Perspektive

Globale Ausbreitung des Coronavirus

WHO-Konferenz im Zeichen des US-China-Konflikts

Die Covid-19-Pandemie breitet sich aus und droht, die armen und unterdrückten Ländern des globalen Südens mit massenhaftem Sterben und Leiden heimzusuchen. Gleichzeitig nutzte Washington die Jahreskonferenz der Weltgesundheitsorganisation am Montag, um China die Schuld an der Pandemie zuzuschreiben.

Die 73. Jahrestagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), an der Vertreter aus den 194 Mitgliedstaaten teilnahmen, fand am Montag statt. Zu diesem Zeitpunkt lag die Zahl der weltweit bestätigten Coronavirus-Infektionen bei etwa 4,8 Millionen und die Zahl der Todesfälle bei 317.000. Gleichzeitig haben zig Millionen Erwerbstätige auf der ganzen Welt im Zuge der Pandemie ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen verloren.

Covid-19 Patienten werden in geschlossenen, nicht-invasiven Beatmungskapseln im städtischen Krankenhaus Gilberto Novaes im brasilianischen Manaus behandelt, 18. Mai 2020. (AP Photo/Felipe Dana)

Unter diesen Umständen tat sich die Trump-Regierung mit einem aggressiven, vorab aufgezeichneten Beitrag hervor. US-Gesundheits- und Sozialminister Alex Azar erhebt in dem Video ebenso scharfe wie unbewiesene Anschuldigungen gegen die WHO und China.

„Wir müssen über einen der Hauptgründe dafür, dass dieser Ausbruch außer Kontrolle geriet, offen sprechen“, sagt Azar. „Es ist dieser Organisation nicht gelungen, die Informationen zu beschaffen, die die Welt brauchte, und dieses Versäumnis hat viele Menschenleben gekostet.“

Azars Vorwürfe treffen sich mit Berichten, dass US-Präsident Donald Trump beschlossen hat, die Mittel seiner Regierung für die Finanzierung der WHO weiterhin und auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Zuvor hatten die USA 400 Millionen Dollar, d.h. ein Fünftel des Jahresbudgets der Weltgesundheitsorganisation getragen.

Azar wiederholte die reißerischen Verschwörungstheorien des Weißen Hauses und wertete die chinesische Reaktion auf den Ausbruch der Pandemie als bewussten Versuch, die Infektion in die Vereinigten Staaten zu tragen und dadurch die USA zu schwächen.

„In einem offensichtlichen Versuch, diesen Ausbruch zu verbergen, setzte sich mindestens ein Mitgliedsstaat über seine Transparenzpflichten hinweg, mit enormen Kosten für die ganze Welt“, sagte Azar. „Wir haben erlebt, dass die WHO an ihrer Kernaufgabe des Informationsaustauschs und der Transparenz gescheitert ist, da die Mitgliedstaaten nicht guten Willens sind.“

Dies ist Unsinn. Wie WHO-Chef Tedros Adhanon Ghebreysus in seiner eigenen Rede auf der Tagung deutlich machte, „schlug die WHO früh Alarm und noch dazu wiederholt.“ Am 30. Januar rief die WHO auf der Grundlage der von China übermittelten Informationen den globalen Gesundheitsnotstand aus, das ist die höchste Alarmstufe der Organisation. Damals gab es weniger als 100 bestätigte Fälle und keinen einzigen Todesfall außerhalb Chinas.

Die US-Regierung beschloss, die Warnung zu ignorieren. Man sorgte sich vor allem um die Aktienkurse an der Wall Street und spielte in diesem Sinne die Gefahr durch das Coronavirus herunter. Als die Auswirkungen der Pandemie unbestreitbar waren, reagierte die US-Regierung, indem sie riesige Ressourcen für eine massive Rettung der Finanzmärkte zur Verfügung stellte.

