockade, die Lebensmittel- und Medikamentenlieferungen nach Jemen unterbindet.

Wenn die Erklärung der jemenitischen Houthis wahr ist, nämlich dass sie mit einem Schwarm von 10 waffenfähigen Drohnen die saudischen Einrichtungen angegriffen haben, dann war die Aktion eindeutig ein Akt der Selbstverteidigung und im Verhältnis weitaus geringer als das Gemetzel, das dem Jemen vom saudischen Regime zugefügt wird.

Unterdessen wiederholte Washingtons neue Botschafterin bei den Vereinten Nationen Kelly Craft am Montag die Vorwürfe gegen den Iran bei einer Sitzung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen zum Jemen. Sie lieferte nicht mehr Beweise als Pompeo zwei Tage zuvor und wiederholte lediglich die Formulierung, dass „es keine Beweise dafür gibt, dass die Angriffe aus dem Jemen kamen“. Sie beschrieb die Schäden an den saudischen Ölanlagen als „zutiefst beunruhigend“.

Wie die Regierung, die sie vertritt, findet die UN-Botschafterin - die Frau des milliardenschweren Kohlebarons Joe Craft aus Kentucky und führende Unterstützerin der Republikaner - das verschüttete Öl der saudischen Monarchie eindeutig viel beunruhigender als das vergossene Blut von Zehntausenden jemenitischen Männern, Frauen und Kindern.

Am Samstagabend telefonierte Präsident Donald Trump mit dem saudischen Kronprinzen Mohamed bin Salman, dem de facto Herrscher des Königreichs, und sprach einem Mann, der als kaltblütiger Mörder entlarvt wurde, sein Beileid und seine uneingeschränkte Unterstützung aus. Bin Salman ist nicht nur für die grausame Ermordung und Zerstückelung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul vor fast einem Jahr verantwortlich, sondern auch für die Enthauptungen von mindestens 134 Menschen in der ersten Hälfte dieses Jahres. Allein am 23. April wurden 34 politische Aktivisten bei einer Massenhinrichtung abgeschlachtet.

Trump kündigte daraufhin an, dass die USA nun bereit seien, saudisches Öl mit militärischer Gewalt zu rächen. In einem Wortspiel nahm er dabei Bezug auf seine Behauptung, dass er im Juni in letzter Sekunde noch einen US-Angriff auf den Iran verhindert habe, nachdem zuvor eine unbemannte US-Spionagedrohne auf iranischem Territorium abgeschossen worden war.

Es gibt nach Washingtoner Lesart „keine Beweise" dafür, dass die Angriffe aus dem Jemen kamen. Man könnte gleichsam, wohl noch trefflicher behaupten, dass es ebenfalls „keine Beweise“ dafür gibt, dass sie nicht von den USA selbst oder von dem wichtigsten regionalen US-Verbündeten Israel ausgingen.

Wenn man von der uralten Ermittlermaxime Cui bono? ausgeht, also die Frage stellt, wer der Nutznießer ist, so ist Teheran recht unverdächtig. Der schnelle Vorwurf aus Washington lohnt einen zweiten Blick auf das Geschehen.

Der Angriff auf die saudischen Ölanlagen liefert einen casus belli, der von einem großen Teil der herrschenden US-Oligarchie und ihrem Militär- und Geheimdienstapparat gewünscht wird, um einen Krieg gegen den Iran mit dem Ziel des Regimewechsels zu führen. Ein solcher Krieg wäre der nächste Schritt im langfristigen Plan, den Niedergang der globalen Vorherrschaft des US-Imperialismus mit militärischen Mitteln umzukehren. Die USA streben dabei nach der uneingeschränkten Kontrolle über die Energiereserven der Welt und die Macht, diese Ressourcen ihren Konkurrenten zu verweigern.

Das Denken dieser Kreise zeigt sich anschaulich in einem Leitartikel aus dem Wall Street Journal, dem Sprachrohr des US-Finanzkapitals. Das Journal warnte am Montag, dass der Iran „Herrn Trump genauso sehr auf die Probe stellt wie die Saudis“. Und weiter: „Sie testen seine Entschlossenheit, ‚maximalen Druck‘ auszuüben, und sie spüren Schwäche.“ Missbilligend verweist der Artikel auf Trumps Versagen, im Juni nach dem Abschuss der US-Drohne Luftangriffe zu starten.

