Einigung von Malta: Das Sterben im Mittelmeer geht weiter

Am Montag einigten sich die Innenminister Deutschlands, Frankreichs, Maltas und Italiens auf einen „Notfallmechanismus“ in der EU-Flüchtlingspolitik. Aus Seenot gerettete Flüchtlinge, die in Italien oder Malta ankommen, sollen künftig innerhalb von vier Wochen auf andere EU-Staaten verteilt werden.

Der Abschluss von Malta, der in den Medien als „Durchbruch“ und „europäische Lösung“ gefeiert wird, soll in erster Linie die Tragödie auf dem Mittelmeer aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit rücken. Das Sterben auf dem Mittelmeer wird er nicht beenden, im Gegenteil.

Die Abschottungsmechanismen, die Flüchtlinge zur lebensgefährlichen Fahrt über das Meer treiben, bleiben in Kraft. Mehrere NGO-Schiffe bleiben beschlagnahmt, die „Operation Sophia“ der EU wird nicht wieder aufgenommen, die Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache wird fortgesetzt und der Aufbau von Lagern in Afrika vorangetrieben.

Das Abkommen verhindert lediglich, dass Schiffe mit verzweifelten Bootsflüchtlingen an Bord tage- oder wochenlang auf dem Meer treiben, bis sich die EU-Staaten auf eine Verteilung geeinigt haben. Stattdessen soll ein fester Verteilungsschlüssel dafür sorgen, dass sie sofort landen dürfen.

Rettung von Kindern aus dem Mittelmeer, April 2018 (Foto: Ruben Neugebauer, Sea-Watch.org, via Flickr)

Die Bilder solcher Schiffe hatten in den vergangenen Monaten den Widerstand gegen die unmenschliche Flüchtlingspolitik der EU stark anwachsen lassen. Die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rakete gewann internationale Anerkennung und wurde mit Preisen geehrt, weil sie nach wochenlangem Warten auf hoher See trotz eines Verbots der italienischen Behörden mit 53 Flüchtlinge auf die Insel Lampedusa brachte.

Das Abkommen von Malta ist vor allem eine billige PR-Aktion, um den Widerstand gegen die unmenschliche Flüchtlingspolitik zu untergraben. Alle News-Sender brachten medienwirksam Bildberichte, wie die „Ocean Viking“ nach einer Woche auf hoher See mit 182 Migranten in einen sizilianischen Hafen einfährt. Das Schiff von SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen hatte in nur einer Woche 218 Menschen aus vier verschiedenen Bootshavarien gerettet, unter ihnen viele Frauen, kleine Kinder und ein Neugeborenes. Nach einer Woche auf hoher See war ihre Situation an Bord absolut unerträglich geworden.

Das neue Abkommen wurde am Montagabend auf der maltesischen Hafenfestung St. Angelo verkündet. Anwesend waren auch der EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos und die Innenministerin Finnlands, das zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Die Einigung sieht vor, dass Menschen, die aus Libyen über das Mittelmeer in Italien oder Malta ankommen, zunächst nach einem bestimmten Schlüssel auf Deutschland, Frankreich, Italien, Finnland und Malta verteilt werden.

Allerdings gibt es keine fest vereinbarten Zahlen. In der kaum begründeten Hoffnung, dass sich mehr EU-Länder anschließen, soll der „Notfallmechanismus“ am 8. Oktober einem EU-Innenministertreffen in Luxemburg vorgelegt werden.

Das Abkommen ist geographisch streng eingegrenzt und bezieht sich nur auf Bootsflüchtlinge aus Libyen, die auf hoher See gerettet werden. Es gilt nicht für Flüchtlinge, die es aus eigener Kraft bis nach Europa schaffen und in Malta, Zypern oder auf einer griechischen Insel stranden.

Auch für die Menschen, die unter das Abkommen fallen, ist die Lage alles andere als gesichert. Von der Bevölkerung isoliert, werden sie in italienische und maltesische Erstaufnahmeeinrichtungen gebracht, wo sie als erstes einer Sicherheitsprüfung unterzogen werden. Unter Leitung von Polizeiteams aus der EU und zum großen Teil aus Deutschland sollen die Flüchtlinge auf Anzeichen für Terrorismus untersucht werden. Danach sollen sie innerhalb von vier Wochen auf die EU-Länder verteilt werden, und erst danach beginnt das eigentliche Asylverfahren.

