Arbeiter berichten über Corona-Ansteckungsgefahr in Betrieben

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass neben der Tröpfcheninfektion die Aerosolinfektion bei der Ausbreitung des Corona-Virus eine stärkere Rolle spielt, als bisher bekannt. Das erklärte der Berliner Virologe Christian Drosten Mitte der Woche im Deutschlandradio.

Drosten erläuterte, dass es sich bei Aerosolen um Mikropartikel, das heißt feinste Schwebeteilchen handelt, die sich in geschlossenen Räumen wie eine Wolke längere Zeit in der Luft halten können und den Virus übertragen. Diese neuen Erkenntnisse über den Infektionsmechanismus seien wichtig, weil daraus eine Überarbeitung der bisherigen Verhaltensrichtlinien erfolgen müsse.

Vieles deute darauf hin, dass vor allem der Aufenthalt in geschlossenen Räumen eine hohe Ansteckungsgefahr berge und ständiges gründliches Lüften mindestens ebenso wichtig sei, wie das Wischen und Desinfizieren von Flächen. In diesem Zusammenhang warnte Drosten vor dem Aufenthalt in vollen Zugabteilen, Straßenbahnen und Bussen, aber auch in schlecht belüfteten Klassenzimmern, Restaurants, Büros und Produktionsräumen.

Anstatt diese Erkenntnisse zu begrüßen und die Warnung ernst zu nehmen, findet in den Medien eine regelrechte Hetzkampagne gegen den Charité-Wissenschaftler statt, an deren Spitze – wie so oft, wenn es um reaktionäre Stimmungsmache geht – die Bild-Zeitung steht. Im Interesse der Wirtschaft wird versucht, ernsthafte Wissenschaftler einzuschüchtern und mundtot zu machen, um die Produktion trotz großer Ansteckungsgefahr wieder aufzunehmen.

Vor diesem Hintergrund gewinnt der Aufruf der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) zum Aufbau von Aktionskomitees für Sicherheit in den Betrieben große Bedeutung. Es heißt darin:

Ohne einen sorgfältig ausgearbeiteten Plan, der sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützt und Sicherheitsmaßnahmen rigoros umsetzt, wird die Rückkehr an die Arbeitsplätze zu einem enormen Anstieg der Infektionsrate führen. Schwere Erkrankungen und Todesfälle werden die Folge sein. Das Coronavirus wird sich über Fabriken, Logistik- und Einkaufszentren, Bürogebäude, Schulen und andere Orte, an denen sich viele Menschen aufhalten, rasch ausbreiten. Es besteht die akute Gefahr, dass Beschäftigte, die sich unbemerkt am Arbeitsplatz infizieren und noch keine Symptome zeigen, die Krankheit auf ihre Familien, Angehörigen und Freunde übertragen, wenn sie in ihre Wohnungen und Stadtviertel zurückkehren.

Diese Gefahren sind sehr real. Verkehrsarbeiter aus mehreren Städten haben der WSWS über völlig unzureichende Corona-Schutzmaßnahmen bei Bus- und Bahnbetrieben berichtet.

Aus München schildert ein Trambahnführer, dass trotz des Protests von Beschäftigten immer noch Bahnen mit offenem Führerhaus eingesetzt werden, bei denen der Fahrer nicht vom Passagierraum getrennt ist. Nachträglich eingebaute Plexiglaswände böten ebenso wenig ausreichenden Schutz, wie die alten Filz-Vorhänge. Beim Fahrerwechsel werde keine zusätzliche Zeit eingeplant, um das Führerhaus gründlich zu desinfizieren. Auch ausreichende Lüftung und Frischluftzufuhr sei sehr schwierig.

In Berlin hatte Andy Niklaus bereits im März auf gravierende Sicherheitsmängel bei der BVG hingewiesen. Zwar wurde seitdem in einigen Bussen die lächerliche Abgrenzung des Fahrerbereichs mit rot-weißem Flatterband durch Plexiglas ersetzt, aber auch das bietet keine Sicherheit. Es ändert nichts an der Tatsache, dass die Fahrer stundenlang in einem weitgehend geschlossen Raum mit Fahrgästen zusammen sind und die Gefahr durch eine Aerosolinfektion sehr hoch ist.

Viele sogenannte Sicherheitsmaßnahmen haben reinen Placebo-Charakter und dienen nur dazu, die Wut der Kollegen und Fahrgäste über das verantwortungslose Verhalten der BVG-Geschäftsführung unter Kontrolle zu halten.

Nach wie vor werden den Fahrern Mund-Nase-Schutzmasken ausgehändigt, die nicht den erforderlichen Standards genügen und durchlässig für Coronaviren sind. Die Weltgesundheitsorganisation hat vor der Verwendung dieser Masken gewarnt, weil sie eine falsche Sicherheit vortäuschen. Auch die Reinigung der Fahrzeuge wird noch immer nicht von professionellen Reinigungskräften durchgeführt, die mit speziellem Anti-Corona-Desinfektionsmitteln ausgerüstet sind.

