Coronavirus destabilisiert Saudi-Arabien

Das Coronavirus beschleunigt den Wirtschaftskrieg zwischen Saudi-Arabien, Russland und den USA und verschärft gleichzeitig die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Spannungen innerhalb Saudi-Arabiens.

Die Regierung in Riad nutzt ihrerseits die Covid-19-Pandemie als Waffe im andauernden Propagandakrieg und macht Iran und Katar – und damit die Schiiten – dafür verantwortlich, das Virus absichtlich in der sunnitischen arabischen Welt zu verbreiten.

Das Coronavirus hat den Nahen Osten und Nordafrika überrollt. Fast jedes Land in der Region hat Fälle des neuen Virus bestätigt. Der Iran ist mit 9.000 bestätigten Fällen und 354 Todesfällen (bis Mittwoch) bei weitem am stärksten betroffen, da sein angeschlagenes Gesundheitssystem zusätzlich durch die von den USA verhängten kriminellen Sanktionen belastet ist. Das Land leidet Mangel an fast allem, was pharmazeutische und medizinische Hilfsgüter sind.

In der vergangenen Woche forderte Riad die OPEC-Länder auf, die Öl-Produktion um 1,5 Millionen Barrel pro Tag (bpd) zu kürzen, um den Rückgang der Ölpreise zu bremsen und der sinkenden Nachfrage entgegenzuwirken, denn das Coronavirus habe den internationalen Handel- und Reiseverkehr stark eingeschränkt. Russland, der zweitgrößte Produzent der Welt, lehnte dies mit der Begründung ab, dass jede Verringerung der Öllieferungen auf dem Weltmarkt durch amerikanisches Schieferöl ersetzt würde.

Mohammed bin Salman Al Saud, Kronprinz Saudi-Arabiens (Foto: en.kremlin.ru)

Saudi-Arabien schlug zurück, indem es seine Preise drastisch senkte und versprach, die Produktion um bis zu 2 Millionen Barrel pro Tag auf einem überversorgten Ölmarkt zu erhöhen. Die Preise sind seit Anfang des Jahres bereits um ein Drittel gesunken. Das Ziel Saudi-Arabiens ist es, seinen Marktanteil zu halten und seine Konkurrenten in Russland und den USA zu verdrängen.

Die saudische Ankündigung führte zu einem starken Rückgang der Aktienkurse seiner nationalen Ölgesellschaft Saudi Aramco und des russischen Ölkonzerns Rosneft.

In den USA sind die Energieaktien in diesem Jahr um 20 bis 50 Prozent gefallen, während die Verschuldung des Landes und die Nachfrage stark ansteigen. Ein Grund ist die Abkehr institutioneller Anleger von fossilen Brennstoffen. Am letzten Montag stürzten die internationalen Anleihen der Saudis wie auch die von Saudi Aramco zu Beginn des Handels ab, und der saudische Rial verlor auf dem Terminmarkt gegenüber dem US-Dollar stark an Wert.

Die Wirtschaft des Landes ist weitgehend von Öl und Gas abhängig, und diese bestimmen 87 Prozent der Haushaltseinnahmen, 42 Prozent des BIP und 90 Prozent der Exporte. Während die saudische Ölförderung bei 30 Dollar oder weniger pro Barrel noch rentabel ist, benötigt die Herrscherfamilie mindestens 80 Dollar pro Barrel, also das Doppelte von Russland, um die Steuereinnahmen zu halten, von denen ihr Gesellschaftsvertrag mit dem saudischen Volk abhängt. Ölpreise von knapp 30 Dollar würden bedeuten, dass sich das Haushaltsdefizit, das zuvor auf 6,4 Prozent des BIP geschätzt wurde, in diesem Jahr fast verdoppelt.

