Autokonzerne, IG Metall und Bundesregierung planen Hochfahren der Produktion

Die deutschen Autokonzerne und die IG Metall drängen darauf, die Produktion wieder hochzufahren. Das Leben der Arbeiter wird massiv gefährdet, um die Gewinneinbrüche so gering wie möglich zu halten und die Dividende der Aktionäre zu sichern. Niemand weiß, wie viele Menschenleben dies kosten wird. Klar ist aber, dass die Corona-Pandemie in Europa und den USA weiter täglich mehrere Tausend Opfer fordert.

Seit Mitte März stehen die Werke der deutschen Autokonzerne, der wichtigsten deutschen Wirtschaftssparte, nahezu weltweit still. Das hat unmittelbare Auswirkungen weit über die 800.000 hinaus, die direkt in der Autoindustrie in Deutschland beschäftigt sind. Es betrifft indirekt noch einmal so viele Arbeitsplätze bei Chemie, Elektronik- und Metallbau-Unternehmen.

Der Shutdown in der Autoindustrie löse „eine negative Kettenreaktion in der ganzen Branche und darüber hinaus aus“, beschreibt das Elmar Degenhart, Vorstandsvorsitzender von Continental, im Spiegel-Interview am letzten Wochenende. Die Hälfte der 60.000 Continental-Arbeiter in Deutschland befinden sich in Kurzarbeit, mehr als 40 Prozent der knapp 250 Werke sind geschlossen. Als Chef eines der größten Autozulieferer der Welt warnt Degenhart vor einem Anstieg der Insolvenzen, speziell bei den Zulieferern, „wenn die Autoindustrie nach Ostern nicht bald wieder hochlaufen kann“. Als erstes würde es die kleineren Unternehmen treffen.

Die Globalisierung hat zur Folge, dass die Produktion in den Autowerken erst wieder hochgefahren werden kann, wenn weltweit auch die Zulieferindustrie fast gleichzeitig wieder startet. „Allein Continental hat im Automobilbereich weltweit mehr als 2300 Zulieferer, die wir koordinieren müssen“, berichtet Degenhart.

Etwa 2200 Automobilzulieferer säßen allein in Italien, so der Spiegel. Stellvertretend für die Autoindustrie fordert daher Degenhart „faire Hilfsprogramme“ seitens Deutschlands für „notleidende Volkswirtschaften wie Italien, Griechenland oder Spanien“. „Nationale Alleingänge helfen nicht weiter“, meint auch Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Und VW-Chef Herbert Diess plädiert für „mehr europäische Solidarität“ auch in Form von Eurobonds.

„Hinter solchen Aussagen steckt Kalkül“, schreibt der Spiegel. Italien und Spanien seien nicht nur Lieferländer (VW allein bezieht von mehreren Hundert Lieferanten aus Italien beispielsweise Ventile oder Einspritzpumpen), sondern auch wichtige Absatzmärkte. Kredite, die an die südeuropäischen EU-Länder gehen und selbstverständlich zurückgezahlt werden müssen, sollen so letztlich in den Taschen der Autokonzerne landen.

Zudem gebe es „geostrategische Interessen“. „Die Konzernchefs wollen den europäischen Markt stärken, um einen Gegenpol zu den Wirtschaftsmächten USA und China zu bilden,“ schreibt der Spiegel.

In Deutschland fordert die Autoindustrie erneut ein groß angelegtes staatliches Konjunkturprogramm mit Steuererleichterungen und Prämien, um die Nachfrage anzukurbeln. In einer Telefonkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel vergangene Woche legten VW-Chef Herbert Diess und die anderen Autobosse ihr auch eine Abwrackprämie für ältere Benzin- und Dieselfahrzeuge nahe, wie es sie bereits nach der Krise 2008 gegeben hatte.

Doch der Autohandel ist aufgrund der Corona-Krise bislang untersagt. Tausende von Vertragspartnern und Autohäusern sind geschlossen. Autos werden derzeit nicht verkauft. Daher haben die IG Metall und die führenden Autoindustrieverbände letzte Woche in einem gemeinsamen Brief die Bundesregierung aufgefordert, den „stationären Autoverkauf schnellstmöglich wieder [zu] erlauben“.

Neben der Gewerkschaft und dem VDA haben der VDIK (Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller) und der ZDK (Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe) den Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel unterzeichnet.

Der IGM-Vorsitzende Jörg Hofmann mahnt gemeinsam mit den Spitzenvertretern der Verbände an, den Kraftfahrzeughandel wieder zuzulassen. „Der Fahrzeugabsatz ist nahezu vollständig zum Erliegen gekommen.“ Die Lager seien voll. „Noch mehr Fahrzeuge können die Betriebe nicht aufnehmen. Damit kommen auch Zulieferung und Produktion zum Stillstand bzw. können nicht wieder angefahren werden“, heißt es. Ihre Bitte daher: „Schnellstmöglich den stationären Verkauf von Kraftfahrzeugen an Endkunden nach dem nächsten Treffen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder wieder zu erlauben“.

Die Bundesregierung folgte gestern wenig überraschend diesem „Vorschlag“. Ab nächster Woche können die Händler wieder öffnen. BMW-Vertriebssprecherin Christina Hepe begrüßte gestern Abend diese Entscheidung: „Natürlich hilft uns das, keine Frage. Der Handel ist das Rückgrat unseres Geschäfts.“

Mit steigender Nachfrage kann schrittweise auch wieder die Produktion starten, so das Kalkül. In den letzten Tagen sind auch bei den deutschen Autokonzernen entsprechende Pläne bekanntgegeben worden. Daimler plant, bereits ab kommendem Montag in einigen Werken die Bänder anlaufen zu lassen.

