Perspektive

Das „Wundermittel“ Remdesivir und der Kampf gegen Covid-19

Vor einigen Tagen veröffentlichten die National Institutes of Health (NIH) die vorläufigen Ergebnisse einer Studie zum Medikament Remdesivir, das im Kampf gegen Covid-19 eingesetzt werden soll. Sofort erklärte US-Präsident Donald Trump, dies sei „ein wichtiger Schritt“, um die Coronavirus-Pandemie einzudämmen.

Auch die Mainstream-Medien stimmten umgehend in den Lobgesang ein. CNN berichtete über eine „gute Nachricht aus der Medikamentenforschung“, während MSNBC von „großer Zuversicht“ sprach. Der amerikanische TV-Sender Fox verkündete, das Medikament werde die „Genesungszeit von Erkrankten verkürzen“, und die New York Times sprach von „positiven Ergebnissen“ der Studie.

Unter normalen Bedingungen würden die Ergebnisse der NIH von Forschern mit großem Interesse zur Kenntnis genommen als das, was sie sind: das Etappenziel eines kontinuierlichen Prozesses, um eine wirksame Antwort auf ein neues und kompliziertes virales Phänomen zu finden.

Doch die mediale Verherrlichung dieses „Durchbruchs“ findet inmitten der zunehmend aggressiven Bemühungen statt, eine Rückkehr der Bevölkerung an die Arbeit zu legitimieren. Die „Back to Work“-Kampagne soll den Eindruck erwecken, das Virus sei „unter Kontrolle“, und die Krise so gut wie überwunden.

Eine Krankenschwester der Heilsarmee in Atlanta bereitet eine Impfung vor. (Foto: AP/Alex Brandon)

Es bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Forschung einen wichtigen Beitrag leistet, um die Ausbreitung von Covid-19 aufzuhalten. Doch die überschwänglichen Berichte über Remdesivir lassen bei genauerer Betrachtung Zweifel aufkommen.

Besonders die Aussagen von Anthony Fauci, Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases, sind offenbar mehr dem politischen Druck geschuldet, als wissenschaftlicher Überlegung im Interesse der öffentlichen Gesundheit.

Die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sind in ihrer Aussagekraft begrenzt. Laut der Pressemittelung der NIH benötigten Patienten mit fortgeschrittenen Atemwegssymptomen eine mittlere Genesungszeit von 11 Tagen, wenn sie Remdesivir einnahmen. Patienten, die ein Placebo erhielten, erholten sich im Vergleich dazu innerhalb von 15 Tagen. Dies entspricht einer Verbesserung von 31 Prozent. In den Ergebnissen der Studie heißt es weiter, dass die Sterblichkeitsrate bei den Patienten, die das Medikament einnahmen, von 11,6 Prozent auf 8,0 Prozent sank. Allerdings, so bemerkte Fauci, seien diese Zahlen statistisch nicht aussagekräftig.

Doch selbst wenn die Ergebnisse statistisch aussagekräftig wären, würde das Medikament die Sterblichkeitsrate bei der Mehrheit der Patienten mit schwerem Verlauf von Covid-19 nicht senken.

Auch gibt es keine ernsthafte Diskussion über die Ergebnisse anderer Studien mit Remdesivir. Derzeit reicht keine auch nur annähernd an den Erfolg der aktuellen Studie heran. Am 29. April (zeitglich mit der Studie der NIH) wurde im medizinischen Fachblatt The Lancet die Schlussfolgerung einer klinischen Studie aus China veröffentlicht. Darin heißt es, Remdesivir bringe keine statistisch signifikante Verkürzung der Genesungszeit für die Patienten. Tatsächlich starben nach dessen Einnahme mehr Menschen als nach der Einnahme des Placebos.

