USA und Deutschland spionierten jahrzehntelang fremde Regierungen über Schweizer Verschlüsselungsfirma aus

Die amerikanischen Geheimdienste Central Intelligence Agency (CIA) und National Security Agency (NSA) sowie der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) haben während der letzten fünf Jahrzehnte die verschlüsselten Kommunikationen von Regierungen in aller Welt überwacht. Dies geschah mittels einer globalen Sicherheitsfirma mit Sitz in der Schweiz, die in Wirklichkeit CIA und BND gehörte.

Laut einem ausführlichen Bericht in der Washington Post vom Dienstag hat das Unternehmen namens Crypto AG im letzten Jahrhundert diplomatische Verschlüsselungstechnologie an mehr als die Hälfte aller Länder der Welt verkauft. In dieser ganzen Zeit haben die amerikanischen und deutschen Geheimdienste deren Kommunikation abgehört.

Dieses Archivbild von 13. April 2016 zeigt das Siegel der CIA in deren Zentrale in Langley (Virginia) [Quelle: AP Photo/Carolyn Kaster, Archiv]

Crypto wurde im Zweiten Weltkrieg als Anbieter mechanischer Verschlüsselungstechnologie gegründet und wurde 1970 im Rahmen eines Partnerschaftsvertrag zwischen der CIA und dem westdeutschen BND aufgekauft. Das Unternehmen war bekannt für seine ausgefeilten Verschlüsselungsmethoden. Doch die Systeme, die es an Regierungen verkaufte, enthielten Backdoor-Zugänge für die amerikanischen und deutschen Geheimdienste.

Die Post erklärt in ihrem Bericht: „Das Schweizer Unternehmen hat bis weit ins 21. Jahrhundert Millionen mit dem Verkauf von Equipment an mehr als 120 Länder verdient. Zu seinen Kunden gehörten der Iran, Militärjuntas in Lateinamerika, die rivalisierenden Atommächte Indien und Pakistan und sogar der Vatikan.“ Japan, Mexiko, Ägypten, Südkorea, der Iran, Saudi-Arabien, Italien, Argentinien, Indonesien, Libyen und weitere Länder haben Technologie von Crypto benutzt.

Ihren Bericht veröffentlichte die Post gemeinsam mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF). Er basiert auf Informationen aus einer als geheim eingestuften und umfassenden Darstellung des geheimen CIA-Programms „Thesaurus“, das später in „Rubicon“ umbenannt wurde. Die Post und das ZDF, denen die Dokumente zugespielt wurden, führten zudem Interviews mit aktuellen und früheren Geheimdienstlern und Crypto-Beschäftigten, von denen sich die meisten nur anonym äußern wollten.

Im Detail ging die Post auf einige Beispiele für die Überwachung ein, die Crypto im Auftrag der US-Geheimdienste durchgeführt hat. Betroffen waren u.a. die Gespräche des ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat mit der Regierung in Kairo während der Verhandlungen in Camp David 1978, die diplomatische Kommunikation zwischen dem iranischen Regime von Ajatollah Khomeini und Algerien während der Krise um amerikanische Geiseln 1979/80 sowie die Weitergabe der entschlüsselten Kommunikation Argentiniens an Großbritannien während des Falklandkrieges 1982.

Die Post zitiert direkt aus den Schlussfolgerungen des geleakten Dokuments. Dort heißt es: „Es war der Geheimdienst-Coup des Jahrhunderts. Andere Regierungen haben den USA und Westdeutschland gutes Geld für das Privileg gezahlt, ihre geheimsten Gespräche von mindestens zwei (und möglicherweise fünf oder sechs) anderen Ländern überwachen zu lassen.“

Die „fünf oder sechs“ Länder mit Zugang zur entschlüsselten Kommunikation sind vermutlich die Mitglieder der Geheimdienstpartnerschaft „Five Eyes“ (Australien, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und die USA). Im Bericht der Post heißt es jedoch weiter, dass aus den Akten der CIA hervorgehe, „dass mindestens vier weitere Länder – Israel, Schweden, die Schweiz und Großbritannien – von der Operation wussten oder geheime Informationen darüber von den USA oder Westdeutschland erhielten.“

Auf dem Höhepunkt der Crypto-Spionageoperationen in den 1980er Jahren wurden die Systeme des Unternehmens für 40 Prozent der weltweit eingesetzten diplomatischen Telegramme benutzt. Während die Regierungen glaubten, ihre Kommunikationen sei vor Überwachung geschützt, wurde alles gesammelt und entschlüsselt.

