Tausende demonstrieren gegen Antisemitismus und rechten Terror

Rund 13.000 Menschen haben am Sonntag in Berlin gegen Antisemitismus und rechten Terror protestiert. Nach einer Kundgebung am Bebelplatz zog der Demonstrationszug über die Friedrichstraße zur Neuen Synagoge. Auch in Halle, wo am vergangen Mittwoch ein schwer bewaffneter Rechtsradikaler versuchte in die Synagoge einzudringen, um am Jom Kippur-Feiertag einen Massenmord an Juden zu begehen, protestierten über 2000 Menschen. Bereits am Tag zuvor waren in mehreren Städten Deutschlands Tausende gegen Rechts auf die Straße gegangen.

Ein Ausschnitt der Demonstration

In Berlin hatte die Initiative „Unteilbar“ unter dem Motto „Kein Fussbreit! Antisemitismus und Rassismus töten“ zur Demo aufgerufen. Im Aufruf des Bündnis, das aus zahlreichen Initiativen und Bürgerrechtsbewegungen, besteht, hieß es: „Rechter Terror bedroht unsere Gesellschaft!“ Der Attentäter von Halle sei kein Einzeltäter. Sein Terroranschlag stehe im Zusammenhang zu „gefestigten militanten Nazistrukturen, dem NSU-Netzwerk und rechten Netzwerken in Sicherheitsbehörden“. Dazu komme „mangelnder Aufklärungswille“ der Polizei und „eine nicht aufhörende Bagatellisierung der rechten Gefahr“ in Politik und Medien.

Demonstrationszug auf der Friedrichstraße

Die Proteste vom Wochenende zeigten erneut die enorme Opposition in der Bevölkerung gegen die Rückkehr der faschistischen Gefahr in Deutschland. Die Berliner Demonstration am Sonntag fand am Jahrestag der ersten „Unteilbar“-Demonstration statt. Damals versammelten sich nach den rechtsextremen Aufmärschen in Chemnitz 250.000 Menschen am Berliner Alexanderplatz, um gegen die AfD und die rechte und flüchtlingsfeindliche Politik der etablierten Parteien zu demonstrieren.

Wie im vergangenen Jahr war die Sozialistische Gleichheitspartei auf der Demonstration stark vertreten. SGP-Mitglieder liefen im Protestzug mit, verteilten ein Flugblatt mit dem Titel „Wer ist verantwortlich für den rechten Terror?“ und verkauften zahlreiche Exemplare des Buchs „Warum sind die wieder da?“. Sie erklärten, wie die herrschende Klasse in den letzten Jahren systematisch das ideologische Klima und die politischen Voraussetzungen für den rechten Terror geschaffen hat und weshalb der Kampf dagegen wie in den 1930er Jahren die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse und eine sozialistische Perspektive erfordert.

Demonstranten mit Plakaten der SGP

Reporter der World Socialist Web Site interviewten viele Teilnehmer der Demonstration, die aus Sorge und Wut über die rechtsextreme Gewalt zumeist spontan auf die Straße gegangen waren.

Der 51-jährige Berliner Jörg sagte: „Ich bin schockiert über die Morde in Halle. Nach den Anschlägen in Neuseeland und Amerika passiert das jetzt auch in Deutschland.“ Er sei beunruhigt über die braunen Netzwerke in Polizei, Militär und den Geheimdiensten: „Es war schon bemerkenswert, dass damals der NSU in Deutschland morden konnte ohne dass der Verfassungsschutz etwas unternommen hat. Da hat man schon den Verdacht, dass da etwas nicht stimmt“. Auf die „Politiker, die jetzt medienwirksam auftreten“, könne man sich „nicht verlassen. Nur die Menschen, die heute hier versammelt sind und die vielen Millionen, die den braunen Terror nicht wollen, können ihn auch verhindern.“

Angela präsentiert ihr Plakat

Angela von der Gruppe „Omas gegen rechts“ erklärte: „Ich bin da, weil ich finde, dass diese Tradition, nichts gegen rechte Strukturen zu tun, leider eine furchtbar lange Tradition ist. Nach jedem neuen Anschlag wird von einem Wendepunkt geredet und danach passiert aber nichts. Das kann ich einfach nicht mehr aushalten.“

