Perspektive

Die tödliche Rückkehr an die Arbeitsplätze beginnt

Ungeachtet der Warnungen von Experten für öffentliche Gesundheit und Infektionskrankheiten, treibt die herrschende Klasse ihre Lockerungspolitik voran. Täglich werden neue Betriebe und Schulen geöffnet und Maßnahmen zur sozialen Distanzierung zurückgenommen. Wenn dies zugelassen wird, wird dieses kriminelle Vorgehen, die Arbeiter an ihre Arbeitsplätze und die Kinder und Jugendlichen in ihre Schulen zurückzuschicken, zu einer Explosion der Zahl neuer Covid-19-Fälle und einer ungeahnten Zahl von Toten führen.

Die Rückkehr an die Arbeitsplätze und Schulen wird von der Großen Koalition in Berlin und den Landesregierungen gleichermaßen forciert. Die Kultusminister der Länder wollen sich heute auf eine Strategie für die schrittweise weitere Öffnung der Schulen einigen, wie eine Sprecherin des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums am Montagabend mitteilte. Medienberichten zufolge haben sich die Minister bei einer Telefonkonferenz auf ein „Rahmenkonzept für die Wiederaufnahme von Unterricht in den Schulen“ geeinigt. Das Konzept soll der Ministerpräsidentenkonferenz für die gemeinsame Beratung mit der Bundesregierung am Donnerstag vorgelegt werden.

Einem Regierungssprecher zufolge will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unter anderem auch erörtern, wie und ab wann künftig wieder Messen stattfinden könnten. Mehrere Religionsgemeinschaften hätten im Vorfeld bereits Schutzkonzepte vorgelegt, in denen sie „jeden Teil ihrer Liturgie“ überprüft hätten. Auch an einer Rückkehr des Tourismus wird gearbeitet. „Wir brauchen jetzt eine Strategie für einen gemeinsamen Neustart des Tourismussektors in der EU“, erklärte der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), nach einer Videokonferenz mit seinen EU-Kollegen am Montag.

Während sich ein Großteil der medialen Aufmerksamkeit auf die Pläne zur Wiedereröffnung der Geschäfte und Schulen und möglicherweise auch bald der Kitas und Restaurants konzentriert, ist die Finanzaristokratie vor allem darauf bedacht, die industrielle Großproduktion so schnell wie möglich wieder hochzufahren, sofern die Betriebe überhaupt erst geschlossen worden waren.

Gestern nahm der größte deutsche Autohersteller Volkswagen in seinen großen Werken wieder die Produktion auf, darunter im VW-Stammwerk in Wolfsburg, in dem allein mehr als 63.000 Arbeiter beschäftigt sind. Auch Daimler nahm die Produktion in den Werken in Sindelfingen und Bremen wieder auf. BMW will in Deutschland ab dem 11. Mai wieder Autos bauen. Das Motorradwerk in Berlin soll schon vom 4. Mai an schrittweise wieder hochfahren. Auch die meisten Autohersteller in den USA geben den 4. Mai als Zieldatum an.

Das Hochfahren der immens komplexen und global vernetzten Automobilindustrie wird die Rückkehr von Arbeitern nicht nur in die Montagewerke in Europa und den USA, sondern auch in die riesigen Lieferketten und Logistiknetzwerke auf der ganzen Welt nach sich ziehen.

Der wahnsinnige Versuch, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage. Er ist keine Reaktion auf einen Rückgang der Fälle oder ein Nachlassen der Pandemiegefahr. Im Gegenteil, obwohl die Medien und Regierungsvertreter weltweit von einem „Abflachen der Kurve“ sprechen, breitet sich das Virus weiter aus. Gestern meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) in seinem täglichen Lagebericht einen Anstieg der so genannten Reproduktionsrate auf 1,0.

Mit anderen Worten: Die Öffnungspolitik führt bereits wieder dazu, dass sich die Pandemie exponentiell ausbreitet. Liegt die Reproduktionsrate über 1, steckt ein Corona-Infizierter im Durchschnitt mehr als eine andere Person an. Das setzt eine gefährliche Entwicklung in Gang. Wissenschaftlichen Schätzungen zufolge wäre das deutsche Gesundheitssystem bei einer Reproduktionsrate von 1,1 im Oktober vollständig überlastet, bei einem Wert von 1,2 bereits im Juli.

Bereits jetzt liegt die Zahl der Toten in Deutschland bei über 6.000 und die Zahl der Infizierten bei über 158.000. In anderen europäischen Ländern wie Spanien, Italien, Frankreich und Großbritannien erlagen bereits jeweils weit mehr als 20.000 Menschen dem Virus. Noch dramatischer ist die Situation in den USA, die am Freitag und Samstag Rekordzahlen an Neuinfizierten verzeichneten. Am Montag überstieg die Zahl der Infizierten die Millionengrenze, und die Zahl der Todesfälle näherte sich 60.000.