Washingtons kriminelle Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit hatten unvermeidliche Folgen. Die USA wurden mit Abstand zur führenden Nation in Bezug auf die Verbreitung des Coronavirus und die Todesfälle. Während knapp vier Prozent der Weltbevölkerung in den Vereinigten Staaten leben, zählen sie gleichzeitig fast ein Drittel der bestätigten Infektionen und 29 Prozent der Todesfälle weltweit.

Es könnte keine schlimmere Anklage gegen die US-Politik geben. Die Scheinangriffe auf die WHO und China zielen darauf ab, die Aufmerksamkeit vom eigenen Vorstrafenregister abzulenken. Gleichzeitig verfolgt der US-Imperialismus auch hier seine globalen geostrategischen Interessen weiter und eskaliert den Konflikt mit seinem wichtigsten globalen Rivalen.

Während in den Vereinigten Staaten und Europa, den ersten Epizentren der Pandemie, die herrschende Kapitalistenklasse versucht, die verfrühte „Wiederaufnahme des Wirtschaftslebens“ einzuleiten, um ungeachtet der menschlichen Kosten die hemmungslose Ausbeutung der Arbeiterklasse wieder aufzunehmen, breitet sich die Pandemie weiterhin weltweit aus.

In seiner Rede auf der WHO-Jahrestagung warnte UN-Generalsekretär Antonio Guterres davor, dass „das Virus sich über die ganze Welt verbreitet hat und nun in den globalen Süden vordringt, wo seine Auswirkungen noch verheerender sein könnten“.

WHO-Generaldirektor Tedros warnte in ähnlicher Weise und sagte, dass „Entwicklungsländer und diejenigen, die unter Gewalt und Konflikten leiden, dieser Bedrohung unter den schwierigsten Umständen begegnen“.

„Wie praktizieren Sie soziale Distanzierung, wenn Sie unter beengten Verhältnissen leben?“, fragte er. „Wie bleiben Sie zu Hause, wenn Sie arbeiten müssen, um Ihre Familie zu ernähren? Wie praktizieren Sie Handhygiene, wenn Ihnen sauberes Wasser fehlt?“

Dies sind die Bedingungen, mit denen die Mehrheit der Menschheit konfrontiert ist und die zu einer explosiven Ausbreitung der Pandemie in den ehemaligen Kolonialländern und historisch unterdrückten Ländern führen.

In Südamerika ist die Zahl der bestätigten Fälle auf über 443.000 und die Zahl der Todesfälle auf über 23.000 angestiegen. Auf Brasilien, das größte Land des Kontinents, entfällt mit mehr als 244.000 weit über die Hälfte der bestätigten Fälle. Studien weisen unterdessen darauf hin, dass die tatsächliche Zahl wahrscheinlich 15 Mal höher liegt. Die Zahl der bestätigten Todesfälle liegt bei über 16.000.

In Sao Paulo, der größten Stadt Brasiliens und Epizentrum des Covid-19-Ausbruchs, berichtet der Bürgermeister, dass die öffentlichen Krankenhäuser der Stadt „kurz vor dem Zusammenbruch“ stehen. Sie sind bereits zu 90 Prozent ausgelastet und werden spätestens in zwei Wochen neue Patienten abweisen müssen.

Während die Zahl der Infektionen und Todesfälle in die Höhe schießt, fordert Brasiliens faschistischer Präsident Jair Bolsonaro eine uneingeschränkte Wiederaufnahme der kapitalistischen Produktion. Er drängt die Konzerne und die Finanzoligarchie des Landes dazu, selbst gegen die begrenzten Einschränkungen und Maßnahmen der Bundesstaaten einen „Krieg“ zu führen. Er hat auch ein Dekret unterzeichnet, das den öffentlichen Behörden volle Immunität für alle „Fehler“ im Umgang mit der Pandemie gewährt.

