USA: Arbeitslosigkeit hoch wie in der Großen Depression. Millionen ohne Sozialhilfe

Die USA stehen vor der schwersten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression in 1930er Jahren. Allein letzte Woche stellten mehr als 3,8 Millionen Arbeiter einen Antrag auf Arbeitslosenunterstützung. Seit Beginn des landesweiten Lockdowns im März als Reaktion auf die Corona-Pandemie, haben bisher mehr als 30 Millionen Arbeiter finanzielle Unterstützung beantragt. Diese Zahl liegt damit deutlich über den 22,4 Millionen neuen Arbeitsplätzen, die seit November 2009 – dem Ende der vorangegangenen Rezession – geschaffen wurden.

Während weiterhin täglich über 2000 Menschen an Covid-19 sterben, verschärfen sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie immer mehr. Bisher hat die Pandemie in den USA etwa 62.000 Todesopfer gefordert, was etwa 27 Prozent der weltweiten Gesamtzahl entspricht.

Wegen der Krise hat rund ein Sechstel der gesamten erwerbstätigen Bevölkerung Arbeitslosenunterstützung beantragt – so viele wie noch nie zuvor in der Geschichte der USA. Millionen weitere Arbeiter haben ihre Stelle verloren, allerdings keine Unterstützung beantragt, weil sie Immigranten, Selbstständige oder Vertragsarbeiter sind, oder weil sie aus anderen Gründen keinen Anspruch haben. Zudem schätzt das Economic Policy Institute (EPI), dass rund 12 Millionen Arbeiter keine Unterstützung beantragt haben, weil die Antragssysteme der Bundesstaaten überlastet sind.

Vor dem Arbeitsamt in Chicago (Illinois), 30. April 2020. (AP Photo/Nam Y Huh)

Einer Erzieherin aus dem Bundesstaat Washington, deren Arbeitszeit gekürzt wurde, verweigerte man die beantragte Hilfe nach wochenlangem Warten. Gegenüber der WSWS erklärte sie: „Als ich anrief, hörte ich eine Bandansage. Es hieß, es gäbe extrem viele Anrufe und ich müsse später wieder anrufen … Ein und dieselbe Nachricht habe ich mir drei Wochen lang angehört. Mindestens viermal pro Woche rief ich in der Antragstelle an und auch den technischen Support habe ich kontaktiert … Ich bin mir nicht sicher, ob wir ohne finanzielle Hilfe den Mai überstehen werden.“

Ihre Freundin erklärte, sie erhalte keine Arbeitslosenunterstützung, weil sie nicht genügend Arbeitsstunden vorweisen könne: „Ich werde unter Druck gesetzt, wieder zur Arbeit zu gehen, aber ich habe Angst davor, weil ich meine Gesundheit und die meiner Angehörigen nicht gefährden möchte.“

Ein Ford-Arbeiter aus Michigan, der im März entlassen wurde, erklärte: „Bisher habe ich nur einen Scheck bekommen. Der Monat ist fast vorbei, und nun muss ich entscheiden, was mit meiner Mietzahlung werden soll.“

Ökonomen gehen aktuell davon aus, dass sich die tatsächliche Arbeitslosenquote einem Wert von 25,6 Prozent nähert. Das war der Höchststand während der Großen Despression der 1930er Jahre.

Die Tatsache, dass inmitten einer massiven Gesundheitskrise landesweit zehntausende Ärzte und Pflegekräfte und andere medizinische Angestellte zwangsbeurlaubt wurden, verdeutlicht die Irrationalität des kapitalistischen Profitsystems.

Laut Schätzungen der US-Regierung ist die Wirtschaft im ersten Quartal, aufs Jahr umgerechnet, um 4,8 Prozent zurückgegangen. Laut einer anderen Schätzung könnte sie im zweiten Quartal um bis zu 40 Prozent sinken, was ein nie zuvor dagewesener Einbruch wäre.

