Perspektive

Dow Jones bricht neue Rekorde – trotz globalem Abschwung

Während die Wall Street derzeit einen neuen Höhenflug erlebt, mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich jene Entwicklung intensiviert, die der Internationale Währungsfonds (IWF) als „synchronisierten“ globalen Abschwung bezeichnet hat. Alle drei großen Aktienindizes der Wall Street (Dow Jones, S&P 500 und Nasdaq) brachen in der vergangenen Woche neue Rekorde.

Die Preise für einzelne Aktien können steigen oder fallen. Doch das derzeitige Phänomen eines Booms an den Aktienmärkten, während die Wachstumsraten der globalen Wirtschaft sinken und sich erneut Massenentlassungen und verschärfte Sparmaßnahmen abzeichnen, unterstreicht die Rolle der Zentralbanken und Regierungen in der Klassengesellschaft. Sie versorgen die Finanzelite mit einem unbegrenzten Zufluss an Geld, während sich die Lebensbedingungen der Arbeiter immer weiter verschlechtern.

Den Autoarbeitern und Lehrern in den USA, den Beschäftigten im Verkehrswesen in Indien und den verarmten Arbeitern und Jugendlichen vom Libanon über den Irak bis nach Chile und Ecuador wird erzählt, es gebe „kein Geld“ für Jobs, Löhne, Schulen oder Gesundheitsversorgung. Gleichzeitig werden Billionen für Spekulanten und Großinvestoren bereitgestellt, damit sie ihre Aktienportfolios und ihren persönlichen Reichtum vergrößern können.

Doch diese sich immer weiter öffnende Schere zwischen den Finanzmärkten und der Realwirtschaft untergräbt das Finanzsystem selbst und sorgt für wachsende Nervosität in Teilen der Wirtschaftselite. Diese fürchten sich vor allem davor, dass der wachsende Klassenkampf revolutionäre Konsequenzen haben wird.

In seinem neuesten Bericht zur Wirtschaftslage in Europa, der am Mittwoch veröffentlicht wurde, erklärte der IWF, dass sich die wirtschaftliche Aktivität in der Region durch die Schwächung des Handels- und Produktionssektors verringert habe. Die Organisation senkte ihre Wachstumserwartungen von 2,3 Prozent im Jahr 2018 auf 1,4 Prozent in diesem Jahr.

Obwohl der IWF erklärte, dass der Abschwung größtenteils auf „externe Faktoren“ zurückgehe, warnte er, dass sich „einige Hinweise auf eine weniger starke Nachfrage in den einzelnen Staaten, vor allem bei Investitionen, abzeichnen.“

Die europäische Wirtschaft ist stark abhängig von Deutschland, der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. Für Deutschland weisen alle Indikatoren auf einen signifikanten Abschwung hin. In seinem jährlichen Bericht, der am Mittwoch dem Bundestag übergeben wurde, senkte der sogenannte Rat der Wirtschaftsweisen seine Wachstumsprognose für dieses Jahr von 0,8 auf 0,5 Prozent und für das nächste Jahr von 1,7 auf 0,9 Prozent.

Die Prognose steht in markantem Kontrast zur bisherigen Lage. In den letzten fünf Jahren wuchs die deutsche Wirtschaft im Schnitt um zwei Prozent. Nun steht sie am Rande einer „technischen“ Rezession, d.h. einer Schrumpfung in zwei aufeinander folgenden Quartalen. Im Juni war sie um 0,1 Prozent gesunken. Die Zahlen für das dritte Quartal, deren Veröffentlichung nächste Woche ansteht, werden wahrscheinlich ähnlich aussehen.

Der deutschen Wirtschaft macht vor allem der Handelskrieg zwischen den USA und China und der Abschwung in der Autoindustrie zu schaffen.

Zudem gibt es inzwischen klare Anzeichen dafür, dass auch die US-Wirtschaft von sinkenden Wachstumsraten betroffen ist. Das Arbeitsministerium veröffentlichte am Mittwoch Zahlen, laut denen im Quartal bis September die Wirtschaftsleistung pro Stunde um 0,3 Prozent zurückgegangen ist. Dies ist der größte Rückgang seit vier Jahren. Im letzten Jahr war die Produktivität nur um 1,4 Prozent größer.

Dies geschieht trotz der massiven Steuersenkungen für Unternehmen durch die Trump-Regierung Ende 2017, von denen Trump behauptete, sie würden durch mehr Investitionen die Produktivität ankurbeln. In Wirklichkeit flossen die riesigen Summen, die durch die Steuersenkung frei wurden, in Aktienrückkäufe, die eine wesentliche Rolle bei dem künstlich herbeigeführten Anstieg der Aktienmärkte spielten.

Während die Produktivität im Jahr 2018 tatsächlich anstieg, fällt sie nun auf das niedrige Niveau aus der Zeit nach der Finanzkrise und der darauf folgenden Rezession der Jahre 2008/2009 zurück.

Andere Zahlen zur Entwicklung der US-Wirtschaft deuten in die gleiche Richtung. Die Neubestellungen von Fabrikwaren sind im September um 0,6 Prozent zurückgegangen, während die Bestellungen von nicht-militärischen Gütern – ein Indikator für neue Investitionen – ebenfalls um 0,6 Prozent fielen. Während die offizielle Arbeitslosenquote in den USA auf ein 50-Jahres-Tief von nur 3,6 Prozent gesunken ist, geht sie nun wieder nach oben, vor allem in den Bundesstaaten, die stärker von Industrie geprägt sind.