Bolsonaro und seine Anhänger innerhalb des Militärs streben zu weitergehenden autoritären Herrschaftsformen, um die Arbeiterinnen und Arbeiter wieder in unsichere Fabriken und an unsichere Arbeitsplätze zurück zu treiben. Gleichzeitig kommt es zu einer explosionsartigen Zunahme von Protesten und Streiks der Beschäftigten im brasilianischen Gesundheitswesen, das die weltweit höchste Zahl an Todesopfern zu beklagen hat. Seit dem Ausbruch der Pandemie sind allein 116 Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger gestorben.

Südasien leidet nicht weniger unter einer der höchsten Steigerungsraten von Coronavirus-Infektionen auf dem Planeten. In Indien ist die Zahl der bestätigten Fälle auf über 100.000 und die Zahl der Todesfälle auf über 3.000 angestiegen. Der potenziell tödliche Virus fordert seinen größten Tribut in den Slums von Delhi und Mumbai. Während die rechtsextreme hinduistisch-nationalistische Regierung von Premierminister Narendra Modi einen der umfassendsten Lockdowns der Welt durchgesetzt hat, ist das marode Gesundheitssystem des Landes nicht auf den Ausbruch vorbereitet. Das Land gibt kaum 1 Prozent seines BIP für die Gesundheitsversorgung aus. Das Ergebnis sind Krankheit, Hunger sowie Polizeigewalt und Brutalität für die Massen der Arbeiter und Unterdrückten.

Die Verarmung und der Hunger werden ausgenutzt, um die Arbeiter in die Fabriken zurückzudrängen. Gleichzeitig nutzt die Regierung die Krise, um ein massives Privatisierungs- und Wirtschaftsumstrukturierungsprogramm durchzusetzen, das Indien als Land für Unternehmens- und Finanzinvestitionen gegenüber China attraktiver machen soll.

Am 18. Mai betrug die Zahl der bestätigten Coronavirus-Fälle in Sri Lanka 986, mit neun Todesfällen. Trotz der Gefahr einer Verbreitung des Virus hat die Regierung von Präsident Gotabhaya Rajapakse die Wirtschaft des Landes seit dem 11. Mai wieder geöffnet und viele Maßnahmen beendet. Die Hauptstadt Colombo und der angrenzende Bezirk Gampaha stehen weiterhin unter Ausgangssperre, doch allen Unternehmen des öffentlichen und privaten Sektors wurde erlaubt, überall auf der Insel mit einem Drittel ihrer normalen Arbeitskräfte zu arbeiten. Gleichzeitig nutzt die Regierung Rajapakse die Pandemie für ihre Militarisierungspläne und setzt Soldaten in Colombo sowie in Zügen, Bahnhöfen und Busbahnhöfen ein, um die öffentlichen Bewegungen zu überwachen.

Auf den Philippinen werden aktuell 12.718 bestätigte Fälle und 831 Todesfälle zu verzeichnet. Präsident Rodrigo Duterte hat eine Sperre bis Juni verlängert. Duterte hat unter dem Deckmantel der Pandemiekrise sein hartes Durchgreifen gegen demokratische Rechte verstärkt. Seine Regierung hat den größten Fernsehsender des Landes, ABS-CBN, unter dem fadenscheinigen Vorwand der erloschenen Übertragungsrechte stillgelegt. Der wahre Grund dürfte die kritische Haltung des Senders gegenüber Dutertes autoritären Schritten sein.

Afghanistan hat sich zu einem der am stärksten betroffenen Länder Zentralasiens entwickelt. Verheert durch den fast zwei Jahrzehnte langen Krieg des US-Imperialismus, hat der Ausbruch von Covid-19 das Leiden der Bevölkerung weiter verstärkt. Gegenwärtig gibt es in Afghanistan 7.072 bestätigte Covid-19-Fälle und etwa 173 Tote aufgrund des Virus. Bei geringen Tests machen diese Zahlen zweifellos nur einen Bruchteil der tatsächlichen Opfer des Virus aus.