Volkswagenwerk Emden (Foto: Martina Nolte / CC-by-sa-3.0)

Der VW-Vorstand beschloss letzte Woche in Absprache mit IG Metall und Betriebsrat für die weltweit rund 630.000-köpfige Belegschaft einen „100-Punkte-Plan zur Pandemiebekämpfung“, wie er offiziell genannt wird. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Plan zum Hochfahren der Produktion.

Bereits am Ostersonntag hatte Volkswagen die Produktion in Chattanooga (Tennessee, USA) wieder hochgefahren. In Deutschland befinden sich aktuell 80.000 der 120.000 Beschäftigten noch in Kurzarbeit. Einige von ihnen – der Spiegel schreibt 1.700 – sollen bereits „an einer Handvoll Standorten einzelne Komponenten fertigen, um die Produktion in China sicherzustellen – dem weltweit einzigen Standort, an dem die Bänder wieder annähernd normal laufen“.

Die meisten VW-Arbeiter sollen am kommenden Montag wieder zurück an ihre Arbeitsplätze. Der Emder VW-Betriebsratschef Manfred Wulff nannte gegenüber dem NDR das Stammwerk in Wolfsburg sowie die Werke in Emden und Hannover. Zunächst sollten einige Tausend und dann schrittweise immer mehr Beschäftigte in die Produktion einsteigen. In anderen Werken, wie Kassel oder Salzgitter, soll die Produktion wie bei BMW und Ford Europe am 4. Mai wieder losgehen.

Die IG Metall und ihre Betriebsräte in den Autokonzernen unterstützen die Rückkehr an die Bänder. Denn sie fürchten genauso wie die Konzernvorstände um die Profite.

Bei VW hat die IG Metall erst letzte Woche für die rund 120.000 Beschäftigten der Volkswagen AG auf eine Erhöhung der Löhne und Gehälter verzichtet. Mit Verweis auf die Corona-Krise sind die Verhandlungen über eine Erhöhung der Entgelte auf Anfang 2021 verschoben worden. Dafür hat die Gewerkschaft verschiedene Vereinbarungen getroffen, mit denen Arbeiter eine unentgeltliche „Auszeit“ von der Arbeit nehmen können.

„Mit dem Abschluss übernehmen wir Verantwortung“, erklärte Thorsten Gröger, Bezirksleiter und Verhandlungsführer der IG Metall Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Mit der Pandemie habe sich das, was wichtig sei, rasant verändert. Die Fortsetzung einer „normalen“ Tarifrunde wäre nicht denkbar gewesen. Bernd Osterloh, Gesamtbetriebsratsvorsitzender, ergänzte, die Liquidität des Unternehmens sei ein Überlebensthema. „Deswegen haben wir die Haustarifrunde um acht Monate verschoben.“

Die laut Gewerkschaft so wichtige Liquidität ist vor allem für das Überleben der Aktionärs-Dividende notwendig. Denn während die Konzerne Milliarden an staatlichen Geldern für die Kurzarbeit kassieren – allein VW für 80.000 Beschäftigte –, sollen die „liquiden Mittel“ an die Aktionäre gehen.

So hat der Sportwagenhersteller Porsche erst letzten Monat 952 Millionen Euro Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet, rund die Hälfte davon, fast eine halbe Milliarde Euro, an die Porsche-Familie. Die rund 27.000 Tarifbeschäftigten in Deutschland wurden mit einer Rekordprämie von 9700 Euro ruhiggestellt.

BMW-Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor, den Aktionären eine Dividende von insgesamt 1,64 Milliarden Euro auszuschütten. Hier geht der größte Teil an die Eigentümerfamilien Quandt und Klatten. Die deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz beklagt, dass die 160 börsennotierten Konzerne in Dax, MDax und SDax „wegen der Coronakrise dieses Jahr nur (!) 44 Milliarden Euro an ihre Anteilseigner ausschütten werden“. Das wären 14 Prozent weniger als im Vorjahr. „In der aktuellen Situation habe die Sicherung der Liquidität zunächst Vorrang“, schreibt das Handelsblatt.

Arbeiter in der Autoindustrie müssen die Wiederaufnahme der Produktion zurückweisen. Autos sind, anders als es Gewerkschaft und Industrie weis machen wollen, nicht lebensnotwendig.

Die World Socialist Web Site schrieb bereits in einer Erklärung vom 18. März: „Die unvereinbaren Interessen zweier Klassen stehen sich gegenüber. Für die Kapitalisten geht es darum, ihre Profitinteressen zu sichern und dafür zu sorgen, dass ihr Eigentum und ihr Reichtum unangetastet bleiben. Es dürfen aus ihrer Sicht keine Maßnahmen ergriffen werden, die ihre Interessen beeinträchtigen. Die Arbeiterklasse kümmert sich um die Interessen der breiten Masse der Menschheit, wobei sie nicht von privatem Profit, sondern von sozialer Notwendigkeit ausgeht.“

Die Sozialistische Gleichheitspartei und die WSWS halten an der Forderung fest: Keine Rückkehr zur Arbeit unter unsicheren Bedingungen!

Für die Autoindustrie speziell heißt das: Einstellung jeglicher Produktion. Volle Lohnfortzahlung für die von den Schließungen betroffenen Beschäftigten.

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