Das Journal zitiert zustimmend den Aufruf des republikanischen Senators Lindsey Graham, iranische Ölraffinerien zu bombardieren, um „dem Regime das Rückgrad zu brechen“, und schlägt vor, dass Trump sich „bei John Bolton entschuldigen sollte, der wiederholt davor warnte, dass der Iran die wahrgenommene Schwäche im Weißen Haus ausnutzen würde“. Bolton, ein langfristiger Verfechter eines Angriffs auf den Iran, trat als Trumps nationaler Sicherheitsberater letzte Woche zurück, Berichten zufolge spielten dabei Meinungsverschiedenheiten über die Iran-Politik eine Rolle.

Der Angriff auf die saudischen Ölanlagen bietet Washington auch die Möglichkeit, die westeuropäischen Mächte - Großbritannien, Frankreich und Deutschland - hinter den Kriegszielen der USA zu versammeln. Die Unterzeichner des Atomabkommens mit dem Iran, aus dem die Trump-Regierung ausgestiegen ist, haben sich bislang halbherzig gegen das Washingtoner Sanktionsregime und den „maximalen Druck“ ausgesprochen, um ihre eigenen imperialistischen Interessen zu retten. Bis jetzt schließen sich den Europäer zwar den US-Vorwürfen gegen den Iran nicht an, doch der Angriff auf Saudi-Arabien könnte sie nichtsdestotrotz dazu bringen, sich hinter den amerikanischen Kriegszug zu stellen.

Israel und der stark unter Druck stehende Premierminister Benjamin Netanyahu haben auch reichlich Anlass, eine Militäraktion durchzuführen, die einen Krieg mit dem Iran provoziert. Am Vorabend der israelischen Wahlen dient die Drohkulisse eines großen Krieges mit dem Iran den politischen Interessen von Netanyahu, dessen politisches Schicksal untrennbar mit der Eskalation des militärischen Konflikts im Nahen Osten verbunden ist. Der israelische Staat war zudem in Sorge, da die Monarchien in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten zuletzt offenbar nicht mehr so stark auf eine Konfrontation mit dem Iran setzten.

Jüngst gab es Angriffe gegen schiitische Milizen im Irak, die angeblich iranische Waffen erhalten hatten – diese gingen laut einem Bericht der Website Middle East Eye von israelischen Drohnen aus, die wiederum von Stützpunkten der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) operieren, den wichtigsten US-Stellvertreter-Truppen in Syrien. Eine ähnliche verdeckte US-israelische Zusammenarbeit könnte leicht auch hinter den Angriffen auf die saudischen Ölanlagen stecken.

Unabhängig von den genauen Umständen der Angriffe auf die saudischen Ölanlagen werden diese genutzt, um die amerikanische Bevölkerung und die gesamte Menschheit in einen Krieg zu ziehen, der schnell eine regionalen und sogar globalen Brand entfachen kann.

US-Angriffe gegen den Iran, die unter dem Vorwand der Vergeltung für die Angriffe auf Saudi-Arabien durchgeführt werden, können iranische Gegenangriffe auslösen, die US-Kriegsschiffe auf den Grund des Persischen Golfs schicken und verheerende Schäden an amerikanischen Militärbasen in der gesamten Region anrichten.

Falls tausende US-Soldaten und Matrosen in Folge der Verschwörungen und Aggressionen Washingtons sterben, liegt es nicht fern, dass die US-Regierung den Notfall ausruft und im Namen der „nationalen Sicherheit“ in den USA selbst einen Polizeistaat einführt.

Dies wäre dann keineswegs eine unbeabsichtigte Folge. Der Kriegskurs wird zu einem großen Teil durch die Eskalation der sozialen Spannungen und den Klassenkampf innerhalb der Vereinigten Staaten selbst angetrieben, beispielhaft sichtbar im Streik von 46.000 Autoarbeitern gegen General Motors. Es gibt einen starken Antrieb für die herrschende Klasse in den USA, diese Spannungen beim Ausbruch des militärischen Konflikts nach außen zu lenken und gleichzeitig den Vorwand für Massenunterdrückung zu schaffen.

Die Gefahr eines US-Angriffs auf den Iran, der den Weg in den Dritten Weltkrieg ebnet, muss durch eine politisch bewusste und unabhängige Intervention der Arbeiterklasse beantwortet werden, um dem Imperialismus ein Ende zu setzen und die Gesellschaft auf sozialistischen Grundlagen neu zu organisieren.

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