Nato-Manöver „Defender 2020“: Deutschland als Aufmarschraum gegen Russland

In den vergangenen Wochen lief „Defender 2020“, das größte Nato-Manöver in Europa seit 25 Jahren an. Erstmals soll die Verlegung einer gesamten US-Division, also von 20.000 Soldaten samt Ausrüstung, von den Vereinigten Staaten nach Osteuropa geübt werden. Bis März sollen die Transporte abgeschlossen sein und im Juni die Rückverlegung beginnen.

Auf der Website der Bundeswehr wird das Manöver mit einem Video vorgestellt. In schnellen Bildwechseln und untermalt mit heroischer Musik werden die Fakten aufgelistet: „37.000 Soldaten“ und „20.000 Stück Frachtgut“ müssen auf „4000 km durch Europa“ transportiert und abgesichert werden. Sie brauchen „Betankung, Verpflegung, Unterkünfte und IT Anbindung“.

Als „Host Nation“ ist Deutschland für die logistische Unterstützung zuständig. Rund 4000 Bundeswehrsoldaten sind dafür im Einsatz. Logistische Kommandozentrale für das Manöver ist das 2018 neu errichtete Joint Support and Enabling Command (JSEC) der Nato in Ulm, das von der deutschen Streitkräftebasis, dem Organisationsbereich der Bundeswehr, geführt wird. Generalleutnant Martin Schelleis, der Inspekteur der Streitkräftebasis, kommentierte, „man sehe der Übung mit Freude entgegen“, da man seine Fähigkeiten unter Beweis stellen könne.

Bereits die 2018 veröffentlichte „Konzeption der Bundeswehr“ hatte die zentrale Bedeutung Deutschlands für den Aufmarsch der Nato gegen Russland hervorgehoben. „Deutschland ist aufgrund seiner geografischen Lage eine strategische Drehscheibe im Zentrum Europas“, heißt es darin. „Die Handlungsfähigkeit des Nato-Bündnisses und der EU beruht auch auf Deutschlands Aufgabenerfüllung als Host Nation, als Transitland für die Verlegung von Kräften an die Grenzen des Bündnisgebietes und im rückwärtigen Einsatzgebiet.“

Bereits 2015 war die Bundeswehr in einem Lagebild zum Ergebnis gekommen, dass Deutschland der Flaschenhals bei den Manövern sei. Unter dem Titel „logistische Herkulesaufgaben“ hat nun die Tagesschau die Baustellen aufgelistet: Gibt es genügend Sattelschlepper, Güterwaggons, Tank- und Rastmöglichkeiten? Welche Routen sind für mehrere 100 Tonnen schwere Transporte möglich? Werden die nötigen Genehmigungen schnell genug erteilt?

Bereits Anfang letzten Jahres hatte die Bundeswehr mit der Deutschen Bahn einen „Rahmenfrachtvertrag“ über den Transport von Militärgütern vereinbart, der sich auf eine Summe von 100 Millionen Euro beziffert.

Warum werden nun im Rahmen von „Defender 2020“ zehntausende Soldaten an die östliche Nato-Grenze verlegt? Offiziell richtet sich das Manöver nicht gegen Russland, doch das wird durch die Tatsachen und die Aussagen führender Vertreter der Nato widerlegt.

„Russland hat gezeigt, dass es willens ist, Grenzen in Europa mit militärischer Macht zu verschieben – durch die Annexion der Krim. Und das hat viele Nato-Mitglieder, insbesondere unsere östlichen Nachbarn, in Alarmzustand versetzt“, sagte Generalleutnant Schelleis auf einer Pressekonferenz in Berlin, auf der das Manöver vorgestellt wurde.

Nato-Generalsekretär Jens Stollenberg nannte am 21. Januar gegenüber EU-Abgeordneten Russland als eine von drei Herausforderungen, denen sich die Nato neben China und Terrorismus stellen müsse. Auf die zunehmenden Konflikte zwischen den USA und Europa angesprochen, verwies er darauf, dass seit Jahren nicht mehr so viele US-Truppen in Europa stationiert waren, und lobte die Aufrüstungsbemühungen der US-Verbündeten. So hätten Europa und Kanada in den letzten vier Jahren 130 Milliarden mehr in Rüstung investiert.

Ein Blick auf die Nato-Manöver der letzten Jahre zeigt, warum die Logistik für Militärtransporte durch Europa an ihre Grenzen stieß.

Bereits seit 2011 findet in Polen und den baltischen Staaten jährlich die Nato-Übung „Saber Strike“ (Säbelschlag) statt. Hinzu kommt das alle zwei Jahre stattfindende polnische Großmanöver „Anakonda“ mit zehntausenden Soldaten, an dem sich alle Nato-Verbündeten beteiligen. An dieser Übung nimmt auch die 2016 gegründete Armee zur Territorialverteidigung (Wojska Obrony Terytorialnej, WOT) teil, die aus überwiegend rechtsextremen Paramilitärs gebildet wurde. 2018 wurde im Rahmen von „Anakonda“ ganz offen ein Angriff auf das russische Kaliningrad und das weißrussische Minsk geübt.