Der Rückgang der Ölpreise folgt auf die vorübergehende Aussetzung der Umrah, der Wallfahrt nach Mekka und Medina, durch Riad und ein Einreiseverbot für Pilger in das Königreich, um die Ausbreitung des neuen Coronavirus zu stoppen. Die Pilgerreise nach Mekka ist für die 1,8 Milliarden Muslime der Welt eine der fünf Säulen ihres Glaubens. Die Umrah, die sogenannte kleine Pilgerfahrt, lockt etwa 8 Millionen Besucher an, da sie zu jeder Jahreszeit durchgeführt werden kann und viel billiger ist als die Hadsch.

Für die saudische Unternehmenselite garantieren die Pilgerreisen einen stetigen Einkommensfluss, lukrative Bauaufträge und das Wachstum von Luxushotelketten rund um die heilige Moschee. Eine zehntägige Hadsch-Pauschalreise, die von speziell lizenzierten Agenturen mit engen Verbindungen zur Herrscherfamilie durchgeführt wird, kann rund 7.000 Dollar kosten, nicht gerechnet die Geschenke, die die Pilger üblicherweise für ihre Familien kaufen.

Die Umrah und die Hadsch, die in diesem Jahr auf den 28. Juli und den 2. August fällt, tragen jährlich schätzungsweise 12 Milliarden Dollar zum saudischen BIP bei, was 20 Prozent des BIP ohne Öleinnahmen und 7 Prozent des Gesamt-BIP entspricht. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer von Mekka tragen die Pilgerfahrten zum Einkommen des Privatsektors in der Region um Mekka und Medina 25 bis 30 Prozent bei.

Die Aussetzung hat Auswirkungen weit über das Land hinaus, denn die Pilger müssen von ihrem Heimatland aus speziell lizenzierte Reisepakete kaufen. Nun tragen die Reisebüros die Kosten für Stornierungen, nicht genutzte Visa, Flüge und Unterkünfte. In dem Zusammenhang wirft das Pilgerverbot jetzt die Frage auf, ob die Hadsch überhaupt stattfindet, da die saudi-arabischen und die Golfmonarchen Massenveranstaltungen, einschließlich Sportveranstaltungen, Messen und Konzerte, absagen.

Während Saudi-Arabiens riesiger Ölreichtum im Besitz einer Königsfamilie ist, die in fabelhaftem Luxus lebt, leiden mindestens 20 Prozent der Saudis unter „lähmender“ oder „schwerer“ Armut. Die Königsfamilie herrscht durch systematische Unterdrückung, bis hin zu öffentlichen Massenhinrichtungen, während allein in Riad 2 bis 4 Millionen Menschen in Armut leben. Viele von ihnen sind Frauen oder leben in Haushalten mit weiblichem Familienvorstand.

Noch schlimmer ist die Lage der Wanderarbeiter, vor allem aus dem indischen Subkontinent und Südostasien. Das sind etwa 12 Millionen der 34 Millionen Einwohner des Landes.

Für diese schrecklichen sozialen Bedingungen gibt es keine Aussicht auf Besserung, im Gegenteil. Kronprinz bin Salman lässt von seinen Beratern sein Billionen-Projekt Vision 2030 entwerfen. Das gigantische Prestigeprojekt, das die saudische Wirtschaft von der Öl-Abhängigkeit befreien soll, wird die Lage der Bevölkerung weiter verschlechtern: Es sieht die Teilprivatisierung der staatlichen saudischen Ölgesellschaft Aramco vor, den Verkauf von Krankenhäusern und Schulen, die Streichung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Sektor – von 67 Prozent auf 20 Prozent! – Lohnkürzungen für die Beschäftigten des öffentlichen Sektors, die Kürzung der Subventionen für Treibstoff, Erdgas, Strom und Wasser und die Einführung einer Mehrwertsteuer von 5 Prozent auf die meisten Waren und Dienstleistungen.

Die politischen Spannungen nahmen am letzten Wochenende zu, als bekannt wurde, dass am Freitag zwei hohe saudische Prinzen verhaftet worden waren: Prinz Ahmed bin Abdul Aziz, der letzte richtige Bruder von König Salman, und Prinz Mohammed bin Nayef, Salmans Neffe. Dieser war ursprünglich als Thronfolger vorgesehen, bis zu seiner Amtsenthebung 2017 durch den damals 31-jährigen Prinzen Mohammed bin Salman. Den beiden wird vorgeworfen, einen Putschversuch gegen Kronprinz bin Salman, den De-facto-Herrscher des Landes, organisiert zu haben. Sie werden wegen Verrats angeklagt.