Gerade in Deutschland, wo der Hitler-Faschismus gewütet und die schrecklichsten Verbrechen in der Geschichte organisiert wurden, dürfe man nicht schweigen. „Wenn wir schweigen, werden wir zu Komplizen. Meine Eltern waren Jahrgang 1904 und 1911 und Befürworter der Nazi-Partei. Und da habe ich Auseinandersetzungen geführt. Habt ihr nichts gesehen? Warum habt ihr geschwiegen? Was war los? Selbst wenn ihr in kleinen Dörfern im Erzgebirge gewohnt habt, muss es da auch Juden gegeben haben. Ich möchte mir das nicht von meiner Tochter sagen lassen.“

Auch Angela kritisiert die etablierten Parteien und die staatlichen Behörden. Es handele sich nicht um „Einzeltäter“, sondern es gebe „rechte Netzwerke“, steht auf ihrem Plakat. Die „Helfershelfer“ und „Brandstifter“ säßen dabei auch in der Regierung. Der Schock darüber sei bei ihr „schon lange ausgelöst. Seit den 90er Jahren demonstriere ich gegen die Verschärfung des Ausländerrechts, die Abschaffung der Asylparagraphen und die Verwässerung unseres Grundgesetzes.“

Die Studentin Camille (25) äußerte die Sorge, dass „man als Flüchtling, Ausländer oder Linker in diesem Land nicht mehr sicher sein kann, wenn die Nazis derartiges tun. Vor allem bin ich wütend über die Politik, die nichts gegen die AfD und andere Rechte unternimmt“. Angesprochen auf die Rolle der großen Koalition und die anderen etablierten Parteien, die alle die Flüchtlingspolitik der AfD übernehmen und umsetzen, bemerkte sie: „Ja, das stimmt. Deshalb sind Demonstrationen wie heute so wichtig. Auf die Parteien kann man nicht setzen.“

Leo

Leo kommt aus Mannheim, studiert dort Kunst und ist zu Besuch in Berlin. Er ist spontan zur Demo gekommen, um sein Entsetzen über die Morde in Halle auszudrücken und seine Solidarität mit den Opfern zu zeigen. „Ich finde es super, dass diese Demo so kurzfristig ins Leben gerufen wurde und dass so viele dabei sind und das unterstützen. Es geht mir heute auch darum, ein Zeichen gegen all das zu setzen, was in den letzten Jahren bereits passiert ist, angefangen bei den Morden des NSU. So tragisch das Attentat letzte Woche war, muss man sich im Klaren darüber sein, dass es nicht das einzige war.“

Auch Caro, die in Berlin lebt und arbeitet, verweist darauf, dass der deutsche Inlandsgeheimdienst eng mit den rechten Terrorstrukturen verbunden ist und diese schützt. „Der Verfassungsschutz ist eng mit dem NSU verstrickt, keine Frage. Es wurden Akten vernichtet, andere werden auf Jahrzehnte vor der Öffentlichkeit zurückgehalten.“

Der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, habe mit seinen Stellungnahmen deutlich gemacht, dass er Sympathien für Rechtsradikale hegt. „Ich meine, Maaßens politische Ansichten sind schockierend. Dieser Mann hat den Inlandsgeheimdienst jahrelang geleitet. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Geheimdienst unzählige V-Leute im Umfeld des NSU eingeschleust hatte, genau wie bei der NPD. Was haben die dort gemacht?“

Caro berichtet, dass der deutsch-türkische Journalist und Publizist Denis Yücel den Verfassungsschutz als „die gefährlichste Behörde Deutschlands“ und „unreformierbar“ bezeichnet habe. „Ich sehe das auch so. Meiner Meinung nach entsteht hier, genau wie in vielen anderen Ländern, ein ‚Staat im Staat‘. Der Verfassungsschutz hat seit Jahren maßgeblich dazu beigetragen, nicht die Verfassung zu schützen, sondern ihre Fundamente immer weiter auszuhöhlen. Durch diese Tendenz wurden die Rechten gestärkt. Auch die Medien spielen ihre Rolle.“

Guillermo und Aradiana aus Argentinien

Guillermo und Aradiana aus Argentinien solidarisierten sich spontan mit den Demonstranten, nachdem sie vom Terroranschlag in Halle gehört hatten. „Wir stimmen mit dieser Demo sehr überein, was die Verurteilung des Rechtsextremismus betrifft, und unterstützen die Leute, die hier sind.“ Beim Aufstieg der Rechtsextremen handele es sich um ein internationales Phänomen. „Die extreme Rechte ist auch in Argentinien eine Gefahr“, warnte Guillermo. „Wir haben die Erfahrung damit gemacht, dass demokratische Rechte gebrochen werden. Vor allem unter der Militärdiktatur haben sie Andersdenkende umgebracht. Die jetzige Regierung unter Macri denkt ganz ähnlich.“

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