Weltweite Gegenoffensive der Arbeiter geht weiter: 200.000 kanadische Lehrer im Streik

Am Freitag beteiligten sich 200.000 Lehrer und Schulbedienstete in der kanadischen Provinz Ontario an einem eintägigen Streik.

Die Beschäftigten im Bildungswesen führen den Widerstand gegen die umfassenden Sparmaßnahmen an, die von der Regierung der Progessive Conservatives (PC) von Ontario und ihrem Premier, dem Trump-Bewunderer und Multimillionär Doug Ford, durchgesetzt werden.

Die Ford-Regierung spart im Rahmen ihrer Kampagne, Ontario „für die Wirtschaft attraktiv zu machen“, fast eine Milliarde Dollar pro Jahr bei den Bildungsausgaben ein, wodurch die Schulklassen deutlich vergrößert, 10.000 Lehrerstellen gestrichen und obligatorische Online-Kurse eingeführt werden sollen.

Lehrer und Schulpersonal sind außerdem das Hauptziel des „Gesetzes für einen nachhaltigen öffentlichen Sektor für künftige Generationen“, wie die Regierung es verlogener Weise nennt. Mit diesem Gesetz senkt die Regierung die Reallöhne und Zusatzleistungen für mehr als eine Million Beschäftigte im öffentlichen Dienst, indem es die Erhöhungen auf ein Niveau deckelt, das deutlich unter der Inflationsrate der nächsten drei Jahre liegt. Gleichzeitig lenkt sie durch Senkungen der Körperschafts- und Einkommenssteuer noch mehr Geld auf die Konten der Reichen um.

Seit dem Jahr 2018 kam es als Teil des weltweiten Wiederauflebens des Klassenkampfs zu einer Welle von Lehrerstreiks rund um den Globus. Lehrer und Dozenten auf allen sechs Kontinenten beteiligten sich an Streiks, u.a. in Chile, Argentinien, den USA, Großbritannien, den Niederlanden, dem Iran und Indien. Am vergangenen Donnerstag und Freitag streikten die Lehrer in den Großstädten Kolumbiens für bessere Löhne, Gesundheitsversorgung und die Einhaltung früherer Abkommen durch die Regierung.

Streikende Lehrer in Toronto

Die Beschäftigten im Bildungswesen stehen an vorderster Front im Kampf gegen Austerität, weil die kapitalistischen Regierungen die Zerstörung des öffentlichen Bildungswesens als eines ihrer Hauptangriffsziele innerhalb ihres regressiven Kurses ansehen.

Einer der streikenden Lehrer in Toronto erklärte gegenüber der World Socialist Web Site: „Wer das Bildungswesen privatisiert, kann alles privatisieren.“

Viele der Lehrerstreiks, vor allem diejenigen in den USA, haben sich als offene Rebellion gegen die prokapitalistischen Gewerkschaften entwickelt. In Santa Cruz befinden sich die Lehrassistenten der University of California in einem unabhängigen Streik, mit dem sie sich gegen das Streikverbot wehren, das die Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) in ihrem Tarifvertrag vereinbart hat.

Während des Ausstands am Freitag wurden alle 5.000 öffentlichen Grund- und Sekundarschulen in Ontario geschlossen, wovon zwei Millionen Schüler betroffen waren.

Unter Lehrern und Schulbediensteten herrscht große Kampfbereitschaft. Ihr Protest für die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens stößt in der Bevölkerung zudem auf starken Rückhalt.

Am Freitag demonstrierten mehr als 30.000 Lehrer vor dem Queens Park in der Innenstadt von Toronto, wo sich das Provinzparlament befindet. Etwa 20.000 weitere Lehrkräfte bildeten einen kilometerlangen Massenstreikposten entlang der Autobahn, die sich in Torontos Vororte von Peel County erstrecken. Weitere 10.000 nahmen an einer Veranstaltung in Kitchener-Waterloo teil, ein regionales Zentrum im Südwesten von Ontario.