Am nächsten Tag wurden die Verhaftungen auf Dutzende von Beamte des Innenministeriums, hochrangige Armeeoffiziere und andere Personen ausgedehnt, darunter Prinz Nayef bin Ahmed, ein ehemaliger Chef des Armeegeheimdienstes. Innenminister Abdulaziz bin Saud bin Nayef und sein Vater Prinz Saud bin Nayef wurden später freigelassen, nachdem sie von bin Salmans Leuten verhört worden waren.

Bin Salman hat sich im Hause Saud Kritik zugezogen, nachdem der Mord am ehemaligen Insider-Dissidenten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 auf internationale Kritik gestoßen war. Der Mord war offenbar auf Bin Salmans Befehl hin durch saudische Agenten ausgeführt worden.

Kritisiert wird auch seine Führung des fünfjährigen Kriegs im Jemen, der es nicht gelungen ist, die Macht von Riads Marionette Abdrabbuh Mansur Hadi wieder herzustellen, sowie die Tatsache, dass er im vergangenen Jahr einen großen Angriff auf die Ölinfrastruktur des Königreichs nicht verhindern konnte, den die jemenitischen Houthi-Rebellen für sich in Anspruch genommen haben.

Die Säuberung wird als Versuch Bin Salmans angesehen, seine Macht gegen zwei der wahrscheinlichsten Thronanwärter zu festigen, bevor sein kranker 84-jähriger Vater stirbt.

Die Regierung versucht, die zunehmende gesellschaftliche Blockade dadurch zu beheben und nach außen abzulenken, dass sie das Coronavirus instrumentalisiert. Sie schürt damit Spannungen gegen den Iran, den sie für die Verbreitung des Virus verantwortlich macht. Nach Angaben der Behörden waren alle 15 bis jetzt Infizierten entweder selbst im Iran oder in Kontakt mit Menschen gewesen, die den Iran besucht hatten, wo sich wichtige schiitische heilige Stätten befinden. Am vergangenen Donnerstag prangerte Riad Teheran an, weil es saudischen Bürgern die Einreise in den Iran erlaubt habe. Saudi-Arabien hat alle Reisen in den Iran verboten.

Das Regime hat die Provinz Ost-Katif, in der die schiitische Bevölkerung des Landes lebt, abgesperrt, um die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern. Nach Angaben des Innenministeriums stammen 11 mit Covid-19 diagnostizierte saudische Staatsangehörige aus Katif. Die Provinz ist seit langer Zeit ein Brennpunkt zwischen dem herrschenden sunnitischen Regime und den Schiiten, die seit Jahrzehnten mit Diskriminierung, Marginalisierung und Armut zu kämpfen haben. Das staatliche Fernsehen kündigte die Schließung aller Schulen, Universitäten und die Einstellung aller religiösen Aktivitäten in den Moscheen des Landes an. Es wurden Straßensperren errichtet, um Reisen in die und aus der Provinz Katif zu stoppen.

Die Behörden fördern aktiv rassistische und sektiererische Auseinandersetzungen. Prominente Journalisten und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens bringen in Tweets die rasche Ausbreitung des Virus im Iran mit schiitischer Rückständigkeit in Verbindung und bezeichnen die Reaktion des „sunnitischen“ Saudi-Arabiens auf den Ausbruch als zivilisiert und vernünftig, verglichen mit der angeblichen Ignoranz und dem Aberglauben des „schiitischen“ Irans. Noura al-Moteari, ein in Saudi-Arabien ansässiger Journalist, twitterte am 1. März, dass Katar das Coronavirus herstelle und seine Verbreitung finanziere, um Bin Salmans Vision 2030 und die bevorstehende Expo der Vereinigten Arabischen Emirate zu untergraben.

Loading