Zu den wenigen Regierungen, die keine Crypto-Systeme kauften, gehörten diejenigen der Sowjetunion und Chinas, die laut der Post „berechtigte Bedenken wegen der Beziehungen des Unternehmens zum Westen hegten. Auf diese Weise haben sie sich zwar nicht selbst exponiert, doch die Dokumente der CIA deuten darauf hin, dass amerikanische Spione durch die Überwachung der Interaktionen anderer Länder mit Moskau und Peking vieles über diese erfahren haben.“

Dass die US-Geheimdienste gemeinsam mit ihren imperialistischen Partnern das letzte halbe Jahrhundert den diplomatischen Informationsaustausch von Regierungen in aller Welt ausspioniert haben, ist eine bedeutende Enthüllung. Sie überrascht zwar nicht, zeigt aber höchst konkret das krasse Ausmaß der Kriminalität und des Gangstertums des US-Imperialismus und der Bundesregierung.

Diese Enthüllungen beweisen auch, dass sich die Regierung in Washington D.C., ganz gleich ob sie von einem Demokraten oder einem Republikaner geführt wird, seit fünf Jahrzehnten weltweit mehr als jede andere in die Angelegenheiten anderer Länder „eingemischt“ und sich dabei nicht im geringsten um internationales Recht geschert hat.

Die Enthüllungen über Crypto reihen sich ein in die lange Geschichte der Überwachung von Verbündeten und Gegnern der US-Regierung in Angelegenheiten der Weltpolitik. Viele der aktuellen Enthüllungen wurden von WikiLeaks veröffentlicht oder waren Teil der Leaks des ehemaligen externen Mitarbeiters der NSA, Edward Snowden, der Reportern des Guardian und der Post 2013 eine ganze Fundgrube von Geheimdienstdokumenten zur Verfügung gestellt hatte.

Im Jahr 2015, während der Präsidentschaft von Barack Obama, enthüllte WikiLeaks, dass die NSA die Telefonate von Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits seit 2009 abgehört hat. Die Daten von WikiLeaks zeigten zudem, dass die USA das Bundeskanzleramt bereits seit Jahrzehnten, seit der Zeit unter Bundeskanzler Helmut Kohl (1982-98) überwacht haben.

Snowdens Enthüllungen, die bewiesen, dass die NSA die elektronischen Kommunikationen der gesamten Weltbevölkerung sammelt und speichert, zeigten darüber hinaus, dass die US-Geheimdienste u.a. die Glasfaserhauptstränge der internationalen Untersee-Kabelsysteme hacken, die die Länder der ganzen Welt miteinander verbinden. Eines von den Details, die durch Snowden enthüllt wurden, bestand darin, dass die USA auf diese Weise u.a. die Telefonate der Präsidenten von Mexiko und Brasilien abgehört haben.

Die Tatsache, dass der US-Imperialismus durch geheime Backdoor-Schlüssel in kommerziell verkaufter Verschlüsselungstechnologie jahrzehntelang ungehinderten Zugang zu diplomatischen Kommunikationen hatte, enthüllt die Motivation hinter den aktuellen Versuchen der Trump-Regierung, Technologiekonzerne zur Abschaffung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auf Smartphones und in Messenger-Apps zu zwingen. Die Forderung, dass Apple, Google und Facebook US-Polizeibehörden geheime Zugänge zu ihren Produkten ermöglichen sollen, zielt nicht zuletzt darauf ab, die staatliche Überwachung des privaten Informationsaustauschs von rivalisierenden Regierungen und Unternehmen wiederherzustellen.

Der Kampf gegen staatliche Überwachung der Öffentlichkeit und die illegalen Tätigkeiten des amerikanischen Militär- und Geheimdienstapparats gegen den Rest der Welt ist letztlich eine Frage der Verteidigung demokratischer Grundrechte. Sämtliche Kandidaten der Demokratischen Partei in den aktuellen Vorwahlen haben die unbewiesenen Vorwürfe gelten lassen, dass Russland sich in die Wahl 2016 „eingemischt“ habe. Indessen hat sich nicht einer von ihnen zu den jüngsten Enthüllungen der Washington Post geäußert, dass sich die USA im Namen ihrer Konzerne und Banken überall auf der Welt „einmischen“.

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