Wachsende Spannungen zwischen den Nato-Mächten um Libyen und das Mittelmeer

Nach der Libyen-Konferenz in Berlin vom 19. Januar verschärfen sich die militärischen Spannungen zwischen den Nato-Mächten um Libyen und das Mittelmeer. Am Mittwoch traf sich der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis in Paris zu Gesprächen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die Konferenz in Berlin hat keine Grundlage für Frieden geschaffen. Sie führt zu verstärkten imperialistischen Interventionen mit dem Ziel, die Profite aus der Ausbeutung Libyens und der ganzen Region aufzuteilen.

Gemeinsam mit Mitsotakis kündigte Macron die Entsendung französischer Kriegsschiffe in die Ägäis und die Bildung eines französisch-griechischen Militärbündnisses an. Außerdem verurteilte er die Politik der Türkei in Libyen. Angesichts der zugespitzten Grenzstreitigkeiten und der Konflikte um die Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer zwischen der Türkei und Griechenland droht Paris damit, Griechenland in einem Krieg mit der Türkei zu unterstützen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (rechts) und der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Elysee-Palast am 29. Januar 2020 [Quelle: Benoit Tessier/Pool via AP]

Macron warf dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor, er halte sich nicht an die Versprechen, die er in Berlin abgegeben habe. Er erklärte, „genau in diesem Moment“ würden türkische Schiffe syrische islamistische Söldner nach Libyen bringen. Weiter erklärte er: „Wir haben in den letzten Tagen beobachtet, dass türkische Schiffe an der libyschen Küste anlegen... Präsident Erdogan verstößt damit gegen explizite Verpflichtungen, die er bei der Konferenz in Berlin eingegangen ist. ... Damit bedroht er die Sicherheit aller Einwohner Europas und der Sahelzone.“

Macron hat in dem Bürgerkrieg, der aufgrund des Nato-Kriegs gegen Libyen 2011 ausgebrochen war, den Warlord Chalifa Haftar unterstützt. Deshalb erklärte er, er verurteile „entschieden das derzeitige Abkommen“ zwischen der Türkei und der Übergangsregierung (GNA) von Haftars Hauptrivalen Fajis al-Sarradsch.

Während der Konferenz zwischen Macron und Mitsotakis erklärten anonyme Vertreter der Geheimdienste gegenüber den Medien, dass Kampfjets des Flugzeugträgers Charles de Gaulle türkische Schiffe entdeckt hätten. Diese sollen schwer gepanzerte Fahrzeuge und Söldner in die libysche Hauptstadt Tripolis, die von der GNA kontrolliert wird, gebracht haben. Die Geheimdienstler behaupteten außerdem, dass die Schiffe mit den Truppen und dem Kriegsgerät an Bord von mehreren türkischen Fregatten in libyschen Gewässern eskortiert wurden.

Macron wahrte ein scheinheiliges und eigennütziges Schweigen über die Tatsache, dass Frankreich Waffenlieferungen Ägyptens und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) an seinen libyschen Stellvertreter Haftar unterstützt. Le Monde schrieb: „Die Haltung Frankreichs bleibt unnachgiebig. Marschall Haftar, der mehr oder weniger den Großteil des libyschen Staatsgebiets kontrolliert, muss einbezogen werden. Seine Forderungen –­ die Entwaffnung der islamistischen ,Milizen‘ und mehr Öleinnahmen für die ostlibysche Region Cyrenaika – sind nicht verhandelbar.“

Macron kündigte außerdem eine „strategische Sicherheitspartnerschaft“ zwischen Frankreich und Griechenland an und verurteilte „das Eindringen und die Provokationen der Türkei“ in den griechischen Luftraum und die Hoheitsgewässer. Frankreich wird seine Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer abwechselnd einsetzen, so dass immer mindestens eine französische Fregatte vor Ort ist. Macron fügte hinzu, diese verstärkte französische Marinepräsenz solle „die Sicherheit in einer für Europa strategisch wichtigen Region garantieren“.

Mitsotakis begrüßte das Bündnis mit Frankreich mit den Worten: „Griechenland und Frankreich wollen einen neuen Rahmen für ihre strategische Verteidigung schaffen.“ In den kommenden Wochen sollen Details über das französisch-griechische Militärbündnis bekanntgegeben werden. Voraussichtlich werden die französischen Kriegsschiffe in erdgasreichen Gewässern vor Zypern patrouillieren, wo die griechisch-zypriotische Regierung dem französischen Energiekonzern Total Erschließungsrechte erteilt hat.

Mitsotakis bezeichnete die Kriegsschiffe als „Garanten des Friedens“ in der Ägäis. Allerdings ist klar, dass eine akute Gefahr für einen militärischen Konflikt zwischen den beiden großen Nato-Mitgliedern besteht. Der griechische Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos erklärte, sein Stab untersuche „alle Szenarios, einschließlich das militärischer Zusammenstöße“ mit türkischen Truppen an Brennpunkten wie der Ägäis oder Zypern.

Türkische Regierungsvertreter verurteilten die französische Intervention im östlichen Mittelmeer. Der Sprecher des türkischen Außenministeriums, Hami Aksoy, erklärte: „Wenn Frankreich zur Umsetzung der Entscheidungen beitragen will, die bei der Konferenz [in Berlin] beschlossen wurden, sollte es zuerst aufhören, Haftar zu unterstützen. ... Frankreich trägt die Hauptverantwortung für sämtliche Probleme Libyens seit Beginn der Krise im Jahr 2011.“ Er wies darauf hin, dass Frankreich „Haftar bedingungslos unterstützt, um die Rohstoffe in Libyen unter seine Kontrolle zu bekommen“.