Trumps eigene Gesundheitsbeamte warnen weiterhin davor, dass nur unzureichend auf das Virus getestet werde. Dr. Anthony Fauci, der führende US-Experte für Infektionskrankheiten, sagte am Donnerstag: „Wir müssen nicht nur die Anzahl der Tests deutlich erhöhen, sondern auch die Kapazitäten, sie durchzuführen [...] Ich bin im Moment überhaupt nicht zuversichtlich, dass wir das Zeug dazu haben.“

Auch in Deutschland betonen alle ernstzunehmenden Wissenschaftler und Epidemiologen, dass eine dramatische Eskalation der Lage nur verhindert werden kann, wenn die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung aufrechterhalten, verschärft und durch umfassende Tests und Kontaktverfolgungsmaßnahmen ergänzt werden.

Der internationale Charakter des Drangs der Kapitalistenklasse, die Menschen wieder zurück an die Arbeit zu schicken, und die rücksichtslose Gleichgültigkeit gegenüber dem Tod und dem Leid, die daraus resultieren werden, fanden ihren Ausdruck in einer Bemerkung von Wolfgang Schäuble, dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, der in einem Interview mit dem Tagesspiegel erklärte: „Aber wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig.“

In einfachen Worten ausgedrückt, sagt Schäuble folgendes: Es wird keine groß angelegten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie geben. Viele Menschen werden sterben. Akzeptiert das besser, denn die Wirtschaft (d.h. die Gewinnmargen der Oligarchie) muss wiederhergestellt werden. Diese im Kern faschistische Haltung ist die wirkliche Position der herrschenden Klasse. Lob erhielt Schäuble umgehend vom Fraktionsvorsitzenden der rechtsextremen AfD, Alexander Gauland, dem FDP-Vorsitzenden Christian Linder und dem Vorsitzenden der Grünen, Robert Habeck.

In praktisch jedem Statement von Unternehmen und Regierungen über das Hochfahren der Wirtschaft finden sich Standardformulierungen, denen zufolge das Leben und die Sicherheit der Beschäftigten sowie der allgemeinen Bevölkerung oberste Priorität haben. Das sind Lügen. Seit dem ersten Auftreten der Pandemie hat die herrschende Klasse diese nicht als einen globalen Notstand im Bereich der öffentlichen Gesundheit betrachtet, der ein Zusammenlegen der Ressourcen der Gesellschaft erfordert, sondern als eine Störung des Marktes.

Auf der Stelle haben sie die Gelegenheit genutzt, Milliarden und Billionen an die Konzerne und Banken zu überweisen. Damit diese massive Wiederaufblähung der Vermögenspreise anhalten kann, müssen der Produktionsprozess und die Ausbeutung der Arbeiter zu Profitzwecken jedoch rasch wieder aufgenommen werden.

Gleichzeitig führt die Verweigerung grundlegender persönlicher Schutzausrüstung für Krankenschwestern, Angestellte in Lebensmittelgeschäften und zahllosen anderen Arbeitern in als notwendig erachteten Branchen zu explosiver Wut und provoziert international bereits eine wachsende Welle von spontanen Streiks und anderen Arbeitskampfmaßnahmen. Da in dieser Woche mehr und mehr Arbeiter zurück an die Arbeit geschickt werden sollen, stehen Massenkämpfe auf der Tagesordnung.

Die Arbeiter müssen die falsche Wahl zurückweisen, vor die sie gestellt werden: nämlich dass sie sich entweder der Pandemie aussetzen oder mit Arbeitslosigkeit und Armut konfrontiert sein werden. Den Plänen, die Produktion unter der Gefahr massenhaften Sterbens wieder aufzunehmen, können und müssen Arbeiter entgegen treten.

An jedem Arbeitsplatz müssen Sicherheits- und Aktionskomitees gebildet werden. Diese Organisationen müssen zwangsläufig völlig unabhängig von den Gewerkschaften sein, die entgegen ihrem eigenen Anspruch, die Sicherheit der Arbeiter als „oberste Priorität“ zu haben, jahrzehntelang die Ordnung des Managements durchgesetzt und die Profitinteressen der Konzerne verteidigt haben.

Solche Komitees müssen folgende Forderungen erheben:

• Keine Rückkehr zur Arbeit in nicht lebenswichtigen Industriebranchen!

• Eine umfassende Bereitstellung von Schutzausrüstung und Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen für Arbeiter in lebenswichtigen Branchen

• Volles Einkommen für diejenigen, die arbeitslos geworden, beurlaubt oder auf Kurzarbeit sind

• Arbeiterkontrolle über Gesundheit und Sicherheit an jedem Arbeitsplatz, in Absprache mit medizinischen Experten

• Kostenlose und universelle Tests und medizinische Behandlung

Die Mittel zur Verwirklichung dieser Forderungen sind vorhanden, aber sie werden von einer kriminellen Oligarchie an sich gerissen, die bereit ist, die Gesellschaft in den Abgrund zu stoßen, um ihren Reichtum und ihre Privilegien zu verteidigen.

Das Vermögen der Superreichen muss beschlagnahmt und für die Bekämpfung der Pandemie sowie die Befriedigung dringender sozialer Bedürfnisse verwendet werden. Die großen Unternehmen und Banken müssen unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter gestellt werden. Schließt euch dem Kampf für den Sozialismus an! Wir fordern alle, die mit dieser Perspektive übereinstimmen, dazu auf, heute der Sozialistischen Gleichheitspartei beizutreten.

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