Brandenburg: SPD, CDU und Grüne verhandeln über Kenia-Koalition

Gestern begannen in Potsdam die Verhandlungen über eine so genannte Kenia-Koalition, ein Regierungsbündnis aus SPD, CDU und Grünen. Nach zweiwöchigen Sondierungsgesprächen hatten letzte Woche alle drei Parteien mit großer Mehrheit einem solchen Bündnis zugestimmt.

SPD und Linkspartei, die Brandenburg in den letzten fünf Jahren regierten, hatten bei der Landtagswahl am 1. September zusammen fast 14 Prozent der Stimmen verloren. Auch die CDU brach massiv ein, während die Grünen zulegten und die AfD ihre Ergebnis mehr als verdoppeln konnte. Mit 23,5 Prozent ist die rechtsextreme Partei, die in Brandenburg vom Vertreter ihres völkisch-rassistischen Flügels Andreas Kalbitz geführt wird, im Potsdamer Landtag jetzt zweitstärkste Kraft hinter der SPD.

Die politischen Ereignisse in Potsdam zeigen, dass die AfD nicht durch die Stimmabgabe für eine etablierte Partei gestoppt werden kann. Notwendig ist eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse und der Kampf für ein sozialistisches Programm.

Bereits in den Sondierungsgesprächen hatten alle drei Parteien deutlich gemacht, dass sie die rechte Politik der rot-roten Vorgängerregierung, die der AfD den Weg geebnet hat, nahtlos fortsetzen werden.

Das 2,5 Millionen Einwohner zählende Bundesland, das seit der Wende von der SPD in wechselnden Koalitionen regiert wird, ist extrem sozial polarisiert. Während insbesondere im Speckgürtel um Berlin fast 600 Einkommensmillionäre leben, sind große Teile Brandenburgs deindustrialisiert, abgehängt und von Armut und Überalterung geprägt. Die SPD und die Linkspartei haben auf die wachsenden sozialen Spannungen reagiert, indem sie die Polizei aufrüsteten und „Härte“ gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft – Flüchtlingen und Migranten – zeigten.

SPD, CDU und Grüne haben nun in den Sondierungsgesprächen vereinbart, diese Politik weiter zu verschärfen. Einig sind sich die drei Parteien insbesondere bei der inneren Aufrüstung. So sollen die Polizeikräfte von derzeit 8000 auf „mindestens 8500 Stellen“ verstärkt werden. Das neue, drakonische Polizeigesetz, das SPD und Linkspartei im Frühjahr verabschiedet hatten, wird unverändert beibehalten. Es erlaubt es den Sicherheitsbehörden, angebliche „Gefährder“ wochenlang präventiv einzusperren, verlängert die Speicherfristen für Überwachungsvideos bei gleichzeitiger Ausstattung der Polizei mit Körperkameras und ermöglicht eine landesweite Schleierfahndung.

Auch die Grünen, die das Gesetz im Frühjahr noch kritisiert hatten, sind auf diese Linie eingeschwenkt. Bereits in ihrem Wahlprogramm waren sie für eine „personell und materiell gut ausgestattete Polizei“ eingetreten. „Brandenburg braucht mehr Polizist*innen in der Fläche“, vor allem in „ländlichen Räumen“ müsse „mehr Präsenz“ gezeigt werden, hatten sie gefordert.

Auch die Linkspartei unterstützt diesen Kurs. Sie hat ebenfalls Sondierungsgespräche mit der SPD und den Grünen geführt und sich mit ihnen auf ein zehnseitiges Papier geeinigt, das weitgehend mit dem Kenia-Papier übereinstimmt. Auch die Linke hat sich verpflichtet, die Anzahl der Polizisten auf 8500 zu erhöhen, die Spezialausbildung der Polizei zu stärken und die umstrittenen Polizei- und Verfassungsschutzgesetze für die Dauer der Wahlperiode nicht zu ändern.

Der alte und voraussichtlich neue Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) entschied sich aber schließlich gegen die Linke und für die CDU, weil ein rot-rot-grünes Bündnis nur eine Stimme Mehrheit im Landtag gehabt hätte. „Eine Landesregierung muss vor allen Dingen Stabilität bieten“, begründete er seine Entscheidung.

