Politik und Medien hofieren rechte Corona-Demonstrationen

Eine deutliche Mehrheit lehnt die derzeitigen Lockerungen der Corona-Maßnahmen im Interesse der Wirtschaft ab, in deren Folge die Covid-19 Infektionen wieder schneller zunehmen. Jetzt mobilisieren Politik und Medien den rechten Bodensatz der Gesellschaft in den sogenannten Corona- oder Hygiene-Demos, um die Bevölkerung einzuschüchtern und die Rückkehr zur Arbeit durchzusetzen.

Die Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wurden in den letzten Wochen in mehreren Städten von rechten und rechtsextremen Einzelpersonen und Gruppen ins Leben gerufen. Durch eine unverhältnismäßig breite Berichterstattung und unterstützende Kommentare konnten die Proteste am vergangenen Samstag mit insgesamt mehreren tausend Teilnehmern einen vorläufigen Höhepunkt erreichen.

Dennoch blieb die Teilnehmerzahl gering. In den meisten Städten gingen wenige hundert Menschen auf die Straße. Nur in Stuttgart waren mehrere tausend Demonstranten zusammengekommen. Auf Plakaten und in Slogans wurde die Gefährlichkeit von Covid-19 bestritten, gegen Mundschutz und Lockdown polemisiert und Sympathien für US-Präsident Donald Trump bekundet. Die meisten Teilnehmer trugen ihre Ignoranz auch durch den Verzicht auf eine Schutzmaske und die Missachtung jeder sozialen Distanzierung zur Schau.

An allen Demonstrationen beteiligten sich Vertreter der AfD und stadtbekannte Neonazis, ohne dass sich irgendein Teilnehmer daran gestört hätte. Neben zahlreichen schwarz-rot-goldenen wurden immer wieder schwarz-weiß-rote Reichsfahnen geschwenkt.

Welche Elemente die Demos besuchten, wurde auch am tosenden Applaus für den Hauptredner auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart deutlich: den Youtuber Ken Jebsen, der in der rechten Szene bestens vernetzt ist. Kurz vor der Demonstration hatte er in einem Video erklärt, dass die Bundesregierung von den amerikanischen Multimilliardären Bill und Melinda Gates gesteuert werde, deren Ziel der Verkauf von Impfstoff sei.

Auf der Demo rief Jebsen dann dazu auf, dass Deutschland 30 Jahre nach der Wiedervereinigung endlich erwachsen und unabhängig werden müsse. In einem reaktionären Potpourri aus Nazi-Verharmlosung, Nationalismus und Rückständigkeit verglich er den Kampf gegen die Pandemie mit den Nürnberger Rassegesetzen und verklärte er Viren zu einem Teil der Schöpfung, die der menschliche Verstand nie auch nur ansatzweise verstehen könne.

In vielen Städten kam es auch zu gewaltsamen Übergriffen. Auf der Kundgebung in München wurden Passanten Berichten zufolge heftig angepöbelt und bedroht, weil sie Schutzmasken trugen. In Dortmund griffen rechtsextreme Teilnehmer einer unangemeldeten Demonstration ein Kamerateam des WDR an. Auch in Berlin wurde auf einer Demonstration vor dem Reichstag ein Tontechniker der ARD attackiert und seine Tonangel beschädigt.

In Aachen störten und bedrohten Teilnehmer einer nicht genehmigten Corona-Demonstration Menschen, die am Elisenbrunnen für einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen demonstrierten. Nachdem sie von den rechten Demonstranten wiederholt ohne Mundschutz aus nächster Nähe angeschrien wurden, sahen sich die Seebrücke-Unterstützer gezwungen, ihren Protest vorzeitig zu beenden.

Die rechten Aufmärsche repräsentieren in keiner Weise die Sorgen in der arbeitenden Bevölkerung. Ganz im Gegenteil wächst unter Autoarbeitern, Lehrern und Verkäufern die Wut darüber, dass sie jetzt an unsichere Arbeitsplätze zurückgezwungen werden. Krankenpfleger, Busfahrer und Müllarbeiter beklagen fehlende Schutzkleidung und Sicherheitsvorkehrungen. Vielen Millionen droht die Entlassung und auch mittelständische Unternehmer werden mit dem 600-Milliarden-Euro-Geschenk an Großkonzerne und Banken im Regen stehen gelassen.

Um die riesigen Summen wieder aus der arbeitenden Bevölkerung herauszupressen, treibt die herrschende Klasse ihre Öffnungspolitik aggressiv voran. Nach den weitgehenden Lockerungsankündigungen der Bundesregierung in der vergangenen Wochen, haben in zahlreichen Bundesländern Restaurants, Sportstätten, Museen und sogar Massage- und Kosmetikstudios wieder geöffnet. Schulen und Kitas befinden sich auf dem Weg zurück in den „Normalbetrieb“ und viele Fabriken laufen auf Hochtouren.