Auch die Ukraine, die sich im offenen Konflikt mit Russland befindet und kein Nato-Mitglied ist, nimmt regelmäßig an Nato-Übungen teil. So hat sich die 2015 aufgestellte „Litauisch-Polnisch-Ukrainische Brigade“ bereits mehrfach am Großmanöver „Anakonda“ beteiligt, und die Nato führt im Rahmen von „Rapid Trident“ seit 2006 Manöver in der Ukraine selbst durch.

Seit der Ukraine-Krise von 2014, die durch einen von den USA und Deutschland unterstützten rechten Putsch provoziert wurde, haben die Häufigkeit und der Umfang der Manöver in Osteuropa massiv zugenommen. Unter dem Schlagwort „Atlantic Resolve“ (Atlantische Entschlossenheit) begann bereits unter der Obama-Regierung ein massiver Ausbau der militärische Präsenz der USA. Die Ausgaben für diese „European Deterrence Initiative“ (Europäischen Abschreckungsinitiative) stiegen in den letzten vier Jahren um das Achtfache auf 6,5 Milliarden Dollar.

Im Rahmen der „Nato Enhanced Forward Presence“ sind seit 2017 ständig vier kampfbereite Bataillone mit je tausend Mann in Polen, Litauen, Lettland und Estland stationiert. Die „Nato-Battlegroup“ in Litauen steht unter deutscher Führung, die anderen drei unter amerikanischem, kanadischem und britischem Kommando. Ergänzt wird die „Nato Enhanced Forward Presence“ durch die „Tailored Forward Presence“, eine multinationale Brigade unter rumänischer Führung. Der Ersatz der daran beteiligten Einheiten im Rahmen eines Rotationsprinzips wird ebenfalls regelmäßig unter der Bezeichnung „Dragoon Ride“ (Dragonerritt) geübt.

Außerdem wurde 2015 mit der Aufstellung der „Very High Readiness Joint Task Force“ begonnen. Diese multinationale Brigade von 5000 Soldaten, die ebenfalls unter deutscher Führung steht, soll in dauerhafter, schneller Einsatzbereitschaft stehen und innerhalb von 48 Stunden an die Front verlegt werden können.

2018 fand in Norwegen mit „Trident Juncture“ das bisher größte Manöver der Nato seit der Auflösung der Sowjetunion statt. 50.000 Soldaten aus 31 Ländern, davon 10.000 aus Deutschland, nahmen daran teil. Sie übten zu Land, zur See und in der Luft. „Defender 2020“ knüpft daran an. Neben den Nato-Staaten nehmen daran auch Finnland und Georgien teil.

Georgien ist wie die Ukraine eine einstige Teilrepublik der Sowjetunion, die von der Nato zu einem Frontstaat gegen Russland aufgerüstet wird. Das kleine Land im Kaukasus befand sich 2008 in einem offenen Krieg und seitdem in einem ungelösten Grenzkonflikt mit Russland. Nichtdestotrotz baut die Nato ihre Zusammenarbeit mit Georgien weiter aus, unabhängig davon, wer gerade an der Spitze des rechten, kleptokratischen Regimes in Tiflis steht.

75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs steht Deutschland wieder im Zentrum einer gigantischen Nato-Mobilmachung gegen Russland. Der Transport von Truppen, Panzern und Fahrzeugen nach Estland, das weniger als 200 Kilometer vor Sankt Petersburg liegt, bis nach Bulgarien und Georgien erfolgen über deutsche Flughäfen, Häfen, Schienen und Straßen.

Die Militärs und Politiker wissen sehr wohl, dass der Anblick von Panzerkolonnen und Truppentransportern in den Ländern, die im Zentrum zweier Weltkriege lagen, Verunsicherung, Angst, Abscheu, Wut und Zorn hervorrufen. Deshalb werden die Truppenbewegungen bewusst in kleineren Konvois und vor allem Nachts durchgeführt. Zugleich werden als Teil der Kriegsvorbereitung rechtsextreme Demagogen und Geschichtsfälscher gefördert.

Trotz der Verbrechen, die deutsche Truppen in zwei Weltkriegen begangen haben, sind die deutschen Eliten entschlossen, ihre „Führungsrolle“ und ihre militärischen Kapazitäten weiter auszubauen.

In der aktuellen Konzeption der Bundeswehr heißt es, die Bundeswehr müsse „über Kräfte und Mittel verfügen, die nach kurzer Vorbereitung an den Grenzen oder jenseits des Bündnisgebiets einsetzbar sind“. Die Verteidigung im Bündnisrahmen könne „von kleineren Einsätzen bis hin zum anspruchsvollsten Einsatz im Rahmen einer sehr großen Operation innerhalb und am Rande des Bündnisgebietes reichen“. Die deutschen Streitkräfte müssten „in einem hybriden und im gesamten Eskalations- und Wirkspektrum in allen Dimensionen ablaufenden Konflikt“ in allen Operationsarten wirken können.

Hohe Verluste sind dabei eingeplant. „Zu Beginn einer sehr großen, hoch intensiven Operation ist ein massiver Ansatz von Kräften und Mitteln hoher Verfügbarkeit erforderlich. Es ist personelle und materielle Vorsorge zur Regeneration [d.h. zum Ersatz gefallener Soldaten] zu treffen“, heißt es in der Konzeption der Bundeswehr.

Genau das soll die Bundeswehr nun – in den Worten von General Schelleis – „mit Freude unter Beweis stellen“.

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