Laut den Zahlen des Arbeitsministeriums wächst die Arbeitslosigkeit in 1.000 Landkreisen und damit in jedem dritten. Die Bundesstaaten Wisconsin, Michigan und Minnesota sind besonders betroffen. Die Regionen, die stark von der Landwirtschaft und der produzierenden Industrie abhängig sind, leiden am meisten unter der Entwicklung. Hier zeigen sich zudem die Auswirkungen des Handelskriegs der Trump-Regierung gegen China.

Die Daten über den Zustand sowohl der US-amerikanischen als auch der globalen Realwirtschaft machen deutlich, dass der Anstieg der Aktienkurse auf Rekordwerte kein Zeichen für eine gesunde Wirtschaftsentwicklung sind, sondern vielmehr ein Hinweis auf ihre permanente und sich verschlimmernde Erkrankung.

Die Ursache dafür liegt in Manipulationen im Finanzsektor, etwa den Aktienrückkäufen, und der Bereitstellung von ultrabilligem Geld durch die US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) und anderen großen Zentralbank auf der ganzen Welt. Letzten Monat senkte die Fed zum dritten Mal seit Juli ihren Leitzins um 0,25 Prozent. Außerdem zeigte sie an, dass sie nicht beabsichtigt, die Zinsen in absehbarer Zeit noch einmal zu erhöhen. Sie beugte sich damit den Finanzmärkten und verwarf jegliches Engagement für eine „Normalisierung“ der Geldpolitik. Zusätzlich pumpt die Fed Geld in kurzfristige Overnight-Kreditmärkte und hält an ihren Plänen zum Kauf von kurzfristigen Vermögenswerten in Höhe von mindestens 60 Milliarden Dollar pro Monat fest.

Diese Maßnahmen sind angeblich eingeführt worden, um die Zinssätze in den Overnight-Geldgeschäften zu stabilisieren. Die Zinsen waren im September auf zehn Prozent angestiegen, nachdem sich verschiedene Großbanken geweigert hatten, Geld aus ihren Reserven zu verleihen. Die Maßnahmen werden jedoch verbreitet als nur eine andere Form der „quantitativen Lockerung“ angesehen, die auf eine Aufblähung der Finanzmärkte abzielt.

In einem Kommentar, der als Reaktion auf den IWF-Bericht über den Zustand der Weltwirtschaft bei Bloomberg erschien, hieß es, dass die Aussicht auf eine Rezession in jeder Situation ein Anlass zur Besorgnis sei – unter den gegebenen Bedingung sei sie „wahrhaft alarmierend“. Im Verlauf der „langsamen Erholung“ im letzten Jahrzehnt seien die konventionellen Instrumente makroökonomischer Strategien in vielen Ländern, auch in den USA, stumpf geworden, weil die Haushaltsdefizite die Verschuldungsquote in die Höhe getrieben hätten.

Darüber hinaus hätten die „außerordentlichen Maßnahmen“, die seit der Finanzkrise ergriffen wurden (extrem niedrige Zinsraten und „quantitative Lockerung“), die „finanzielle Instabilität erhöht“, was in „absonderlichen Anlagebewertungen und erhöhten Kreditrisiken“ zum Ausdruck komme. Die Banken, heißt es in dem Kommentar, hätten seit 2009 Kapital zugelegt, „aber nicht genug, um sie im Falle eines weiteren großen Abschwungs sicher zu machen.“

Die politischen Konsequenzen der Spekulationsorgie an den Finanzmärkten, bei der Vermögen in historisch beispiellosem Ausmaß an die Finanzeliten transferiert wurde, zeigten sich deutlich auf einer Wirtschaftskonferenz, die Anfang der Woche in Greenwich (Connecticut) stattfand.

Der Chef des Hedgefonds Bridgewater Capital, Ray Dalio, dessen Vermögen auf rund 17 Milliarden Dollar geschätzt wird, erklärte in seiner Konferenzrede, dass das wachsende Vermögensgefälle als nationale Notsituation behandelt werden müsse. Sollten nicht umgehend dringende Maßnahmen ergriffen werden, um die wachsende Einkommensungleichheit anzugehen, warnte Dalio, so stünde den USA eine Revolution ins Haus, bei der „wir alle versuchen werden, uns gegenseitig umzubringen.“

„Die Welt ist wahnsinnig geworden und das System ist kaputt“, sagte er.

Dalio wurde von dem Hedgefonds-Manager Paul Tudor Jones unterstützt, der ebenfalls Milliardär ist. Jones stellte fest, dass es in den Aktiengesellschaften, in deren Vorständen viele der Konferenzteilnehmer säßen, 6 Millionen Beschäftigte gebe, die keinen existenzsichernden Lohn erhielten. Er bemerkte: „Vor 50 Jahren gingen 6,5 Prozent der Unternehmensumsätze an die Aktionäre. Heute sind es 13 Prozent.“

Um das Wirtschaftssystem gerechter zu machen, forderten sowohl Dalio als auch Jones Reformen, die sicherstellten, dass die Unternehmen sozial verantwortlicher handelten. Dabei behauptete Jones, das Problem wäre „leicht“ zu lösen, wenn die Unternehmen ihren Fokus auf mehr als nur den Mehrwert für die Aktionäre richten würden.

Die Aussichten auf eine solche Neuausrichtung sind gleich null, weil die gegenwärtigen Verhältnisse nicht das Ergebnis der Denkweise von Firmenchefs oder kapitalistischen Politikern sind. Vielmehr drückt sich darin die wesentliche, objektive Logik der kapitalistischen Produktionsweise aus, die, wie Karl Marx dargelegt hat, unaufhaltsam zur Anhäufung von gewaltigem Reichtum auf der einen und zu Armut und Elend auf der anderen Seite der Gesellschaft führt.

Loading