Durch das Hochfahren der Industrie und die massiven Lockerungen ist der Reproduktionsfaktor bereits wieder über eins gestiegen. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts lag er am Montag bei 1,13. Ernsthafte Wissenschaftler warnen vor den dramatischen Konsequenzen. Schätzungen zufolge wäre das deutsche Gesundheitssystem bei einem Reproduktionsfaktor von 1,1 bereits im Oktober vollständig überlastet, bei einem Wert von 1,2 bereits im Juli.

Die Opposition in der Bevölkerung gegen diese gefährliche Entwicklung ist enorm. Alle Umfragen zeigen, dass eine deutliche Mehrheit die grenzenlose Lockerungspolitik der Bundes- und Landesregierungen ablehnt. Überwältigende 93 Prozent fordern eine größere Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Politik.

Aus genau diesem Grund umarmen führende Politiker und Medien offen die Corona-Demonstrationen. Ihr Ziel ist klar. Der rechte Bodensatz der Gesellschaft soll auf die Beine gebracht werden, um die „Back to work“-Kampagne gegen jeden Widerstand durchzusetzen und jeden einzuschüchtern, der sich dagegen zur Wehr setzt.

In Thüringen, wo die Demonstration von einem Mitglied des CDU-Wirtschaftsrats mit engen Kontakten in die rechtsextreme Szene angemeldet worden war, marschierte neben der AfD auch der FDP-Landeschef Thomas Kemmerich mit, der im Januar als erster deutscher Ministerpräsident eine Regierungsmehrheit mit der AfD gebildet hatte. Kemmerich trug demonstrativ keinen Mundschutz und hielt die Abstandsregeln nicht ein.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hatte schon am 2. Mai eine Demonstration in Offenburg gegenüber der Mittelbadischen Presse gelobt und erklärt, sie gehörten zu einem Prozess, der das Land auf die Zukunft orientiere. Auf der Demo standen Polizeiangaben zufolge 200 Menschen dicht gedrängt und ohne Schutzmasken. Darunter zahlreiche AfD-Politiker und andere Rechtsextremisten. Schäuble hatte zuvor selbst die Würde des Menschen in Frage gestellt und de facto Menschenopfer für die Profitmaximierung gefordert.

Der ehemalige Herausgeber des Handelsblatts, Gabor Steingart, jubelt in seinem täglichen Morning Briefing, dass die „Zeit der Schockstarre“ vorbei sei: „Die Zivilgesellschaft muckt auf.“ Allein in Stuttgart, Berlin, München und Frankfurt hätten „Zehntausende“ an den Demonstrationen teilgenommen, behauptet Steingart. Das stellt sogar die grotesk übertriebenen Zahlen der Veranstalter in den Schatten.

Steingart führt dann Parolen wie „Gib Gates keine Chance“ und „Legt den Maulkorb ab“ als Beleg dafür an, dass es sich bei den Demonstranten mehrheitlich weder um Rechtsextremisten noch Spinner gehandelt habe. Sattdessen handele es sich um eine „allergische Reaktion“ darauf, dass Grundrechte wie „Gewerbefreiheit“ und „das Recht am Eigentum“ mit einem Handstreich eingeschränkt worden seien.

Auch die Süddeutsche Zeitung will die rechten Demonstrationen nutzen, um die Lockerungen weiter voran zu treiben. „Es sind ja nicht nur die Verschwörungstheoretiker, die ihre Zweifel an den getroffenen Maßnahmen formulieren“, kommentierte Jan Heidtmann am 10. Mai. So müssten unter anderem die Fragen geklärt werden, weshalb man „bei der Betreuung von Kindern“ auf Virologen höre und warum man im öffentlichen Nahverkehr in jedem Fall eine Maske tragen müsse.

Die systematische Bewerbung und Umarmung der rechten Aufmärsche durch große Teile von Politik und Medien zeigt, dass die herrschenden Eliten zu allem bereit sind, um ihre brutale Klassenpolitik zu verschärfen. Dabei nehmen sie den Tod von Hunderttausenden in Kauf und setzen auf rechtsextreme Tendenzen.

Doch damit unterstreichen sie nur, dass der Kapitalismus unvereinbar mit den Bedürfnissen der großen Mehrheit ist. Um die Pandemie auf wissenschaftlicher Grundlage zu bekämpfen und die gesundheitlichen und sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung zu verteidigen, ist eine sozialistische Offensive notwendig. Die Banken und Konzerne müssen enteignet und unter die demokratische Kontrolle der Arbeiter gestellt werden.

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