Von sämtlichen Anträgen auf Arbeitslosenunterstützung wurden nur 18 Millionen bewilligt, sodass weiteren Millionen bittere Armut droht. Die Konsumausgaben gingen im März um 7,5 Prozent zurück und stellen damit den schlechtesten Monatswert dar, der je gemessen wurde. Der Rückgang im April wird vermutlich noch sehr viel stärker ausfallen.

Alleine in Kalifornien haben 3,78 Millionen Arbeiter (19,6 Prozent der Erwerbsbevölkerung) Arbeitslosenunterstützung beantragt. Diese Woche hat der Bundesstaat erstmals Beschäftigten der sogenannten Gig Economy, also unabhängige Vertragsarbeiter und Freiberufler, erlaubt, finanzielle Unterstützung zu beantragen.

In Pennsylvania haben derweil in der Woche ab dem 18. April mehr als 131.000 Arbeiter Arbeitslosenunterstützung beantragt. Damit ist die Zahl der gemeldeten Arbeitslosen im Bundesstaat innerhalb von sechs Wochen auf mehr als 1,6 Millionen, bzw. 24,7 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung angestiegen.

Michigan ist einer der Bundesstaaten, in denen im Verhältnis zur Erwerbsbevölkerung die meisten Arbeiter entlassen werden. Fast ein Viertel der Arbeiter, also rund 1,2 Millionen Menschen, haben dort Unterstützung beantragt.

Doch es kommt noch schlimmer: Das EPI schätzt, dass 12,7 Millionen Arbeiter ihre betriebliche Krankenversicherung verloren haben und deshalb inmitten der Pandemie, der schlimmsten Gesundheitskrise seit 100 Jahren, überhaupt nicht versichert sind. Zahllose Familien stehen vor der Wahl, auf eine medizinische Behandlung zu verzichten oder sich schwer zu verschulden.

Die Konzerne benutzen die Pandemie derweil als Vorwand, um noch mehr Personal abzubauen. Der Flugzeughersteller Boeing, der aufgrund der Probleme mit dem Flugzeugtyp 737 bereits in einer Krise steckt, hat die Entlassung von zehn Prozent der Belegschaft angekündigt. Letzte Woche hat das Unternehmen die Produktion in seinen Werken im Raum Seattle wieder aufgenommen. Der Fahrdienst-Vermittler Lyft erklärt, er wolle tausend Arbeiter, bzw. 17 Prozent seiner Belegschaft entlassen.

Um Angestellte trotz der Corona-Pandemie zur Rückkehr an die Arbeit zu zwingen, kündigten mehrere Bundesstaaten Maßnahmen an, durch welche diejenigen Arbeiter, die aus gesundheitlichen Bedenken nicht an die Arbeit zurückkehren wollen, den Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung verlieren. Im Bundesstaat Tennessee soll „Antragsstellern möglicherweise die Arbeitslosenunterstützung verweigert“ werden, wenn sie nicht dazu bereit sind, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

In Iowa, wo in Zusammenhang mit einem fleischverarbeitenden Betrieb mehr als tausend Covid-19-Fälle registriert wurden, erklärten Regierungsvertreter: „ACHTUNG ARBEITGEBER: Wenn Sie Ihren Angestellten Arbeit angeboten haben, und diese nicht an die Arbeit zurückkehren, muss eine Mitteilung an die Behörden von Iowa erfolgen.“

Am Dienstag veröffentlichte die Trump-Regierung ein Dekret, das Fleischverarbeitungsbetriebe zwingt, geöffnet zu bleiben. Dazu zählt auch ein Betrieb von Smithfield Foods in Sioux Falls (South Dakota), in dem mindestens zwei Arbeiter an Covid-19 gestorben sind. Die Regierung will die riesigen Betriebe außerdem vor jeder juristischen Haftung für kranke und tote Arbeiter schützen.

Ein Sprecher des US-Arbeitsministeriums erklärte: „Solange es keine ungewöhnlichen Umstände gibt, gilt das Angebot zur Rückkehr an die Arbeit für einen beurlaubten Arbeitnehmer als angemessenes Stellenangebot, und er hat es zu akzeptieren.“

Die veralteten Antragssysteme für Arbeitslosenunterstützung in den Bundesstaaten werden von der Masse der Antragssteller völlig überfordert.

