Berliner Publikum feiert Placido Domingo trotz #MeToo-Protesten

In Berlin sind Versuche gescheitert, im Rahmen der #MeToo-Kampagne den Auftritt des Weltstars Placido Domingo zu verhindern. Die Berliner Staatsoper Unter den Linden weigerte sich, den vom Verein „Pro Quote Bühne“ und Grünen-Politikerinnen erhobenen Forderungen nach einem Auftrittsverbot für den berühmten Opernsänger nachzukommen.

Placido Domingo im Juli 2019 (Foto Archimadrid Ignacio Arregui García)

Der Intendant der Oper, Matthias Schulz, erklärte dazu, Domingo habe sich Unter den Linden „immer vorbildlich verhalten“, weshalb keine „Grundlage für eine Vorverurteilung“ bestehe. Darum halte man sich an den bereits vor Bekanntwerden der #MeToo-Vorwürfe geschlossenen Vertrag: „Es wurden zahlreiche Gespräche mit Personalvertreterinnen und Mitarbeiterinnen dazu geführt, mit der uneingeschränkten Erkenntnis, Placido Domingo auftreten zu lassen.“

So konnte Domingo am Donnerstagabend in der Verdi-Oper La Traviata singen und erhielt vom Publikum stürmischen Beifall. Auch sein Konzert am Sonntag war restlos ausverkauft.

Im August 2019 hatten in den USA in einem Artikel von Associated Press (AP) neun Frauen Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen den 78-jährigen Opernsänger erhoben, bis auf eine anonym. Die angeblichen Übergriffe lagen teilweise schon 30 Jahre zurück.

Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler jedoch verteidigten den Opernstar, der auf eine einzigartige Karriere zurückblickt. Er steht seit über sechzig Jahren als Sänger auf der Bühne und arbeitet auch als Dirigent. Er hat seit seinem Debüt in Mexiko-Stadt 1959 weltweit die fast unvorstellbare Zahl von 150 Rollen gesungen (zum Vergleich: Enrico Caruso sang 60 und Maria Callas etwa 50 Rollen) sowie die Los Angeles Opera mit aufgebaut und seit 16 Jahren geleitet. Von diesem Amt ist er im Herbst angesichts der erhobenen Vorwürfe zurückgetreten.

Die Vorwürfe, die die Journalistin Jocelyn Gecker im AP-Artikel gegen ihn erhob, sind äußerst vage und wurden seither auch nicht substanzieller untermauert oder gar zur Anklage gebracht. Sie reichen von unangemessenem Zeigen von Zuneigung, ungewollter Berührung, wiederholter Nachfrage nach Zusammenkünften bis zu nächtlichen Telefonanrufen.

Gecker behauptet, Domingo habe versucht, „Frauen in sexuelle Beziehungen zu drängen, indem er ihnen Jobs vorgaukelt und dann manchmal die Frauen in ihrer beruflichen Entwicklung behindert, wenn sie seine Annäherungsversuche ablehnen“. Dies hätten „zahlreiche Anklägerinnen“ der Associated Press gesagt.

Sieben der neun Anklägerinnen von Domingo sollen erklärt haben, „sie hätten das Gefühl, ihre Karriere sei nachteilig beeinflusst worden, nachdem sie seine Annäherungsversuche abgelehnt hätten, und einige sagten, dass Rollen, die er versprochen habe, nie zustande kamen. Einige stellten fest, dass sie zwar bei anderen Unternehmen weiter verpflichtet wurden, aber nicht mehr mit ihm zusammen auftreten konnten.“

Patricia Wulf, die sich als einzige Person namentlich zitieren ließ, erklärte in einem Interview zu der Frage, ob sie „irgendwelche beruflichen Nachteile“ erlitten habe, weil sie Domingo „immer wieder abwies“: „Nein, habe ich nicht. Ich habe beruflich keine Nachteile erlitten. Tatsächlich war es sogar interessant: Er und das Opernhaus haben mich immer wieder eingestellt. Und das war großartig.“

Die spanische Sopranistin Davinia Rodríguez sagte der Nachrichtenagentur Europa Press, sie habe „nie das geringste Anzeichen dafür gespürt, wessen sie [die Frauen in der AP-Geschichte] den Maestro beschuldigen“. Sie fügte hinzu, Domingo habe ihr und anderen Künstlerinnen und Künstlern „immer den größten Respekt erwiesen und die Bescheidenheit und Großzügigkeit gezeigt, die ihn so auszeichnen“. Ähnlich äußerten sich andere Sängerinnen zu den Vorwürfen.

Auch die Präsidentin der Salzburger Festspiele, Helga Rabl-Stadler, pflichtete dem bei: „Ich kenne Plácido Domingo nun seit über 25 Jahren“, schrieb sie. „Zu seiner künstlerischen Kompetenz hat mich von Anfang an sein wertschätzender Umgang mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Festivals beeindruckt. Er kennt jeden Namen, vom Portier bis zur Sekretärin, er bedankt sich für jede kleinste Dienstleistung. Würden die gegen ihn erhobenen Vorwürfe auch im Festspielhaus ausgesprochen worden sein, hätte ich sicher davon erfahren.“

Rabl-Stadler fuhr fort: „Zudem gilt für mich als ausgebildete Juristin, in dubio pro reo [im Zweifel für den Angeklagten]. Ich fände es sachlich falsch und menschlich unverantwortlich, zum derzeitigen Zeitpunkt endgültige Urteile und darauf beruhende Entscheidungen zu fällen.“

In den USA wurden dagegen angesichts der Kampagne gegen Domingo sämtliche geplanten Auftritte abgesagt. In Europa konnte er allerdings weiter auftreten und u.a. in Wien, Mailand, Hamburg und Salzburg große Erfolge feiern.