Wie jeder weiß, kann dieses jedoch sehr leicht mit Abschiebung enden. In Deutschland wird weit mehr als die Hälfte der Asylbewerber abgelehnt, und bei Neubewerbern ist die Quote noch deutlich schlechter.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) versuchte das Abkommen als Beweis einer humanen Flüchtlingspolitik zu verkaufen. „Ich habe immer gesagt, unsere Migrationspolitik ist auch human. Wir werden niemanden ertrinken lassen“, behauptete er.

In Wirklichkeit sind allein in diesem Jahr schon fast tausend Menschen im Mittelmeer ertrunken. Und das sind nur die Zahlen, die beim Projekt „Missing Migrants“ der Flüchtlingsorganisation IOM nachweislich dokumentiert sind. Für ihren Tod trägt die Flüchtlingspolitik der EU und der europäischen Regierungen, allen voran der Großen Koalition in Berlin, die Hauptverantwortung.

Um rechte Kritiker aus den eigenen Reihen zu beruhigen, rechnete Seehofer vor, dass sich Deutschland nur zur Aufnahme sehr weniger Flüchtlingen verpflichtet hat. Von 2199 Menschen, die NGOs sowie die italienische und maltesische Küstenwache seit Juli vorigen Jahres aus Seenot gerettet hätten, habe Deutschland für 565 eine Zusage gegeben, doch nur 225 seien nach Deutschland gekommen, erklärte er. „225 in 15 Monaten“, wiederholte er. „Das ist doch Lichtjahre von einer Veränderung der Migrationspolitik der Bundesregierung entfernt.“

Die auf Malta beschlossenen Maßnahmen zielen nicht darauf ab, Flüchtlinge zu retten, sondern Zeit zu gewinnen, um die Festung Europa stärker abzuschotten.

Schon im Juni 2018 hatte die EU beschlossen, die Grenzschutzorganisation Frontex massiv aufzurüsten, Flüchtlinge rücksichtslos abzuschieben, und militärisch befestigte Konzentrationslager („Hotspots“) in- und außerhalb der EU zu errichten. Daran hält sie fest. Diese Lager sollen soweit möglich direkt auf dem afrikanischen Kontinent gebaut werden. Flüchtlinge sollen künftig schon südlich der Sahara aufgehalten werden. Dort bauen Frankreich und Deutschland in Mali und andern Ländern ihre Militärpräsenz aus.

Luigi Di Maio (Fünf Sterne), der frühere Vizepremier und heutige Außenminister Italiens, hat diese Woche Kontakte zu mehreren Mittelmeeranrainern aufgenommen. Am Rand der UNO-Generalversammlung in New York traf sich Di Maio mit dem tunesischen und dem algerischen Außenminister. Beide luden ihn zum Besuch in ihre Länder ein, um „die Eindämmung der Migrationsströme“ näher zu erörtern.

Das Malta-Abkommen dient auch dazu, die neue, EU-freundliche italienische Regierung zu stabilisieren. Matteo Salvini, der Chef der Lega und Innenminister der alten Regierung, hatte die Flüchtlingsfrage gezielt benutzt, um Stimmungen gegen die EU zu schüren. Die neue Regierung, eine Koalition aus Fünf-Sterne-Bewegung und Demokraten (PD), will dagegen eng mit der EU zusammenarbeiten.

Schon vergangene Woche trafen sich die Präsidenten Frank-Walter Steinmeier, Emmanuel Macron und Sergio Mattarella in Rom. In Deutschland kommentierte Seehofer: „Wir haben jetzt durch die neue italienische Regierung die große Chance in Europa, die Anliegen der Migration mit einem Konzept auszustatten. Wenn die Bundesrepublik diese Chance nicht ergreifen würde, wäre das ein ganz großes Versäumnis.“

In der Flüchtlingspolitik hat die neue Regierung dagegen keinen Kurswechsel vollzogen. Die Unterschiede zu Salvinis migrationsfeindlicher Politik sind rein kosmetisch. So sind die brutalen Dekrete Salvinis nicht aufgehoben worden. Nach wie vor sind viele NGO-Schiffe, wie die „Eleonore“ von Lifeline, staatlich beschlagnahmt. Der Kapitän der „Eleonore“, Claus-Peter Reisch, war schon auf Malta zu einer Strafe von 10.000 Euro verurteilt worden. Am 2. September 2019 steuerte er dann mit 100 Geretteten an Bord den sizilianischen Hafen Pozzallo an. Dafür droht ihm jetzt ein Bußgeld von 300.000 Euro.

Europa „redet zwar immer von gemeinsamen Werten“, kommentierte Reisch, „während dort draußen auf dem Meer Menschen ganz unchristlich ertrinken“.

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