Die schon immer mangelhaften hygienischen Bedingungen in den WCs an den Wendepunkten – sofern überhaupt vorhanden – werden derweil immer noch nicht verbessert. Es gibt für Fahrer an einigen Endstellen nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich vernünftig die Hände zu waschen. Die Seifenspender sind oft leer, ebenso die Papierhandtücher. Desinfektionsmittel gibt es nicht. Auch das Testen von Fahrern, das notwendig ist, um den Virus einzudämmen, findet nicht statt.

Ein Leiharbeiter von BMW in Leipzig schilderte der WSWS die katastrophalen Verhältnisse an seinem Arbeitsplatz. Er arbeitete bisher in der Lackiererei des Autowerks, will diese Arbeit aufgrund der Ansteckungsgefahr aber nicht fortsetzen. Sein Umkleide- und Waschraum sei etwa 700 Meter vom Arbeitsplatz entfernt. Er müsse über lange Flure und Treppen gehen, deren Geländer nicht professionell gereinigt würden, von den Türen und Türgriffen ganz zu schweigen.

In der Nähe seines Arbeitsplatzes gebe es nur eine Toilette, mit nur kaltem Wasser und keinerlei Desinfektionsmittel. Früher habe er viele Jahre in Lebensmittelbetrieben gearbeitet und wisse sehr gut, dass Hygienestandards eingehalten werden können. Dazu seien aber dann auch Spezialfirmen notwendig, die mehrmals täglich alle wichtigen Räume und neuralgischen Punkte professionell desinfizierten.

In einer „Mitarbeiterinformation – BMW Leipzig“ informierte ihn seine Leihfirma Adecco-Personaldienstleistungen Anfang Mai über die anstehende Wiederaufnahme der Schichtarbeit. Als Sicherheitsmaßnahmen wurden darin die gängigen Hygieneregeln genannt – Mindestabstand, Verzicht auf Händeschütteln und Körperkontakt, mehrfaches Händewaschen und Armbeugehusten.

Wörtlich heißt es in dem Adecco-Schreiben: „Die Umkleiden und Duschen sind aufgrund der Infektionsgefahr bis auf weiteres gesperrt. Es wird deshalb empfohlen, die Arbeitskleidung bereits zu Hause anzuziehen.“ Das sei überhaupt nicht machbar, betonte der Lackierer. Denn er arbeite in einem so genannten „Reinraum“, der staubfrei gehalten werden müsse. Außerdem sei es eine Zumutung, den langen Arbeitsweg auch noch in der Arbeitskluft durchzuführen. Er werde das auf keinen Fall machen.

Ein ehemaliger Verkäufer aus einem Geschäft für Unterhaltungselektronik in Rostock sprach mit der WSWS-Redaktion und begrüßte den Aufbau von Aktionskomitees für Sicherheit in Betrieben. „Das halte ich unbedingt für richtig und wichtig. Die Gesundheit muss an erster Stelle stehen. Ohne die Initiative der Beschäftigten denken die Betriebe immer nur an den Profit und nicht an die Mitarbeiter. Wenn alles gegen eine Wiederaufnahme der Arbeit spricht, weil die Gefahr zu groß ist, dass Menschen sich infizieren, warum wird das dann durchgesetzt? Wie profitgeil muss ein Staat sein, der seiner Bevölkerung so etwas antut?“

Vor allem Corona-Tests für alle Arbeiter seien wichtig, weil nur dadurch festgestellt werden könne, wer infiziert sei und wer nicht. „Die Regierung und Behörden müssten medizinische Masken, die nachweislich das Virus nicht durchlassen, allen Personen kostenlos zukommen lassen. Infizierte dürfen nicht mit Gesunden in Kontakt kommen, um die Pandemie wirkungsvoll einzudämmen. Das Thema Herdenimmunität lehne ich entschieden ab. Es führt zu Masseninfektion und unzähligen Opfern.“

Wie dringend es ist, dass Arbeiter selbst die Initiative ergreifen, um die Sicherheitsstandards im jeweiligen Betrieb zu überprüfen und einzufordern, zeigen immer neue Berichte über Infektionen am Arbeitsplatz. Nicht nur die Masseninfektionen in Schlachtbetrieben und der Fleischbranche nehmen täglich zu, auch bei den Kurierdiensten und Zulieferunternehmen steigt die Zahl der Infizierten.

Bei den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann (HKM) in Duisburg wurden sieben Arbeiter positiv auf Corona getestet. In der Mitteilung der Geschäftsführung heißt es: „Die Betriebsabläufe in der Kokerei sind durch die Corona-Fälle nicht gefährdet.“

Schon vor Wochen wurde bekannt, dass auf der Großbaustelle des Bahnprojektes Stuttgart 21 mehrere Mitarbeiter eines türkischen Sub-Sub-Unternehmens positive getestet wurden. Für mehr als 90 Männer wurde danach Quarantäne angeordnet. Das Magazin FAKT berichtete über ein Streitgespräch der betroffenen Bauarbeiter mit dem Vorgesetzten. Darin beschweren sich die Arbeiter über die Zustände vor Ort. „Wir haben es mehrfach gesagt, wir brauchen Desinfektionsmittel“, kritisiert einer der Männer. Auf die Forderungen nach Masken erwidert der Unternehmenssprecher: „Es gibt keine Masken.“

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