Florida verzeichnete diesen Monat mit 7,330 Prozent den größten Anstieg neuer Anträge im Vergleich zum April 2019. Im Lauf der Woche stellten 432.465 Menschen Anträge auf finanzielle Unterstützung; im Vorjahreszeitraum waren es zum selben Zeitpunkt nur 5.900. Insgesamt gab es in Florida seit Beginn des Lockdowns mehr als anderthalb Millionen neue Anträge. Im gleichen Zeitraum des Vorjahrs waren es nur 35.215. Das bedeutet einen Anstieg um mehr als 4,500 Prozent.

Der Online-Auftritt des Arbeitsamts in Florida kann dem immensen Ansturm der Anträge nicht standhalten, sodass etliche bisher überhaupt keine Hilfe beantragen konnten. Viele haben bereits aufgegeben. Laut Associated Press warteten letzte Woche sieben von acht Personen, die von Mitte März bis Anfang April ihre Anträge gestellt haben, immer noch auf deren Bearbeitung. In Kalifornien warten zwei Drittel auf die Bearbeitung, in New York sind es 30 Prozent.

Dutzende Millionen Menschen haben die staatliche Einmalzahlung in Höhe von lächerlichen 1.200 Dollar, die der Kongress bewilligt hatte, überhaupt nicht erhalten. Bisher wurde gerade mal die Hälfte des dafür bewilligten Geldes ausbezahlt, und es gibt keine Erklärung, warum der Rest nicht ausgezahlt wird. Laut dem Finanz- und Steuerausschuss des Repräsentantenhauses begann die Regierung am 20. April mit der Verteilung von Papierschecks an fünf Millionen Haushalte pro Woche. Insgesamt soll die Aktion 20 Wochen andauern. Das Stimulus-Gesetz verhindert nicht, dass Gläubiger die Zahlungen pfänden, obwohl einige Bundesstaaten angekündigt haben, sie wollten dies verhindern.

Gleichzeitig erhalten viele kleine Unternehmen im Familienbesitz keine Kredite aus dem Paycheck Protection Program, da die Großkonzerne das Geld an sich reißen. Viele, die tatsächlich Hilfe erhalten, müssen erkennen, dass diese an zahlreiche Bedingungen geknüpft ist.

Der Kapitalismus hat sich als unfähig erwiesen, auf rationale und menschliche Weise auf die Corona-Pandemie zu reagieren. Statt Milliarden bereitzustellen, die notwendig sind, um die Gesundheitskrise zu bewältigen und Arbeiter, Arbeitslose und Kleinunternehmer zu unterstützen, werden für die Wall Street nahezu unbegrenzte Mittel bereitgestellt. Die Großkonzerne nutzen die Pandemie, um eine weitere Umstrukturierung der sozialen Beziehungen im Interesse der Reichen durchzusetzen. Sie fordern beispielsweise Kürzungen der öffentlichen Renten und weitere Lohnsenkungen.

Während die Zahl der Toten steigt und die Arbeitslosenquote ein Ausmaß wie zur Zeit der Großen Depression erreicht, steigen die Aktienkurse diese Woche unvermindert an. Die US-Zentralbank hat den Aktionären zugesichert, dass sie weiterhin Geldspritzen in Billionenhöhe erhalten werden. Währenddessen unternehmen die Demokraten und Republikaner gemeinsame Anstrengungen, um die Arbeiter wieder in die Fabriken zu zwingen.

Die einzige Antwort auf die rücksichtslose und mörderische Politik der herrschenden Klasse ist die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus. Zu diesem Zweck müssen die Arbeiter mit den Parteien des Großkapitals und den wirtschaftsfreundlichen Gewerkschaften brechen, und ein sozialistisches Programm annehmen, dass ausschließlich im Interesse der Arbeiterklasse ist.

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