Crypto-Leaks: BND und CIA spionierten 120 Länder aus

Anfang Februar berichteten die Washington Post und das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) über eine Spionageaktion gewaltigen Ausmaßes: Unter den Codenamen „Rubikon“ beziehungsweise „Minerva“ überwachte der Bundesnachrichtendienst (BND) gemeinsam mit der US-amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) jahrzehntelang die verschlüsselte Regierungskommunikation nahezu jedes zweiten Landes der Erde.

Dies belegen durchgesickerte CIA-Dokumente, die der Washington Post, dem ZDF und dem schweizerischen SRF vorliegen. Regierungen in aller Welt zahlten demnach Milliarden für Verschlüsselungssysteme der Crypto AG – eines Schweizer Unternehmens, das sich spätestens ab 1970 vollständig im Besitz der beiden Geheimdienste befand und es diesen ermöglichte, die Verschlüsselung jederzeit zu knacken.

Die World Socialist Website schrieb Anfang Februar über die sogenannten „Crypto-Leaks“: „Dass die US-Geheimdienste gemeinsam mit ihren imperialistischen Partnern das letzte halbe Jahrhundert den diplomatischen Informationsaustausch von Regierungen in aller Welt ausspioniert haben, ist eine bedeutende Enthüllung. Sie überrascht zwar nicht, zeigt aber höchst konkret das krasse Ausmaß der Kriminalität und des Gangstertums des US-Imperialismus und der Bundesregierung.“

Die Leaks umfassen rund 280 Berichtsseiten, die von führenden BND- und CIA-Mitarbeitern verfasst wurden, darunter eine ausführliche Chronologie der Spionageaktion. Zu den von Deutschland und den USA überwachten Regierungen zählen Saudi-Arabien, der Iran, Argentinien, Panama, der Vatikan, außerdem Verbündete wie Italien, Österreich, Spanien, Portugal und unzählige weitere. Der interne Bericht der CIA spricht vom „Geheimdienstcoup des Jahrhunderts“.

Insgesamt verwendeten über 120 Länder zwischen den 1950er und den 2000er Verschlüsselungstechnik der Crypto AG. Deren Gründer Boris Hagelin gewährte der CIA bereits seit dem Zweiten Weltkrieg exklusiven Zugang zu seiner Technologie. An diesen Beziehungen scheiterte Ende der Sechzigerjahre zunächst ein deutsch-französischer Übernahmeversuch. Doch unter der SPD-FDP-Regierung von Bundeskanzler Willy Brandt kauften der BND und die CIA das Unternehmen im Jahr 1970 schließlich heimlich auf. Von nun an strömte der gesamte Verkaufsgewinn der Firma illegal in schwarze Kassen der Geheimdienste und diente dort der Finanzierung anderer verdeckter Projekte.

Die Rubikon-Enthüllungen bieten Einblick in entscheidende Wendepunkte des Kalten Kriegs und der anschließenden Nato-Feldzüge im Nahen Osten. So war der BND etwa frühzeitig über die Putschvorbereitungen gegen Chiles sozialdemokratischen Präsidenten Salvador Allende informiert. Nach dem von der CIA unterstützten Putsch 1973 hatten beide Großmächte Einblick in die Geheimnisse der blutigen Militärdiktatur von General Pinochet.

Im Falklandkrieg zwischen Argentinien und Großbritannien versorgten Deutschland und die USA die britische Seite mit abgefangenen Funksprüchen ihres Gegners, schwiegen aber über die Verbrechen der argentinischen Militärjunta, welche die Bevölkerung zwischen 1976 und 1983 terrorisierte. Wie das ZDF berichtete, war die Funkaufklärung ausschlaggebend für die Entscheidung von Premierministerin Margaret Thatcher, den argentinischen Kreuzer Belgrano zu versenken. Dabei starben mehr als 300 Menschen.

Während der israelisch-ägyptischen Friedensgespräche von Camp David im Jahr 1987 überwachten die Vereinigten Staaten die Kommunikation zwischen Präsident Anwar Sadat und dessen Regierung in Kairo. Auch Libyen wurde kontinuierlich überwacht. Als 1986 in einer Berliner Diskothek eine Bombenexplosion drei Menschen tötete und 200 weitere verletzte, beschuldigte US-Präsident Ronald Reagan – gestützt auf „Beweise“ der Geheimdienste – umgehend das libysche Regime des Anschlags. Dies diente der US-Regierung eine Woche später als Vorwand für die Bombardierung der Städte Bengasi und Tripolis. Der BND spielte in diesem Fall den Rubikon-Dokumenten zufolge „eine wesentliche Rolle“.