Auch die Grünen gaben der CDU gegenüber der Linkspartei den Vorzug – vor allem aus bundespolitischen Gründen. Die Partei, die seit 2005 in der Opposition ist, giert danach, an der Seite von CDU, SPD oder beiden wieder in die Bundesregierung einzutreten. Die Bundesparteivorsitzende Annalena Baerbock beteiligte sich deshalb persönlich an den Sondierungsgesprächen in Potsdam und sorgte auf dem anschließenden Landesparteitag dafür, dass sich die Brandenburger Grünen gegen das Drängen der Parteijugend und vieler Mitglieder für ein Bündnis mit der CDU entscheiden.

Die Sondierungsergebnisse haben deutlich gemacht, wie austauschbar CDU, SPD, Grüne, FDP und Linkspartei inzwischen sind. Egal in welcher Kombination sie regieren, die Politik bleibt immer dieselbe: Haushaltsbremse, Sozialabbau, Staatsaufrüstung und Militarismus. Was diese Parteien zusammenschweißt, ist die Verteidigung der Privilegien der Reichen und der wohlhabenden Mittelschichten, aus denen sie alle stammen, sowie ihre Angst vor einer Rebellion der Arbeiterklasse und der Jugend.

Solange es keine revolutionäre, sozialistische Alternative mit Masseneinfluss gibt, kann die AfD von diesem Einheitsbrei profitieren. Sie ist im Potsdamer Landtag jetzt nicht nur Oppositionsführerin, sie kann auch als Partei auftreten, die als einzige nicht gemeinsame Sache mit allen anderen macht. Für viele war das ein Grund, die AfD zu wählen.

In der Asyl- und Flüchtlingspolitik übernimmt die Kenia-Koalition die Politik der AfD. Ein Aufnahmeprogramm soll es lediglich für „verfolgte Christen“ geben. Die rigorose Abschiebepolitik von Bundesinnenminister Horst Seehofer dient der Koalition als Vorlage. Im Sondierungspapier heißt es dazu: „Flüchtlinge und Asylsuchende, bei denen die Verfahren ergeben, dass sie nicht in Deutschland bleiben können, müssen das Land verlassen.“ Derselbe Satz findet sich wörtlich im rot-rot-grünen Sondierungspapier.

Während SPD und CDU auf die Einrichtung neuer Abschiebehaftanstalten drängen, sollen nach dem Willen der Grünen weiter diejenigen in Berlin genutzt werden. Priorität habe dabei die Abschiebung von Gefährdern. Im Papier einigte man sich auf die Formulierung: „Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern zur Nutzung von Abschiebehaftplätzen wird fortgeführt. Sollten dokumentiert keine Kapazitäten mehr zur Verfügung stehen, wird die Koalition über weitere Maßnahmen beraten.“

Im rot-rot-grünen Papier heißt es fast wortgleich: „Die Zusammenarbeit mit dem Land Berlin bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht insbesondere von sogenannten Gefährdern wird fortgeführt. Die Zusammenarbeit mit anderen Ländern zur Nutzung von Abschiebehaftplätzen wird fortgeführt und [der Bedarf einer eigenen Abschiebehafteinrichtung wird geprüft – bleibt strittig].“

Neben der Polizei soll auch der Verfassungsschutz weiter ausgebaut werden. Vor allem die CDU hatte sich in ihrem Wahlprogramm unter dem Titel „Mit dem Verfassungsschutz unsere Demokratie verteidigen“ für einen personellen Ausbau des Inlandsgeheimdiensts eingesetzt. Nach ihrem Willen sollen die „rechtlichen Grundlagen an die aktuellen und künftigen Herausforderungen“ angepasst, die parlamentarischen Kontrolle weitgehend abgeschafft und der Einsatz von V-Leuten verstärkt werden. SPD und Linke hatten den Verfassungsschutz bereits in diesem Jahr mit mehr Befugnissen und Personal ausgestattet.

Welche V-Leute der Brandenburger Verfassungsschutz rekrutiert, ist inzwischen bekannt. Unter anderem hatte Carsten Sczcepanski alias „Piatto“ als V-Mann für ihn gearbeitet. Er war in den 1990er Jahren ein führender Kopf der Neonazi-Szene, wurde wegen versuchten Mordes an einem Nigerianer verurteilt und hatte enge Kontakte zum NSU.

Loading