Anthony Fauci ignoriert diese Tatsache und erklärt: „Die Ergebnisse zeigen, dass Remdesivir einen deutlichen und signifikant positiven Effekt hat und damit die Genesungszeit verkürzt … Wir denken, dass wir nun auf dem richtigen Weg sind, um das Coronavirus erfolgreich zu behandeln.“

Gleichzeitig nimmt die „Back-to-Work“-Kampagne durch die Trump-Regierung immer mehr an Fahrt auf. Sogar die begrenzten Maßnahmen, um die „Ausbreitung des Virus zu verlangsamen“, sollen jetzt gekippt werden. Präsident Trump sprach am 30. April über eine Stunde mit einem Dutzend Führungskräften wichtiger Industriezweige, um seinen Drei-Phasen-Plan (engl. „Plan for Opening Up America Again“) voranzutreiben. Dieser wird in nahezu der Hälfte des Landes sowie in allen wichtigen Branchen umgesetzt.

Das Medikament Remdesivir und die Ergebnisse der aktuellen Studie werden zweifelsohne eine bedeutende Rolle in der Kampagne spielen, um die Bevölkerung wieder zurück an die Arbeit zu drängen. Banken und Unternehmen haben bereits ihre Bereitschaft gezeigt, zehntausende, wenn nicht gar Millionen Leben dafür aufs Spiel zu setzen.

Nie erwähnt wird allerdings, dass Remdesivir die folgenschweren Auswirkungen einer verfrühten Rückkehr zur Arbeit höchstens geringfügig abmildern kann. Angenommen, die Zahl der Covid-19-Fälle in den USA steigt um das Zehnfache, dann würde das Medikament laut den NIH nur einen Bruchteil der Erkrankten retten. Diese wären jedoch andernfalls gar nicht erst infiziert worden oder gestorben.

Selbst das optimistischste Szenario, wenn ein Impfstoff oder gar ein Heilmittel gegen Covid-19 gefunden wird, liefert kein Argument für eine Wiedereröffnung der Wirtschaft. Die erzielten Fortschritte müssen mit strengeren Tests, einer umfassenden Kontaktverfolgung sowie physischer Distanzierung einhergehen. Es wäre an Tragik nicht zu überbieten, wenn unzählige Menschen nun gezwungen würden, sich dem Coronavirus auszusetzen und möglicherweise krank zu werden oder zu sterben. Umso mehr, als ihnen dieses Leid erspart geblieben wäre, hätten ihre Arbeitgeber nur ein Mindestmaß an Geduld aufgebracht.

Dass die amerikanische herrschende Elite nun, da möglicherweise eine Behandlung gegen Covid-19 in Sicht ist, die Bevölkerung zurück an die Arbeit zwingen will, zeigt ihren kriminellen Charakter.

Die derzeitige Situation lässt eine historische Analogie zu, mit der Anthony Fauci und auch seine Kollegin Deborah Birx vertraut sein dürften. In den 1980er Jahren ging die Entwicklung antiviraler Medikamente im Kampf gegen AIDS sowohl mit der Aufforderung zu „Safer Sex“ einher, als auch mit weiteren Maßnahmen, um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Allerdings wurde nie der abstruse Vorschlag gemacht, Nadeln mehrfach zu nutzen oder auf Kondome zu verzichten, nur weil die Forschung bereits nach einem Impfstoff oder anderen Therapieformen suchte.

Keine dieser Überlegungen hält die Aktionäre der Wall Street davon ab, die Ergebnisse der Studie ausgiebig zu bejubeln. Der Aktienkurs des Pharmazie- und Biotechnologieunternehmens Gilead, dass das Medikament Remdesivir herstellt, ist in den zwei Tagen nach der Veröffentlichung der NIH-Studie um vier Prozent gestiegen. Seit Beginn der wissenschaftlichen Untersuchungen ist der Kurs um mehr als 20 Prozent gestiegen, was den Aktionären rund 20 Milliarden Dollar einbrachte. Der Aktienindex Dow Jones stieg am Tag der Pressemitteilung insgesamt um 500 Punkte an.

Die Profitgier der amerikanischen herrschenden Klasse ist die eigentliche Intention hinter den Bemühungen, die Herstellung von Remdesivir voranzutreiben. Allein mit dem Medikament kann Unmengen Geld verdient werden. Doch auch das wissenschaftliche Deckmäntelchen dient dazu, die Bevölkerung trotz der schwelenden Pandemie zurück an die Arbeit zu zwingen, um die Taschen der Superreichen weiter zu füllen.

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