Viele Lehrer trugen selbst gefertigte Plakate, auf denen sie ihrer Wut über die Regierung Ausdruck verliehen und auf die verheerenden Auswirkungen der Kürzungen und ihren Klassencharakter hinwiesen. Diana, die an einer französischsprachigen Immersionsschule unterrichtet, erklärte der WSWS: „Auf den Autokennzeichen von Ontario steht: ,Ein Ort zum Wachsen‘. Aber das ist er nur für diejenigen mit Geld. Ford kürzt beim öffentlichen Bildungswesen, weil sie unsere Kinder in Unwissenheit halten wollen, um die Armen zu kontrollieren.“

Diana, Paula und ihre Kollegen

Bei der Veranstaltung in Toronto äußerten Lehrer gegenüber den Reportern der WSWS großes Interesse an und Solidarität mit den Kämpfen der Lehrer im Rest der Welt für die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens. Mehrere Gruppen von Lehrern sangen das Lied „We´re not gonna take it“, eines der wichtigsten Protestlieder der Lehrer in West Virginia während ihres unabhängigen Streiks 2018.

Doch genau wie in den USA und anderen Ländern tun auch in Ontario die vier Gewerkschaften der Lehrer und Schulbediensteten alles in ihrer Macht Stehende, um den Kampf einzudämmen, zu entschärfen und zu sabotieren. Obwohl der Tarifvertrag der Schulbediensteten Ende August – vor fast sechs Monaten – ausgelaufen ist, haben erst jetzt alle vier Gewerkschaften zu einer gemeinsamen Aktion aufgerufen.

Die Gewerkschaften im Bildungswesen, die eng mit der Ontario Federation of Labour zusammenarbeiten, haben nicht zu einem gemeinsamen Kampf mit den Hunderttausenden von anderen öffentlich Bediensteten aufgerufen, die ebenfalls Opfer der konservativen Kürzungen und Lohnsenkungen durch den Gesetzentwurf 124 sind.

Die Gewerkschaften und ihre Verbündeten in der sozialdemokratischen New Democratic Party (NDP) sind vor allem entschlossen, den Kampf der Lehrer und Schulbeschäftigten abzuwürgen und zu sabotieren. Sie befürchten, er könnte schnell ihrer politischen Kontrolle entgleiten und sich zum Katalysator des Massenwiderstands der Arbeiterklasse gegen die verhasste Ford-Regierung und den Sparkurs der ganzen herrschenden Klasse Kanadas entwickeln.

Ford und der Bildungsminister von Ontario, Stephen Lecce, haben wiederholt damit gedroht, alle Arbeitskämpfe der Lehrkräfte und Schulbediensteten zu verbieten und ihre Kürzungen per Dekret durchzusetzen. Sie behaupten seit Monaten, es sei „noch immer Zeit für eine Verhandlungslösung“. Am Freitag verschärfte Ford die Hetzkampagne der Konservativen und der Mainstreammedien mit der Behauptung, die Lehrer würden Kinder „als Geiseln nehmen“, weil sie sich dem Angriff auf das öffentliche Bildungswesen widersetzen, und bezeichnete den Streik als „inakzeptabel“.

Die Gewerkschaften wahren Stillschweigen über die Pläne der Regierung, Lehrer und Schulpersonal mit einem Anti-Streik-Gesetz, Geldstrafen, Polizeiaktionen und anderen Mitteln zur Wiederaufnahme der Arbeit zu zwingen. Sie wollen die Kriminalisierung des Kampfs der Lehrkräfte und des Schulpersonals durch die Regierung als Vorwand benutzen, um den Streik zu beenden, wie es die Gewerkschaften in ganz Kanada schon seit Jahrzehnten tun.

Genau wie im Rest der Welt haben die kanadischen Gewerkschaften und die „linken“ NDP-Politiker systematisch den Klassenkampf unterdrückt und die kapitalistische Elite offen bei ihrem Sparkurs, ihren Angriffen auf demokratische Rechte und ihre Agenda von Militarismus und Krieg unterstützt. Mit der Behauptung eine Machtübernahme der rechtsextremen Konservativen verhindern zu wollen, haben die Gewerkschaften seit 15 Jahren liberale Regierungen in Ontario unterstützt, welche die Sozialausgaben gekürzt, Arbeitskämpfe der Lehrer verboten und die Steuern für das Großkapital und die Reichen gesenkt haben.