Der Nato-Krieg gegen Libyen im Jahr 2011 war der Beginn eines blutigen Wettlaufs um Profite und strategische Vorteile in der Region, der katastrophale Folgen hatte. Nach der Konferenz von Berlin verstärken die imperialistischen Mächte ihre Militärintervention erneut in rücksichtsloser Weise. Frankreich, Russland, Ägypten und die VAE unterstützen Haftar mit ihrer Intervention in Libyen; Italien, die Türkei und Katar hingegen unterstützen Sarradsch. Diese Entwicklung vergrößert die Gefahr eines großen regionalen Kriegs um Libyen oder das östliche Mittelmeer noch weiter.

Der Wettlauf um Afrika und das Mittelmeer verschärft die tiefen und scharfen Spannungen zwischen den imperialistischen Nato-Großmächten. Letztes Jahr hatte Frankreich angesichts der wachsenden Spannungen zwischen Paris und Rom wegen Libyen seinen Botschafter aus Italien abgezogen.

Washington hat zwar nicht öffentlich zu Griechenland oder Libyen Stellung bezogen, doch US-Außenminister Pompeo hat letzten Oktober Abkommen über den Bau neuer großer US-Militärbasen in Griechenland unterzeichnet. Er erklärte dazu, Washington brauche diese Basen als „Unterstützung bei der Sicherung des östlichen Mittelmeers“. Der Sprecher des Weißen Hauses, Judd Deere, behauptete, die Spannungen zwischen den Nato-Mächten hätten Trump dazu gezwungen, am Montag mit Erdogan zu telefonieren. Während des Gesprächs soll Trump betont haben „wie wichtig eine Lösung der Streitigkeiten zwischen der Türkei und Griechenland um das östliche Mittelmeer ist“.

Angesichts der Aussicht auf eine Stationierung von weiteren amerikanischen und französischen Truppen in Griechenland fordern Teile der türkischen Bourgeoisie aus Erdogans Umfeld engere Beziehungen mit Berlin als Gegengewicht zu Paris.

Die regierungsnahe Daily Sabah fordert, auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zuzugehen, die laut der Zeitung eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei braucht, um die deutsche Industrie zu stärken und Flüchtlingen aus dem Nahen Osten die Einreise nach Europa zu verwehren: „Ehre, wem Ehre gebührt: Merkels Außenpolitik ist viel vernünftiger als der Ansatz des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. ... Merkel weiß, dass die USA ihre globalen Verpflichtungen aufgegeben haben und dass dies die Europäer dazu zwingt, sich um sich selbst zu kümmern und deshalb auch mit Erdogans Türkei zusammenzuarbeiten.“

Weiter heißt es: „Um die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei zu verbessern und die Oberhand in Libyen zu behalten, muss Merkel zwei Hindernisse überwinden: das französische und das griechische Abenteurertum. Macron gefährdet den Frieden und die Stabilität in Libyen, indem er sich hinter Haftar stellt ... Deutschland muss Frankreich und Griechenland aufhalten. Bleibt abzuwarten, ob es Merkel gelingen wird, ihre politische Karriere mit dem Abschluss dieser dringenden Mission zu beenden.“

Während sich im ganzen Nahen Osten imperialistische Kriege ausbreiten, verfolgt Macron eine rücksichtslose Politik, um die Interessen des französischen Imperialismus zu verteidigen. Einerseits führt er weiterhin neokoloniale Kriege und organisiert unter dem Vorwand, islamistische Milizen zu bekämpfen, Interventionen in Mali und der ganzen Sahelzone südlich von Libyen. Gleichzeitig stellt er in Aussicht, dem französischen Ölkonzern Total den Löwenanteil am libyschen Öl zu sichern, falls Haftar das Land erobern sollte. Im östlichen Mittelmeer versucht er über Vereinbarungen mit der griechisch-zypriotischen Regierung den Zugang zu den Erdgasvorkommen zu sichern.

Diese Vorgehensweise birgt das Risiko einer offenen militärischen Konfrontation mit der Türkei. Macrons geht vor dem Hintergrund scharfer Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei ein Bündnis mit Griechenland ein. Der britische Guardian bemerkte dazu: „Die Reibereien zwischen den beiden Nachbarn sind so akut wie zuletzt beim Einmarsch [der Türkei] in Zypern 1974“, die zum Krieg mit Griechenland führte. Die Zeitung fügte hinzu, für Mitsotakis hätten die „feindseligen Beziehungen zur Türkei alle anderen Fragen auf der Tagesordnung seiner seit sieben Monaten amtierenden Regierung in den Hintergrund gedrängt“.

Professor Aristoteles Tziampiris von der Universität Piräus erklärte dem Guardian, die Kriegsgefahr sei zwar „klein, nicht zuletzt, weil es zu sehr eine Situation wäre, in der es nur Verlierer gibt“, meinte aber, „die Wahrscheinlichkeit eines [militärischen] Zwischenfalls, egal ob absichtlich oder versehentlich, ist sehr real, und das beunruhigt uns alle“.

Loading