In Afrika stiegen die bestätigten Fälle am Montag auf fast 87.00, mit fast 2.800 Toten. Seit Lesotho die erste Infektion gemeldet hatte, ist jedes einzelne der 54 Länder des Kontinents Teil der globalen Pandemie geworden. Da die Gesundheitssysteme der verarmten Länder am wenigsten in der Lage sind, dem tödlichen Virus zu begegnen, prognostiziert die WHO, dass sich innerhalb des ersten Jahres der Pandemie etwa eine Viertelmilliarde Afrikaner infizieren und bis zu 190.000 sterben werden.

Bis Montag gab es in Südafrika 15.515 bestätigte Fälle und 264 Todesfälle. Die Ausbreitung des Virus ist im Westen des Landes am stärksten, zudem konzentriert in den armen und dicht besiedelten Townships wie Khayelitsha, Kapstadts größtem inoffiziellem Stadtteil.

Die höchste Zahl der bestätigten Todesfälle in Afrika - 630 - wird in Ägypten verzeichnet. Das Land hat auch 12.229 Infektionen bestätigt. Die von den USA und Europa unterstützte Diktatur von General Abdel Fattah el-Sisi nutzt die Pandemie, um die polizeistaatliche Repression zu verschärfen. Journalisten, die kritische Artikel schreiben, die Zahlen des Regimes hinterfragen und den Umgang mit der Krise nicht gutheißen, werden verfolgt.

Auch in Nigeria, der bevölkerungsreichsten Nation des Kontinents, wurde mit fast 6.000 bestätigten Infektionen und 182 Todesfällen ein starker Anstieg der Fallzahlen gemeldet. Da nur 28.000 Tests durchgeführt wurden, die zu 21 Prozent positiven Ergebnissen führten, liegen die tatsächlichen Zahlen zweifellos weitaus höher.

Auch in Ghana ist die Zahl der Fälle stark angestiegen, da mehr als 500 Arbeiter einer Fischverarbeitungsfabrik positiv auf das Coronavirus getestet wurden.

Seit dem 1. Mai hat sich die Zahl der Coronavirus-Fälle in Südafrika, Nigeria und Ghana verdoppelt. Gleichzeitig haben die Regierungen aller drei Länder eine stufenweise Wiedereröffnung der Betriebe und der Produktion eingeführt.

Im Nahen Osten stieg dieZahl der Covid-19-Fälle am Montag auf über 465.000. Die höchste Zahl von Fällen - 150.000 - wird in der Türkei verzeichnet. Der Iran hat über 122.000 Fälle und mit 7.057 bestätigten Todesfällen die höchste Zahl an bestätigten Covid-19-Opfern in der Region. Der stärkste Anstieg der Infektionen an einem einzelnen Tag wurde am Montag gemeldet, als 2.294 weitere Personen positiv getestet wurden. Die Regierung begann Ende letzten Monats mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft des Landes und lockerte die Quarantänemaßnahmen.

Das potenziell tödliche Virus breitet sich auch in Syrien, Libyen und im Jemen aus, drei Ländern, deren soziale Infrastruktur durch die von imperialistischen Interventionen dezimiert wurden. Das Fehlen von Tests durch lokale Behörden oder internationale Organisationen lässt das Ausmaß der Krise bislang unbekannt.

Überall auf der Welt, von den USA und Westeuropa bis nach Lateinamerika, Asien, Afrika und in den Nahen Osten, enthüllt und verschärft die Covid-19-Pandemie die allgegenwärtige soziale Ungleichheit, die Umverteilung des Vermögens von den arbeitenden Menschen hin zu einer herrschenden Finanzoligarchie, die Aushöhlung demokratischer Herrschaftsformen und die zunehmenden Hinwendung zum Autoritarismus sowie die Vorbereitung für einen imperialistischen Krieg.

Millionen Menschenleben auf der ganzen Welt stehen auf dem Spiel. So erweist sich der Kampf gegen die Pandemie immer offener als ein politischer Kampf, der nur durch eine unabhängige politische Mobilisierung und internationale Vereinigung der Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus erfolgreich geführt werden kann.

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