Heute unterstützen die Gewerkschaften und die NDP die liberale Minderheitsregierung von Premierminister Justin Trudeau. Entgegen seiner verlogenen progressiven Rhetorik kürzt Trudeau zweistellige Milliardenbeträge im Gesundheitswesen, um ganze Flotten von neuen Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen zu kaufen und Kanada noch tiefer in Washingtons rücksichtslose und gefährliche militärisch-strategische Offensive gegen China und Russland sowie seine Intrigen für Regimewechsel in Lateinamerika zu verstricken.

Der Aufruf zu einem politischen Generalstreik für den Sturz der Ford-Regierung und die unabhängige politische Mobilisierung der Arbeiterklasse in ganz Kanada im Kampf für Arbeitermacht, den die kanadische Socialist Equality Party in einer Erklärung dargelegt hat, fand große Resonanz unter den Lehrern. (Siehe: „Ontario teachers require a socialist program to defeat austerity, defend public education”)

Die Erklärung betonte, dass eines der entscheidenden Elemente in der globalen Gegenoffensive der Arbeiterklasse die Tatsache ist, dass sie sich größtenteils außerhalb der prokapitalistischen Gewerkschaften – und zunehmend in Rebellion gegen diese – entwickelt. Sie erklärte weiter, dass die Lehrer und Schulbeschäftigten ihren Kampf nur gewinnen können, wenn sie selbst die Kontrolle über den Kampf übernehmen. Zu diesem Zweck müssen sie Aktionskomitees bilden, die von den Gewerkschaftsapparaten völlig unabhängig und politisch gegen sie gerichtet sind.

Die High-School-Lehrerin Sonia erklärte gegenüber der WSWS: „Alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst müssen sich zusammenschließen. Die einzigen Beamten, die Ford unterstützt, sind Polizisten. Die Gründe dafür sind beunruhigend. Bisher waren diese Proteste friedlich und unbeschwert, aber es deutet einiges darauf hin, dass die Spannungen zunehmen könnten. Wir haben gehört, dass [der konservative Parteivorsitzende] Andrew Scheer gesagt hat, man sollte die RCMP [Royal Canadian Mounted Police] gegen die protestierenden Wet'suwet'en [Eingeborenen] einsetzen, die die Bahnlinien blockieren. In den USA behauptet Trump, er hätte die Polizei, den Grenzschutz und die Strafverfolgungsbehörden auf seiner Seite. Ford will dasselbe tun.“

Der Oberschullehrer Rob sprach bei der Kundgebung in Kitchener-Waterloo mit einem Reporter der WSWS über die Drohung der Regierung, den Kampf der Lehrer per Gesetz zu beenden: „Ich habe nicht mit vielen Lehrern darüber geredet, was wir tun würden oder sollten, wenn Ford uns wieder zur Arbeit zurückbeordert. Und ich habe von den Rednern auf der Bühne nichts darüber gehört. Sie haben uns gesagt, wir als Lehrkräfte würden gute Arbeit leisten, das stimmt natürlich. Sie sagten, dass wir hart arbeiten, was auch stimmt. Aber ich habe erwartet, dass ich irgendetwas darüber hören würde, was wir als nächstes machen. Ein paar haben erwähnt, sie würden in zwei Jahren nicht für Ford stimmen, aber ansonsten habe ich nichts gehört. Ich will wissen, wie es jetzt weitergeht, nicht was in ein paar Jahren passieren könnte.“

Paul, der vor seiner Pensionierung 30 Jahre lang im Schulbezirk Toronto tätig war, erklärte: „Wer am Bildungswesen spart, der spart an der Demokratie und entmachtet die Arbeiterklasse. Trump erinnert mich an die Faschisten in Deutschland, er lenkt die Wut auf Immigranten; Ford ist nur der Trump Kanadas. Wir müssen sie aufhalten, weil jedes Kind eine Schulbildung und eine gute Zukunft verdient.“

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