So auch in Berlin. Nicht nur stimmlich überzeugte der 78-jährige Künstler am Donnerstag in der Staatsoper in seiner Rolle des Vaters Germont trotz einer Erkältung, die er zuvor ansagen ließ. Auch als Darsteller wurde er der Rolle vollkommen gerecht. Als junger Sänger hatte Domingo in dieser Oper als strahlender Tenor den Sohn Alfredo verkörpert, der mit Haut und Haar der Edelkurtisane Violetta Valery verfallen ist. Inzwischen ist Domingo ins Baritonfach gewechselt und spielt Alfredos Vater.

Vor der Staatsoper demonstrierten während der Aufführung eine Handvoll Frauen vom Verein „Pro Quote Bühne“ (auf einem Bild in der Morgenpost sind gerade einmal drei zu sehen). Sie verteilten ihren Offenen Brief „zur Schutzpflicht der Berliner Opernhäuser in Bezug auf die Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen Placido Domingo“.

Im Vorfeld hatte der Verein, dem Frauen am Theater angehören, einen Offenen Brief an den Berliner Oberbürgermeister geschickt. Darin wurde der Kultursenator Klaus Lederer aufgefordert, sich für ein Auftrittsverbot einzusetzen, denn Arbeitgeber seien nach dem Gleichbehandlungsgesetz verpflichtet, ihre Beschäftigten „vor allen sexualisierten Verhaltens- und Handlungsweisen“ zu schützen. Dagegen habe der Intendant der Staatsoper verstoßen.

Auf diesen Zug war auch die Grünen-Politikerin Sabine Bangert aufgesprungen, und die Angelegenheit wurde im Berliner Abgeordnetenhaus verhandelt. Bangert hatte gefragt, warum die Domingo-Konzerte nicht abgesagt worden seien. Sie wies darauf hin, dass dies mehrfach in den USA geschehen sei. Lederer verwies daraufhin auf die Unschuldsvermutung. Er respektiere die „künstlerische Entscheidungsfreiheit der Intendanz“, schränkte aber ein, Entscheidungen seien „diskutierbar“, und wollte die Staatsoper „kurzfristig“ zu einem Austausch einladen.

Bangert, die dem Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten vorsitzt, wies Lederers Antwort und das Verhalten der Staatsoper zurück: „Ich hätte mir gewünscht, dass Berlin klare Haltung zeigt, wie in den USA – dortige Opernhäuser verzichten auf Auftritte von Placido Domingo bis die Vorwürfe aufgeklärt sind.“ Auf Twitter legte sie nach: „#sexuelleBelästigung #Machtmissbrauch sind keine Kavaliersdelikte auch bei Weltstars nicht!!“ Ihre Fraktionskollegin June Tomiak pflichtete ihr bei und meinte zu den Auftritten Domingos in der Staatsoper: „Das geht gar nicht!“

Die Grünen, die sich einst als „Bürgerrechtspartei“ bezeichneten, sind so weit nach rechts gerückt, dass sie elementare Grundrechte wie die Unschuldsvermutung mit Füßen treten und Berufsverbot für einen großen Künstler verlangen, ohne dass auch nur der Anschein eines Beweises, geschweige denn ein gerichtliches Urteil über ein Fehlverhalten vorliegt.

Bisher konnte Domingo in Deutschland und Europa ungehindert auftreten. Dass es jetzt auch in Berlin zu MeToo-Protesten gegen ihn kam, deutet auf Veränderungen der politischen Verhältnisse hin.

Sexueller Missbrauch und Unterdrückung sind selbstverständlich zu ächten und strafrechtlich zu verfolgen. Doch dafür sind Gerichte zuständig. In der #MeToo-Kampagne werden diese Fragen für andere Zwecke instrumentalisiert. Betuchte Mitglieder der oberen Mittelklasse, die sich in einem mörderischen Konkurrenzkampf um Vorteile und Privilegien in Hochschulen, Medien oder kulturellen Einrichtungen befinden, verfolgen damit ihre Interessen. Bedeutende Künstler wie Domingo, James Levine u.a. bleiben dabei auf der Strecke, unabhängig von ihren künstlerischen Verdiensten und der tatsächlichen Schwere oder Beweisbarkeit der gegen sie erhobenen Anschuldigungen.

Die sexuelle Hexenjagd dient dazu, die Aufmerksamkeit von größeren, immer bedrohlicheren Gefahren in Gesellschaft und Politik abzulenken. Es geht darum, den linksgerichteten, progressiven Widerstand zu unterdrücken, der sich gegen den Aufstieg der extremen Rechten, Kriegstreiberei und Bereicherungspolitik erhebt. Die Kampagne ist Teil der Bestrebungen der Herrschenden, angesichts des wachsenden Widerstands der arbeitenden Bevölkerung, demokratische Rechte zu untergraben und abzuschaffen.

Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass die Kampagne im Falle Domingo trotz der windelweichen Haltung des Senats nicht gegriffen hat. Es bleibt abzuwarten, welche Rolle die Frage in der diesjährigen Berlinale spielen wird.

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