Obwohl die wesentlichen Verdachtsmomente gegen Crypto unter Experten seit vielen Jahren bekannt sind, werfen die neuen Einzelheiten der Operation Rubikon ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der imperialistischen Mächte. Ihr reibungsloser Ablauf über mehrere Jahrzehnte war das Ergebnis eines internationalen Komplotts auf höchsten Regierungsebenen. Neben den Spitzen von BND und CIA, die jeweils direkt dem Bundeskanzleramt beziehungsweise dem Weißen Haus unterstellt sind, weisen die bisher bekannten Informationen auch auf Mitwisser in Luxemburg und der Schweiz, sowie Schweden, Israel und den Mitgliedsstaaten der sogenannten „Five Eyes“-Spionageallianz (USA, Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland).

Wie die Luzerner Zeitung berichtet, erfolgte die Übernahme der Crypto AG mittels der Kanzlei Marxer und Partner aus Liechtenstein. Sie gilt als inoffizielles „Justizministerium“ des Fürstentums und war bereits 1952 an der Gründung des Unternehmens federführend beteiligt. Sie agierte als Treuhänder für BND und CIA und verschleierte mithilfe von Vermögensstiftungen und Offshore-Briefkastenfirmen die wahren Eigentümer der Aktiengesellschaft. Dieselbe Kanzlei wickelte 1993 schließlich den Verkauf der Unternehmensanteile des BND an die CIA ab und überwies das Geld auf schwarze Konten des deutschen Geheimdiensts.

Der „Ausstieg“ des BND aus dem Crypto-Konzern bedeutet jedoch weder eine Schwächung seiner Ambitionen noch seiner Möglichkeiten – im Gegenteil: Das Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt aufgrund der aufkommenden digitalen Konkurrenz schlicht nicht mehr profitabel. Die Tatsache, dass der Elektronikkonzern Siemens gegen Gewinnbeteiligung und auf Geheiß des BND seit 1970 sämtliche geschäftsführende Direktoren der Crypto AG stellte, deutet zudem auf einen möglichen verdeckten Technologietransfer hin.

Rubikon zeigt, mit welcher kriminellen Energie der deutsche und der amerikanische Imperialismus ihre Interessen während des Kalten Kriegs und danach verfolgt haben. Daran hat sich seither nichts geändert, das haben spätestens die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden gezeigt. Mit der Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Großmachtpolitik werden unweigerlich neue Verbrechen einhergehen, die Operationen wie Rubikon weit in den Schatten zu stellen.

So bezeichnet die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik die massenhafte verdeckte Bespitzelung von über hundert Regierungen als „eine der erfolgreichsten Spionageoperationen des Kalten Krieges“. Der heimliche Einbau von „Hintertüren“ in Verschlüsselungstechnologien sei „keine Überraschung“, stelle jedoch keine zeitgemäße Strategie mehr dar. Mit Blick auf die westlichen Kriegsvorbereitungen gegen China könne man zudem „nicht glaubwürdig vor chinesischen Hintertüren in Mobilfunktechnik warnen und im gleichen Atemzug selbst welche einbauen“.

Diese Linie findet sich mittlerweile fast wortgleich in Kommentaren der bürgerlichen Presse. Typisch ist ein Artikel von Tagesspiegel-Redakteur Frank Jansen. Die Operation, schriebt er bewundernd, sei ein „genialer Coup“ und „das nun einsetzende Staunen über ‚Rubikon‘“ zeuge von weitverbreiteter Naivität. „In der Konfrontation mit Geheimdiensten autoritärer Regime“ könnten Staaten „nicht wachsam genug“ sein. Das chinesische Technologieunternehmen Huawei etwa sei „ein Risikofaktor“ und gehöre „zum Gewebe der kommunistischen Diktatur, in dem Geheimdienste eine große Rolle spielen“.

In Wahrheit sind es BND, NSA und CIA, die diese „Rolle“ spielen. Sie alle überwachen seit Jahrzehnten die Bevölkerung des gesamten Planeten und bespitzeln im Falle des BND gezielt ausländische Journalisten, Bürgerrechtler und Oppositionelle. Internationale Journalistenverbände haben dagegen Klage beim Bundesverfassungsgericht erhoben. Ein Leitartikel in der Welt forderte während der Gerichtsverhandlung im Januar unverhohlen, dem BND im Interesse Deutschlands keine juristischen „Fesseln“ anzulegen.

Ebenso wie Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst (MAD) wird auch der deutsche Auslandsgeheimdienst seit Jahren systematisch aufgerüstet und mit umfassenden neuen Befugnissen ausgestattet. Das neue BND-Hauptquartier in Berlin, das größte seiner Art in Europa, ist nur das augenfälligste Sinnbild für diese Bestrebungen.

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